Sicherheitshalber der Podcast Folge 82: Neutralität in Europa: Ein Auslaufmodell? | Afghanistan: Werden wir die richtigen Lehren ziehen?
Sicherheitshalber ist der Podcast zur sicherheitspolitischen Lage in Deutschland, Europa und der Welt. In Folge 82 sprechen Ulrike Franke, Frank Sauer, Carlo Masala und ich über neutrale Staaten in Europa. Mit Schweden und Finnland sind zwei Staaten, die sich zuvor als bündnisfrei oder neutral bezeichnet hatten, kürzlich der NATO beigetreten. Aber es bleiben ja noch andere neutrale EU-Mitgliedstaaten, wie etwa Österreich. Warum sind Staaten neutral? Welche Vorteile, welche Nachteile sind damit verbunden – für wen?
Im zweiten Teil berichtet Carlo aus der Enquete-Kommission Lehren aus Afghanistan für das künftige vernetzte Engagement Deutschlands, deren Mitglied er ist. Die Kommission hat jüngst ihren Zwischenbericht vorgelegt. Was ging alles schief in 20 Jahren Afghanistan? Wirklich … alles? Und welche Lehren ziehen wir daraus?
Abschließend wie immer der Sicherheitshinweis, der kurze Fingerzeig auf aktuelle, sicherheitspolitisch einschlägige Themen und Entwicklungen – diesmal mit dem inzwischen ausgegebenen Bundeswehr-Sondervermögen, der Litauen-Brigade, die auch nochmal Geld kostet, der Rückkehr der Wehrerfassung sowie einem besorgniserregenden Bericht dazu, wie Israel Künstliche Intelligenz in den Streitkräften nutzt.
Neutralität: 00:01:18
Afghanistan: 00:41:01
Fazit: 01:15:06
Sicherheitshinweise: 01:16:38
Web: https://sicherheitspod.de/
Shop: https://sicherheitshalbershop.myspreadshop.de/
Patreon: https://www.patreon.com/sicherheitspod
Erwähnte und weiterführende Interviews, Literatur und Dokumente:
Thema 1) Neutralität
Neutralität, Sicherheit & Ukraine: Österreich dürfte eigentlich mehr tun
Ulrike Franke, Clara Cramer. Ambiguous alliance: Neutrality, opt-outs, and European defence. ECFR. 28.06.2021
Michael Stellwag. Neutralität, Sicherheit & Ukraine: Österreich dürfte eigentlich mehr tun. Ponto. 15.05.2023.
Ukraine: Ireland’s military neutrality sparks public debate. BBC. 09.03.2022.
Government announces move to transform the Defence Forces and the largest increase in the Defence budget in the history of the State. Government of Ireland. July 2022.
Patrick Bury and David Murphy. No Time to Hide: The Future of Irish Defense and Security War on the Rocks. March 2023.
Siobhán Geets und Clemens Neuhold. Ist die Neutralität noch zeitgemäß? Ein Streitgespräch zwischen Heinz Fischer und Johannes Kopf. Profil.at. 03.06.2022.
Andrea Caruana. Neutrality is an elegant umbrella that is blown away the moment it starts raining – Giovanni Bonello, Independent. 07.04.2024.
Ralph Janik. Sky Shield und Neutralität. 03.07.2023.
Wolfgang Schüssel. Die Neutralität bietet keinen Schutz. Der Pragmaticus, 10.03.2024.
Christoph Schwarz, Adam Urosevic. Österreichs Neutralität – Rolle und Optionen in einer sich verändernden Weltordnung. Austria Institut für Europa- und Sicherheitspolitik. 08.09.2023.
Erklär mir die Welt Podcast #295. Erklär mir das Bundesheer, Franz-Stefan Gady. 02.04.2024:
http://erklärmir.at/2024/04/02/295-erklaer-mir-das-bundesheer-franz-stefan-gady/
Thema 2) Afghanistan
Zwischenbericht der Enquete-Kommission Lehren aus Afghanistan für das künftige vernetzte Engagement Deutschlands. Deutscher Bundestag. Drucksache 20/10400, 19.02.2024
Sicherheitshinweise:
Frank: Gute Neuigkeiten (oder sind das schlechte Neuigkeiten?): Das Sondervermögen ist fast weg
https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/mehr-wirtschaft/nach-verbrauch-von-sondervermoegen-wie-soll-die-bundeswehr-finanziert-werden-19641487.html
Carlo: Litauen Brigade – Planlos Brigade?
