Wenn die USA mit den Taliban reden würden…
Den ganzen Tag lausche ich heute dem Symposium des Bundesnachrichtendienstes in Berlin – unter dem, je nach Sichtweise, ermutigenden oder abschreckenden Titel AfPak – Ein gordischer Knoten?
Es wäre vermessen zu versuchen, auch nur die Grundlinien aller Vorträge und Panels hier nachzeichnen zu wollen. Ein paar Anmerkungen daraus vielleicht später, als erstes aber kurz ein Hinweis auf einen interessanten Gedankengang des Taliban-Kenners Ahmed Rashid (bekannt durch seine Bücher über Afghanistan und die Taliban, zuletzt Sturz ins Chaos):
Ein game changer, eine grundlegende Änderung der Voraussetzungen für das ganze komplizierte Machtgefüge in Afghanistan und in/mit seinen Nachbarstaaten, sagt Rashid, wäre ein direkter Dialog der USA mit den Taliban. Natürlich gebe es seit Jahren Kontakte zwischen Afghanistans Präsidenten Hamid Karzai und den Taliban, überwiegend über die Frage, ob und wie man miteinander reden sollte. Aber den Taliban sei an einem direkten Dialog mit den USA gelegen, nicht mit Karzai. Und wenn, sehr hypothetisch, US-Präsident Barack Obama die Bereitschaft seines Landes zu direkten Verhandlungen mit den Taliban erklären sollte, gäbe es eine ganze neue Situation. Alle Nachbarländer Afghanistans hätten wohl kaum eine andere Wahl, als diese Gespräche zu unterstützen – und Nachbarn wie Pakistan, die aus machtpolitischen Gründen ihren sehr eigenen Umgang mit den Taliban pflegen, wären auf diese Weise ausmanövriert….
Vielleicht (derzeit?) nicht unbedingt realistisch. Aber ein interessanter Ansatz.
BND-Präsident Ernst Uhrlau bei der Eröffnung des Symposiums
Wieso nicht realistisch? Sowas muß doch nicht als neue Strategie verkauft werden? Es gibt doch auch sowas wie backchannels. Das Problem sehe ich weniger auf der taktischen als auf der ideologischen Ebene… es wäre halt ein definitives Eingeständnis des Scheiterns des gesamten Ansatzes, der Hybris und der Hilflosigkeit des Westens, Entwicklungspolitik mit Mitteln des Sicherheitsapparats zu beschleunigen – auch ohne die Konfrontationssituation des kalten Krieges. Und es zeigt auch, daß man keinen Krieg gewinnen kann, wenn man beide Seiten bezahlt. Ohne eine – sicher nicht zu realisierende – komplexe politische Lösung der Drogenfrage im Westen ist politische Stabilität in den Produzentenländern doch das letzte, was die dortigen Profiteure wollen. Obama hat sicher den Vorteil, daß er politisch flexibler ist als Clinton mit der Lewinsky Affaire (weibliche demokratische Wählerinnen für die Wahl 2000) und Bush, der sich ja selbst ideologisch gebunden hatte. Die Stimmung im Land gibt Obama mehr Gestaltungsspielraum. Aber die entscheidende Frage hier bleibt doch trotzdem. Wozu? Was sollte man erreichen wollen mit einem solchen Dialog außer freiem Geleit beim Abzug?
Ab dem dritten November, wenn die Kongresswahlen vorüber sind, fängt in den USA der Wahlkampf um den nächsten Präsidenten an.
Obama ist so angeschlagen und hat soviele Misserfolge vorzuweisen, dass er sich so einen Schritt wie Verhandlungen mit den Taliban gar nicht leisten kann. Die Republikaner würden ihn in der Luft zerreissen und die Falken in seiner eigenen Partei, Hillary Clinton voran, würden, vermutlich mit Erfolg, demokratische Gegenkandidaten zu ihm aufstellen.
