Zahlen auf dem Tisch

(Ist nicht so ganz einfach, wenn der Organisationsstab der Bundeswehrtagung in Dresden zielgenau die Räume als Pressezentrum vorsieht, in denen dank Stahlbetonausbau der Handy- und Datennetzempfang auf ein Minimum reduziert oder gleich ganz ausgeschlossen ist. Mit anderen Worten: Organisatorisch war sichergestellt, dass ich heute den ganzen Tag offline war.)

Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg hat heute die lang erwarteten, teilweise auch die erwarteten Zahlen zur künftigen Bundeswehr auf den Tisch gelegt. Ich drehe die Reihenfolge seiner einstündigen Rede mal um und nenne zuerst die Zahlen zu Umfang und Struktur, danach seine Angaben zur künftig ausgesetzten Wehrpflicht:

Der Umfang der Streitkräfte sinkt auf 180.000 bis 185.000 Soldaten. Darin sind sowohl die Berufs- und Zeitsoldaten als auch die künftig vorgesehenen freiwilligen Kurzdiener enthalten (und wohl auch, obgleich der Minister das nicht ausdrücklich sagte, die in der Minimal-Forderung des Generalinspekteurs von 163.500 nicht berücksichtigten Bereiche wie Flugbereitschaft, Wachbataillon und Sportförderkompanien.)

DRESDEN, GERMANY - NOVEMBER 22: German Defense Minister Karl-Theodor zu Guttenberg speaks during a congress of the German Armed Forces (Bundeswehr) at Hotel Westin Bellevue on November 22, 2010 in Dresden, Germany. Germany celebrates 20 years of united Bundeswehr this year. (Photo by Andreas Rentz/Getty Images)

Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg am 22. November bei seiner Rede vor der Bundeswehrtagung in Dresden (Foto: Andreas Rentz/Getty Images via picapp)

Die Zahl der zivilen Mitarbeiter wird von derzeit rund 75.000 über 90.000 auf etwa 60.000 bis 65.000 reduziert und damit deutlich weniger verringert als von der Weise-Kommission (50.000) vorgeschlagen. (Theoretisch gilt derzeit noch die Zielgröße 75.000 Mitarbeiter.)

Um trotz Reduzierung eine ausgewogene Personalstruktur zu behalten, sollen alle gesetzlichen, dienstrechtlichen und tariflichen Instrumente geprüft werden, darunter eine Verkürzung von Dienstzeiten, Zeitsoldaten mit 25 Jahren Dienstzeit, die vereinfachte Umwandlung von Berufs- in Zeitsoldaten, die Mitnahmemöglichkeit (Portabilität) von Versorgungsbezügen beim Ausscheiden aus der Bundeswehr, eine befristete Absenkung der Altersgrenze.

Das alles steht, wie es Guttenberg so nett sagte, selbstverständlich unter der Voraussetzung hinreichender Finanzierung.

Zur Erhöhung der Attraktivität ist ein Reformbegleitgesetz geplant, und bereits zum Beginn des kommenden Jahres ist vorgesehen, an 200 Standorten (das dürften dann die langfristig sicheren Standorte sein?) Eltern-Kind-Arbeitszimmer einzurichten. Ausscheidende Zeitsoldaten sollen Vorrang bei der Besetzung ziviler Dienstposten bekommen.

Nicht ohne die anderen Ressorts kann der Minister seine Pläne umsetzen, die Zulagen für Ärzte und Minentaucher zu erhöhen, die Wahl zwischen Umzugskostenerstattung und Trennungsgeld mindestens als Pilotprojekt einzuführen und die Pauschalen für Dienst zu ungünstigen Zeiten zu erhöhen.

Das gilt natürlich auch für etwas, was Guttenberg zwar nicht als goldenen Handschlag bezeichnete, was aber wohl das wäre: eine Zahlung zur Erhöhung der Attraktivität freiwilligen vorzeitigen Ausscheidens.