https://www.welt.de/politik/deutschland/plus250946882/Litauen-Einsatz-Wenn-Pistorius-die-Planlos-Brigade-schickt-und-ein-Oberst-zum-Abruecken-raet.html?ticket=ST-A-216508-QnDAKz193ryyvVZX3jMG-sso-signin-server
Thomas: Mit neuer Bundeswehrstruktur kommt auch die Rückkehr der Wehrerfassung
https://augengeradeaus.net/2024/03/neue-struktur-fuer-die-bundeswehr-der-zukunft-jetzt-version-2-0/
Rike: Israelische Medien veroeffentichen Berichte zu KI-Nutzung in Gaza
https://www.972mag.com/lavender-ai-israeli-army-gaza/
Social Media Gedöns:
Sicherheitspod
Twitter: @Sicherheitspod
Mastodon: mastodontech.de/@Sicherheitspod
BlueSky: @sicherheitspod.bsky.social
Rike
Tweet: @RikeFranke
Trööt: bagarrosphere.fr/@rikefranke
Skeet: @rikefranke.bsky.social
Frank
Tweet: @drfranksauer
Trööt: mastodontech.de/@drfranksauer
Skeet: @drfranksauer.bsky.social
Carlo
Tweet: @CarloMasala1
Skeet: @carlomasala1.bsky.social
Carlo tröötet nicht.
Thomas
Tweet: @thomas_wiegold
Trööt: berlin.social/@twiegold
Skeet: @twiegold.bsky.social
Die halbautonomen zu Finnland gehörenden Åland-Inseln sind auch interessant, da es mehrere völkerrechtliche Vertrage zur Demilitarisierung und Neutralität gibt, was im Zusammenhang mit dem NATO-Beitritt Finnlands und in Hinblick auf die Russländische Förderation intessant ist.
Das wichtigste Ankommen ist das von 1921, wobei alle Unterzeichnerstaaten in der NATO sind (Estland ist dabei, Sowjetrussland fehlt), so dass dies Abkommen einstimmig gemeinsam aufgehoben werden könnte. — Allerdings gibt es auch weniger weitreichende Abkommen an denen Russland/Sowjetunion/Russländische Föderation beteiligt sind.
Als neutrales und demilitarisiertes Gebiet zwischen Schweden und Finnland ist es natürlich von Interesse – vermutlich hypothetisch stärker als tatsächlich – für die Russländische Förderation, so wie sich Österreich auch für Spione anbietet, was aber mehr daran liegen dürfte, dass dort Agententätigkeiten nur strafbar ist, wenn sie zum Nachteil Österreichs ist.
Siehe: „The demilitarisation of Åland in a nutshell“, https://peace.ax/en/the-demilitarisation-of-aland-in-a-nutshell/
„The Legal Basis of Åland’s Demilitarization and Neutralization“, https://nordics.info/show/artikel/the-legal-basis-of-aalands-demilitarization-and-neutralization
Danke. Sehr aufschlussreich der Teil zur Aufarbeitung des Afghanistan-Einsatzes. Hier zwei Reaktionen
i) Ja, es ist zu unterstreichen: Von dem, was unangemessen war, war vieles „mit gesundem Menschenverstand“ (Zitat Wiegold) leicht als fehlend zu erkennen.
ii) Warum aber war das für die Medien in Deutschland nicht erkennbar? Bräuchte es nicht auch eine Aufarbeitung der medialen „Begleitung“? Ist da nicht viel schiefgegangen, und das absehbar?
Habe das Gefühl der Neutralitätsdebatte hätte eine Expertin gut getan, so war der Blick auf das Thema leider ein wenig einseitig.
Ein paar Ergänzungen zur Neutralität aus Schweizer Sicht:
Es wurde nicht nur die Weitergabe von Munition verhindert/verboten, sondern auch von Schützenpanzern und geschützten Fahrzeugen (es kamen trotzdem ein paar geschützte Fahrzeuge aus der Schweiz in die Ukraine, nun wird ermittelt wer schuld ist).
