Dokumentation: Deutschland erlaubt Ukraine-Waffeneinsatz auf russischem Gebiet

Nachgetragen zur Dokumentation: in der zurückliegenden Woche hat die Bundesregierung, wie auch andere westliche Staaten und vor allem die US-Regierung, der Ukraine den Einsatz gelieferter Waffensysteme gegen russische Streitkräfte auch auf russischem Territorium erlaubt. Die offiziellen Mitteilungen von deutscher Seite (und die Erklärung von US-Außenminister Antony Blinken) zum Nachlesen:

Erklärung des Regierungssprechers vom 31. Mai

Der Sprecher der Bundesregierung, Steffen Hebestreit, erklärt:
Die Ukrainerinnen und Ukrainer kämpfen um ihr Land und ihre Freiheit. Sehr viele Länder der Welt unterstützen sie dabei, politisch, wirtschaftlich und mit militärischer Ausrüstung, mit Waffen.
Es geht um die Befreiung des ukrainischen Staatsgebiets, und wir haben mit der Ukraine vereinbart, dass die von uns gelieferten Waffen dazu völkerrechtskonform eingesetzt werden.
Gemeinsam mit unseren engsten Verbündeten und im engen Dialog mit der ukrainischen Regierung passen wir unsere Unterstützung dabei kontinuierlich der Entwicklung des Kriegsgeschehens an.
In den letzten Wochen hat Russland insbesondere im Raum Charkiw von Stellungen aus dem unmittelbar angrenzenden russischen Grenzgebiet heraus Angriffe vorbereitet, koordiniert und ausgeführt.
Gemeinsam sind wir der Überzeugung, dass die Ukraine das völkerrechtlich verbriefte Recht hat, sich gegen diese Angriffe zu wehren.
Dazu kann sie auch die dafür gelieferten Waffen in Übereinstimmungen mit ihren internationalen rechtlichen Verpflichtungen einsetzen; auch die von uns gelieferten.

Diese Zustimmung gilt nach den Worten von Verteidigungsminister Boris Pistorius für alle Waffensysteme, die Deutschland der Ukraine zur Verfügung gestellt hat – das bedeutet dann neben der Panzerhaubitze 2000 und dem Mehrfachraketenwerfersystem MARS II auch Flugabwehrsysteme wie Patriot und Iris-T. Pistorius am 31. Mai bei einer Pressekonferenz in der Republik Moldau:

Pistoirus_UKR-Waffen_31mai2024     

 

Aus der Bundespressekonferenz am 31. Mai – der stellvertretende Regierungssprecher Wolfgang Büchner:

Frage: Herr Büchner, zum Thema Ukraine gab es ja heute Vormittag eine Erklärung des Regierungssprechers. Woher kommt dieser Sinneswandel? Können Sie das vielleicht noch einmal ein bisschen erläutern?

Büchner: Ich glaube, das ist in der Erklärung selbst deutlich geworden. Ich kann hier auch gerne noch einmal ein bisschen wiedergeben und ausführen, was da steht. Sie kennen die Erklärung, aber vielleicht kennen sie noch nicht alle im Raum. Deshalb werde ich das noch einmal vortragen:
„Die Ukrainerinnen und Ukrainer kämpfen um ihr Land und ihre Freiheit. Sehr viele Länder der Welt unterstützen sie dabei politisch, wirtschaftlich und mit militärischer Ausrüstung, mit Waffen.
Es geht um die Befreiung des ukrainischen Staatsgebiets, und wir haben mit der Ukraine vereinbart, dass die von uns gelieferten Waffen dazu völkerrechtskonform eingesetzt werden. Gemeinsam mit unseren engsten Verbündeten und im engen Dialog mit der ukrainischen Regierung passen wir unsere Unterstützung dabei kontinuierlich der Entwicklung des Kriegsgeschehens an.
In den letzten Wochen hat Russland insbesondere im Raum Charkiw von Stellungen aus dem unmittelbar angrenzenden russischen Grenzgebiet heraus Angriffe vorbereitet, koordiniert und ausgeführt.
Gemeinsam sind wir der Überzeugung, dass die Ukraine das völkerrechtlich verbriefte Recht hat, sich gegen diese Angriffe zu wehren.
Dazu kann sie auch die dafür gelieferten Waffen in Übereinstimmungen mit ihren internationalen rechtlichen Verpflichtungen einsetzen; auch die von uns gelieferten.“
Daraus können Sie ja erkennen: Es hat etwas zu tun mit dem Prozess, mit dem Fortgang, mit der Entwicklung des Krieges und mit einer engen Abstimmung mit unseren engsten Partnern.

Zusatzfrage: Frau Wagenknecht fürchtet jetzt schon den dritten Weltkrieg. Was sagen Sie dazu?

Büchner: Frau Wagenknechts Äußerungen kommentiere ich hier nicht. Ich könnte aber noch ein kleines bisschen etwas ergänzend zu dem Abstimmungsprozess sagen. Dazu müssen wir aber „unter drei“ gehen.

