Karzai verlangt von internationalen Truppen mehr Zurückhaltung
Passend zum kommende Woche beginnenden NATO-Gipfel in Lissabon: Afghanistans Präsident Hamid Karzai hat in einem Interview mit der Washington Post von den USA verlangt (gemeint ist allerdings vermutlich: von ISAF und NATO insgesamt), bei ihrem militärischen Engagement am Hindukusch zurückhaltender zu sein. Vor allem die nächtlichen Einsätze von Spezialkräften müssten aufhören.Die Zeit ist gekommen, militärischen Operationen zu verringern, zitiert das Blatt den Präsidenten. Die Zeit ist gekommen, die Zahl der Stiefel in Afghanistan zu verringern… und das Eindringen in das tägliche afghanische Leben zu reduzieren. („The time has come to reduce military operations,“ Karzai said. „The time has come to reduce the presence of, you know, boots in Afghanistan . . . to reduce the intrusiveness into the daily Afghan life.“)
Der Bericht der Washington Post hier, Wortlautauszüge aus dem Interview hier.
Karzais Kritik richtet sich in erster Linie gegen die Planung des ISAF-Kommandeurs David Petraeus – der in den vergangenen Monaten zunehmend auf die Nachteinsätze der Spezialkräfte gesetzt hat, um gezielt Führungsebenen der Aufständischen auszuschalten. Und ich glaube kaum, dass sich Petraeus dieses Instrument aus der Hand nehmen lässt. Der Präsident, auf der anderen Seite, muss diese Bedenken äußern – weil sich durch diese Einsätze nicht nur die Aufständischen, sondern natürlich auch die afghanische Zivilbevölkerung verunsichert fühlt.
Interessant, Herr Wiegold, auf welche Artikel Sie hier verweisen, und auf welche nicht. Passt irgendwie zur Art und Weise Ihrer Moderation.
Dies wäre z. B. als Ergänzung zu den Äußerungen von Karsai durchaus interessant:
http://www.rp-online.de/politik/ausland/Wir-draengen-die-Taliban-zurueck_aid_929904.html
„Wir drängen die Taliban zurück
Düsseldorf (RP). Der deutsche Nato-General Josef Blotz, der Sprecher von Isaf-Kommandeur David Petraeus, berichtet im Vorfeld des Gipfeltreffens der westlichen Verteidigungsallianz am 19. und 20. November in Lissabon über Erfolge in Afghanistan. Die Initiative sei zurückgewonnen.
Die Nato meldet, dass die islamistischen Kämpfer im hart umkämpften Südosten Afghanistans auf dem Rückzug sind. Das ist überraschend. Wendet die Schutztruppe Isaf erfolgreich das Blatt?
…“
Man könnte jetzt kritisch und interessant diskutieren, welche Rolle es hat, dass Karsai als afghanischer Präsident nun den „Good Guy“ macht und der ComISAF als harter Hund auftritt.
Da auf dieser Plattform kritische und an der Realität orientierte Diskussionen unerwünscht sind, will ich das Hausrecht von Herrn Wiegold respektieren und es bei nicht einmal an der Oberfläche kratzendem Geplänkel belassen.
Wir wollen ja nicht, dass der Moderator wieder einen Thread schließen muss, weil die Diskussion zu Kernproblemen der bundesdeutschen sicherheitspolitischen Diskussion vordringt.
„Wenn du dich und den Feind kennst, brauchst du den Ausgang von hundert Schlachten nicht zu fürchten. Wenn du dich selbst kennst, doch nicht den Feind, wirst du für jeden Sieg, den du erringst, eine Niederlage erleiden. Wenn du weder den Feind noch dich selbst kennst, wirst du in jeder Schlacht unterliegen.“
Der bundesdeutsche sicherheitspolitische Diskurs will offenbar weiterhin weder sich selbst, noch den Feind kennenlernen.
@ Sun Tzu
Jetzt hab‘ ich es satt. Trolle werden hier künftig gleich rausgeschmissen, weil hier nämlich kritische und an der Realität erwünschte Diskussionen unerwünscht sind, gell. Ich lasse mich nur bis zu einem gewissen Maß beleidigen, aber nicht öffentlich vorführen.
Ich finde den Blog immernoch toll :) Und ich versuch mal weiter zu machen. Vielleicht bleiben wir ja künftig beim Thema und schweifen nicht immer ins Allgemeine ab.
Hier war ja nun die Frage, ob Karzai Recht hat, wenn er eine Reduzierung der Operationen fordert.
