Bundestag billigt Verlängerung des Anti-IS-Einsatzes der Bundeswehr (Nachtrag)
Der Bundestag hat einen weiteren Einsatz der Bundeswehr im Kampf gegen den IS in Syrien und Irak und zur Beteiligung an der Ausbildung irakischer Sicherheitskräfte gebilligt. In namentlicher Abstimmung sprachen sich 431 Abgeordnete für den Regierungsantrag unter der Überschrift Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte – Stabilisierung sichern, Wiedererstarken des IS verhindern, Versöhnung fördern in Irak und Syrien aus. 209 Parlamentarier stimmten dagegen und sechs enthielten sich. Die Mission, die nach dem Ende der Aufklärungsflüge deutscher Tornados über Syrien und dem Irak etwas verändert worden war, soll mit einer geringeren Personalobergrenze als bisher weitergeführt werden.
Für das Mandat stimmte die Unionsfraktion geschlossen, die Fraktionen von SPD und FDP sprachen sich mit überwiegender Mehrheit dafür aus. AfD, Linke und Grüne lehnten die Fortsetzung des Einsatzes geschlossen ab, wie der Bundestag auflistete:
Die deutsche Beteiligung im Kampf gegen den Islamischen Staat in Syrien und Irak besteht seit März vor allem aus der Luftbetankung für Kampfflugzeuge anderer Nationen in der internationalen Anti-IS-Koalition, der Operation Inherent Resolve (OIR). Dafür wird von der Basis Al-Azraq in Jordanien aus ein Airbus A400M eingesetzt. Außerdem betreibt die Luftwaffe im Zentralirak ein Luftraumüberwachungsradar.
Die Ausbildungsunterstützung für irakische Sicherheitskräfte, die sowohl in Erbil in der Kurdenregion im Nordirak als auch im Zentralirak stattfand, ist derzeit aufgrund der Coronavirus-Pandemie ausgesetzt; in Erbil sind derzeit weniger als 50 Soldaten zum Betrieb des Feldlagers im Einsatz. Im Irak halten sich derzeit rund 90 deutsche Soldaten auf. Insgesamt sollen künftig für alle Aufgaben zusammen bis zu 500 Soldatinnen und Soldaten eingesetzt werden können; bislang waren es 700 als Obergrenze.
Bereits im März, nach dem Auslaufen des Einsatzes der Tornado-Luftaufklärung, hatte der Bundestag (Drucksache 19/17790) in einem Ergänzungsmandat den Auftrag der Bundeswehr nicht mehr nur im Rahmen der internationalen Koalition, sondern auch unter der NATO-Trainingsmission im Irak (NMI) ermöglicht:
Um dabei dem Wunsch Iraks nach einer Fortsetzung der NATO-Mission sowie des deutschen militärischen Engagements zu respektieren und zugleich für den deutschen Beitrag zukünftig die notwendige Flexibilität in der Umsetzung zu gewährleisten sowie dem fortbestehenden irakischen Bedarf zu entsprechen, wird der Durchführungsrahmen für die deutsche Ausbildung und Beratung um die NATO-Mission in Irak ergänzt. Dabei beschränken sich die Ausbildungsaktivitäten der NATO-Mission in Irak derzeit auf zentralirakische Standorte.
Diese Ausweitung auf die NATO-Mission ist auch im jetzt gebilligten neuen Mandat (Bundestagsdrucksache 19/22207) enthalten:
Der deutsche Beitrag zum Fähigkeitsaufbau der regulären irakischen Streit- und Sicherheitskräfte sowie dazugehörige Unterstützungsleistungen können künftig sowohl im Rahmen der internationalen Anti-IS-Koalition als auch im Rahmen des NATO Engagements in Irak erbracht werden. Im Zuge der Anpassung und Reduzierung des Ausbildungsengagements von Operation Inherent Resolve der internationalen Anti-IS-Koalition kommt der NATO-Mission beim Fähigkeits-aufbau der irakischen Streit-und Sicherheitskräfte und insbesondere bei der Be-ratung irakischer Sicherheitsinstitutionen eine zunehmend größere Rolle zu, auch auf Wunsch der irakischen Regierung.
Anders als Operation Inherent Resolve ist die NATO-Mission in Irak weiterhin nicht am unmittelbaren Kampf gegen den IS beteiligt und bringt keine kinetischen Fähigkeiten dafür ein. Im Rahmen der internationalen Anti-IS-Koalition leistet Deutschland auch in Zukunft durch die Bereitstellung von Fähigkeiten zur Luftbetankung, zur bodengebundenen Luftraumüberwachung und Stabspersonal sowie die Beteiligung an AWACS-Luftraumüberwachungsflügen einen wichtigen Beitrag.
Das erklärte Ziel, die Bundeswehr verstärkt unter dem Kommando der NATO-Trainingsmission im Irak einzusetzen, besteht damit bereits seit März. Allerdings gab es von der Bundeswehr bislang keine Auskunft dazu, in welchem Umfang – über den Stab der NATO-Mission hinaus – bereits deutsche Soldaten in diesem Rahmen im Irak im Einsatz sind.