Die strikte Handhabung der Neutralität führt zu Diskussionen, inwiefern das der lokalen Rüstungsindustrie schadet (Waffen und Munition kaufen, über die man dann nur sehr bedingt verfügen kann, ist halt nicht sehr attraktiv für andere Länder), da hängen einerseits Arbeitsplätze dran, andererseits ist es auch ein Stück weit Teil der Verteidigungsfähigkeit, über lokale Rüstungskapazität zu verfügen.
Es wird diskutiert, inwiefern man die Gesetze so anpassen kann, dass die Weitergabe unter bestimmten Bedingungen möglich ist, ohne all zu sehr an der Neutralität zu kratzen. Das dauert in der Schweiz naturgemäss länger, da unsere Regierung nicht in Regierung und Opposition unterteilt ist, was die Konsensfindung in umstrittenen Fällen stark verzögern kann. Die Linke ist traditionell gegen jegliche Waffenexporte, möchte aber zumindest teilweise die Ukraine mit indirekten Waffenlieferungen unterstützten, während die Rechte traditionell gegen strikte Rüstungskontrolle ist, nun aber plötzlich die Neutralität hochhält und nicht mit einem Sondergesetz explizit die Ukraine unterstützen will.
Die Neutralität betrifft übrigens auch Schweizer Bürger, es ist verboten in andere Armeen einzutreten, mit Ausnahmen von Doppelbürgern sowie der päpstlichen Schweizergarde.
Die Schweiz hat dem Druck zu Unterstützung der Ukrane mit gewissen Zugeständnissen bei Lieferfristen (z.B. für NLAW, Grossbritannien durfte eine Liefercharge von der Schweiz übernehmen) und dem Rückverkauf von eingelagerten, als Ersatzteilträger genutzten Leopard 2A4 an Deutschland nachgegeben.
Aufrüstung ist auch in der Schweiz ein Thema, diverse Systeme nähern sich dem Nutzungsende, zudem hat man nach dem Ende des kalten Krieges einige Waffengattungen von der Menge auf einen Fähigkeitserhalt reduziert.
So toll wie hier angenommen , ist der Zustand der Schweizer Armee sicher nicht.
Man will jetzt den Wehretat erhöhen auf 1 ganzes Prozent des BIP, was beinahe eine Verdoppelung entspricht.
Wehrpflicht dauert 18 Wochen, danach geht nicht soviel mit Nachschulung.
MBT ist der Leo2 von 1987 Anfang der 2000er mal erneuert , wenn ich das richtig weiss.
Flugabwehr sind Flakgeschätze, aber nicht mobil. Das Rapirsystem hat man pünktlich zum Ukrainekrieg vernichtet, ohne Ersatzbeschaffung. ( irgendwoher kenn ich das )
Irland, Zypern, Malta, Österreich und auch die Schweiz überleben im Kriegsfall durch als sicher zu unterstellenden Schutz der NATO.
Wien nimmt dies Äußerungen des Kanzlers folgend als Bedingung seiner Sicherheit unverfroren selbstverständlich an, s. Zitat im Thema 1.
Irland wähnt sich im Schutz britischer Fähigkeiten, Zypern und Malta haben an der Südflanke überragende strategische Bedeutung, da lässt es sich bequem neutral sein.
Im Fall Zypern muss die ungelöste Territorialfrage Berücksichtigung finden; wie verhält sich die Schutzmacht Türkei gegenüber Nord-Zypern im Konflikt/Kriegsfall?
Überragende Heuchelei leisten sich unsere österreichischen Nachbarn, so sie Neutralität als „keine Teilnahme an Militär- und Verteidigungsbündnissen sowie als Selbstverpflichtung bei militärischen Maßnahmen“ ernst nähmen. Eine Beteiligung bei UNIFIL, inzwischen beendet, und KFOR dürfte es dann nicht geben.
Wie dargestellt ist das Selbstengagement bei ESSI, AUT und CHE, hinsichtlich konsequenter Interpretation von Bündnisfreiheit auch fraglich.
Trittbrettfahren muss als wohlwollende Bezeichnung dieser Art von „Neutralität“ verstanden werden. Schmarotzertum wäre unhöflich aber treffend, hinsichtlich RUS Gaslieferung Richtung Wien aber unbedingt angebracht.
Leben und leben lassen dürfte das insgeheime Motto der Regierungen in Bern und Wien sein.