Ich denke Petraeus liegt richtig. Er bekämpft den Feind, bis er besiegt ist, womit er die Monsteraufgabe Irak geschafft hat. Die Nachteinsätze sollten nicht das Zünglein an der Waage hinsichtlich der Verunsicherung der afghanischen Bevölkerung sein. Dafür sorgt Karzai locker selbst. Wer traut ihm schon? Letztenendes hat Karzai keinerlei Expertise, einem US-amerikanischen General Ratschläge zu erteilen.
Und konkret: Vor allen Dingen werden die feindlichen Kräfte verunsichert, wenn der Druck hoch bleibt und sie nachts nicht zur Ruhe kommen. Außerdem können sie nur gebrochen werden, wenn man nicht ihre „Wochenendskämpfer“-Methodik annimmt, sondern ihnen das Doppelleben unmöglich macht. (In der Vermutung, dass viele Feindkräfte immernoch Teilzeitaliban sind und keine stehende Truppe)
Ich würde diese Aussagen Karzai’s nicht überbewerten. Trotz aller berechtigeten oder unberechtigten Kritik, er muss die Innenpolitik in Afghanistan im Auge behalten. Somit muss er ab und an auch ‚Anti-ISAF‘ Positionen einnehmen, um nicht vollends als Marionette dazustehen.
Karzai muss irgendwie Verhandlungen initiieren bzw. fortführen, dazu kann er nicht radikal alle Aktionen unterstützen, die laufen und auch notwendig sind.
Wenn er damit Erfolg hat, soll es gut sein. Es geht nicht darum, dass ISAF gut da steht, sondern, dass eine Lösung gefunden wird – und die kann nur afghanisch sein. Denn im Prinzip wollen alle das Gleiche, fremde Truppen irgendwann abziehen und Sicherheit/ Frieden für die afghanische Bevölkerung.
Das stimmt natürlich auch wieder. Ein nicht ganz einfacher Spagat, zwischen rein militärischem und diplomatischem Denken :)
Wenn man „intrusiveness“ (korrekt?)mit Aufdringlichheit oder Zudringlichkeit und nicht mit Eindringen übersetzt, gewinnt die Aussage Karsais deutlich an Schärfe. Aufdringlichkeit oder Zudringlichkeit ist stark negativ besetzt. Als Präsident des Landes könnte er gemäß dem Völkerrecht alle ausländischen Truppen des Landes verweisen. Er ist zwar unter massiver Wahlfälschung an der Macht, jedoch eigenartigerweise vom Westen anerkannt.
@Niklas
Diplomatie hat nichts mit Täuschung der Öffentlichkeit zu tun, sondern eher mit zurückhaltenden Äußerungen. Wenn diese Äußerung Karzais zurückhaltend war, dann stellt sich die Frage, was wollte er damit sagen? Soll die NATO ihren Einsatz beenden? Es kann also keine Diplomatie gewesen sein. Die Afghanen wollen uns doch. Oder?
Meiner Meinung nach bereitet Karzai bereits den Boden für die Zeit nach dem Abzug der Nato-Truppen vor. Dann werden höchstwahrscheinlich Taliban mit am Kabinettstisch sitzen, oder Karzai wird tot sein, wie es seinen Vorgängern weitgehend ebenfalls ergangen ist.
Die nächtlichen Einsätze der amerikanischen Spezialkräfte sind effektiv, der Verfolgungsdruck für Aufständische ist hoch, der bevorstehende Winter engt den Bewegungsspielraum der Aufständischen ein, eine Übernachtung im Freien wird immer schwieriger. In dieser Situation geraten die Aufständischen durch die gezielten Tötungen mächtig unter Druck. In der Zeit nach dem Nato-Einsatz wird sich vielleicht der eine oder andere Aufständische, der dann mit im Parlament oder in der Regierung sitzt, an die damalige Verhaltensweise von Karzai erinnern !
Interessant ist vielleicht in diesem Zusammenhang die Reaktion von US Senator Lindsey Graham, der erst vor wenigen Tagen mit Präsident Karzai gesprochen hat.
http://www.reuters.com/article/idUSTRE6AD22O20101114
[i]Ich denke Petraeus liegt richtig. Er bekämpft den Feind, bis er besiegt ist, womit er die Monsteraufgabe Irak geschafft hat.[/i]
Hat er? Nicht wirklich. Er hat lediglich den Großteil des sunnitisch-nationalistischen Widerstandes aufgekauft und gegen den salafitischen Flügel kämpfen lassen. Wie erfolgreich das war, kann man ja sehen.
Nichtsdestotrotz versucht man es so ja auch in Afghanistan, obwohl dieses Land im Bezug auf sich wandelnde Loyalitäten und opportunes Überläufertum bereits eine sehr schillernde Geschichte hat.