Dokumentation: Macron und die (westlichen) Bodentruppen in der Ukraine

Nachdem Bundeskanzler Olaf Scholz am (gestrigen) Montag erstmals öffentlich die Entscheidung gegen eine Taurus-Lieferung an die Ukraine erläutert hatte, kam am Abend der nächste Aufreger: Frankreichs Präsident Emanuel Macron äußerte sich ebenso öffentlich von der Möglichkeit westlicher Bodentruppen in der Ukraine – und bekam sehr schnell Gegenstimmen von den Verbündeten. Zur Dokumentation:

Macron äußerte sich am Montagabend bei einer Pressekonferenz zu einem internationalen Ukraine-Treffen, an dem auch Scholz teilgenommen hatte (vor dem Hintergrund sind auch ein paar Seitenhiebe gegen den deutschen Kanzler bemerkenswert). Das Thema Bodentruppen kam auf, weil zuvor der slowakische Ministerpräsident Robert Fico das öffentlich erwähnt hatte und daraufhin der französische Präsident danach gefragt wurde. Seine erklärt uneindeutige Antwort: Es darf nichts ausgeschlossen werden.

Aus dem Transkript des Elysee:

Frage: Zu den Äußerungen des slowakischen Premierministers, der vor dieser heutigen Konferenz die Möglichkeit der Entsendung westlicher Bodentruppen in die Ukraine erwähnte. Wurde dies heute diskutiert? Was halten Sie davon und wie sieht es damit aus?

Macron: Alles wurde heute Abend auf sehr freie und direkte Weise angesprochen. Es gibt heute keinen Konsens darüber, offiziell Bodentruppen zu entsenden, zu übernehmen und zu befürworten. Aber in der Dynamik darf nichts ausgeschlossen werden. Wir werden alles tun, was nötig ist, damit Russland diesen Krieg nicht gewinnen kann. Ich sage das hier sowohl mit Entschlossenheit als auch mit der kollektiven Demut, die wir haben müssen, wenn wir auf die vergangenen zwei Jahre zurückblicken.
Viele Leute, die heute sagen: „nie, nie“, waren dieselben, die vor zwei Jahren sagten: „nie, nie Panzer, nie, nie Flugzeuge, nie, nie Langstreckenraketen, nie, nie dies …“. Ich erinnere Sie daran, dass vor zwei Jahren viele an diesem Tisch sagten: Wir werden Schlafsäcke und Helme anbieten. Heute sagen sie: Wir müssen schneller und stärker werden, um Raketen und Panzer zu bekommen. Sie sind demütig genug, um festzustellen, dass wir oft sechs bis zwölf Monate zu spät waren. Das war das Ziel der Diskussion heute Abend. Also ist alles möglich, wenn es hilfreich ist, um unser Ziel zu erreichen. (…)

Frage: Was die Entsendung von Bodentruppen betrifft, so sagen Sie, dass darüber gesprochen wurde. Können Sie sagen, von welchen Ländern das angesprochen wurde? Welche Länder würden dies auf bilateraler Ebene in Erwägung ziehen und warum ist Frankreich derzeit nicht bereit, dies zu tun? Vielen Dank.

Macron: Also, ich habe absolut nicht gesagt, dass Frankreich das nicht befürwortet.
Ich werde die Zweideutigkeit der Debatten heute Abend nicht aufheben, indem ich Namen nenne; ich sage, dass es als eine der Optionen angesprochen wurde.
Ich habe Ihnen die fünf Punkte genannt, über die ein Konsens bestand. Wenn diese Punkte übrigens vollständig umgesetzt würden, wäre nicht auszuschließen, dass sie Sicherheitsvorkehrungen erfordern, die dann einige Elemente des Einsatzes rechtfertigen würden.
Aber ich habe Ihnen ganz klar gesagt, worauf Frankreich seine Position aufrechterhalten wird, die eine strategische Ambiguität ist, die ich akzeptiere. Nichts darf ausgeschlossen werden, um unser Ziel zu verfolgen: Russland kann und darf diesen Krieg nicht gewinnen.

Frage: Ist es denkbar, dass ein Land Bodentruppen in die Ukraine schickt, ohne dass die anderen auf europäischer Ebene zustimmen? Könnte z. B. Polen dies in Erwägung ziehen? Und ist es möglich, sie in diesem Fall zurückzuhalten? Und war dies ein Gegenstand der Diskussion heute Abend? Vielen Dank.

Macron: Ich werde Ihnen sagen, dass zunächst jedes Land souverän ist und seine Streitkräfte souverän sind. Es hat durch seine Verfassung die Mittel und Wege für sein Engagement. Niemand kann ein anderes Land verpflichten, das zu tun, was ihm auf sichere Weise zusteht. Wir müssen einen Interventionsrahmen und in solchen Fällen auch Solidaritätsrahmen festlegen. Aber meine Antwort lautet: Nein, niemand kann jemanden verpflichten. Aber ich sage Ihnen einfach, dass der Geist, der heute Abend herrschte, der war, dass rund um die fünf Aktionen, die ich erwähnt habe, ein Konsens bestand und dass wir bereit sind, so lange wie nötig und alles, was nötig ist, zu tun, damit Russland diesen Krieg nicht gewinnen kann.
(Übersetzt mit DeepL.com)

Damit schien Macron an einem Konsens in der NATO zu rühren: Militärische Unterstützungsleistungen ja – aber keine westlichen (Boden)Truppen in der Ukraine. Von Scholz gab es auch entsprechend öffentlichen Gegenwind auf X/Twitter:

Wir sind uns gestern in Paris einig gewesen, dass alle mehr für die Ukraine tun müssen. Sie braucht Waffen, Munition und Luftverteidigung. Daran arbeiten wir. Klar ist: Es wird keine Bodentruppen europäischer Staaten oder der NATO geben. Das gilt.

Auch NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg widersprach Macron, in einem Statement gegenüber Associated Press:

NATO Secretary-General Jens Stoltenberg told The Associated Press that “NATO allies are providing unprecedented support to Ukraine. We have done that since 2014 and stepped up after the full-scale invasion. But there are no plans for NATO combat troops on the ground in Ukraine.”

Nach dem AP-Bericht lehnten auch Polen und Tschechien solche Überlegungen ab.

Offen bleibt damit vorerst, ob Macron nur ein weiteres Gedankenspiel im Sinne der von ihm favorisierten strategischen Ambiguität gemacht hat – oder ob es tatsächlich, wie es so nur der slowakische Ministerpräsident behauptet, konkrete Überlegungen gibt. Allerdings zeigt dieses Thema auch, dass von einem gemeinsamen Handeln der Achse Paris-Berlin offensichtlich derzeit nicht die Rede sein kann.