Faktencheck: Viel mehr Kriegsdienstverweigerer im vergangenen Jahr – aber überwiegend Ungediente
Die Zahl der Anträge auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer ist im vergangenen Jahr offensichtlich als Folge des Ukraine-Kriegs deutlich gestiegen. Die Tatsache ist bekannt, ansonsten wird mit einer entsprechenden Meldung viel, sagen wir Unscharfes verbreitet: Entgegen den meisten Veröffentlichungen kamen nämlich die meisten Anträge von Personen, die nicht Soldat*innen sind.
Zahlreiche Medien, auch die Nachrichtenagenturen, berichteten am (heutigen) Freitag, die Zahl der Kriegsdienstverweigerer sei im vergangenen Jahr sprunghaft gestiegen. Das ist zutreffend. In der Meldung stand aber zunächst auch, dass nur Soldaten diesen Antrag stellen dürften – was falsch ist. Mit dieser Aussage (Kriegsdienstverweigerer sind seit Aussetzung der Wehrpflicht 2011 ausschließlich Menschen, die schon bei der Bundeswehr Dienst tun), die in einigen Medien später korrigiert wurde, wurde suggeriert, die Zahl der Soldatinnen und Soldaten, die den Kriegsdienst verweigern wollten, hätte deutlich zugenommen.
Während die verbreiteten Meldungen sich auf das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben beziehen und eine Gesamtzahl von 951 Anträgen im vergangenen Jahr nennen, habe ich mal an der Quelle nachgefragt: Die Zahlen des Verteidigungsministeriums sind sogar ein bisschen höher (der Grund wird unten erläutert), dafür aber im Gegensatz zu den Zahlen des Bundesamtes auch aufgeschlüsselt.
Nach Angaben des Verteidigungsministeriums gingen bei dessen nachgeordneten Behörden im vergangenen Jahr bis Ende November 1.080 Anträge auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer ein – ein deutlicher Anstieg im Vergleich zu 2020, als insgesamt rund 210 Anträge registriert wurden. Die höchste Zahl gab es im März, also unmittelbar nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, mit rund 300.
Interessant ist nun aber die Aufschlüsselung: Von diesen 1.080 Anträgen kamen 266 von Reservisten und 593 von Ungedienten, so dass also 859 dieser Anträge eben nicht von aktiven Soldaten gestellt wurden. Der Anteil der aktiven Soldatinnen und Soldaten betrug damit rund 220, ein Fünftel der Anträge. Dieser Trend hatte sich schon im September abgezeichnet.
Die Gesamtzahlen des Verteidigungsministeriums sind deshalb ein bisschen höher als die des Bundesamtes, weil in der Ministeriumsübersicht alle Anträge aufgelistet werden – weitergeleitet an das Bundesamt werden aber nach Angaben einer Ministeriumssprecherin nur die Anträge der Personen, die einen Tauglichkeitsbescheid erhalten haben. Die Untauglichen dürfen also nicht verweigern – aber das galt schon immer.
Die Zahlen der Anträge von aktiven Soldat*innen für die Vorjahre liegt leider (noch?) nicht vor. Auch die dürften gestiegen sein – im Vergleich zur Gesamtstärke der Bundeswehr allerdings nicht so auffällig.
Nur hier erwähnt, bis es vielleicht einen passenden Faden dazu gibt.
Gemäß Presse im Jahr 2022 ein Anstieg von KdV-Anträgen von 201 (2021) auf 951 (2022).
Hauptgrund: Die Soldaten hätten nicht wirklich mit einer möglichen kriegerischen Auseinandersetzung gerechnet.
Dazu passend die „Leaks“ aus dem Eckpunktepapier zur Steigerung der Bereitschaft unserer BW, Ministerin möchte auf 203.000 hochgehen in den nächsten Jahren.
Stellt sich mir die Frage woher nehmen? Wen möchte ich denn in Zukunft rekrutieren? Den der bereit ist zu kämpfen, das setzt ein bestimmten Mindset voraus, oder weiterhin den Militärverwalter, der wenn es knallt feststellt das er lieber zu Hause bleiben möchte.
[Hier ist der passende Faden. Ob Sie vor dem Hintergrund der Fakten bei Ihrer Aussage bleiben, ist Ihre Sache. T.W.]
Interessant wäre es ja auch zu wissen, wie viele Menschen sich angesichts des Krieges dazu entschlossen haben, ihre Kriegsdienstverweigerung zu widerrufen. Zahlen würden hierzu meines Wissens nicht veröffentlicht. Haben sie Infos darüber @T.W.?
[Interessante Frage – ich kenne da keine Zahlen und weiß auch nicht, ob die überhaupt zentral erfasst werden. T.W.]