Nachtrag 30. Oktober – die Aussage des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr zur NATO-Mission:
Unsere Beteiligung bei NMI beläuft sich derzeit auf eine einstellige Zahl an Stabsoffizieren. Dies basiert auf dem Ergänzungsmandat vom März diesen Jahres.
Die weitere Ausgestaltung unseres Engagements wird von den noch laufenden Abstimmungsprozessen in der NATO abhängen, die sich noch bis zum Ende dieses Jahres hinziehen werden.
(Archivbild: Lieutenant Colonel Gerhard Glomb, German Armed Forces Officer in Charge, Combined Joint Task Force – Operation Inherent Resolve, breaks the barrier on German Unification day at Camp Arifjan, Kuwait on 3 Oct., 2020 – U.S. Army Photo by Staff Sgt. Michael Aranda)
Schon seltsam wie man ja angeblich nur in einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit aktiv werden kann aber im Irak jahrelang als „freerider“ unterwegs war und nun nach Jahren verstärkt bei der NATO-Mission einsteigt, weil es davor die SPD anders wollte.
Aber nicht nur rechtlich ist das Reden und Handeln der GroKo widersprüchlich. Auch auf strategischer und operativer Ebene verstrickt man sich immer mehr in Widersprüche.
So erklärte gestern der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion:
„Es sei wichtig, dass Deutschland seinem Gewicht entsprechende militärische Hochwertfähigkeiten in die internationale Anti-IS-Allianz einbringe, sagt der außenpolitische Sprecher. Er weist darauf hin, dass der IS in Teilen des Iraks immer noch präsent ist, dass er sein Terrorregime sogar ausweitet.“
https://www.cducsu.de/themen/aussen-europa-und-verteidigung/anti-mandat-der-bundeswehr-verlaengert
Mal davon abgesehen, inwiefern es sich bei alldem um deutsche Hochwertfähigkeiten handelt, wenn der Gegner seine Einflusszone ausweiten, dann müssten ja (auch) wir unsere Anstrengungen verstärken, um die Initiative zurückzugewinnen.
Aber natürlich nur, wenn amn wirklich was erreichen will.
Ansonsten sucht man sich jeweils die passende rechtliche Begründung für eine möglichst friedliche Beteiligung und schafft es nicht Zweck, Ziel und Mittel (=Strategie in eine stringente Linie zu bringen).
Aber man glaubt wohl vorallem an die eigenen Erklärungen, dass eine Radar Anlage, Luftbetankung und etwas Ausbildung der passende Beitrag sind.
Na dann siegt mal schön.
@ Memoria
Grundsätzlich Zustimmung!
Aber wie sollte den ein Engagement der BW anders aussehen als das was aktuell eingesetzt wird?
Hard Skills, wohl kaum. Das wäre vor Jahren sinnig und gegenüber den Bündnispartnern ein richtiges und wichtiges Zeichen gewesen.
Gut so, das war konsequenterweise allerdings auch zu erwarten.
@AuswaertigesAmt
„Unser Engagement wird im Irak sehr geschätzt. Das haben der Premierminister und sein Außen- sowie Verteidigungsminister bei ihren letzten Besuchen noch einmal deutlich gemacht. Wir werden auch weiter entschlossen im Kampf gegen den IS an ihrer Seite stehen“.
Aus Berlin gingen seit Beginn des Kampfes gegen Daesh immerhin 2,2 Mrd € in die Unterstützungsleistung, die im Wesentlichen das „capacity building“ umfasst.
Andererseits, der Irak darf unter keinen Umständen iranischen Begierden zur Umsetzung Shia Crescent überlassen werden. Unter Konzentration auf Verhinderung eines Wiederaufstiegs des ehemaligen „Kalifats“ gerät die äußere Bedrohung ins Hintertreffen.
Hier noch die Debatte im Wortlaut:
https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2020/kw44-de-bundeswehr-irak-798188
Die routinemäßige Debatte (abgesehen von den konsequenten Ansagen des amtierenden Präsidenten zu Hygienemaßnahmen) zeigt erneut die klaffende Lücke im strategischen Denken und Handeln unseres Landes auf. Bereits der oben zitierte Antrag der Bundesregierung zeigt wie die Denkrichtung ist:
„Anders als Operation Inherent Resolve ist die NATO-Mission in Irak weiterhin nicht am unmittelbaren Kampf gegen den IS beteiligt und bringt keine kinetischen Fähigkeiten dafür ein.“
Hauptsache wir haben möglichst wenig mit kinetischen Fähigkeiten zu tun.
Kürzlich betonte die Kanzlerin wie wichtig der Kampf gegen den IS ist – und dass dieser in deutschem Interesse liegt:
https://www.spiegel.de/politik/deutschland/bundeswehr-bleibt-bis-2022-in-irak-bundestag-beschliesst-neues-mandat-a-da874e8a-a3fd-4433-ad59-f729af31b656
An ihren Taten sollt ihr sie erkennen…
Ohne Wille und ohne Plan wird es nichts. Aber man will ja auch nur – möglichst wenig kintetisch – irgendwie dabei sein.
