Russland setzt gegenseitige Militär-Inspektionen aus – wegen Covid
Russland hat die zwischen den Vertragsstaaten der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) vereinbarten gegenseitigen Militär-Inspektionen vorerst ausgesetzt. Bis zum 28. Februar könnten wegen der Coronavirus-Pandemie solche Verifikationen nicht stattfinden. Davon ist auch die Bundeswehr betroffen: ein für diese Woche geplanter Besuch russischer Inspekteure bei der Gebirgsjägerbrigade 23 wurde abgesagt.
Die OSZE-Vertragsstaaten hatten 2011 im so genannten Wiener Dokument über vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen festgelegt, dass gegenseitige Inspektionen zur Überprüfung und Verifikation von militärischen Einrichtungen und Verbänden eben dieser Vertrauensbildung dienen sollten:
In Übereinstimmung mit den in diesem Dokument enthaltenen Bestimmungen hat jeder Teilnehmerstaat das Recht, auf dem Territorium eines jeden anderen Teilnehmerstaats innerhalb der Anwendungszone für vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen (VSBM) Inspektionen durchzuführen. Der inspizierende Staat kann andere Teilnehmerstaaten zur Teilnahme an einer Inspektion einladen.
In den vergangenen Jahren war das auch mehr oder weniger Routine – wenn auch dieser Mechanismus zunehmend beschädigt wurde. Der parallele Vertrag über den Offenen Himmel, der solche Inspektionen und Verifikationen aus der Luft ermöglicht, wurde durch die gegenseitigen Vorwürfe der USA und Russlands und durch den Ausstieg beider Länder aus diesem Abkommen weitgehend entwertet.
Das aktuelle russische Vorgehen, unter Hinweis auf die Pandemie (und nach zwei Jahren pandemischen Geschehens weltweit), schränkt diese vertrauensbildenden Maßnahmen weiter ein, und das gerade in einer Zeit zunehmender Spannungen zwischen Russland und dem Westen. Darauf wies am (gestrigen) Dienstag das lettische Verteidigungsministerium hin, dass von einer solchen Absage betroffen war:
Latvian defence sector arms control officers were scheduled to pay arms control visit to Russia within the framework of the Organisation for Security and Co-operation in Europe on 24-29 January, however, inspection was officially declined on 21 January. Meanwhile, Russia’s Defence Ministry has also issued a false statement on its webpage about the arrival of four Latvian inspectors on 24 January.
‘Given the massive military build-up of Russian forces near Ukrainian border, and ferocious denial of any intentions to attack the country, such actions have raised serious concerns. Declining inspection because of Covid-19 security protocols is a poor excuse and it raises strong suspicions that Russia wants to hide something by not disclosing the actual scope and intent of its military movements as required by OSCE cooperation framework,’ Defence Minister Artis Pabriks stressed.
Latvian arms control officers were planning to go to Bryansk and Smolensk areas to get a better understanding of the scope of military manoeuvres and establish whether Russia should, inter alia, report its activities according to prior notification procedures of Vienna Document. Main goal of the inspection was to collect information about units deployed to these regions, including data about their composition, tasks and activities.
Ebenfalls am Dienstag berichtete das Verteidigungsministerium Estlands von einer solchen Absage:
In Deutschland hatten russische Inspektoren die Gebirgsjägerbrigade 23 besuchen sollen. Mit der gleichen Begründung, also der Pandemie und der Aussetzung bis Ende Februar, wurde auch diese Visite abgesagt. Die russischen Soldaten verließen am (heutigen) Mittwoch über München Deutschland.
Die NATO hatte bereits mehrfach den selektiven Umgang Russlands mit den Bestimmungen des Wiener Dokuments beklagt, so in einer aktuellen Übersicht zum Stand der Beziehungen zwischen Russland und der Allianz:
These concerns are compounded by Russia’s continued violation, non-implementation and circumvention of numerous obligations
and commitments in the realm of arms control and confidence- and security-building measures. Allies have long been concerned
about Russia’s selective implementation of the Vienna Document and the Open Skies Treaty, its long-standing non-implementation
of the Conventional Forces in Europe Treaty as well as its breach of the Intermediate-Range Nuclear Forces (INF) Treaty, actions that
undermine Euro-Atlantic security.
Fürs Archiv das Wiener Dokument in der vom Auswärtigen Amt veröffentlichten deutschen Fassung als pdf-Sicherungskopie:
(Archivbild: A Russian Soldier presents Maj. Bryan Bonnema, the Executive Officer for 1st Battalion, 64th Armor Regiment, with a memento at the conclusion of their inspection at Bulgaria’s Novo Selo Training Area April 20, 2016. A Russian team conducted an inspection under the Vienna Document 2011 Confidence and Security-Building Measures while Soldiers from 1st Battalion, 64th Armor Regiment are taking part in Exercise Strike Back with the Bulgarian 38th Mechanized Battalion – Spc. Ryan Tatum/1st Armor Brigade Combat Team, 3rd Infantry Division)
Abseits der Entscheidung in die 5.000 Helme im „Nebenraum“, halte ich diese Meldung für deutlich interessanter.
