Trotz low ops: Reden wir über die Bundeswehr in Afghanistan (m. Video)
Low ops auf Augen geradeaus! ist ja (noch) nicht richtig Urlaub, deshalb mache ich etwas, was wichtig ist: Am (morgigen) Sonntag spreche ich im ARD-Presseclub über den Bundeswehreinsatz über Afghanistan, die Bundeswehr in diesem Einsatz – und die Folgen, die das für die deutschen Streitkräfte auch in anderen Missionen hat.
In der Sendung sind die Kolleg:innen Sandra Petersmann, Julia Weigelt und Hasnain Kazim dabei. Und zur Einstimmung auf das Gespräch habe ich mir noch ein paar wesentliche Papiere und Veröffentlichungen der vergangenen, man muss schon sagen Jahrzehnte angeschaut.
Wer auch nachlesen mag:
Das Bundestagsmandat, mit dem im Dezember 2001 die Beteiligung der Bundeswehr an der International Security Assistance Force (ISAF) auf den Weg gebracht wurde:
Antrag der Bundesregierung: Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001), 1383 (2001) und 1378 (2001) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen
Die damalige Abstimmung im Bundestagsprotokoll:
Plenarprotokoll Deutscher Bundestag 14/210 vom 22.12.2001
• Debatte Afghanistan-Einsatz ab S. 20831
• Namentliche Abstimmung S. 20850
https://dipbt.bundestag.de/doc/btp/14/14210.pdf
Mein Rückblick zum zehnjährigen Bestehen dieses Mandats:
Heute vor zehn Jahren: Der Bundestag beschließt das ISAF-Mandat
Eine Zwischenbilanz des Einsatzes im Jahr 2014 vom damaligen Sonderbeauftragten der Bundesregierung für Afghanistan und Pakistan, Michael Koch – als Anhang zum so genannten
Fortschrittsbericht Afghanistan 2014
(interessanterweise, damals wie heute, keine gemeinsame Bewertung der Bundesregierung)
Und (m)eine Übersicht über den Einsatz seit der Zusage der uneingeschränkten Solidarität im Jahr 2001 bis zum Jahr 2015, als ISAF durch die Nachfolgemission Resolute Support abgelöst wurde, bei der Bundeszentrale für politische Bildung.
Eine Gesamtbilanz dieses nun abgeschlossenen Einsatzes steht noch aus. Dazu wird auch eine Bewertung dessen gehören, was in Afghanistan erreicht wurde – dass die Bundeswehr, ein wenig davon unabhängig, darauf schauen wird, wie diese fast 20 Jahre die Streitkräfte verändert haben, wird sicherlich auch dazu gehören. Einen Aufschlag hat der inzwischen aus dem Amt geschiedene Parlamentarische Staatssekretär im Verteidigungsministerium Peter Tauber bereits im März gemacht, als der Abzug bereits absehbar war:
Ein Zeichen der Erinnerung setzen – Sollte die Bundeswehr eine Kaserne nach ihrem bisher wichtigsten Einsatz benennen?
Nachtrag: Eine sehr wichtige Stimme bei der Bewertung dieses Einsatzes ist der frühere Grünen-Bundestagsabgeordnete Winfried Nachtwei, einer der engagiertesten und kundigsten Kenner dieser Mission. Seine Bilanz in einem Interview der taz klingt gar nicht gut:
Ex-Grünen-MdB über Afghanistan-Abzug: „Man nennt das Niederlage“
Und abschließend: das Video der Debatte im ARD-Presseclub:
(Foto oben: Bundeswehrsoldaten in Kabul, Februar 2002; Foto unten: Marder-Schützenpanzer im Camp Marmal in Mazar-e Sharif, Mai 2010 – Photo by Petty Officer 2nd Class Daniel Stevenson
ISAF Regional Command North)
Bin mal gespannt, ob die Diskussion im Presseclub auch weitgehend vergessene essentielle Probleme des Einsatzes (insbes. Inkonsequenz der RoE, siehe Link zum Artikel von 2011, aufgreift).
Wir wollten halt irgendwie dabei sein, aber halt irgendwie möglichst wenig machen und damit auch falsch machen.
Daran hat sich auch in anderen Einsatzländern wenig geändert.
Ziel- und planlos stolpern wir nun eben in der Sahelzone, statt am Hindukusch, durch die Weltgeschichte und lernen nicht daraus.
Bitte fragen Sie nach der jeweiligen und vor allem immer notwendigen Evalution:
Aus dem FGG 1 kennen wir:
„zugangformative“ Evaluation:
prozessorientierte Begleitung einzelner Zwischenziele.
Identifikation von Strukturen und Rahmenbedingungen sowie von Stärken und Problemlagen aus der Sicht des Einsatzes
Formulierung von Handlungsempfehlungen zur Unterstützung jeweiliger Prozesse und Verfahren.