Leider ist es so das in den USA die Aussenpolitik in kritischen Fragen immer von innenpolitischen Überlegungen geleitet ist. Dessen sollte man sich bewusst sein bevor man sich auf US-geführte Abenteuer einlässt. So sitzt man in Afghanistan und kommt nicht raus weil diese oder jene Gruppe von Kongressabgeordneten in den USA ihre innenpolitische Spielchen treibt.
Das Einzige was man bei Verhandlungen mit den Taliban erreichen könnte ist eine mehr oder weniger vertrauenswürdige Garantie das diese in Zukunft keinen Rückzugsraum für internationale Terroristen in ihrem Lande erlauben. Dem würden die, im Gegenzug zu einem vollständigen Truppenabzug, wohl sofort zustimmen. Das sollte uns dann auch ausreichen. Der Rest ist afghanische Innenpolitik und die kann uns egal sein.
Diverse Anmerkungen dazu:
– Die Bereitschaft, mit Führern der Aufstandsbewegung zu verhandeln, ist in amerikanischer Regierung und den Streitkräften Konsens. Dass dies in öffentlichen Erklärungen zurückhalten ausgedrückt wird, hat auch strategische Gründe: Wer offensiv um Verhandlungen nachsucht positioniert sich damals als schwächere Verhandlungspartei und riskiert u.a. Glaubwürdigkeitsverlust, wenn die andere Seite darauf nicht eingeht.
– Verhandlungsergebnisse sind in jedem Fall nur so viel wert wie die Wahrnehmung der Machtverhältnisse durch die Aufständischen. Ein Verhandlungsergebnis, dass nicht durch Fakten am Boden oder zumindest vorher aufgebaute glaubwürdige Abschreckungseffekte gedeckt ist, wäre absolut wertlos. Verhandlungen sind keine Alternative zum bewaffneten Vorgehen, sondern allenfalls dessen Ergebnis.
– Überhaupt nichts deutet darauf hin, dass seitens der Führung der Aufständischen eine Motivation für Verhandlungen vorhanden ist. Diese scheinen davon auszugehen, dass der Westen nicht mehr lange durchhält und sie bald alles bekommen, was sie wollen, ohne dafür Konzessionen eingehen zu müssen.
– Es gibt Hinweise darauf, dass die Taliban-Führung im unwahrscheinlichen Fall von Konzessionsbereitschaft in Folge steigenden Drucks vielleicht potentiell bereit sein könnte, der Forderung bzgl des Rückzugsraums für internationale Netzwerke in Afghanistan zuzustimmen, wenn dies nicht allzu öffentlich kommuniziert wird. Andere Teile der Aufstandsbewegung hingegen sind real kaum in der Lage, dieser Forderung nachzukommen, z.B. das Haqqani-Netzwerk. Diverse Verflechtungen sind dazu einfach zu eng, als dass die Forderung ohne gravierende Risiken für die Haqqanis selbst umsetzbar wäre. Und ob die pakistanischen Entscheider, welche die Haqqanis und die internationalen Netzwerke unterstützen, ein Interesse daran haben, halte ich für fraglich. Immerhin lebt der pakistanische Sicherheitsapparat von der internationalen Unterstützung, die er wegen seines vorgeblichen Vorgehens gegen diese Kräfte erhält.
– Ende 2001 hätte die Chance für sinnvolle Verhandlungen bestanden, weil die potentiellen Verhandlungsparteien den USA alles zutrauten und existenzielle Angst hatten. Die Schwäche der USA und ihrer Verbündeten hat diese Chance zunichte gemacht.
– Es gibt keinen einfachen Ausweg aus der Situation mehr. Entweder erledigt man den Feind in Afghanistan oder Pakistan, oder man findet sich damit ab, dass dieser in Folge eines wahrgenommenen Erfolgs in Afghanistan weltweit so erstarkt wie in den 90ern nach dem wahrgenommen Sieg über die Sowjetunion.
Mit den Taliban reden? Das wird nur gehen, solange man dafür zahlt.