Im Kampf gegen den islamistischen Terrorismus ging es zunächst um Solidarität mit den USA und um Bündnistreue. Ausländische Truppen waren 2001 unter US-Führung in Afghanistan einmarschiert – als Antwort auf die Terroranschläge von al-Quaida-Terroristen vom 11. September 2001. Der internationale Einsatz führte damals zum Sturz der Taliban-Regierung, die al-Quaida Unterschlupf gewährt hatte, erst ging um einen Militäreinsatz, der eng mit Entwicklungshilfe verknüpft sein sollte.
Der internationale Einsatz in Afghanistan gilt als gescheitert, eine Niederlage des Westens mit Ansage. Kein Einsatzziel wurde erreicht!
Fehler? Ja, substantielle. Heute eine ist beachtliche Breite von Erklärungen für das Scheitern in Afghanistan im Raum. Heute! Damals gab es Beschönigungen, z.T. völlig unzulässige, z.Z. solche, welche Ursachen für Opfer und Gefallene waren. Aktuell versuchen Politiker und leider auch Generale dem Einsatz, bei dem 59 Bundeswehrsoldaten fielen, etwas Positives abzugewinnen. Zum Teil ist das kläglich und schwer zu verdauen.
Erinnern wir uns, einige Aspekte.
Das unglaubliche Bündnis der westlichen Mächte mit z.T. Kriegsverbrechern und Kriegsfürsten.
Das typisch deutsche Vorhaben zur Ausgestaltung der Demokratisierung. Demokratie und Menschenrechte statt Armut und Terror – hehre Ziele, aber sie wurden alle verfehlt.
Kein Ziel, kein Plan, keine Strategie, insbesondere keine kohärente Strategie. Konzeption, Umsetzung und Überprüfung – alles mangelhaft! Das zu lange, zu geringe und zu kurze Engagement. Was war eigentlich notwendig?
Es fehlt der ehrlichen Fehleranalyse noch an wichtigen Stellen an Tiefe und Konkretheit.
Der Podcast könnte bei der weiteren Aufarbeitung des Scheiterns in Afghanistan helfen. Danke dafür.
Vom Teil „Neutralität“ bin ich enttäuscht. Wesentlich wird Neutralität auf die formal- völkerrechtlichen Aspekte der Teilnahme an Kampfhandlungen reduziert. Dabei ist, wie manchmal am Rande aufblitzt, die gesamte Bandbreite der wirtschaftlichen, finanziellen, politischen und letztendlich auch militärischen Parteinahme bei einem Konflikt zu betrachten.
Wenn man den Blick so weitet, ist die Schweiz im Ukrainekrieg eben nicht neutral, das NATO- Mitglied Türkei aber sehr wohl. Zum Vergleich, auch im WK II, zumindest bis 1943, war die Schweiz nicht neutral, sondern Teil der deutschen Kriegsproduktion. Das hat sie vor der Besetzung bewahrt, nicht das Reduit – anders Thema. Demgegenüber war die Türkei tatsächlich aus eigener Macht neutral. Beiden Seiten war der Aufwand zu groß, die Türkei in ihr Lager zu zwingen.
Randbemerkung Irland: Die irische Neutralität stammt aus dem Hass gegen GB. Direkt feindlich konnte und kann man sich nach den Fakten nicht geben. Im WKII war die Sympathie auf Seite der Deutschen, hört man in Irland gelegentlich noch heute, aber die Klugheit führte zur Neutralität. Und die Bemerkung kann ich mir nicht verkneifen, Irland liegt nicht an der Nordsee.
Neutralität ist nur soviel wert, wie sie von den anderen Staaten akzeptiert wir Und das kann auch sehr schnell vorbei sein.
Malta und Zypern sehe ich alleine schon aufgrund der historischen und politischen Nähe zu GBR nicht als neutral. Das hat mehr Feigenblattcharakter.
Und die Schweiz erkauft sich ihren Status. In WK II hat sie es ganz offen getan. Der Vorteil als „sicherer Hafen“ für Geld aus, naja, nennen wir es mal – kreativen Quellen ist auch mehr oder weniger dahin. Ein Grund weniger, den neutralen Status zu akzeptieren.
Österreich letztendlich hat wohl seinen Charme als neutraler Mittler verloren. Da hilft es auch wenig, den Sitz der IAEA oder OSZE zu beherbergen. Das interessiert in Afrika oder Asien auch niemanden.
Letztendlich haben die Schweiz und Österreich Glück, so tolerante Nachbarn zu haben, die diese Extravaganz akzeptieren.