„Ultimative Evaluation“:
zusammenfassende und ergebnisorientierte Bilanzierung des Einsatzes mit SP der Operationalisierung von Zielen.
„Zielerreichung beschreibt den Grad der Auftragserfüllung auf dem/den Dienstposten nach Qualität und Quantität. Hierzu gehören die Verwendbarkeit der Ergebnisse, die Sorgfalt, Zuverlässigkeit und Zweckmäßigkeit, das Beachten von Zusammenhängen sowie der Zeitbedarf und die Terminbeachtung bei der Auftragserfüllung.“
Führung hat viel damit zu tun, seinem Team das Ziel zu erläutern. Das beginnt bereits damit, das Ziel soweit in Teilziele herunter zu brechen, dass es für den jeweiligen Kameraden relevant und nachvollziehbar wird. Vor allem sollte klar werden, wie der Einzelne konkret zum Erreichen des Gesamtziels beitragen kann. Denn: DAS motiviert! Eine mil FühKraft sollte auch Aufmerksamkeit darauf verwenden, das „WARUM“ eines Ziels zu erklären, viel zu kommunizieren und transparent in seinen Zielen und Entscheidungen zu bleiben. Ebenso wichtig ist es, mit eigenem Beispiel voranzugehen. Dabei ist das eigene Auftreten, das glaubwürdige Vorleben von Kompetenzen wie auch Werten enorm wichtig. Authentizität und Glaubwürdigkeit spielen eine große Rolle.
Wie stand es mit dem KONKRETEM „Warum“?
Wie stand es jeweils (tatsächlich) um den Grad der Auftragserfüllung?
Was haben wir (tatsächlich) erreicht?
Die Bilder sind gut gewählt. 2002 „Wolf“ offen. 2010 Marder a5 nicht mehr ganz so offen. (Und ohne die beliebte Sackfetzentarnung an der Front).
Ich für meinen Teil fand ja immer die Berichte von Winfried Nachtwei interessant und erhellend und bin auf sein Fazit gespannt. Die Betrachtungen fokussier(t)en zumeist auf der zivilen Seite und sind damit näher an der eigentlichen Problemstellung. Auch wenn der Abzug jetzt eine Niederlage ist, so hat man diese immerhin 20 Jahre lang verhindert (wahlweise: hinausgezögert).
Gutes Gelingen!
Vielleicht kann man mal den Titel und den Inhalt des Buches von Sönke Neitzel „Blutige Enthaltung“ diskutieren.
Wir (Deutschland) wollen politisch in der Königsklasse spielen, militärisch versuchen wir immer wieder, den Weg des geringes Widerstandes zu gehen. Die schmutzige Arbeit machen die Alliierten. Wir lassen Aufklärungsdrohnen fliegen und bohren Brunnen.
Dadurch sind wir auf dem besten Weg der Marginalisierung unserer Außen- und Sicherheitspolitik.
Und im Kern entwickeln sich die Streitkräfte nicht wirklich weiter und sind auf der Suche nach einer Daseinsberechtigung.
@dieanderemeinung. Bei mir an der Uni hieß das Fach „Personalführung“. Das Lehrbuch habe ich noch im Schrank. Gemeint ist das Gleiche, aber bewusst strukturiert und mit System.
Normalerweise vertrete ich immer den Standpunkt
„Mission accomplished – Amerikaner zufriedengestellt“.
Jetzt möchte ich hier aber Mal einen anderen Punkt in die Runde einwerfen.
Um eine Abschlussbilanz des Afghanistaneinsatzes ziehen zu können ist es noch viel zu früh.
Die Intervention des Westens hat die Jugend einer ganzen Generation von Afghanen geprägt.
Das ist doch überhaupt der Grund weshalb wir kleine Geschenke an die Kinder ausgeben: „Winning hearts and minds“.
Bis sich diese Generation, die womöglich pro-westlich und säkularisiert aufgewachsen ist, in Gesellschaft und Politik einbringt und einen Wandel bewirken kann, dauert es noch einige Jahre.
Auch wenn diese Entwicklung nur bedeutet, dass sie nicht so empfänglich für die Ideen der Taliban sind.
Den Versuch die bereits sozialisierten Erwachsenen zu erreichen sehe ich eher fruchtlos.
Die Generation meines Großvaters ist unter NS-Herrschaft aufgewachsen. Mein Großvater hat zeitlebens die Amerikaner zum Feindbild gehabt und an dem ihm indoktrinierten Weltbild festgehalten.
Die Generation meines Vater (Baby-Boomer) ist während dem Wirtschaftswunder und amerikanischem Einfluss aufgewachsen. Eine komplette ideologische Kehrtwende.
Meine Generation hat kaum noch etwas von der innerdeutschen Trennung miterlebt. Ich bin in der EU aufgewachsen und verstehe mich selber als Europäer. Die größte Bedrohung mit der ich aufgewachsen bin ist der internationale Terror.
