Schneller Blick auf den Koalitionsvertrag: 3 Prozent vernetzter Ansatz, Tornado-Nachfolge, bewaffnete Drohnen – und SPD übernimmt das Verteidigungsministerium
Bevor gleich (Mittwoch 15.00 Uhr) der Koalitionsvertrag der künftigen Ampel-Regierung aus SPD, Grünen und FDP vorgestellt wird, ein ganz schneller kurzer Blick auf den Bereich Sicherheitspolitik mit einigen, notwendigerweise unvollständigen Merkposten:
• In internationales Handeln im Sinne eines vernetzten und inklusiven Ansatzes soll Deutschland künftig langfristig drei Prozent seines Bruttoinlandsprodukts investieren. Damit ist offensichtlich sowohl die Sicherheitspolitik, die Streitkräfte, aber auch Diplomatie und Entwicklungszusammenarbeit genannt, das Zwei-Prozent-Ziel der NATO scheint darin eingeschlossen (und wird nicht gesondert genannt).
• Die NATO gilt weiterhin als unverzichtbare Grundlage unserer Sicherheit, die Fähigkeitsziele des Bündnisses sollen erfüllt werden. Und: Solange Kernwaffen im Strategischen Konzept der NATO eine Rolle spielen, hat Deutschland ein Interesse daran, an den strategischen Diskussionen und Planungszielen teilzuhaben – das klingt nach einem, wenn auch andersrum formulierten Bekenntnis zur Fortsetzung der Nuklearen Teilhabe.
• Deutschland soll Beobachter, nicht aber Mitglied des Atomwaffenverbotsvertrages werden – ob und wie weit das mit der NATO vereinbar ist, wird eine interessante Frage.
• Die Strukturen der Bundeswehr sollen effektiver und effizienter werden, damit die Einsatzbereitschaft erhäht wird: Dazu unterziehen wir Personal, Material und Finanzen einer kritischen Bestandsaufnahme.
• Ein Nachfolgesystem für das betagte Kampfflugzeug Tornado soll zu Beginn der 20. Legislaturperiode, also faktisch im kommenden Jahr, beschafft werden – und offensichtlich soll auch die Rolle als nuklearer Waffenträger bleiben: Den Beschaffungs- und Zertifizierungsprozess mit Blick auf die nukleare Teilhabe Deutschlands werden wir sachlich und gewissenhaft begleiten.
• Die Bewaffnung von Drohnen der Bundeswehr soll unter verbindlichen und transparenten Auflagen und unter Berücksichtigung von ethischen und sicherheitspolitischen Aspekten möglich werden. Wie schon in früheren Koalitionsverträgen von Union und SPD ist die Formulierung enthalten, dass die Regeln des Völkerrechts gelten und extralegale Tötungen – auch durch Drohnen – abgelehnt werden.
• Die Auslandseinsätze der Bundeswehr sollen künftig im Hinblick auf Ziele und Möglichkeiten kritischer überprüft werden: Als verlässlicher Partner in Systemen kollektiver Sicherheit werden wir an unserem außen- und sicherheitspolitischen Engagement festhalten. Gleichwohl muss jedem Einsatz der Bundeswehr eine kritisch-inhaltliche Auseinandersetzung und eine Überprüfung der Voraussetzungen vorausgehen sowie die Erarbeitung möglicher Exit-Strategien. … Eine regelmäßige Evaluierung von laufenden Auslandseinsätzen werden wir sicherstellen.
• Das Verteidigungsministerium wird künftig von der SPD geführt. (Eine/n Minister*in wollen die Sozialdemokraten erst später öffentlich nennen.)
Mehr dann nach der öffentlichen Vorstellung des Vertrags nach Entwicklung.
Nachtrag: Der Link zum Koalitionsvertrag, hier auf der SPD-Webseite:
https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Koalitionsvertrag/Koalitionsvertrag_2021-2025.pdf
Ich hätte mir gewünscht, dass die Bundeswehr wieder „back to the basics“ geht.
