Dokumentation: Neuer Marineinspekteur legt Schwerpunkt auf NATO und Abschreckung

Die Deutsche Marine will sich nach den Worten ihres Inspekteurs Jan Christian Kaack künftig stärker auf das NATO-Gebiet und die Abschreckung gegen Russland konzentrieren. Dafür müsse die Teilstreitkraft ihre Kampfkraft stärken, aber auch die Belastung durch die Einsätze im Mittelmeer verringern.

Der Vizeadmiral nannte in einer Grundsatzrede anlässlich seiner ersten 100 Tage im Amt am (gestrigen) Montag die Verbesserung von Einsatzfähigkeit und Kampfkraft als Priorität:

Um auch zukünftig als verlässliches Instrument der Politik oder wie wir es im Kompass Marine ausgedrückt haben, als Instrument und Arm unseres Staates agieren zu können, müssen wir „unsere Einsatzfähigkeit und Kampfkraft erhalten und … stärken“. Letztendlich geht es dabei natürlich darum, gemeinsam mit Freunden besser zu sein als mögliche Gegner. Nur dann funktioniert das Prinzip Abschreckung – wenn der Ausgang einer möglichen Konfrontation für den Gegner unsicher bleibt.

sagte Kaack dem von der Marine veröffentlichten Redetext zufolge. Dazu gehöre eine Verbesserung der materiellen Einsatzsituation der Teilstreitkraft: Eine Anstrengung wie nach Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine Ende Februar, als die Deutsche Marine in kurzer Zeit bis zu 28 schwimmende Einheiten sowie Flugzeuge losschickte und überwiegend in die östliche Ostsee entsandte – diese Zahl an Einheiten, diesen Kraftakt können wir nicht unbegrenzt durchhalten.

Neben mehr Geld für die Marine und der Verbesserung von Strukturen und Verfahren werde die Marine aber vor allem höhere Standards anstreben müssen und nicht mehr wie bisher vor allem planbare Missionen vorsehen können:

Die Stichworte sind Flexibilisierung der Einsätze, Einhalten von Zertifizierungsstandards als Grundlage einer verantwortbaren Entsendung unserer Männer und Frauen in Einsätze sowie die signifikante Verbesserung des Instandhaltungssystems unserer Einheiten.
Dies bedingt eine Neubetrachtung der Einsätze im Mittelmeer und damit einhergehend deren Flexibilisierung beziehungsweise Beendigung. Es bedeutet auch, als Grundlage für den Einsatz unserer Einheiten nur eine Zertifizierungshöhe „gefechtsbereit“ zu akzeptieren. Dafür hat mir der Generalinspekteur grünes Licht gegeben und wir sind dabei, erste vorsichtige Schritte dafür zu gehen. Darüber hinaus wird die Zukunft der Einsätze derzeit in der Politik diskutiert.

Die Bundeswehr ist derzeit in maritimen Operationen bei der UN-Mission UNIFIL vor dem Libanon, bei der NATO-Mission zur Überwachung von Flüchtlingsbewegungen zwischen der Türkei und Griechenland in der Ägäis sowie in der EU-Mission Irini vor Libyen im Einsatz. Zwar sind nicht in allen diesen Missionen immer auch Schiffe oder Boote eingesetzt; dennoch binden diese Verpflichtungen langfristig Einheiten der Marine. Die bisherige Konzentration auf solche Missionen, warnte Kaack, habe auch die Gefechtsbereitschaft der Soldatinnen und Soldaten beeinträchtigt.

Kaack setzte zugleich auf die geplante Übernahme der MV-Werft in Rostock als künftigen Teil des Marinearsenals, um eine schnelle Instandsetzung von Schiffen und Booten der Marine zu ermöglichen:

Der kurzfristige Aufbau einer leistungsfähigen Erweiterung des Marinearsenals im Ostseebereich ist daher aus meiner Sicht der entscheidende und notwendige Schritt, um die Einsatzbereitschaft der Flotte nach- haltig und perspektivisch zu verbessern. Gerade vor dem Hintergrund der neuen strategischen Herausfor- derungen in unserer Heimatregion. Auch unsere Partner würden davon profitieren können.
Um es klar auszusprechen: Ohne eine substanzielle Stärkung des Marinearsenals ist ein Turnaround in der dauerhaften Einsatzfähigkeit der Marine nicht möglich. Eben diesen Wendepunkt braucht die Deutsche Marine aber so schnell wie möglich.

Auch das 100-Milliarden-Euro-Paket für die Bundeswehr, warnte der Vizeadmiral, werde die Einsatzfähigkeit der Marine erst lang- und keineswegs kurzfristig erhöhen:

Dieses Geld kann nicht wie eine Soforthilfe wirken. Kein zusätzliches Schiff wird morgen auslaufen, kein zusätzlicher Hubschrauber wird morgen starten, und kein neues Unterkunftsgebäude wird morgen bezugsfertig sein.
Deshalb gilt es konsequent zwei Schritte zu gehen. Zu allererst müssen wir unsere Bestandsflotte stärken. Wir haben dazu in kurzer Frist auch ein Paket an vielen kleinen Projekten und Bedarfen zusammengetragen und gemeldet. Hier liegt die Chance auf kurzfristige Effekte. Sehr einfach formuliert habe ich das so auf den Punkt gebracht: „Meine sieben Prioritäten sind: Munition, Munition, Munition, Ersatzteile, Ersatzteile, Ersatzteile – und Führungsfähigkeit.“

Die ganze Rede zum Nachlesen:
20220627 Grundsatzrede InspM VAdm Kaack