Es folgt ein Teil „Unter 3“

Vorsitzender Feldhoff
Dann können wir wieder „unter eins“ zurückgehen.

Frage: Herr Büchner, die Liberalisierung der Einsatzbedingungen durch die Aufhebung der Einschränkungen durch die USA bezieht sich explizit auf den Raum Charkiw. Gilt das auch für die deutsche Freigabe oder Teilfreigabe?

Büchner: Mehr als ich Ihnen jetzt hier vorgetragen habe, kann ich nicht sagen.
Was die Haltung der USA angeht, handelt es sich ja bisher nur um Nachrichten. Es gibt dazu ja noch keine offizielle Erklärung des Weißen Hauses. Es handelt sich um Berichte, ich glaube, aus „New York Times“ und „Politico“, wenn ich das richtig weiß. Die haben wir, wie wir hier an der Stelle immer sagen, zur Kenntnis genommen. Aber eine offizielle Bestätigung aus dem Weißen Haus steht noch aus. Deshalb kann ich das an der Stelle auch gar nicht anders einordnen.

Zusatzfrage: Die zeitliche Zuordnung der deutschen Entscheidung nehme ich eigentlich als eine Form von Bestätigung, dass die Berichterstattung über die Haltung der USA sachlich zutreffend ist. Können Sie nicht bitte dann, wenn die offizielle Bestätigung der USA gegeben ist und darin dann auch deutlich werden wird, dass es sich wesentlich um den Waffeneinsatz im Raum Charkiw handelt, etwas offiziell dazu sagen, ob das auch die deutsche Haltung und Einstellung betrifft?

Büchner: Wir sagen ja offiziell eigentlich auch schon etwas dazu. In der Erklärung steht ja wörtlich:
„In den letzten Wochen hat Russland insbesondere im Raum Charkiw von Stellungen aus dem unmittelbaren russischen Grenzgebiet heraus Angriffe vorbereitet, koordiniert und ausgeführt.
Gemeinsam“ – mit unseren Partnern – „sind wir der Überzeugung, dass die Ukraine das völkerrechtlich verbriefte Recht hat, sich gegen diese Angriffe zu wehren.“
Es ist doch klar, dass da ein Sachzusammenhang mit den Angriffen auf Charkiw hergestellt wird. Insofern ist das, glaube ich, in der Erklärung hinlänglich klar.

Zusatz: „Insbesondere“ ist für mich aber eine andere Form von Aussage, als zu sagen, wir geben Waffen für Einsatz- oder Abwehraktionen im Raum Charkiw explizit frei. Das sind unterschiedliche Sachverhalte. Sorry.

Büchner: Ich will Ihnen nicht nehmen, das zu interpretieren. Ich kann jetzt darüber nicht weiter elaborieren.

Frage: Ich würde dazu gerne auch noch ein bisschen nachhaken. Denn die Erklärung der Amerikaner ist tatsächlich sehr, sehr begrenzt geäußert worden.

Büchner: Es gibt, glaube ich, noch keine Erklärung der Amerikaner.

Zusatz: Es gibt Äußerungen von einem Regierungssprecher aus Washington von gestern Abend.

Büchner: Ich kenne nur Berichte über – – –

Zusatzfrage: So haben es die Agenturen transportiert. Aber ich muss das noch einmal nachgucken. – Ist die deutsche Erklärung trotzdem so zu verstehen, auch wenn es diesen Sachbezug, wie Sie gesagt haben, zu den Angriffen auf Charkiw gibt, dass es künftig auch an anderen Frontabschnitten denkbar wäre, deutsche Waffen auf russischem Territorium einzusetzen?

Büchner: Ich finde es jetzt schwierig, darüber zu spekulieren. Wenn wir irgendwelche Hoffnungen haben, dann ja die, dass dieser Krieg möglichst schnell zu Ende geht und man über diese Fragen dann gar nicht mehr nachdenken muss, ob an anderen Stellen solche Erwägungen noch notwendig wären.
Es bleibt aber ganz sicher bei dem Dreiklang, über den der Bundeskanzler immer wieder redet. Erstens: Wir unterstützen die Ukraine so lange und mit allem, was notwendig ist, wie das notwendig ist. Zweitens: Wir stimmen uns – das sehen wir ja auch in diesem Fall – sehr eng mit unseren internationalen Partnern ab und wollen keine Alleingänge. Und drittens: Wir wollen auch weiterhin sicherstellen, dass dieser Konflikt nicht eskaliert, dass weder Deutschland noch die Nato unmittelbar an diesem Konflikt beteiligt wird.

Zusatzfrage: Wie antwortet die Bundesregierung auf Äußerungen aus dem Kreml von gestern mit erneuten Drohungen mit Atomwaffen, mit einer weiteren Eskalation und asymmetrischen Antworten auf solche Angriffe?

Büchner: Dieses Spiel kennen wir nun schon seit vielen Monaten, dass mit russischer Propaganda versucht wird, Angst zu verbreiten, die Ukraine und ihre Partner einzuschüchtern. Ich glaube, genau so muss man das einordnen. Weiter wollen wir darauf gar nicht eingehen.

