Stationierung von Bundeswehr-Brigade in Litauen: Ministerium verweist auf „bewährte Praxis“ (Nachtrag: Transkript)

Die von Verteidigungsminister Boris Pistorius angekündigte dauerhafte Stationierung einer Bundeswehr-Brigade in Litauen bleibt in zahlreichen Details noch unklar. Das Ministerium selbst sieht sich allerdings dafür gut aufgestellt – schließlich gebe es doch bereits Erfahrungen der Bundeswehr mit Auslands-Stationierungen.

Zum Nach-Schauen die Aussagen dazu in der Bundespressekonferenz am (heutigen) Mittwoch, von Regierungssprecher Steffen Hebestreit, Oberst Arne Collatz aus dem Verteidigungsministerium und Christian Wagner vom Auswärtigen Amt:

Das Transkript dazu:

Frage: Da Sie schon den Besuch des Verteidigungsministers in Vilnius erwähnt haben: Ist denn die dauerhafte Stationierung von 4 000 Soldaten in Litauen schon eine unmittelbare Antwort auf die Entwicklung in Russland? Kann man also sagen, dass es ohne die Ereignisse in Russland zu dieser Entscheidung nicht gekommen wäre?

Hebestreit: Es ist immer schwierig, so etwas am Ende monokausal zu Begründen. Aber natürlich haben die Entwicklungen über das Wochenende eine weitere Dynamik erzeugt. Der Verteidigungsminister hat noch einmal deutlich gemacht, dass Deutschland bereit ist, dort dauerhaft eine Kampfbrigade zu stationieren. Aber es gibt auch gewissen Bedingungen, die erfüllt sein müssen. Das ist einerseits die Zustimmung des SACEURs, also des Nato-Oberbefehlshabers, was die militärische Seite angeht, und andererseits muss vor Ort auch die Logistik für eine solche Kampfbrigade und alles, was sie begleitet, vorhanden sein. Das ist etwas, was noch ein bisschen Aufwand erfordert. Aber ich glaube, das war durchaus ein Gesamtpaket, das Boris Pistorius am Montag in Litauen verkündet hat.

Eine Frage an den Regierungssprecher: Inwieweit ist diese Ankündigung der Stationierung auch als Signal der Bundesregierung vor dem Nato-Gipfel gemeint?
Und eine Frage an Herrn Collatz: Ist diese dauerhafte Stationierung so geplant wie in Frankreich? Insgesamt scheint es, als ob es das noch nicht gebe. Ich meine diese 700 Soldaten in Frankreich. Können Sie einmal beschreiben, was alles dazugehört?
Ich hatte gestern den Eindruck, dass am Montag einige im Bundesverteidigungsministerium von dieser Ankündigung überrascht waren. Ich gehe einmal davon aus, dass es in der Bundesregierung abgesprochen war. Aber inwieweit war es auch im Verteidigungsministerium zumindest kommuniziert?

Hebestreit: Ich beantworte den ersten Teil, für den ich sprechen kann. Der Bundeskanzler hat bei seinem Besuch in Litauen im August vergangenen Jahres, was diese Kampfbrigade angeht, schon deutlich gemacht, dass wir bereit sind, dort, sollte es nötig werden, engagiert zu sein. Es gibt das rollierende System in Mecklenburg-Vorpommern. Das wissen Sie. Es ist immer die gleiche Truppe, die sozusagen hineinrotieren und wieder herausrotieren kann.
Der Bundeskanzler hat auch gesagt, dass man immer wieder eine Lagebeobachtung, eine Lageeinschätzung vornimmt und, sollte es zu einer Veränderungen der Einschätzung kommen, auch Konsequenzen zieht. Insofern ist dieser Schritt vielleicht auch als Konsequenz aus der veränderten Bedrohungslage zu sehen. Ob das jetzt in einem zeitlichen Zusammenhang mit dem Nato-Gipfel in Vilnius in zwei Wochen steht? Ich würde sagen, es ist zumindest eine zeitliche Nähe, was die Äußerungen angeht; aber ich würde keinen kausalen, engen Zusammenhang sehen.

