Rasmussen will NATO als globales Sicherheitsforum
Nein, auch bei seinem heutigen Besuch in Berlin hat NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen nicht wirklich den Schleier der Geheimhaltung gelüftet, der nach wie vor den Entwurf des neuen Strategischen Konzepts der Allianz verhüllt (dazu bisschen mehr später).
Aber immerhin ist er 1. zu einer Konferenz der Grünen Wohin mit der NATO? – Relikt des Kalten Krieges oder Instrument für den Frieden in die deutsche Hauptstadt gekommen. (Kolportiert wird dazu der Spruch des Grünen-Bundestagsabgeordneten Hans Christian Ströbele, gehört habe ich das leider selbst nicht: Vor 30 Jahren hätten die Panzer geschickt, heute den Generalsekretär. Vor 30 Jahren hätten wir Barrikaden gebaut, heute öffnen wir ihm die Tür.)
Und 2. war Rasmussens Rede auch ohne endgültige Klarheit über das Strategische Konzept interessant. Weil er unter anderem vorschlug, die NATO sei doch das richtige globale (!) Forum für die Konsultation über Sicherheitsfragen:
I believe that NATO should become a forum for consultation on international security issues – the place where views, concerns and best practices on security are shared among global partners. And where we can work out how best to tackle common challenges together.
I realise that this idea might seem ambitious. But is it really?
Who would suffer if our partners in Europe, Central Asia, North Africa and the Middle East were to deepen their cooperation with NATO?
Who stands to lose if countries such as China, India and Pakistan were to engage in a closer dialogue with NATO? Who would be hurt if Asian-Pacific Countries like Australia, New Zealand, Japan and South Korea were to enhance their consultations with NATO?
Die ganze Rede des Generalsekretärs zur Dokumentation (und für die Feinschmecker zum Nachhören) hier:
Dazu gab es natürlich etliche Nachfragen. Einige der Antworten Rasmussens hier – zunächst zu der Frage, warum der Entwurf des neuen Strategischen Konzepts geheimgehalten wird (der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Ruprecht Polenz, sprach von einer Transparenzlücke):
Also, das Konzept, dessen Vorarbeiten ziemlich öffentlich waren, bleibt erst mal geheim, damit sich die einzelnen NATO-Mitgliedsländer Gedanken über Änderungen machen können, ohne dass diese Änderungen womöglich öffentlich zerpflückt werden. Kann man so sehen, überzeugt mich allerdings nicht wirklich…
Was das globale Sicherheitsforum NATO angeht: Natürlich, sagt Rasmussen, habe die UN weiterhin Priorität. Aber in der NATO gebe es auch Bedarf an politischer Konsultation mit anderen Mitspielern – zum Beispiel sei China das einzige Mitglied des UN-Sicherheitsrats, mit dem die Allianz keinen strukturierten Dialog führe. Das eine schließe ja das andere nicht aus. Wir werden sehen.
(Nebenbei, zur Frage, ob Russland als NATO-Mitglied infrage komme: Nach dem Wortlaut des NATO-Vertrags, der in Artikel 10 die Öffnung für weitere europäische Länder erlaube, sicherlich. Aber Russland selbst habe das doch ausgeschlossen, also sei das wenig realistisch.)
Übrigens gab’s auch eine Frage nach der Rolle der USA in der NATO (in der obigen Aufzeichnung nicht enthalten). Da hatte Rasmussen ernüchternde Zahlen zur sich erweiternden technologischen Kluft zwischen den USA und ihren Verbündeten parat: vor zehn Jahren hätten die USA noch einen Anteil von 49 Prozent an allen Militärausgaben des Bündnisses gehabt. Inzwischen sei dieser Anteil auf 73 Prozent gestiegen. Das sei auch ein Problem für die Beziehung zwischen dem größten NATO-Mitglied und den anderen – und, so warnte der Generalskretär: Wir sollten diese Beziehung nicht als selbstverständlich ansehen. Wir müssen auch etwas in diese Beziehung investieren.