@B:
Ihr Zitat: „Leider ist es so das in den USA die Aussenpolitik in kritischen Fragen immer von innenpolitischen Überlegungen geleitet ist. Dessen sollte man sich bewusst sein bevor man sich auf US-geführte Abenteuer einlässt. So sitzt man in Afghanistan und kommt nicht raus weil diese oder jene Gruppe von Kongressabgeordneten in den USA ihre innenpolitische Spielchen treibt.“
1. Können Sie das an KONKRETEN Beispielen und Namen festmachen??? (z.B. WK II, Koreakrieg, Vietnam, Grenada, 2. Golfkrieg etc.).
2. Welche positiven Beispiele anderer (nicht so böser ;-)) Mächte können Sie benennen, wo Innen- und Außenpolitik sauber zu trennen waren ?
Den Ausführungen von S.W. kann ich weitgehend zustimmen.
Man muss sich im letztendlich fragen: Was sind die intrinsischen Motivationen des Gegners?
Dort treffen wir auf ein Konglomerat von Motivationen, die nur beschränkt im Einklang mit dem stehen, was die UN als Ziele für Afghanistan vorgegeben hat.
Zum einen ist da die archaische Stammesprägung. Ein Verhandlungspartner, also mindestens der Führer von ein paar Leuten, hat seine Macht meist dadurch erlangt, dass er potenzielle Konkurrenten entweder so stark eingeschüchtert hat, dass sie sich ihm unterworfen haben oder er hat sie umgebracht. Dieses Verhaltensmuster wird nicht so schnell verlassen werden.
Ein weiteres Basismuster dieser Gesellschaft sind Ressourcen. Für die Erlangung von Ressourcen ist man bei entsprechendem Preis zu allem bereit. Nur wollen wir hier wirklich in einen Bakschisch- Wettbewerb mit wahabitischen Prinzen einsteigen, der letztendlich, bei vorhersehbarem Seitenwechsel, den Feind mit Dingen ausgestattet hat, die wir eigentlich nicht in dessen Hand sehen wollen? Zudem ist das kurzsichtig. Sobald dank Bestechung eine gewisse Wohlstandsschwelle überschritten ist, besinnt man sich seiner kulturellen Wurzeln und spielt wieder Islamist.
Dann ist da die religiöse Prägung. Die dortige Koranauslegung ist nun mal eher vergleichbar fundamental salafitischen Auslegungen, was Demokratie, Menschenrechte etc. eher inkompatibel macht. Dieses Problem ist nur über konkreten Einfluss auf die Menschen über mindestens eine Generation zu minimieren.
Jegliche Gespräche mit Aufständischen machen also nur Sinn, wenn sie aus einer Position der Stärke heraus geführt werden. Wenn man die Führungsstrukturen der Aufständischen weggeschossen hat, werden sich die Unterführer und Mannschaften unterordnen und die 50-Dollar- Taliban nach Hause gehen.
Dann kann eine afghanische Regierung mit dem Problem umgehen, solange ein kleines internationales Kontingent als „Aufpasser“ daneben steht und jederzeit aufwuchsfähig ist.
In der FAZ steht sehr bezeichnend über diese Veranstaltung:
Zitat:
“ Der frühere Botschafter und Vorsitzende der Münchener Sicherheitskonferenz, Ischinger, verlangte von der Bundespolitik, die der Konferenz wegen einer Bundestagsdebatte fernblieb, den militärischen Sachverstand der Bundeswehr stärker in die politische Entscheidungsfindung einzubeziehen. Es müsse, forderte Ischinger, nach dem amerikanischem Vorbild des Berichts von General Petraeus, auch umfassende deutsche militärische Lageberichte geben, die in die öffentliche Diskussion Eingang finden sollten. Kanzleramtsminister Pofalla (CDU) ließ sich entschuldigen, seine Rede, die ein Mitarbeiter des Kanzleramtes verlas, war ohne Neuigkeitswert.“
http://www.faz.net/s/Rub0CCA23BC3D3C4C78914F85BED3B53F3C/Doc~EE3F534CF586244F0844BAFD6713B348C~ATpl~Ecommon~Scontent.html
Mit diesem Absatz wird ein Kernproblem der bundesdeutschen Sicherheitspolitik auf den Punkt gebracht.