Meine eigene Beobachtung zum Thema Gesellschaft und „Kämpfen wollen“: Seit dem Überfall auf die Ukraine bin ich mindestens bei zehn Gelegenheiten gefragt worden, ob ich denn sogar bereit wäre, WIRKLICH in einem Krieg zu kämpfen.
Da steht man also in Uniform in einem Gespräch und gebildete Leute mit „gesellschaftlichen Positionen“ fragen einen Offizier nichts weniger, mehr oder weniger geschickt formuliert, ob er seinen Auftrag überhaupt ernst nehmen würde oder abhauen würde. Im direkten Kontext Landesverteidigung/Bündnisverteidigung, nicht Afghanistan oder Mali!! Meiner Meinung nach haben wesentlichen Teile der politisch relevanten Milieus eine massive kognitive Dissonanz, die sich in diesen Fragen ausdrückt: der realen Erkenntnis, dass LV/BV plötzlich existentiell geworden sind, steht die Erkenntnis gegenüber, dass man selbst sich in keiner Weise bereit oder Willens sieht/fühlt. Diese Dissonanz lösen etliche dadurch, dass man auch Soldatinnen und Soldaten fehlenen Wehrwillen unterstellt und damit eine Lösung hat: Wenn selbst die „Berufssoldaten“ nicht kämpfen wollen, dann kann man das von mir erst recht nicht verlangen. Moralisch sauber gelöst. Das „hochjazzen“ der KDV – Meldungen passt da ins Bild.
Danke @Hausherr für den dazu passenden Faden.
Und ich habe A…. genug in der Hose zuzugeben wenn ich mich irre.
Also Nein bei den dank ihnen genaueren Zahlen bleibe ich nicht zu 100% bei meiner Aussage.
Wie wir auf 203000 kommen wollen kann ich zwar noch immer nicht sehen, aber das die Truppe nicht von der Fahne geht macht zumindest Hoffnung.
Danke nochmals für Ihr bohren an der richtigen Quelle. BZ
Was die KDV aktiver Soldaten betrifft: Wenn da der ein oder andere Soldat angesichts der (eigentlich allbekannten) Lebenswirklichkeit zu dem Schluss kommt, dass er oder sie nicht bereit ist, seinem oder ihrem Gelöbnis/Eid „der BR Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des Deutschen Volkes tapfer zu verteidigen“ nachzukommen, dann sollte man diese aus dieser Pflicht (also dem Wehrdienst) ASAP entlassen. Damit könnte man der Verweigerung des Kampfes, Desertation oder – im übelsten Falle Verrat – in einem Ernstfall zumindest weitestgehend vorbeugen. Denn diese Klientel von „Soldaten“ bildet ein erhebliches Sicherheitsrisiko – also weg damit. Zudem meine ich, dass man im Bereich der Personalgewinnung für unsere Streitkräfte mal über die derzeit angewandten Anwerbungsmethoden – gerne auch als Anreize bezeichnet – nachdenken sollte. Im Übrigen sollten wir uns darüber im Klaren sein, dass in der DEU Bundeswehr im Falle eines Krieges auch der gerade zum Alarmposten eingeteilte „Soldat“ vor Dienstantritt in der Stellung ausrufen kann: „Ich beantrage KDV!“ Und dann ist er – rein rechtlich – raus aus der Geschichte. Oder sollte ich damals unseren Rechtslehrer an der HFlaS nicht richtig verstanden haben?
@Hans Schommer: Stimme Ihnen vollkommen zu.
Als ich damals zum Grundwehrdienst einberufen wurde, kam paar Monate vorher ein Schreiben des Kompaniechefs in dem in etwa stand „Ich freue mich, dass Sie sich für uns entschieden haben“. Er unterstellte also, dass man sich bewusst gegen Zivildienst entschieden hat und freiwillig zu Bundeswehr gehen würde, was ja ein bisschen seltsam war, da Wehrpflicht bestand und eine Verweigerung ja nur aus triftigen Gründen möglich war. Fand ich aber gut diese Haltung.
Und am ersten Tag bei der Begrüßung dann sinngemäß (trotz Wehrpflicht wie gesagt): „Sie sind ja alle freiwillig hier. Wer keinen Bock auf Wehrdienst hat, oder wer im Ernstfall ein Problem damit hat, auf Menschen zu schießen oder für die Bundesrepublik Deutschland zu sterben, stellt bitte heute noch seinen Antrag auf KDV. Ich helfe Ihnen auch gerne dabei“ Haben dann auch gleich ein paar gemacht.
Fand ich beeindruckend diese Ehrlichkeit.
Die Zahlen sind ja sehr übersichtlich.
Ich frage mich allerdings, ob Mann (man) überhaupt noch verweigern muss?