Ein klein wenig überraschend fand ich die letzte Aussage Rasmussens: Bei der Energiesicherheit, sagt er, stehe NATO nicht in erster Linie. Sondern viel mehr die Europäer: EU should take the action, not NATO. Das klingt etwas zurückhaltender als das, was aus dem (ja geheimen) Strategieentwurf zu hören war. Allerdings – auch Rasmussen schließt nicht aus, dass sich Mitglieder des Bündnisses wegen einer abgeschnittenen Energiezufuhr hilfesuchend an die Allianz wenden. Aber selbst dann sollte die NATO wohl eher politisch tätig werden.
(Die Reuters-Meldung zu Rasmussens Aussagen, auch die zuvor bei einer Pressekonferenz mit der Bundeskanzlerin, hier.)
Ströbele scheint da was zu verwechseln. Panzer geschickt haben immer nur seine Kommunistenfreunde, z.B. in Prag.
Ansonsten unterstreicht die Tatsache, dass selbst ein Ströbele von „Tür öffnen“ spricht, die Belanglosigkeit einer NATO, die verzweifelt nach einer Daseinsberechtigung sucht. Der eigentliche Existenzkampf steht der NATO dabei erst noch bevor, wenn das Scheitern von ISAF nicht mehr zu bestreiten ist und nochmehr Nationen abspringen.
Oh weh. Manche Namen sollte ich hier gar nicht erwähnen, weil die einen Beißreflex auslösen ;-)
@T. Wiegold
Was erwarten Sie bei einem verurteilten Unterstützer der Baader-Meinhof-Bande, dem es bis heute schwer zu fallen scheint, so etwas wie Reue zu zeigen, und in dessen Weltsicht sehr wenig Fortschritte zu erkennen sind.
Die Unrichtigkeit seiner historischen Aussage halte ich davon abgesehen für offensichtlich. Aber ich lasse mich gerne korrigieren und bitte um Beispiele dafür, dass die NATO Panzer gegen das eigene Volk eingesetzt hat, wie Ströbele unterstellt.
@S.W.
Mir fallen da innerhalb der NATO nur GB (Nordirland), die Türkei (Kurden) und Griechenland (Militärputsch) ein. Sonst wurden NATO-Panzer eigentlich „nur“ gegen fremde Völker eingesetzt. Siehe Jugoslawien, Irak, Vietnam, Grenada … . Wer Panzer bzw. anderweitige Militärtechnik will, der sollte sich auch darüber im Klaren sein, dass diese auch irgendwann eingesetzt werden. Nicht nur die Kommunisten, sondern auch deren erbitterte Gegner, die Kapitalisten, haben „Panzer“ gegen das eigene Volk eingesetzt, wenn sie ihre Herrschaft gefährdet sahen. Noch häufiger auch außerhalb der NATO. Siehe Chile … . Es gibt unzählige Beispiele dafür.
Was die Grünen betrifft, so wissen wir doch von ihrer maoistisch-kommunistischen Herkunft und das sie die NATO und die BW am besten gleich mit abschaffen wollen. Gleichzeitig gestehe ich ihnen zu, dass es auch in ihren Reihen „Wendehälse“ geben mag. Macht korrumpiert halt auch „Grüne“. Was interessiert sie ihr Geschwätz von gestern. ;-)
Ich will eine starke, für alle erdenklichen Aufgaben gerüstete und ernstzunehmende BW und NATO. Nur so kann man Frieden und Sicherheit für uns erhalten.
Äh, eigentlich geht’s hier um Rasmussen und seine Aussagen. Nicht primär um die Grünen. Nur mal so zum Sagen.