Auch interessant, dass hierüber gar nicht diskutiert wird.
[Ehe da ein Missverständnis entsteht: „Debatte im Wortlaut“ meint das Video dazu; das Wortprotokoll liegt noch nicht vor – ich hatte das erst falsch verstanden… T.W.]
@Fritz:
Es gibt weiterhin ein erhebliches kinetisches Element bei OIR:
https://tinyurl.com/y6bq6nq6
Das wird in Deutschland nur fortlaufend ignoriert, sie auch die obige Debatte.
Na da bin ich mal auf die Wahlergebnisse nächstes Jahr gespannt.
Bei dem Abstimmungsverhalten bieten sich in einer (vielleicht) Schwarz/Grünen Koalition ja reichlich Reibungspunkte.
Nein, das ist nicht der Versuch dieses Forum für eine politische Diskussion zu nutzen aber in dem Fall hängt das eine doch ziemlich mit dem anderen zusammen.
Nur zum reinen verstäntnis. Wer wird dort betankt und was hat es mit dem kampf gegen eine Terrormilitz zu tun die aus dem untergrund mit bombenanschlägen und selbstmotdattentätern agiert?
[Nur zum reinen Verständnis: Die Frage ist zwar prinzipiell berechtigt, aber nach einigen Jahren dieses Einsatzes ein bisschen, nun, spät dran? T.W.]
@Dante
Deutschland, ein sicherheitspolitischer Adabei?
Anspruch und Wirklichkeit? Wobei man schon fragen darf, ob der Anspruch ernsthaft verfolgt wird. Man träumt ja vom permanenten Sitz im UNSCR …
@Thomas Melber:
Da wird die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit sehr deutlich. Wenn man keine Berliner Scheuklappen trägt.
Wir stolpern von einem Einsatz (AFG) in den nächsten (SYR/IRK) und den übernächsten (Sahelzone) Einsatz – jeweils machen wir irgendwie reaktiv mit, aber bitte ohne „böse“ Beiträge.
Das AA träumt weiter vom ständigen Sitz in New York. Schön für viele Diplomaten, weniger schön für sehr viele Soldaten, die man dann in noch mehr ziel- und planlos Einsätze schicken wird.
Wenn der IS wirklich wieder erstarkt, dann frage ich mich was da der deutsche Vorschlag und Beitrag ist diesen Trend umzukehren.
Die obige Debatte gab dazu noch nichtmal einen Denkansatz. Sondern nur Schönrednerei und Kleinklein.
@KPK
„Andererseits, der Irak darf unter keinen Umständen iranischen Begierden zur Umsetzung Shia Crescent überlassen werden. Unter Konzentration auf Verhinderung eines Wiederaufstiegs des ehemaligen „Kalifats“ gerät die äußere Bedrohung ins Hintertreffen.“
Impliziert „counter- Daesh“ somit auch ein „counter-shia crecent““?
In wie weit ist der Iran eine auessere Bedrohung fuer den jetzigen Irak?
„Counter-Daesh“ (Daesh steht hier stellvertretend fuer jeglichen sunnitische, nicht staatliche Militanz/Extremismus) ist ja durch aus auch ein iranisches Interesse, wenn nicht sogar der aussenpolitische Imperatiev des Iran in der Region. Spielt „counter-shia cresent“ somit auch eine Rolle fuer die Bundeswehr und in wie weit wird das intern/extern kommuniziert?
Bin gespannt auf ihre Einschaetzung!
Hoffe der Kommentar ist nicht zu OT fuer meinen ersten Kommentar.
Gruss
@El Lissitzky:
Sie vermuten einen ganz großen Plan hinter alldem.
Es gibt aber nicht mal einen kleinen Plan für Counter Daesh.
Siehe die Diskussion u.a. hier.
Wir sind einfach dabei.
Nach Presseberichten wollte einer der Attentäter von Wien noch im September 2018 (!) von der Türkei nach Syrien zum IS reisen, dies erfolgte jedoch nicht, da die Einreise als zu gefährlich galt.
Siehe:
https://www.spiegel.de/politik/ausland/terror-in-wien-mutmasslicher-attentaeter-war-in-kontakt-mit-deutschen-dschihadisten-a-444e7d8b-a7d9-4078-a618-bbf3415e0d75
Dies zeigt recht gut wie wichtig es ist den Druck aufrechtzuerhalten, um einen weiteren Zustrom an Kämpfern zu verhindern. In diesem Fall zwar mit tragischen Folgen, aber allgemein zeigt der Verlauf die Bedeutung von engem Zusammenwirken von militärischen, nachrichtendienstlichen und polizeilichen Mitteln.
Dabei spielt dann auch umfassende militärische Luftaufklärung eine unverändert wichtige Rolle.