Collatz: Zur „best practice“ in der Bundeswehr kann ich darauf verweisen, dass Ilkirch einen gewissen Hintergrund hat, wenn es um die permanente Stationierung von Soldatinnen und Soldaten mit ihren Familien im Ausland geht. Das ist gute Praxis. Ich habe im Kopf, dass es auch in den USA und in Kanada eine Bundeswehrverwaltungsstelle gibt, die alleine – nageln Sie mich nicht auf die genaue Zahl fest – etwa 2 000 Menschen betreut. Also ist das administrativ und organisatorisch sehr wohl weit verbreitet und auch lange erprobt.
Die genauen Hintergründe für diese Brigade, was Organisation und Administration angeht, müssen sich natürlich noch fügen. Dazu kann ich jetzt noch nichts sagen, auch nicht zur Bezeichnung von Truppenteilen oder Stationierungsorten oder Ähnlichem. Insoweit muss ich Sie tatsächlich noch um Geduld bitten. Aber was die Stationierung von Streitkräften im Ausland abseits der Stabilisierungseinsätze angeht, können wir auf eine sehr gute und bewährte Praxis zurückgreifen.
Jetzt weiß ich nicht, auf wen Sie sich mit Ihrer Frage zur Überraschung beziehen, auf das BMVg oder auf die Truppe. Es gibt ja ein, zwei Medienberichte, die von einer solchen Überraschung berichten. Jetzt mag es sein, dass ich berufsbedingt oft Zeitung lese. Ich war nicht überrascht davon, dass es bei diesem Thema irgendwann zu einer Entscheidung kommt. Sie haben gesehen, dass diese Entscheidung im Beisein der höchsten militärischen Beratung, also des Generalinspekteurs – auch unser politischer Direktor war dabei – kommuniziert wurde. Insofern können Sie davon ausgehen, dass das nicht nur innerhalb der Regierung abgestimmt ist, sondern dass man auch einem Rat aus dem BMVg gefolgt ist und der Minister das alles in seinen Worten reflektiert hat.

Zusatzfrage: Auch im politischen Raum gab es durchaus Überraschung. Es hat den Eindruck gemacht, als sei diese Entscheidung – ich weiß nicht – am Montag auf dem Hinflug gefallen.

Collatz: Ob nun der genaue Zeitpunkt einer solchen Entscheidung vorher mit allen abgesprochen sein muss, lasse ich einmal dahingestellt. Aber Herr Hebestreit hat eben darauf hingewiesen, dass der Kanzler schon vor etwa einem Jahr mit dieser Kommunikation begonnen hat. Wir haben – wie ich finde, auch hier an dieser Stelle – die Stimmen, die wir zum Beispiel aus Litauen zu den Forderungen nach einer Verlegung einer Brigade bekommen haben, immer sehr transparent mit unserer Sicht der Dinge belegt. Dass sich dieser Diskussionsprozess mit Vorbereitung auf den Vilnius-Gipfel und auch mit der Konkretisierung der litauischen Planungen dem Ende nähert, kann den genaueren Beobachterinnen und Beobachtern – – – Da ist ein Fundament dahinter.

Hebestreit: Frau Kollegin, vielleicht darf ich ergänzen. Nicht nur Oberst Collatz, sondern auch ich habe sehr aufmerksam Zeitung gelesen. Ich habe gelesen, dass der Bundeskanzler von dieser Ankündigung nicht überrascht gewesen sei. Ich würde diesen Berichten nicht widersprechen.

Zusatz: Davon, dass der Bundeskanzler überrascht war, war ich auch nicht ausgegangen.

Frage: Herr Collatz, ich weiß nicht, ob sich Deutschland noch der Nato-Russland-Grundakte verpflichtet fühlt. Aber sie schließt eigentlich aus, dass dauerhaft Verbände auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion stationiert werden. Falls dem so ist: Hat man damit die Nato-Russland-Grundakte aus deutscher Sicht beerdigt?

Collatz: Ich kann nur so einleiten, dass das in dem Sinne kein völkerrechtlicher Vertrag ist, sondern ein Einigungspapier. Aber zu den Details würde ich gern die Unterstützung von Herrn Wagner erbitten.

Wagner: Die gebe ich gern. Die Nato-Russland-Grundakte bezieht sich ausdrücklich auf das Sicherheitsumfeld, in dem sie geschlossen wurde. Dieses Sicherheitsumfeld hat Russland in den vergangenen Jahren immer weiter beschädigt bis hin zu einem Angriffskrieg heute in Europa in unserer unmittelbaren Nachbarschaft. Deshalb kann die Nato-Russland-Grundakte in der jetzigen Lage sicherlich kein beschränkender Faktor für den notwendigen Ausbau der Nato-Ostflanke sein.