@Stefan
„Mir fallen da innerhalb der NATO nur GB (Nordirland), die Türkei (Kurden) und Griechenland (Militärputsch) ein. Sonst wurden NATO-Panzer eigentlich “nur” gegen fremde Völker eingesetzt. Siehe Jugoslawien, Irak, Vietnam, Grenada …“
Na, so ganz korrekt ist das aber auch nicht. Von den von Ihnen genannten Beispielen war nur Jugoslawien ein NATO-Einsatz, und dass hier „Panzer gegen fremde Völker“ eingesetzt wurden, zweifele ich an. Möglicherweise erinnern Sie sich noch daran, was seit 1992 in Bosnien geschah. Die NATO hatte zwar einen bedauerlich geringen Anteil daran, diese Geschehnisse zu beenden (das taten die Amerikaner im Alleingang mit ihrer von den Grünen ausdrücklich verurteilten „völkerrechtswidrigen“ Unterstützung der kroatischen Gegenoffensive und zögerlichen Luftangriffen 1995), aber der Vorwurf des verspäteten Eingreifens an die NATO wiegt hier m.E. weniger schwer als der Vorwurf an die Grünen, die sich hinter ihrer verlogenen Pazifistenmoral versteckten. Milosevic galt manchem damals ja noch als Roter, also als Guter.
@T. Wiegold
Wenn Sie schon ein die Geschichte entstellendes Zitat eines Leitgrünen bringen, dann sollte dieses Zitat m.E. auch Gegenstand der Diskussion sein dürfen. Aber Sie sind der Hausherr.
Nun ja, Herrn Ströbele zu sicherheitspolitischen Fragen zu zitieren, könnte in der Tat ein Blog diskreditieren …
Schon seine Auskünfte zu einfacheren Fragestellungen, wie der Pommes im Kiez, sind ja recht wirr (Siehe: http://www.youtube.com/watch?v=7lc9RE3lS-0 ). Da wundert es nicht, was dann so bei komplexeren Fragen kommt.
Die Äußerungen dieses Herrn tragen in meinen Augen zum sicherheitspolitischen Erkenntniszugewinn in etwa so viel bei, wie das Bellen eines Hundes.
Es gibt einfach Personen, bei denen das Zusammentreffen von Ideologie und Ahnungslosigkeit trotz vorhandener kognitiver Leistungsfähigkeit eine vollkommen unqualifizierte und langweilig primitive Mischung ergibt.
Wenn dann noch Populismus und Mikrophongeilheit dazu kommen, disqualifiziert sich die Person für jegliche sachliche Diskussion.
Es ist schon interessant, wie eine Partei, wie die Grünen, gleichzeitig Personen wie Herrn Nachtwei und Herrn Ströbele hervorbringen kann.
Der eine kann trotz seiner ideologischen Herkunft und Defizite durchaus als interessanter Aspekt in der sicherheitspolitischen Diskussion bezeichnet werden, der andere ist Herr Ströbele … (ab hier zensiere ich mich selbst).
Manche kriegen eben die Kurve, andere nicht. Der polit- populisitische Flurschaden ist allerdings in beiden Fällen enorm.
So. Stopp. Wenn das so weitergeht, haben wir gleich Kommentare, die ich wegen justiziablen Inhalts ausbremsen muss…
Sorry, habe das – noch nicht mal gesicherte! – Ströbele-Zitat zum Auflockern oben reingestellt, bedauere das inzwischen und bitte noch mal dringend darum, nicht diese Randgeschichte zum zentralen Thema des Threads zu machen.
Weder sehe ich, dass hier durch ein Zitat Geschichte verfälscht würde, noch sehe ich, dass hier die Gefahr bestünde, dass dieses Blog inhaltlich diskreditiert würde. Das geschieht eher durch manche Kommentare.
Weil ich Herrn Wiegolds Bitte nachkommen will, nicht vom Thema abzuschweifen, will ich dazu jetzt nicht mehr schreiben, außer dass beide Vorwürfe wirklich verfehlt sind.
