Bundeswehr soll Anti-IS-Einsatz fortsetzen – Syrien formal nicht mehr Einsatzgebiet

Die Bundeswehr soll sich auch weiterhin an der internationalen Koalition für den Kampf gegen den Islamischen Staat beteiligen. Die Regierungsparteien der neuen Ampelkoalition verständigten sich auf ein neues Mandat für diesen Auslandseinsatz, das in Details verändert wird. So soll künftig Syrien formal nicht mehr Einsatzgebiet der deutschen Streitkräfte sein. Das Bundeskabinett will den Entwurf des neuen Mandats am (morgigen) Mittwoch beschließen.

Die Beteiligung der Bundeswehr an der US-geführten internationalen Koalition für den Kampf gegen die Terrororganisation Islamischer Staat ist der einzige Auslandseinsatz deutscher Streitkräfte in einer Koalition jenseits des Rahmens von UN, NATO oder EU. Unter Führung der USA sind an der Operation Inherent Resolve (OIR) rund 80 Staaten und die NATO beteiligt.

Aktuell beteiligen sich deutsche Soldaten an der Mission, benannt Operation Counter Daesh (nach der Bezeichnung Daesh für den IS) und Capacity Building Iraq vor allem mit einem Tankflugzeug, stationiert in Al Azraq/Jordanien; der A400M betankt die Kampfjets anderer an OIR beteiligter Nationen für Luftangriffe auf den IS in Syrien und im Irak. Auf der Luftwaffenbasis Al Asad im Zentralirak ist zudem ein Luftraumüberwachungsradar der Bundeswehr stationiert (Foto oben) – vor allem als Schutz gegen befürchtete Angriffe auf US-Truppen, die den Großteil der Operation stellen. In Erbil im Kurdengebiet im Norden Iraks ist die Bundeswehr mit der Ausbildung von Soldaten befasst, diese Arbeit ist allerdings ebenso wie die Ausbildung irakischer Streitkräfte im Zentralirak wegen der Corona-Pandemie derzeit weitgehend zum Erliegen gekommen. Die Luftaufklärung mit Tornado-Aufklärungsflugzeugen über Syrien und Irak hatte die Luftwaffe bereits 2020 eingestellt.

Das bisher gültige Mandat (Bundestagsdrucksache 19/22207), das bis Ende Januar befristet ist, sieht als Einsatzgebiet vor:

Der Fähigkeitsaufbau für die regulären irakischen Streit- und Sicherheitskräfte kann im gesamten Hoheitsgebiet des Iraks erfolgen.
Luftbetankung sowie der Beitrag zur Luftraumüberwachung und Lagebilderstellung können im irakischen Hoheitsgebiet, im Luftraum über dem Operationsgebiet vom IS in Syrien und im Hoheitsgebiet von Anrainerstaaten, von denen eine Genehmigung der jeweiligen Regierung vorliegt, erfolgen.
Lufttransport als Unterstützungsleistung für die internationale Anti-IS-Koalition, internationale Organisationen, Alliierte und Partner können in Irak, Jordanien, in weiteren Anrainerstaaten, von denen eine Genehmigung der jeweiligen Regierung vorliegt, sowie in EU- und NATO-Staaten erbracht werden.
Die NATO-AWACS-Flüge, bei denen Daten für die internationale Anti-IS-Koalition gewonnen und weitergegeben werden, finden nur über dem Irak, im Luftraum von NATO-Staaten oder im internationalen Luftraum statt.
Kräfte des deutschen Kontingents werden in den Hauptquartieren, Verbindungselementen und militärischen Stäben multinationaler Partner, der NATO-Mission in Irak und der internationalen Anti-IS-Koalition eingesetzt, soweit dies zur Auftragserfüllung angezeigt ist.

Im neuen Mandat wird nun Syrien als Teil des Einsatzgebiets herausgenommen, wie Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) in einem Schreiben an die Fraktionsvorsitzenden im Bundestag am (heutigen) Dienstag erläuterten:

Bereits das vorliegende Mandat enthält nach einer ersten Überprüfung deutliche Anpassungen. So wird Syrien als Einsatzgebiet
ausgeschlossen.

Mit dieser Formulierung nimmt die neue Koalition Rücksicht auf die Grünen, die in den vergangenen Jahren regelmäßig gegen dieses Mandat gestimmt hatten, zuletzt im März 2021. Deren Fraktion hatte die Einbeziehung Syriens ohne Zustimmung der Regierung in Damaskus als fehlende völkerrechtliche Grundlage für einen Bundeswehreinsatz abgelehnt.