Russland verlässt damit – zunächst Mal zeitweise – das zentrale Instrumentarium für vertrauensbildende Massnahmen bei Übungen. Wenn man sich gleichzeitig von allen anderen fortlaufend übervorteilt und getäuscht sieht, dann ist das schon bemerkenswert. Damit fällt ein zentrales Element der vertrauensbildenden Maßnahmen im KSE-Raum in einer besonders kritischen Phase weg.
Rein praktisch stellt sich zudem die Frage:
Was will man denn vor den Inspektoren verbergen?
Hoffentlich bekommt das Thema – gerade auch politisch – mehr Aufmerksamkeit.
Gerade von deutscher Seite, da wir ja gerne die Bedeutung der Rüstungskontrolle hervorheben.
Für mich ein weiteres Indiz dafür, dass Putin keine Einigung sucht, sondern einen Kriegsgrund.
Das muss der Neid dem Russen lassen, immerhin ist er kein Querdenker und tut genau das, was Karl Lauterbach vom ihm erwarten wuerde….vom Russen lernen, heisst siegen lernen!
Gut das ist ja jetzt nicht so neu,bis auf die Tatsache, dass den Russen vielleicht einer gesteckt hat, dass es wenig konsequent ist, den Nachbarn von der eigenen Feier auszuladen, aber im Gegenzug selbst bei ihm zur Party zu gehen.
Dass die westlichen Beobachter ausgeladen wurden, hatten wir doch bereits gestern hier im ersten Beitrag https://augengeradeaus.net/2022/01/ukraine-russland-nato-nicht-so-schoene-toene-in-der-allianz/
@ T.W.
kommt noch etwas zur heutigen Pressekonferenz von Stoltenberg?
Angekndigt ist Verstärkung der Präsenz an der OStflanke und NRF Bereitschaftserhöhung.
Dürfte ja auch für deutsche Verbände von bedeutung sein
https://twitter.com/jensstoltenberg/status/1486398345044180995
[Ich greife die PKs Stoltenberg und Blinken noch auf. Allerdings ist irgendwie nicht so recht klar, ob bei NRF bzw. VJTF eine weitere Erhöhung der Bereitschaft gemeint ist oder die bereits im Dezember vom SACEUR angeordnete Verkürzung der Bereitschaftszeit der VJTF fünf sieben auf fünf Tage. T.W.]
@ Memoria sagt: 26.01.2022 um 17:36 Uhr
Rußland ist vom RKI als Corona-Hochrisikogebiet eingestuft. Einreise aus Rußland nur mit 10 Tagen Quarantäne nach Betreten deutschen Bodens. Darüber kann sich jeder auf den Seiten des Auswärtigen Amtes und des RKI informieren. Die Inzidenzen in Deutschland sind auch auf Rekordhoch. Möglicherweise hat man in Rußland aus deren Sicht auch Deutschland und andere westeuropäische Länder als Hochrisikogebiete eingestuft.
Es gibt momentan tatsächlich gute Gründe vor, die Reisetätigkeiten einzuschränken. Von daher sollte man die Kriegstrommeln erst mal beiseitelegen. Soweit bekannt, plant die Bundesregierung aktuell auch nicht, mit der Gebirgsjägerbrigade 23 in Rußland einzumarschieren.
@ Mitleser
Natürlich plant das die Bundesregierung nicht, denn unsere Soldaten müssten an der russischen Grenze erst einmal ihren Impfstatus nachweisen und dann die Papiere zur ordnungsgemäßen Mitnahme von Munition ausfüllen. Für den Biathlon-Aktiv-Urlaub hinter dem Ural…. oder so ähnlich.
Mitleser sagt: 26.01.2022 um 21:05 Uhr
„Es gibt momentan tatsächlich gute Gründe…“ zu glauben dass Zitronenfalter Zitronen falten.
„Von daher sollte man die Kriegstrommeln erst mal beiseitelegen.“
Jaaa.. ich hab gehört, der russische Bär hält eh gerade Winterschlaf. Da passiert doch nix… Kuchen!!
@Mitleser
Soweit bekannt, plant die Bundesregierung aktuell auch nicht, mit der Gebirgsjägerbrigade 23 in Rußland einzumarschieren.
You made my day! Danke. VG, NG.
Mitleser sagt:
26.01.2022 um 21:05 Uhr
„Soweit bekannt, plant die Bundesregierung aktuell auch nicht, mit der Gebirgsjägerbrigade 23 in Rußland einzumarschieren.“
Wissen Sie, was Strategen der Bundeswehr in Thinktanks vielleicht gerade für eine realpolitisch vertretbare Meinung halten? Vielleicht ist das so eine. Wäre zwar ein Tabu, aber eben nur ein Tabu. Eines von vielen.. kleinen.. marginalen.. übersehbar winzigen Tabubrüchen.
sputo.di.rospo sagt: 26.01.2022 um 21:55 Uhr
Ich hoffe, ich verstehe Sie falsch… Denn so, wie ich sie verstehe, geht das in Richtung „Vorbereitung eines Angriffskrieges“. Und das ist kein Tabubruch, sondern eine schwerwiegende Straftat.