Verzicht auf das schwurbelige „joint“, „multi-irgendwas“, und herunterfahren aller Ambitionen die sich > 4.000 km rund um Berlin abspielen könnten.
Streichung der Mehrzahl aller Stäbe, Halbierung der diversen Ämter. Egal, ob sie zweckmäßig, nützlich oder irgendwelchen hochtrabenden Zielen dienen.
Konzentrierung aller Anstrengungen darauf, wieder drei Divisionsäquivalente aufzustellen und auszurüsten (90% des Benötigten kann man problemlos bei den Allierten erwerben, ohne BW-Wasserköpfe). Die dann aber auch funktionieren und einen realen Gefechtswert besitzen. Fähigkeitserhalt bei der Luftwaffe und Nachfolger Tornado mit Super Hornet.
Zu mehr würden die finanziellen Ressourcen nicht reichen – und ein solcher Beitrag der Bundeswehr zur LV/BV ist um Größenordnungen wichtiger als alles andere, was dieses Land für Europa tun kann.
Stichworte Aufbruch, Neues wagen.
Veränderung, Aufbruch und Kritik von Innen heraus schien bisher nahezu aussichtslos, die ‚Macht des Apparates‘ war überwältigend. Wer sich ihm widersetzte, mußte mit Schlimmen rechen. Die ‚Macht des Apparates‘ BMVg und der Spitze der Organisationen Bundeswehr manifestiert sich in der offenbar unerschütterlichen Anwendung ihrer eigenen Spielregeln. Wer genau hinschaut, findet Versuche der Politik dies zu ändern. Gelungen ist das nicht wirklich.
Eine solche ‚Macht des Apparates‘ zu brechen, dazu wird ganz sicher nichts im Koav stehen, doch es kann durchaus politische Absicht sein.
Hans-Peter Bartels SPD Verteidigungsexperte sagte kürzlich der Neuen Züricher Zeitung, es gäbe den Vorschlag ein oder zwei Staffeln F-35 (NT?) zu beschaffen. Der neue Fighter (FACS) als Messlatte der 5. Generation müsse dann ja viel besser sein. Es lohne nicht zwei oder dreimal Geld für genau das Gleiche auszugeben.
@Der Realist
Dass Europa fast überall von Bedeutung ist, keine Frage. Wenn im Kapitel Europa das EU- Parlament oder Frontex gepusht werden, prima.
Nur, im Kapitel “ Außen, Sicherheit, Verteidigung, Entwicklung, Menschenrechte“, damit auch Bundeswehr, und deren Einsatz jenseits von LV/BV herrscht leider Sendepause, obwohl es hier doch sicher auch um die ominösen 3% vernetzter Ansatz geht.
Fehlleistung.
Kann alles gemacht werden @Thomas Becker, allerdings unter Verzicht auf unsere NATO und sicherheitspolitischen EU Interessen wie sie z.B. hier dargestellt werden:
https://www.consilium.europa.eu/de/policies/defence-security/
Zur Deutlichkeit, beide Bündnisse leben von gegenseitigem geben und nehmen.
Warum denn andere „sollen“, wenn Deutsche nicht mehr wollen? Ein solcher Schritt wäre der erste auf dem Weg zum sicherheitspolitischen Nationalstaat, verbietet sich von selbst.
Mit Ihren >4000 km fiele Antipiraterie am Horn von Afrika und im Golf von Guinea z.B. weg.
Bitte mal lesen, was Deutsche Marine dazu ausführt, im „Jahresbericht des Marinekommandos zur maritimen Abhängigkeit der Bundesrepublik Deutschland“.
https://www-presseportal de.cdn.ampproject.org/c/s/www.presseportal.de/pm/amp/67428/5075798
Man fordert hier Abbau des Wasserkopfs. Es könne nicht sein, dass Truppe reduziert und die Infrastruktur reduziert werde, gleichzeitig aber die BMVg-Teppichetage und zahlreiche Kommandos verschont bleiben oder gar anwachsen.