Allerdings hat diese formale Änderung voraussichtlich wenig praktische Bedeutung. Nach dem Ende der deutschen Luftaufklärung flogen ohnehin keine deutschen Kampfjets mehr über Syrien; ein Luftbetankung über dem Land fand nach Informationen von Augen geradeaus! seit geraumer Zeit nicht mehr statt – allein schon deshalb, weil der Luftraum angesichts der problematischen Situation mit Anwesenheit sowohl von Koalitionsflugzeugen als auch russischen Kampfjets nicht der ideale Ort für eine solche Luftbetankung ist. Unverändert können zudem deutsche A400M-Tankflugzeuge die Jets der Koalition auf dem Weg zu Angriffszielen in Syrien betanken, so lange sich das Tankflugzeug selbst vom syrischen Luftraum fernhält. Auch die Luftraumüberwachung durch AWACS-Flugzeuge der NATO, die von der Türkei aus den syrischen Luftraum überwachen und die Daten der Operation Inherent Resolve zur Verfügung stellen, bleibt unverändert Teil des Mandats.

Nach dem Schreiben der beiden Ministerinnen wird jedoch eine Neuerung, die die Koalitionsparteien bereits in ihrem Vertrag im Dezember vergangenen Jahres vereinbart hatten, Teil des künftigen Mandats:

Im Einklang mit der im Koalitionsvertrag niedergelegten Vereinbarung zur Evaluierung von Bundeswehreinsätzen wird die Bundesregierung den Einsatz im kommenden Mandatszeitraum umfassend und inklusiv überprüfen, unter Berücksichtigung des vernetzten Ansatzes, und den Deutschen Bundestag hierüber in geeigneter Weise unterrichten.

Der Mandatszeitraum wird allerdings vergleichsweise kurz: Das Mandat wird auf neun Monate bis Ende Oktober dieses Jahres befristet. Formal soll damit wieder der übliche Rhythmus der Mandatsentscheidungen erreicht werden: Das aktuelle Mandat war im Oktober 2020 mit einer Laufzeit von 15 Monaten beschlossen worden, um nicht direkt nach der Bundestagswahl 2021 und der folgenden Regierungsbildung ein neues Mandat ins Parlament einbringen zu müssen.

In ihrem Schreiben an die Fraktionen betonten Außen- und Verteidigungsministerin die unveränderte Bedeutung des Kampfes gegen den Islamischen Staat und die deutsche Beteiligung. Die anhaltenden Terroraktionen des IS seien weiterhin eine erhebliche Herausforderung für die Stabilisierung und den Wiederaufbau der vom IS befreiten Gebiete. Die Bedrohung durch die Terrororganisation behält ihren grenzüberschreitenden Charakter.

Baerbock und Lambrecht bemühten sich zugleich, die verfassungsmäßige Legitimation des Bundeswehreinsatzes herauszustellen. Die deutsche Beteiligung erfolge völkerrechtskonform auf Einladung der irakischen Regierung, im Rahmen der einschlägigen Resolutionen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen sowie auf Grundlage des Artikels 51 der Charta der Vereinten Nationen, und damit in Übereinstimmung mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben für Auslandseinsätze der Bundeswehr. Noch beim Besuch Lambrechts in Bagdad am vergangenen Wochenende habe der irakische Ministerpräsident um eine Fortsetzung der Unterstützung gebeten.

Die Personalobergrenze für diesen Einsatz soll unverändert bei 500 Soldatinnen und Soldaten bleiben. Derzeit sind rund 250 deutsche Soldatinnen und Soldaten im Anti-IS-Kampf und Ausbildung sowie im Stab der NATO-Mission eingesetzt. Rund 150 sind  Al-Azraq in Jordanien stationiert, weitere knapp 80 in Erbil. Jeweils rund zehn Soldaten sind zum Betrieb des Radars in Al-Asad und im NMI-Stab in Bagdad im Einsatz. Die deutschen Soldaten in den AWACS-Flugzeugen, die diese Mission unterstützen, sind darin nicht erfasst.

(Archivbild Oktober 2021: Bundeswehrsoldaten vor der Traglufthalle füŸr das LuftraumŸberwachungsradar RAT 31 auf der Al-Asad Air Base im Irak – Johannes Watzke/Bundeswehr)