Frage: Herr Büchner, noch einmal eine Frage zu der Pressekonferenz, die es mit Scholz und Macron gegeben hat. Da preschte ja, um es einmal etwas flapsig zu sagen, der französische Präsident genau in dieser Frage vor. Der Kanzler wirkte davon ein bisschen überrascht. Wurde er überrascht, dass der französische Präsident sich so früh – so wie Sie es hier darstellen, hat es in den letzten Tagen vor diesen finalen Gesprächen der Quad-Partner noch Gespräche gegeben – in dieser Frage so festgelegt hat?

Büchner: Ich glaube, genau das wurde am Mittwoch schon einmal erörtert.

Zusatzfrage: Ja, aber wir haben ja jetzt neue Informationen in diesem Lichte.

Büchner: Ich glaube, dass Herr Hebestreit schon am Mittwoch gesagt hat, dass sich die beiden vorher ausführlich unterhalten hatten und dass der Kanzler nicht überrascht war und aus seiner Sicht auch nicht überrascht gewirkt hat.

Frage: Nur zum Verständnis: Wissen denn die Ukrainer, was sie dürfen und was sie nicht dürfen? Und wenn ja, wie wissen sie das jetzt?

Büchner: Ich gehe mit Sicherheit davon aus, dass das, was zwischen den Partnern vereinbart wurde, was die Regeln für den Einsatz westlicher Waffen angeht, im Detail natürlich auch mit der Ukraine und der politischen Führung dort besprochen wurde.

Zusatzfrage: Heißt das, dass sie jetzt nicht nur eine ukrainische Übersetzung der Pressemitteilung bekommen?

Büchner: Ich glaube, wir können davon ausgehen, dass das im Detail und sorgfältig abgestimmt ist.

Zusatzfrage: In den letzten zwei Jahren war ja auch immer die Frage: Ab wann ist man Konfliktpartei in diesem Krieg? – Können Sie begründen, warum dieser Schritt jetzt Deutschland weiterhin nicht zur unmittelbaren Konfliktpartei in diesem Krieg macht?

Büchner: Daran hat sich, ehrlich gesagt, in den letzten zwei Jahren nie irgendetwas geändert. Es war völkerrechtlich nie strittig und immer klar, dass sich die Ukraine gegen diesen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands verteidigen kann.

Zusatzfrage: Das ist klar. Aber es ist immer die Frage, wann Unterstützer durch Waffenlieferungen, Bodentruppen usw. auch Konfliktpartei sind.

Büchner: Auch das war immer klar, dass wir, indem wir der Ukraine Waffen zur Verfügung stellen, nicht Teil und nicht Kriegspartei werden.

Von Seiten der USA gab es bis zum Freitag zwar keine offizielle Erklärung – aber die Aussagen von US-Außenminister Antony Blinken am Rande des NATO-Außenministertreffens in Prag waren eindeutig genug:

QUESTION: So the Biden administration has allowed Ukraine to strike targets inside Russia to defend Kharkiv. Do you leave the door open for this decision to be expanded to other cities and targets that are deeper inside Russia? And since it took the Biden administration a while to make this decision, I’m wondering: Do you think you were too cautious? Or has your intelligence assessment on the possibility of Putin using tactical nuclear weapons has shifted?

SECRETARY BLINKEN: So with regard to the use of U.S. arms by Ukraine and Russia, I said this the other day: The hallmark of our engagement, our support for Ukraine over these more than two years, has been to adapt and adjust as necessary to meet what’s actually going on on the battlefield, to make sure that Ukraine has what it needs when it needs it, to do that deliberately and effectively. And that’s exactly what we’re doing in response to what we’ve now seen in and around the Kharkiv region.
Over the past few weeks Ukraine came to us and asked for the authorization to use weapons that we’re providing to defend against this aggression, including against Russian forces that are massing on the Russian side of the border, and then attacking into Ukraine. And that went right to the President, and as you heard, he’s approved the use of our weapons for that purpose. Going forward, we’ll continue to do what we’ve been doing, which is, as necessary, adapt and adjust. And that, as I said, has been a hallmark of our engagement; it will continue to be.
As I’ve also said many, many times, we want to make sure that we’re proceeding deliberately as well as effectively. So I think time and again we’ve adapted, we’ve adjusted, we’ve provided Ukraine with the systems, the weapons it’s needed. But again, as I’ve shared with you many times before, for example, when it comes to weapons systems, we also want to make sure that they have the necessary training to use the weapons and they have the necessary capacity to maintain them. So you have to look at this in a comprehensive way, and I think if you look back as well as look at what we’re doing now, it reflects a very deliberate determination to make sure that we’re getting Ukraine what they need when they need it.

(Archivbild 2018: Soldaten der 5. Batterie des Artilleriebataillons 325 aus Munster trainieren das Schießen mit einem Mittleren Artillerieraketensystem II (MARS) im Rahmen einer Heeresübung auf dem Truppenübungsplatz Putlos – Torsten Kraatz/Bundeswehr)