Zusatzfrage: Herr Collatz, Sie haben hier um Geduld ersucht. Aber wie schnell wäre die Bundeswehr in der Lage, 4000 Leute abzustellen? Sie haben ja massive Schwierigkeiten, überhaupt anderthalb Divisionen zusammenzukratzen. Sie müssen jetzt bis 2027 oder bis 2025, glaube ich, eine Division aufstellen. Wird die Brigade Teil dieser Division sein oder nicht?

Collatz: Genau das sind die Fragen, die es noch im Detail abzustimmen gibt. Ob nun eine Brigade aufgestellt oder verlegt wird, und wo die Truppenteile herkommen, die diese Brigade dann bilden, genau das ist jetzt Teil der Beobachtungen und Analysen. Wir benötigen auch noch die Zeitläufe, die sich aus den infrastrukturellen Vorbereitungen in Litauen ergeben, und müssen auch die Ergebnisse des Gipfels in Vilnius abwarten und sehen, was sich aus dem Nato New Force Model ergibt. Darauf, dass es diese Bedingungen noch zu beobachten gilt, haben sowohl der Kanzler als auch der Minister hingewiesen. Aber die Rahmenbedingungen sind zu klären, und es wird dann so schnell wie möglich zu einer öffentlich mitteilbaren Lösung kommen.

Frage: Herr Hebestreit, Herr Collatz hat nebenbei gemeint, es müssten nicht immer alle zustimmen. Es ist schon eine krasse Kehrtwende der Bundesregierung, jetzt eine dauerhafte robuste Brigade nach Litauen zu schicken. Wann wurde das denn von wem entschieden?

Hebestreit: Herr Kollege, ich würde das nicht als krasse Kehrtwende bezeichnen, sondern wir finden uns in einer Situation, in der es im Baltikum bei einem engen Nato-Partner, bei drei, um genau zu sein, Estland, Lettland, Litauen, massivste Sicherheitssorgen gibt. Die Nato ist ein Verteidigungsbündnis, ein Bündnis der kollektiven Verteidigung. Dass die Nato klar dafür da ist – das haben verschiedene Vertreter der Bundesregierung immer wieder deutliche gemacht -, jeden Quadratzentimeter Territoriums gegen einen Angriff zu verteidigen – – – Das ist gegen niemanden gerichtet im Sinne einer aggressiven Tat, sondern das ist eine Sicherungsmaßnahmen, wenn man es so nennen will. Es ist im vergangenen Jahr vom Bundeskanzler natürlich in Abstimmung mit der Bundesregierung schon angekündigt worden, dass man sich das anguckt und bereitsteht, die Partner zu unterstützen. Das ist auch Teil unserer Bündnisverpflichtung, die wir haben und die wir auch zu erfüllen bereit sind. Jetzt gibt es eben dieses Angebot. Ich habe die beiden Vorgaben sozusagen auch noch einmal klar benannt, nämlich: Es muss sowohl die militärische Zustimmung seitens der Nato-Führung kommen – das ist der Supreme Allied Commander Europe -, und gleichzeitig muss die infrastrukturelle Voraussetzung für eine solche Stationierung geschaffen werden. Das dauert sicherlich auch noch eine Weile. Das ist nichts, was innerhalb weniger Wochen oder Monate entstehen kann. Das ist aber ein wichtiges Zeichen beziehungsweise Signal an die sich dort massiv bedroht fühlenden Nato-Partner, dass man sie nicht alleinlässt. Unter genau diesem Rubrum ist es zu sehen.
Im Übrigen: Wenn es eine Attacke, einen Angriff auf Nato-Territorium gäbe, dann wären wir gehalten, dort auch mit allem, was wir haben, zu helfen.

Zusatz: Die Kehrtwende bezieht sich darauf, dass das Kanzleramt und das Verteidigungsministerium bisher die Auffassung vertreten hatten, dass es genüge, in Deutschland eine Brigade vorzuhalten, die im Ernstfall in Litauen eingesetzt würde.

Hebestreit: Aber in den letzten Tagen hat es ja auch noch einmal eine deutliche Lageveränderung gegeben. Das nur zur Erinnerung und für das Gesamtbild!

