Sexualität als Privatsache, härteres Vorgehen gegen „sexualiertes Fehlverhalten“

Die Bundeswehr soll sich künftig aus dem Sexualleben ihrer Soldaten und Soldatinnen heraushalten, so lange das keine Auswirkungen auf den Dienstbetrieb hat. Andererseits sollen Fälle von sexueller Belästigung schneller und wohl auch deutlicher sanktioniert werden. Die vom Verteidigungsministerium erlassene neue Vorschrift dazu, die A-2610 Umgang mit Sexualität und sexualisiertem Fehlverhalten gilt seit Anfang September – und schafft auch bisherige  disziplinarrechtliche Folgen wie den Vorwurf Einbruch in die Kameradenehe faktisch ab.

Kernsatz der neuen Vorschrift: Eine außerhalb des Dienstes oder der Arbeit erfolgende, einvernehmliche Aufnahme sexueller Beziehungen durch Angehörige des Geschäftsbereichs Bundesministerium der Verteidigung berührt grundsätzlich keine dienstlichen bzw. arbeitsrechtlichen Interessen. Diese sind disziplinar- und arbeitsrechtlich in der Regel ohne Belang, auch wenn die Sexualpartner einer unterschiedlichen Statusgruppe angehören, einen unterschiedlichen Dienstgrad bzw. eine unterschiedliche Amtsbezeichnung führen oder unterschiedlich tarifrechtlich eingruppiert sind.

Das wird allerdings eingeschränkt, wenn dadurch das Ansehen der Bundeswehr in der Öffentlichkeit beeinträchtigt werden könnte. Dafür sind jedoch deutliche Schwellen angesetzt: Von einer ernsthaften Beeinträchtigung des Ansehens der Bundeswehr oder der Achtung und des Vertrauens in die jeweilige dienstliche Stellung der Soldatin oder des Soldaten kann bei einem außerdienstlichen sexualbezogenen Verhalten ohne dienstlichen Bezug regelmäßig nicht ausgegangen werden, sofern das Verhalten nicht strafrechts- oder ordnungswidrig ist.

Mit der Neuregelung reagierte das Ministerium offensichtlich auch – unter anderem – auf den Fall der Offizierin Anastasia Biefang, die mit ihrem Profil auf der Online-Datingplattform Tinder nach Ansicht des Wehrdienstsenats des Bundesverwaltungsgerichts ihre außerdienstliche Wohlverhaltenspflicht verletzt hatte. Biefang hatte dagegen Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht eingelegt.

Dennoch setzt auch die neue Vorschrift Schranken, wenn der Arbeits- und Dienstbetrieb sowie der Betriebsfrieden … nachhaltig beeinträchtigt oder gestört werden. Dazu gehört nicht zuletzt: Sexuelle Betätigung im Dienst/während der Arbeit stört regelmäßig den Dienstbetrieb.

In einem Rundschreiben der Rechtsabteilung des Ministeriums an die Rechtsberater wird darauf verwiesen, dass mit der Neuregelung eine Besonderheit der Streitkräfte praktisch abgeschafft wird: Der so genannte Einbruch in die Kameradenehe, bei dem ein Soldat oder eine Soldatin sexuelle Beziehungen zur Frau oder zum Mann eines anderen Soldaten oder einer Soldatin hat, führt künftig nicht mehr automatisch zu einem Verfahren vor dem Truppendienstgericht. Der Dienstherr macht deutlich, dass das Sexualleben der Soldatinnen und Soldaten ohne Berührungspunkte zum Dienst regelmäßig nicht von disziplinarer Relevanz ist, heißt es in der Erläuterung. Wenn allerdings jemand in den Dienstbetrieb eingreife, um diese Beziehung zu fördern, könne das durchaus disziplinarische Konsequenzen haben.

Deutlicher als bisher soll mit der neuen Vorschrift gegen sexualisiertes Fehlverhalten vorgegangen werden, unter anderem gegen sexuelle Belästigung im Dienst. So gilt jede Form von sexueller Belästigung im dienstlichen Umgang als Verstoß gegen die Pflichten des Soldatengesetzes, auch dann, wenn Ausdrucksweisen, Darstellungen oder Gesten mit sexuellem Bezug scherzhaft gemeint sein sollten. Es kommt allein auf den objektiv sexuellen Gehalt an.

Möglicherweise wirkte sich diese Vorgabe ausgerechnet auf den Kommandeur des Zentrums Innere Führung aus, das unter anderem für diese Thematik in der Truppe zuständig ist. Generalmajor Markus Kurczyk wurde am vergangenen Samstag von seinem Posten abgelöst, wie das Ministerium knapp mitteilte. Nach Informationen aus der Truppe – über die auch der Spiegel berichtete – soll er sich am Rande der Invictus Games in Düsseldorf gegenüber einem Soldaten übergriffig verhalten haben. Das Ministerium machte dazu keine Aussagen.

Gerade den Vorgesetzten weist die neue Vorschrift besondere Verantwortung zu. Bei sexueller Belästigung und erst recht bei sexualisierter Gewalt seien sie verpflichtet, einzuschreiten und die notwendigen Maßnahmen umgehend und konsequent durchzuführen oder zu veranlassen.

Die Vorschrift A-2610 ist zwar als OFFEN eingestuft; veröffentlichen mag das Ministerium sie aber bislang nicht (auch wenn die Rechtsabteilung in ihrem Rundschreiben dazu mitteilt, am 1. September 2023 wurde die Allgemeinen Regelung A-2610/2 „Umgang mit Sexualität und sexualisiertem Fehlverhalten“ veröffentlicht). Deshalb hier zum Nachlesen:

A-2610_2_Umgang _Sexualitaet_und_sexualisiertem_Fehlverhalten

(Vorsorglicher Hinweis: Das ist ein Thema, bei dem ich besonders auf eine sachliche Debatte in den Kommentaren achte)