Merkposten Westafrika: Niger (m. Nachtrag)
In Niger, einem der wenigen Länder Westafrikas mit einer amtierenden demokratischen Regierung, hat das Militär die Macht übernommen. Nachdem am (gestrigen) Mittwoch die Lage angesichts, wie es hieß meuternder Soldaten zunächst unklar war, erklärte am Abend eine Gruppe von Offizieren die Machtübernahme. Für Deutschland kann das ganz praktische Auswirkungen auf den Abzug aus dem benachbarten Mali haben, für den der Flughafen der nigrischen Hauptstadt Niamey eine wesentliche Drehscheibe ist.
Die Zusammenfassung der aktuellen Situation in der Nacht zum (heutigen) Donnerstag, von der New York Times:
Military officers in the West African nation of Niger ousted the country’s president on Wednesday, they said in an address on national television, throwing into uncertainty the future of one of the West’s few reliable partners in a region marred by coups and widespread insecurity.
Army officials representing different branches of Niger’s military, which has received support from the United States and France, among others, said they had “put an end to the regime” of President Mohamed Bazoum of Niger, following a day of stalled negotiations where members of the presidential guard held him hostage in the presidential palace.
The officers removed Mr. Bazoum “due to the deteriorating security situation and bad governance,” Col. Amadou Abdramane, an official of the Nigerien air force, said in a statement read on television. The statement also said the officers were closing the country’s borders.
Die Folgen bleiben vorerst offen. Allerdings dürfte mit dem Staatsstreich auch eine der letzten, wenn nicht die letzte dem Westen freundlich gesonnene Regierung in der Region abgesetzt sein. In Mali war die ebenfalls vom Militär gebildete Übergangsregierung in den vergangenen Jahren immer mehr auf Konfrontationskurs zu westlichen Ländern, aber auch zu den Vereinten Nationen gegangen, was im Rauswurf der UN-Mission MINUSMA zum Jahresende den vorläufigen Höhepunkt fand.
In Niamey betreibt die Bundeswehr einen Lufttransportstützpunkt, der entscheidend ist für die Rückführung des Materials aus dem deutschen MINUSMA-Einsatz. Sollte diese Drehscheibe nicht mehr genutzt werden können, wäre zwar ein Ausfliegen des Materials direkt nach Deutschland möglich. In der Region würde aber ein vergleichsweise naher Flughafen als Operationsbasis auch für die Rettungskette zur Evakuierung Verwundeter fehlen.
Nachtrag: Nach Angaben des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr bleibt der Luftraum des Niger vorerst gesperrt, so dass auch keine Flüge der Luftwaffe oder von der Bundeswehr gecharterter Maschinen möglich sind. Wie lange diese Sperrung gelte, sei derzeit aber noch unklar, sagte ein Sprecher des Kommandos.
Alle deutschen Soldaten im Niger – neben den rund 100, die den Lufttransportstützpunkt betreiben, weitere drei Stabsoffiziere der EU-Partnerschaftsmission EUPM im Land – befinden sich nach Bundeswehrangaben auf dem gesicherten Gelände des deutschen Stützpunkts am Flughafen von Niamey.
(Voraussichtlich weiter nach Entwicklung)
(Foto: Die Gruppe der Offiziere, die nach eigenen Angaben die Macht in Niger übernommen hat, bei ihrer Erklärung im nationalen Fernsehen am 26.07.2023 – Screenshot TV Niger)
Ich finde das einfach nur dramatisch und desillusionierend, dass die Gesellschaften vor Ort sich nicht so organisiert bekommen, dass das Militär dem Zivilen tatsächlich untergeordnet ist. Die Menschen vor Ort sind die tatsächlich Leidtragenden, auch wenn wir den Coup aus Sicht unserer unmittelbarer Interessen auch nicht gebraucht hätten.
Ich wünschte ich wüsste, wie man die Strukturen vor Ort stärken, befähigen und widerstandsfähig machen kann, und das AA wüsste es sicher auch gerne.
Und erneut haben wir das Dilemma, entweder die Menschen dort sich selbst zu überlassen oder uns mit einer Regierung abzugeben, die vermeintlich den Staat vertritt, aber sicher nicht seine Bevölkerung.
Das war’s dann im Sahel.
Auslandseinsätze der Bundeswehr und die Auswahl der Verbündeteten, eine echte Erfolsstory.
Afghanistan, Maili – nun die neue Arfrikadrehscheibe Niger. Das sollte es ja nun sein. Im Einklang mit USA und FR, im Gewand der EU.
Nachrichtendienstliche Erkenntnisse wieder mal Null. Wieder eine Überraschung. Was hat eigentlich mal nicht überrascht. Selbst in der von der BW selbst ernannten Erfolgsstory – immer wieder Überraschungen. Angriffskrieg der Russen, war auch Überrachung, gehört aber nicht hierher.
Mal sehen, wann wir hier lesen, dass auch in Niger Putschisten durch uns ausgebildet und ausgerüstet worden sind. Auch da gibt es eine unrühmliche Kette. Taliban AFG, Putschisten Mail.