Die einschneidenden Veränderungen bei der Wehrpflicht kann der Verteidigungsminister dem Bundestag vorschlagen, weil dafür das Wehrpflichtgesetz geändert werden muss – aber nach den zustimmenden Beschlüssen auf den Parteitagen von CDU und CSU dürfte das nicht problematisch sein:

Die allgemeine Wehrpflicht wird zum 1. Juli 2011 ausgesetzt, die letzten Grundwehrdienstleistenden werden zum 1. Januar 2011 einberufen. An die Stelle des Grundwehrdienstes tritt einneuer freiwilliger Wehrdienst, der sowohl Männern als auch Frauen offensteht und zwischen zwölf und 23 Monaten dauert. Die ersten sechs Monate sind eine Probezeit, die von beiden Seiten jederzeit beendet werden kann. Wer länger als zwölf Monate diesen Dienst leisten will, muss sich grundsätzlich zu Auslandseinsätzen bereit erklären. Die Wehrerfassung bleibt bestehen, aber die Musterung entfällt.

Um diesen Freiwilligendienst attraktiv zu machen, soll bereits ab derm 1. Monat ein erhöhter Wehrsold gezahlt werden, außerdem soll es Angebote zur Aus- und Fortbildung geben.

Der Erhöhung der Attraktivität gerade für Mannschaftsdienstgrade sollen auch Neuregelungen dienen, die bereits ab dem 1. Januar 2011 gelten: Dann wird auch für Mannschaften eine Verpflichtung als Zeitsoldat auf acht Jahre und länger möglich; dafür werden auch zusätzliche Dienstposten vorgesehen. Außerdem soll es unverzüglich (Juristen wissen: das setzt keine Frist, bedeutet aber ohne schuldhaftes Zögern) Erst- und Weiterverpflichtungsprämien geben – zur Höhe machte Guttenberg noch keine Angaben.

Unterm Strich: ein sportliches Programm. Nicht nur, weil in sieben Monaten die Wehrpflicht weg ist. Sondern weil vor allem Kabinettskollegen wie der Finanzminister und dann die Parlamentarier überzeugt werden müssen, dafür das nötige Geld zu geben. Zu diesem Punkt wollte übrigens Bundeskanzlerin Angela Merkel, die auch auf der Tagung sprach, nichts sagen – aus Respekt vor der in dieser Woche laufenden abschließenden Haushaltsberatung des Bundestages.

Wer den Original-Guttenberg hören möchte: Hier sind die Redeausschnitte (auch da habe ich die Reihenfolge umgedreht; erst geht es um den Umfang der Bundeswehr, danach um die Wehrpflicht)

(Der obligatorische Direktlink für iPhone und iPad: http://audioboo.fm/boos/222973-guttenberg-redeausschnitte-22-november-2010)

Natürlich gab es für die Spezialisten noch mehr Zahlen und Grundsatzentscheidungen. Zum Beispiel eine Größe des Bundesverteidigungsministeriums von unter 2000. Das Festhalten an zwei beamteten (neben zwei Parlamentarischen) Staatssekretären. Die Erwartete Verantwortung des Generalinspekteurs für die Einsätze und die Konzentration der Operationsführung beim Einsatzführungskommando, die Auflösung des Einsatzführungsstabs…

Und vor allem: die Festlegung des Levels of Ambition, der Grundorientierung für die erwarteten Einsätze. Dafür sollen mindestens 10.000 Soldaten in zwei räumlich voneinander getrennten Stabilisierungoperationen bereitstehen, neben weiteren vor allem von Luftwaffe und Marine für kleinere Missionen, die Vorsorge für Evakuierungsoperationen in nationaler Verantwortung und die Sicherung des deutschen Luft- und Seeraums. Das lohnt demnächst einen eigenen Beitrag.

Nachtrag: Die Abschrift der gesamten Rede Guttenbergs steht inzwischen auf der BMVg-Webseite.