Politik und Militärs reden nicht miteinander. Wie auch, wenn jeder General, der unbequeme Wahrheiten überbringt, unverzüglich per § 50 SG in den Ruhestand wandert.
Dazu kommt, dass sich die Politik nur für ein Thema interessiert, wenn es populistisch für Wahlkampf ausgeschlachtet werden kann. Fragt die Bild-Zeitung gerade, warum Merkel nicht am Sarg eines gefallenen Soldaten steht – schwups, steht sie da. Titelt die Journaille gerade Atomkraft, kommt nicht mal der Kanzleramtsminister zu einer Afghanistan- Veranstaltung, sondern gibt im Bundestag seine Interviews.
Die Bevölkerung hat zudem keine wirklichen Informationen zu Afghanistan. Ihr wurde ein Wahrnehmungsraum aufgespannt, der ins Kalkül wahlkampforientierter Agitation der jeweiligen politischen Akteure passen soll.
Afghanische Realität und Wahrheit ist so weit von der Lebenswirklichkeit des bundesdeutschen politisch medialen Komplexes entfernt, dass es allein schon an Anknüpfungspunkten zum Verständnis fehlt.
Aber statt wirklich zur Sache zu kommen, beschränkt sich die Politik auf überholte Folklore und führt, wie gestern, ein peinliches Kasperletheater im Bundestag auf.
@Mietsch
„1. Können Sie das an KONKRETEN Beispielen und Namen festmachen??? (z.B. WK II, Koreakrieg, Vietnam, Grenada, 2. Golfkrieg etc.).“
In den USA kann man als Interessensverband oder Unternehmen über – inzwischen rechtlich unbegrenzte – anonyme Spenden, einzelne Abgeordnete beeinflussen. Dieses durch positive Spenden direkt an die Wahlkasse des Abgeordneten, aber auch durch Spenden an potentielle Konkurrenten eines Abgeordneten die diesen dann unter Druck setzen.
Das ist besonders wirksam wenn man Senatoren beeinflusst da jeder einzelne Senator unmittelbar Druck auf die Regierungspolitik machen kann, zum Beispiel durch eine sogenannten „Hold“ in dem ein Senator die Ernennung z.B. eines Botschafters, verhindern kann. (Beispiel)
Für die Abgeordneten geht es dabei häufig weniger um eigene ideologische Einstellung zu einem Thema sondern mehr um das Geld für den nächsten Wahlkampf. Derzeit benötigt ein einfacher Abgeordneter pro Wahlperiode ungefähr $4 Millionen an Spenden um in das Repräsentantenhaus einziehen zu können. Senatorensitze sind teurer.
In Bezug auf Afghanistan spielt die indische Lobby eine grosse Rolle – siehe z.B.generell Forget the Israel Lobby. The Hill’s Next Big Player Is Made in India. und speziell India’s stealth lobbying against Holbrooke’s brief.
Die kubanische Lobby, reiche,konserveative Exilkubaner in Florida, entscheidet darüber wer Florida im Kongress vertritt. Ihr Ziel ist die Aufrechterhaltung der Blockade Kubas – obwohl diese seit 50 Jahren nicht zum gewünschten Regimewechsel dort führt.
Die PNAC war die Lobbygruppe die, finanziert von Ölinteressen als auch durch reiche zionistische Ideologen, wesentlich den letzten Krieg gegen den Irak inszeniert hat. Die gleichen Interessen, unter neuem Namen, sind derzeit dabei einen Krieg gegen Iran anzuzetteln.
„2. Welche positiven Beispiele anderer (nicht so böser ;-)) Mächte können Sie benennen, wo Innen- und Außenpolitik sauber zu trennen waren ?“
Ausser einige Diktaturen kenne ich kein Land in dem so offensichtlich wie in den USA die Aussenpolitik so direkt von Spenden einzelner Interessensverbände an Abgeordnete beeinflusst werden kann. In gewissem Rahmen ist das zwar auch z.B. bei uns möglich, aber es gibt hier (noch) einige gesetzliche Grenzen die diese Einflussnahme einschränken.