Ja, sicher die USA. Aber nicht halt besser, sondern in weiten Teilen eine Katastrophe.
Zu den Auswirkungen Mali werden sicher bald Fachkommentare erläutern, was für eine Schieflage entsteht. Man kann es sich zwar denken, aber es fehlen die Details. Dazu kommt EinsFüKdo kann schon mal (wieder) NatKV hochfahren.
Dann warten wir einfach mal ab, wie sich diese Militärjunta politisch positioniert. Wenn diese auch so durchdreht wie in Mali, dann kann man diese Region getrost vergessen.
Wieder mal hat eine Bundesregierung, AA und BMVg voran, die Zeichen der Zeit nicht erkannt und weitergeschlafen. Der bevorstehende Abzug aus Mali droht jetzt chaotischer zu werden, als der aus Afghanistan. Denn die Nationen, die mit uns in Kabul waren, sind größtenteils schon weg.
Zeigt doch vielmehr wie unkontrollierbar die Drehscheibe Afrika ist, mit diesen mini (nahezu lächerlich angesetzten) militärischen Missionen.
Entweder möchte man mit Boots on the Ground etwas erreichen, oder wir lassen es einfach bitte sein.
@ K. Liebstöckl 27.07.2023 um 9:19 Uhr
@ Pio-Fritz 27.07.2023 um 9:47 Uhr
Einsatzgebiet für die Bundeswehr war ja lange – gefühlt – die ganze Welt.
Ist das bisherige Verständnis von Prävention gescheitert?
Frühwarnung und Konfliktprävention als Aufgaben der SIcherheitspolitik gescheitert?
NGOs und zivile Konfliktbewältigung, verschiedene Konfliktstufen, vorbeugende Konfliktprävention, Friedensschaffung ……alles Schlagwörter ohne Strategie und dann noch mangelhaft umgesetzt.
Internationales Krisenmanagement der Bundeswehr folgt politischer Planlosigkeit.
In aller Offenheit, nüchterne Defizitanalysen gibt es nicht. Siehe Auswertung AFG und Mali.
Aber dafür lobt BMVg die Nationale Sicherheitsstrategie. Worte, wieder Worte.
Ich bin gespannt, wie man in der Abteilung Strategie und Einsatz mit der aktuellen Situation umgeht aber auch was das das Scheitern mancher Ambitionen betrifft.
Da hat Russland dann ja mal wieder ganze Arbeit geleistet. Es wird m.E. Zeit dass der „Westen“ zeigt dass man nicht alles mit sich machen lässt.
Waren die Offiziere auch an der FüAk?
In Entwicklungsländern gibt es im Vergleich zu (relativ) entwickelten Ländern nicht viele staatliche Institutionen (und nicht viele Institutionen der Zivilgesellschaft). Da mag es so sein, dass die Streitkräfte ein gutes Drittel oder die Hälfte des organisierten Staatsaufbaus darstellen. Im Falle z.B. Pakistans ist die Armee die wesentliche integrative Kraft des ansonsten eher kümmerlichen Staates.
In solchen Staaten einen Gegensatz zu konstruieren zwischen Militär und „Zivilstaat“ (und eine ausschließliche Staatsführung durch den Zivilstaat vorauszusetzen klingt in westlichen Ohren gut (genauso wie das Wort „Militärputsch“ schlecht klingt), wird aber der Realität nicht gerecht. Ich sage nicht, dass das Militär die Sache besser macht, die Realität zeigt in vermutlich den meisten Fällen das Gegenteil. Aber der scheinbare Gegensatz zwischen Militär und Staat triggert mich – in solchen Ländern ist der Staat so schwach, dass da nicht soo viel mehr organisierter Staat ist.
@DIN A4
Vielleicht ist ja on solchen Stasten das schädliche 15-20% des BIPs fürs Militär auszugeben. Da bleibt für sinnvolles nicht mehr viel übrig…ob Pakistan, Ägypten, Pakistan oder Myanmar.
Was aber hinzu kommt ist, dass im Zuge des menschengemachten Klimawandels gerade diese sowieso schon instabilen Länder zu großen Teilen zu lebensfeindlichen Habitaten werden. „Wir“ im gemäßigten Klima sind da größtenteils privilegiert.
Für mich stellt sich einfach die Frage, wie hoch der Betrag war, der diese Leute dazu bewegt hat, die Regierung abzusetzen.
Dann frage ich mich, gab es keine Anzeichen im Vorfeld für dieses Ereignis? Wie kommt es, dass man auf Seiten der Bundesregierung so unangenehm überrascht wurde? So ein Umsturz wird doch nicht innerhalb einer Woche auf den Weg gebracht.
Lehre daraus, es braucht wirklichen strategischen (!) Lufttransportraum national im Stil C-17 Galaxy z. B. Der A400M deckt den Bedarf nachweislich in toto nicht ab. Staaten wie Azeris und deren carrier könnten auch andere Priorität setzen.