Wer einen Sumpf trockenlegen will, darf nicht die Frösche fragen!
Die viel zu stabslastige Bundeswehr wurde durch wen geschaffen?
Wollen wir also diejenigen, dies dies förderten und fördern, beauftragen, diesen Mangel abzustellen?
Man schaue auf das Heer, was dort alles in der letzten Strukur geschaffen wurde und was jetzt zusätzlich zu dem noch entstehen soll. Bisherige Ämter bleiben erst einmal. KdoH sowieso. Die zukünftige geht in Richtung Führungsorganisation Heer mit „Land Warfare Center“ + „Systemhaus Land“. Gleichzeitig ein nationales „Land Component Command“ .
Ein riesiger Überbau für 3 Divionen + ABC-Abwehrkommando, Kommando Feldjäger und Multinational CIMIC Command.
Ich hätt‘ da eine Bitte: Wie oben erläutert, spielen für die Auswahl des/der Verteidigungsminister*in auch in der SPD viele Faktoren eine Rolle. Und es werden in den nächsten Tagen voraussichtlich etliche Namen ins Gespräch gebracht werden. Von diesen tagesaktuellen Spekulationen halte ich recht wenig… und bin entspannt genug, abzuwarten, wer’s wird. Ihr auch?
@Trucker. Zu Ihrer Anmerkung eine kleine Erinnerung an vergangene Zeiten: Damals waren jeweils drei Divisionen mit ergänzenden Kampf-, Führungs- und Einsatzunterstützungskommdos zu Korps zusammen gefasst. Ein Korpskommando war mit einem Generalleutnant als KG, einem Generalmajor als stv. KG und einem Brigadegeneral als Chef des Stabes ausgestattet. Die Unterstützungselemente wurden überwiegend von Obristen geführt. Vergleichbar schlanke Strukturen existierten auf den nachgeordneten Ebenen. In diesen Strukturen hatten wir allerdings als junge Subalternoffiziere bereits Verantwortungen (und Gestaltungsräume), von denen heute mancher Oberst nur träumen kann. Sicher lassen sich die Zeiten nicht direkt vergleichen, aber wir haben definitiv ein Verschlankungs-Potenzial zumindest durch den Abbau / die Vereinfachung bzw. die Automatisierung von Routineaufgaben, in der die meisten Offiziere gebunden sind. Man mag darüber streiten, ob diese Routineaufgaben tatsächlich die 90 %+ umfassen, die seinerzeit der General Kurt von Hammerstein-Equord postuliert hat, aber das Potenzial ist sicher größer als wir uns das eingestehen wollen. Dazu liegt auch seit fast 20 Jahren ein – leider vergessen gegangenes – Blueprint in Form der Publikation „Power to the Edge“ vor, die das Konzept vernetzter Prozesse und Strukturen vorgestellt hat. Und wir verfügen durchaus über eine neue Generation von Generalstabsoffizieren, die eine entsprechende Umgestaltung vorantreiben könnten, wenn man sie denn ließe.
Das Nachfolgesystem für das betagte Kampfflugzeug Tornado als nuklearer Waffenträger soll zu Beginn der 20. Legislaturperiode beschafft werden(?) Erivan fragt: Schieben die USA ihre Prozesse und Dokumente für eine Zulassen der B61 am „Eurofighter“ rüber? Nein, die NATO hat schon seine Berechtigung.
Seit Jahren ist Büschel eine politischer Hebel und Druckmittel der linken Träumer gegen die jeweiligen Bundesregierungen. Ein Entgegenkommen der USA wäre da kontraproduktiv.
[Abgesehen davon, dass es Büchel ist: Was meinen Sie jetzt konkret?! T.W.]