Zusatzfrage: Aber der Ernstfall scheint noch nicht da zu sein.
Herr Collatz, verfügt die Bundeswehr aktuell über eine komplette Brigade, die sofort und ohne längere Vorbereitungszeit in der Lage wäre, einen Kampfauftrag über mehrere Wochen durchzuführen?

Collatz: Sie wissen, wie wir in die Reaktionskräfteplanungen der Nato eingebunden sind. Sie wissen, dass wir in den aktuellen VJTF-Aufstellungen fünfstellig Kräfte eingemeldet haben, die in bestimmten Reaktionszeiten in der Lage sind, auch auf eine aktuelle Bedrohung zu reagieren. Das ist auch etwas anderes als das, wozu Sie jetzt eine Verbindung herzustellen versuchen, nämlich die Verlegung eines Brigadeäquivalents nach Litauen. Die Zeitläufe dazu sind auch noch nicht vollständig definiert. Sie ergeben sich im Wesentlichen – auch das ist bereits gesagt worden – aus den von uns mitgetragenen Forderungen des Nato New Force Model. Diese Rahmenbedingung inklusive – ich sage es noch einmal – der infrastrukturellen Voraussetzungen werden den Rahmen bestimmen, wann wir diese Brigade dort stationieren.
Es ist jetzt nicht von der Bundeswehr gefragt, noch eine zusätzliche Brigade verlegebereit ad hoc im Stundenrhythmus vorzuhalten. Das können wir natürlich nicht, ist aber auch nicht von uns gefordert und macht auch keinen Sinn.
Im Übrigen, um Ihre vorherige Frage noch einmal aufzugreifen: Ich glaube, dass das auch in keiner Weise eine Kehrtwende ist, sondern im Gegenteil eine konsequente Umsetzung der Zeitenwende, wie wir sie aus Erkenntnis der Folgen des Angriffskrieges, des Raubüberfalls Russlands auf die Ukraine gezogen haben.

Frage: Herr Collatz, haben Sie überhaupt das Geld und die Leute für diese Brigade? Sie suchen ja Personal, das Sie nicht bekommen. Die Bundeswehr soll auf über 200 000 Leute aufwachsen. Das bekommen Sie nicht. Es zeichnet sich ab, dass das Sondervermögen eigentlich schon überzeichnet ist.
Wie wollen Sie diese Brigade robust ausstatten und mit wem? Wer soll dahin gehen?

Collatz: Zum Geld: Da sind wir ja gerade in den Verhandlungen. Dazu kann ich jetzt noch nicht im Einzelnen etwas sagen, außer dass sich die Regierung – das ist inzwischen ja auch Gesetzesform – zum Zweiprozentziel der Nato bekannt hat.
Was das Personal angeht, haben wir jetzt ja eine Nationale Sicherheitsstrategie. Aus ihr werden sich jetzt verteidigungspolitische Richtlinien entwickeln. Daraufhin werden wir unser Fähigkeitsprofil neu definieren. Dann schauen wir, wie sich aus diesem Fähigkeitsprofil auch ein Personalkörper, der unterstützbar ist, herauskristallisiert. Aber auch diese Dinge brauchen noch Zeit.

Zusatzfrage: Sie sprechen immer wieder den zeitlichen Aspekt an. Wie viele Jahre wollen Sie den Litauern versprechen, bis Sie die 4000 Mann dahin stellen?

Collatz: Das eine hängt mit dem anderen nicht zusammen. Wir haben zugesagt, dass wir, soweit die Litauer bereit sind, die Infrastruktur bereitzustellen, und wir seitens der Nato erkannt haben, dass es ins Konzept passt, die Kräfte bereitstellen werden. Punkt.

Frage: Da eben im Hinblick auf die Nato-Russland-Grundakte ausgeführt wurde, dass sie faktisch obsolet sei: In der vergangenen Woche hat der Bundeskanzler vorm Bundestag aber erklärt, er sei gegen eine Kündigung der Nato-Russland-Grundakte. Warum hält die Bundesregierung an einem Vertragswerk oder einer Verabredung fest, wenn diese inhaltlich doch hinfällig ist und vor allem wenn man sagt: „Na ja, bei der Stationierung müssen wir uns daran nicht mehr halten“?