Und ob Art 12a GG (Wehrdienst) nicht mit Art 3 GG (Gleichberechtigung) kollidiert? Die Diskussion ist nicht neu, aber nach den gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahre (Gender, Gleichberechtigung usw) neu zu bewerten. Ich gehe davon aus, daß eine Wehrpflicht nur für Männer, wie bisher, verfassungswidrig wäre. Von daher braucht es zur Zeit keine Verweigerung.
Bei der Diskussion wird augenscheinlich ein etwas „brisantes“ Thema nicht angesprochen:
Wie weit ist der Anteil von Spätaussiedlern bzw Nachkommen von Spätaussiedlern an den Verweigereren innerhalb der Bundeswehr relevant?
Mir sind mehrere Fälle aus der Truppe bekannt, wo Soldaten auch aufgrund von Verwandten in Rußland, ihren Dienst in Frage stellen, zumindest sollte es zur direkten Konfrontation von Nato und Russland kommen. (Diese sind nicht repräsentant, das ist mir klar).
Natürlich ist alles, was das Thema „Abstammung“ betrifft, sehr heikel und soll nicht zu Vorurteilen führen oder einzelne Gruppen verunglimpfen.
Ich habe aber auch noch die Berichte über die Pro russischen Autokorsos zu Beginn des Krieges in Erinnerung.
Daher finde ich schon, man sollte diesen Punkt offen ansprechen, abseits von Stammtisch Diskussionen.
[Wie viele Fälle kennen Sie, wieweit glauben Sie, dass wäre ein relevantes Problem, und vor allem: bei rund 220 KDV-Anträgen von rund 183.000 Soldat*innen sind dann die darin evtl. Nachkommen von Spätaussiedlern ein Problem? Ich rate dringend dazu, da die Maßstäbe im Auge zu behalten. T.W.]
@Pio-Fritz
Mit der „neuen“ Grundbeorderung unterliegen Sie nach dem Ausscheiden automatisch der Wehrüberwachung und werden im Falle des Falles auch einberufen werden. Dies dürfte dann wohl auch für ehemalige weibliche Sdt. gelten, außer es gäbe hier eine Lücke im Gesetz.
Daneben unterliegt bereits jetzt eine größere Zahl an Reservisten der Wehrüberwachung.
@Windlicht
Diese Beobachtung kann ich bestätigen. Ich werde vermutlich ab 1. Juli als Seiteneinsteiger zur Bundeswehr gehen, sobald ich das Vorhaben gegenüber meinen Mitmenschen erwähne, lautet die erste Frage: „Würdest / müsstest du dann auch in einen Einsatz gehen?“ – Auf mich wirkt die Frage ähnlich weltfremd, als würde man einen Piloten fragen, ober er auch Flugzeuge fliegen würde.
@Thomas Melber sagt: 06.01.2023 um 18:24 Uhr
Ich habe meine Ausführungen nicht auf Soldaten (Aktive und Reservisten) eingeschränkt, sondern bewusst allgemein gehalten. Der Großteil der KDVer sind ja auch Ungediente.
Wieviele der KdV ler in der Truppe verweigern, weil sie nicht kündigen können?
@ThoDan
§ 55(3) SG (Härtefall wg persönlicher Gründe) ermöglicht eine Art „Kündigung“, allerdings unter Wegfall jeglicher Dienstzeitversorgung und BFD-Ansprüche. Ist mir schon mehrfach untergekommen.
Bei einer Be von 183.000 Aktiven und 220 KDV-Anträgen sprechen wir über 0,1 % der Truppe. Diese Relation sollte man bei der Einordnung des Themas beachten.
@ThoDan sagt: 06.01.2023 um 20:56 Uhr
„Wieviele der KdV ler in der Truppe verweigern, weil sie nicht kündigen können?“
Das ist doch keine ernsthafte Option, auch wenn das so kolportiert wird. Als BS stellt man einen Antrag auf Entlassung und als SaZ einen auf Dienstzeitverkürzung. Zur Not als Härtefall oder mit Dienstunfähigkeit.
@Windlicht
Ich teile Ihre Bewertung. Ich glaube nicht, dass sich unsere Eliten bei einem Angriff Russlands in der Mehrheit vergleichbar verhalten wie die Eliten der Ukraine. Ich befürchte, unsere Eliten würden mehrheitlich entweder flüchten oder für die sofortige Kapitulation DEU plädieren. Die Wenigsten werden Deutschland mit der Waffe in der Hand verteidigen.
Ich glaube auch nicht, dass „die Zeitenwende“ bei unseren Eliten angekommen ist. Die Mehrheit sieht diese nicht bzw. will sie nicht sehen. Ob ich richtig liege, werden die Eckwerte für den Einzelplan 14 für die Haushaltsaufstellung 2024 zeigen. Der Haushalt zeigt die Prioritäten.