Zur Sache: Diese Geschichte mit dem globalen Forum ist ja schon eher amüsant. Dafür gibt es ja nun wirklich besser geeignete Institutionen. In meinen Augen geht es da doch aber irgendwie auch darum, sich selber wichtiger zu machen als man gegenwärtig noch ist. Warum sieht man die NATO nicht einfach als das, was sie ist: Primär ein Verteidigungsbündnis. Und dafür besteht nach wie vor ein Bedürfnis, auch wenn es nicht so brandaktuell ist, wie es früher einmal war. Auf dieser Ebene muss die NATO weiterhin die Fähigkeit der Bündnispartner zur militärischen Zusammenarbeit herstellen.
Auch diese Geschichte mit den „cyber attacks“. Was hat das mit militärischen Aufgaben zu tun? Nichts. Es käme doch auch niemand auf die Idee, die NATO für Währungsstabilität oder die Regulierung der Rohstoffpreise für zuständig zu erklären. Damit kann man schließlich genauso andere Staaten „angreifen“ wie mit „cyber attacks“.
Nachtrag: Den vorhergehenden Beitrag von Thomas Wiegold hatte ich noch nicht gesehen, sonst hätte ich den ersten Absatz ganz weggelassen. Also, ich wollte das Thema nicht noch mal aufwärmen.
@S.W.
Ich sehe keinen entscheidenden Unterschied bezüglich des Einsatzes von „Panzern“ (gegen die eigene oder aber auch eine fremde Bevölkerung) durch einen NATO-Staat oder die NATO. Die NATO-Staaten sind die NATO. Es sind die gleichen Politiker, des gleichen Wertesystems, die eine solche Entscheidung treffen.
Der NATO-Generalsekretär wird immer von den Amerikanern ausgewählt und eingesetzt und gibt dann brav die von den Amerikanern für ihre Zwecke vorgegeben Sprüche wieder.
Die Amerikaner möchten die NATO also als weltweite „Polizei“ um die Interessen der dort jeweils herrschenden „Elite“ durchzusetzen. Übersetzt: wir sollen zahlen für amerikanische Partikularinteressen (sprich Wall Street).
Danke, Herr Rasmussen, kein Interesse. Gehen sie doch bitte woanders hausieren.
@b
Davon ausgehend, dass Sie Ihren Wohnsitz unverändert im schönen Deutschland haben, dürfte die Schnittmenge Ihrer Interessen mit denen von Hr. Rasmussen größer sein als z.B. derer eines iranischen oder venezulanischen Präsidenten.
Welche Alternative zur NATO haben Sie anzubieten?
@mietsch
Die USA sind gerade dabei, ihre ehemalige Führungsrolle zu verlieren, die es in der Vergangenheit für Staaten attraktiv machte, sich sicherheitspolitisch an die USA anzulehnen. Auch deshalb wird sich die Frage nach Alternativen zur amerikanisch-dominierten NATO früher oder später stellen.
Momentan kann man fast live zuschauen, wie die zunehmend machtlosen USA sich zurückziehen und andere in die entstehenden Vakuen nachstoßen. Deutschland wird sich in den neuen Konstellationen verorten müssen, und die Aufgabe der Politik ist es, diese Verortung im Sinne deutscher Interessen zu gestalten und sie dem Wähler mit idealistischer Rhetorik zu verkaufen.
> Zur Sache: Diese Geschichte mit dem globalen Forum ist ja schon eher amüsant.
> Dafür gibt es ja nun wirklich besser geeignete Institutionen.
Und wer soll das sein?
Die NATO ist nunmal das mit sehr weitem Abstand größte und mächtigste internationale Sicherheitspolitik-Forum. Mit allen asoziierten Staaten und Verbündeten mag mach schon heute die Hälfte der Welt abdecken und ein Drittel der Weltbevölkerung. Mit fällt nichtmal eine Alternative mit einem Zehntel der Bedeutung der NATO ein.
Ich selbst habe zwar leichtes Bauchgrummeln wenn man ernsthaft über die Einbindung von nicht-demokratischen-nicht-westlichen Staaten diskutiert, aber solange sie nur in die politische Debatte und nicht die politische Entscheidung eingebunden sind, warum nicht?