Wagner: Herr Kollege, ich habe die Wortwahl, die Sie da eben gewählt haben – – – Das habe ich ja nicht gesagt. Ich habe gesagt, dass die Nato-Russland-Grundakte sozusagen im Lichte eines Sicherheitsumfeldes abgeschlossen wurde, das heute, wenn man jetzt auf die aktuellen Entwicklungen und auf die aktuelle Bedrohung durch Russland schauen kann, kein beschränkender Faktor mehr sein – – – Die Nato-Russland-Grundakte gibt ja eine ganze Reihe von wichtigen Prinzipien aus, die dort festgehalten sind. Dazu gehört unter anderem auch territoriale Souveränität, und wir fühlen uns natürlich weiterhin an diese Prinzipien gebunden, und die Bundesregierung hat ja im Übrigen auch nicht die Nato-Russland-Grundakte widerrufen oder einseitig aufgekündigt. Insofern gilt das, was ich eben gesagt habe, und ich bitte, das so zur Kenntnis zu nehmen, wie ich es gesagt habe!

Zusatzfrage: Ja, ja! Ich finde aber, wenn Sie sagen: „Ja, das hat sich so sehr verändert“, dass dann mindestens für die Frage der Stationierung oder der eigentlich in der Grundakte ausgeschlossenen Stationierung auf ehemaligem Sowjetterritorium, wenn sie da nicht mehr gilt, in anderer Hinsicht aber dann doch wieder gelten soll – – – Das kann man auch als ein inkonsistentes Verhältnis zu dieser Verabredung und ihren Kriterien ansehen. Finden Sie nicht?

Hebestreit: Vielleicht darf ich helfen. Das inkonsistente Verhältnis zur Nato-Russland-Grundakte hat im Augenblick Russland. Wenn man einen Nachbarn überfällt und auch gegen die Grundlagen der KSZE beziehungsweise OSZE massiv verstößt, dann verändert sich das, was wir so euphemistisch das sicherheitspolitische Umfeld nennen.
Jetzt ist natürlich die Frage, die Sie stellen: Warum kündigen wir dann die Nato-Russland-Grundakte nicht? – Es ist immer einfacher, über einen Vertrag, den es gibt, als Dokument, als Grundlage zu sprechen als überhaupt wieder in Gespräche einzusteigen, um ein ganz neues Dokument zu verhandeln. Das ist im Augenblick nicht die Sachlage, ist auch im Moment aussichtslos. Deswegen sagen wir, dass, genauso wie Russland im Augenblick Dinge tut, die dem Geist dieser Akte widersprechen, jetzt auch die Reaktion darauf nicht unbedingt sofort mit dem Geist dieser Akte in Einklang zu bringen, allerdings auf die Veränderung zwangsläufig nötig ist.

Frage: In der angesprochene Rede von Herrn Scholz im Bundestag letztes Jahr hat er gesagt, es sei unklug, Putin durch eine Kündigung Munition zu liefern. Jetzt ist keine Kündigung im Raum, aber man liefert doch dem russischen Präsidenten tatsächlich Munition, wenn man jetzt Kampftruppen verlegt, die ja in der Nato-Russland-Grundakte ausgeschlossen sind. Räumen Sie das ein?

Hebestreit: Nein, das räume ich nicht ein, weil ich ja genau – – – Das bestätigt ja guter Weise genau das, was ich vorher gesagt habe, dass wir diese Akte nicht kündigen. Man hätte ja – darauf bezieht sich die Äußerung des Bundeskanzlers – als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg sagen können: Wir kündigen die Nato-Russland-Grundakte, weil der russische Angriffskrieg in einem eklatanten Gegensatz zu dieser Akte steht. – Aber nein, das haben wir nicht getan, sondern wir sagen: Wir halten weiterhin daran fest. Auf die jetzige Situation müssen wir aber natürlich reagieren. Genauso wie Russland gegen diese Akte und den Geist der Akte verstößt, können auch wir uns an der Stelle nicht daran gebunden sehen. Trotzdem halten wir daran fest, dass es richtig ist. Es umfasst ja eine ganze Menge an gegenseitigen Vereinbarungen, die man sonst in einem Zuge mitkündigen würde. Deswegen hat der Bundeskanzler recht, wenn er sagt, es wäre unklug, sie zu kündigen.