Interessant wäre ggfs. auch die Frage, wieviele DU Verfahren es gibt bzw. gegeben hat. Natürlich wird hier nicht unterschieden aus welchen tatsächlichen Grund den nun die Bw verlassen wurde – um ein realistischeres Bild zu gewinnen ob denn „Kriegsdienstverweigerung“ durch den Ukrainekrieg ein tatsächliches Problem darstellt wäre es aber hilfreich, wenn es Zählen hierzu gäbe.
Es würde mich doch aber stark wundern, in Anbetracht von Afghanistan, Mali etc. und dem realen erleben von Verwundung und Tod…
@TW
„Wie viele Fälle kennen Sie, wieweit glauben Sie, dass wäre ein relevantes Problem, und vor allem: bei rund 220 KDV-Anträgen von rund 183.000 Soldat*innen sind dann die darin evtl. Nachkommen von Spätaussiedlern ein Problem? Ich rate dringend dazu, da die Maßstäbe im Auge zu behalten. T.W.“
Die aktuelle Zahl ist doch überhaupt nicht relevant, weil sich die Bundesrepublik Deutschland eben (noch) nicht in einem heißen Kriegszustand mit Russland befindet. Wie viele wären nicht bereit zu kämpfen, ohne dass sie jetzt einen KDV-Antrag stellen, egal ob ungedient, gedient oder aktiv im Dienst? Es macht nämlich einen ganz gewaltigen Unterschied, ob ich verweigern möchte, weil vielleicht mal irgendwann mal möglicherweise auf mich geschossen werden könnte oder ich ganz konkret meinen Einberufungsbescheid an die Front in den Händen halte.
Auch ich wurde schon von Kollegen gefragt, als SaZ a.D. und damit Reservist wider Willen, ob ich, wenn es hart auf hart käme, gegen Russland kämpfen würde und ich sagte: „nein, würde ich nicht“ und ich würde sogar einen entsprechenden Einberufungsbescheid ignorieren und zur Not das Land verlassen. Trotzdem habe ich keinen KDV-Antrag gestellt – gehe also auch nicht in die „nur ein paar Ausnahmen“-Liste ein, aber es gibt vermutlich Viele, die so denken wie ich.
@Mitschnacker sagt: 07.01.2023 um 18:20 Uhr
Nun geht es hier aber um die KDV-Anträge 2022 und wie viele Verweigerer daraus resultierten. Und nicht darum, was in Bevölkerungsgruppen gewisser ethnischer Herkunft wohl eventuell passieren würde, träte eine gewisse Situation ein.
Sie haben da etwas viel hätste-wennste in Ihrer Spekulation. Das kommt dabei raus, wenn man versucht, seine eigene Einstellung zu verallgemeinern. Das taugt dann auch nicht zur ernsthaften Diskussion
Es ist halt wie immer, unter Belastung werden die schwachen Stellen aufgedeckt.
Sollte es zu einem Konflikt mit einem Aggressor auf deutschem Boden kommen, dann werden sich ausreichend Menschen finden, die etwas zu verteidigen haben.
Bei einem Bündnisfall mag das anders aussehen, aber eigentlich glaube ich an unsere Gesellschaft und ihre Bereitschaft sich selbst zu schützen. Die Geschichte lehrt, dass Aggressoren selten mit irgendwas zufrieden sind und dann einfach aufhören. Ab einem gewissen Punkt ist ein System nur noch durch Aggression überlebensfähig, ich sehe das „System Putin“ weit über diesen Punkt hinaus.
Selbstverständlich wird es immer andere Stimmen geben, und letztlich erkennt man die Motivation der Handelnden wenn man ihre Motive hinterfragt. Das kann ja ein jeder für sich tun und seine Schlüsse ziehen.
Wer sich jetzt hinstellt und seine Nichtbereitschaft hinausposaunt, bitte schön … einfach gehen …
@Pio-Fritz
„Nun geht es hier aber um die KDV-Anträge 2022 und wie viele Verweigerer daraus resultierten. Und nicht darum, was in Bevölkerungsgruppen gewisser ethnischer Herkunft wohl eventuell passieren würde, träte eine gewisse Situation ein.“
Kann man so sehen, aber Sie werden kaum ernsthaft glauben, dass eine derartige militärische Auseinandersetzung lediglich mit freiwillig dienenden Berufssoldaten geführt werden würde.
[Kann man so sehen, aber Sie werden kaum ernsthaft glauben, dass ich diesem Derailing-Versuch weiter tatenlos zusehe. Zumal Sie aus dem Nichts mit Ihrem allerersten Kommentar zu dem Thema hier auftauchen… Denke wir verstehen uns? T.W.]