Danke, VG, NG.
Gepard65 sagt:
27.01.2022 um 12:02 Uhr
Ja. Sehe ich wie Sie. Ich dachte bisher auch, die Westbindung Deutschlands und die feste Einbindung in die NATO wären integrale Bestandteile und das indiskutable Fundament unseres sicherheitspolitischen Denkens. Allerdings habe ich in den letzten Tagen dazulernen müssen und mit Erstaunen festgestellt, was so alles in Thinktanks an Gedankenspielerein vertreten wird und auch von Kommentatoren hier bei AG für salonfähig gehalten und verteidigt wird. Da halte ich es grundsätzlich nicht mehr für unmöglich, dass es das o.g. Gedankenspiel zur Gebirgsjägerbrigade geben könnte.
@Mitleser:
Zur gleichen Zeit ist es aber möglich, dass über 100 000 Soldaten aus ganz Russland an einer Übung teilnehmen?
sputo.di.rospo, 27.01.2022 um 13:46 Uhr
Chapeau, sehr eleganter Konter! Gefällt mir! ;-)
Gleichzeitig unterstellt Russland der Ukraine einen Angriff auf den Donbass vorzubereiten – und dies als Übung zu tarnen („disguised as a „planned tactical special exercise.“ https://tass.com/world/1392283).
Memoria sagt:
27.01.2022 um 18:25 Uhr
“ Gleichzeitig unterstellt Russland der Ukraine einen Angriff auf den Donbass vorzubereiten – und dies als Übung zu tarnen („disguised as a „planned tactical special exercise.“ “
….
Wieso unterstellt ? Es gibt – aus Sicht der Ukraine – ein sicher verständliches Bestreben, das 2014/15 infolge russ. Aktionen verlorene Staatsterritorium der Ukraine wiederherzustellen. Das ist halt nur bei uns medial nicht so durchgedrungen. RF hat sich in Selensk Und nicht erst seit gestern besteht ein Unfriede, um zurückhaltend zu bleiben. RF hat sich in Selenskyj offenbar verschätzt, was zusätzlich Aerger verursachte – Zu der Geschichte im Frühjahr 2021 dies (Auszug aus Berliner Zeitung vom 6.4.2021: Nato und Ukraine: „Wir bleiben wachsam“ ):
„Für besondere Aufmerksamkeit sorgt das Dekret Nr. 117 vom 24. März 2021, mit dem Selenskyj die Entscheidung des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates der Ukraine vom 11. März 2021 („Zur Strategie der Entbesetzung und Wiedereingliederung des vorübergehend besetzten Gebiets der Autonomen Republik Krim und der Stadt Sewastopol“) umsetzen will. In dem Dekret wird die Vorbereitung von Maßnahmen angekündigt, um „die vorübergehende Besetzung“ der Krim und des Donbass zu beenden. Laut der staatlichen ukrainischen Nachrichtenagentur Ukrinform erhielt die Regierung den Auftrag, einen entsprechenden „Aktionsplan“ zu entwickeln. – „
Laut der Welt hat in dem heutigen Telefonat Putin dem Kollegen Macron bescheinigt dass er nur mit ihm einen solchen tiefgehenden Dialog führen könne. Das Gespräch sei anspruchsvoll und respektvoll gewesen.
Ein Dozent von mir hätte damals gefragt: „Was wollen uns diese Worte sagen?“ Alle anderen westlichen Regeierungschef*innen sind intellektuelle Tiefflieger und nichtmal in der Lage, eine Stunde verbal above groundlevel zu fliegen? Hat OS auch schon angerufen?
Du lieber Himmel…
Aber wenn es dem Auffinden des Wegs zur Entspannung dient, können wegen mir die anderen als Hilfsschüler dargestellt werden. Hauptsache, es gibt keinen billigen Kuhhandel und die Sache wird mal aufs richtige Gleis zur Lösung gesetzt.
Vielleicht etwas ot, aber warum eigentlich ?
Frage: weiß jemand oder hat eine Ahnung, warum z. B. auf „openstreetmap“ ganz offensichtlich russische (oder weißrussische) Militärinstallationen eingezeichnet sind ?
Wundert einen etwas. Fiel mir in Russland, auch Weißrussland auf. Gibts da keine Geheimhaltung ?
Nur mal als Beispiel: in dem bekanntlich relativ gut bestückten Areal Oblast Kaliningrad, nördlich von „Swetly ( Kaliningrad)“, über wiki, w/tsch [Truppenteil] 63698 (was immer das ist), also offenbar eine Kaserne.
Aber auch Flugplätze, Munitionslager, Schießplätze u. dgl. findet man da.
[Ist wirklich OT, und das vertiefen wir hier nicht, wäre mal ein gesondertes Thema. Aber bitte nicht an dieser Stelle. T.W.]