Und die jüngste Generation wiederum wächst durch das Internet global vernetzt auf und sieht in dem Klimawandel ihren transnationalen Feind der alle gleichermaßen bedroht.
Mit der militärischen Perspektive neigt man schnell dazu den Einfluss von Soft-Power zu übersehen.
Zwar bin ich ausnahmslos dafür, dass gefährdete Helfer der Bundeswehr aus Afghanistan bei uns aufgenommen werden, allerdings geht damit auch eine Menge des westlichen Einfluss verloren.
1. Ich sehe hier eine große Einigkeit unter den Kommentatoren, was die Bewertung des AFG Einsatzes für Politik und Truppe angeht, mit der Note 1 für die Truppe und der Note 6 für die Politik. Denn dafür, dass Deutschland am Hindukusch verteidigt wurde, wurde die Truppe unzureichend bewaffnet und ausgerüstet.
2. Die Politik steht nicht hinter der Truppe. Dies zeigt der Fall Oberst Klein, der 12 Jahre nach der Bombardierung des Tanklasters über den Brigadegeneral nicht hinaus gekommen ist. Offensichtlich fürchtet die Politik neue Kritik, bei einer weiteren Beförderung von Klein, nachdem dessen Beförderung zum Brigadegeneral in den Medien kritisiert wurde. Das Fatale Signal an die Truppe damit ist, entscheide im Zweifel lieber nicht, denn sonst gibt es ein Ermittlungsverfahren und die Karriere ist im Eimer, auch wenn das Verfahren eingestellt wird!
3. Auch dass die letzten Soldaten nicht feierlich empfangen wurden, die Ministerin und die Abgeordneten gefehlt haben belegt, dass unser einstiger Bundespräsident mit seiner Einschätzung des Desinteresse gegenüber der Streitkräfte Recht hatte. Warum keine Siegesparade, Al Kaida wurde doch besiegt?
4. Leider muss ich mich wieder Fremdschämen über unsere Regierung. Erst verschleppt das Innenministerium die Evakuierung der Bundeswehrhelfer aus AFG, jetzt ist die Bundeswehr abgezogen und hat vergessen die Bundeswehrhelfer zu Evakuieren. Es hätte doch nicht so schwer sein können, ein paar A 400 m mit den Dolmetscher n zu beladen und nach Deutschland zu fliegen. Jetzt sollen die Helfer ihre Flüge selbst bezahlen, wovon??, Aber vor allem können diese keine Flüge erreichen, weil es entweder keine Stellen zur Visumsbeantragung gibt oder die Wege dahin mittlerweile in der Hand der Taliban sind.
Unabhängig davon, ob der Einsatz richtig gewesen ist oder ob bestimmte politische Ziele erreicht wurden oder nicht … er hat auf jeden Fall dazu geführt, daß die Bundeswehr (salopp gesagt) in der Realität angekommen ist. Kein Einsatz war bisher herausfordernder und ernüchternder (militärisch gesehen).
Eine sehenswerte Dokumentation zu Afghanistan: https://www.zdf.de/dokumentation/zdfinfo-doku/ghosts-of-afghanistan-die-macht-der-taliban-100.html
Sie zeigt was oft in der Berichterstattung zu kurz kommt: Afghanistan ist seit Jahrzehnten vorallem zwischen Stadt und Land gesellschaftlich gespalten.
Der Westen hat viel zu lange die städtischen Eliten mit der „Bevölkerung“ gleichgesetzt und hat verkannt, dass die Mehrheit auf dem Land lebt.
Unter sehr einfachen Lebensbedingungen mit traditionellen Wertevorstellungen, einer unfähigen und korrupten Regierung und Justiz. Dazu dann die westlichen Streitkräfte, die nur manchmal als Helfer der ungeliebten Regierungsvertreter in einer Erscheinung traten.
Failure by design.
Ich darf daran erinnern, dass die ersten Bundeswehrsoldaten in AFG im Dezember 2001 nicht unter dem ISAF Mandat gelandet sind….
[Ist wahrscheinlich zu viel verlangt zu erwarten, dass auch jemand den Links oben folgt… deshalb der Service, aus dem verlinkten Stück von mir für die Bundeszentrale für politische Bildung:
Schon im November hatte der Bundestag einige Soldaten auf den Weg geschickt: Im Rahmen der „uneingeschränkten Solidarität“, die Kanzler Schröder den USA nach den Anschlägen in New York und Washington am 11. September zugesichert hatte, war ein kleines Kontingent deutscher Spezialkräfte zusammen mit US-Truppen zur Terrorbekämpfung in Afghanistan eingesetzt. Enduring Freedom (OEF), Dauerhafte Freiheit, hieß die Operation unter US-Kommando. Der Einsatz war innerhalb der rot-grünen Regierung so umstritten, dass sich Bundeskanzler Schröder gezwungen sah, für die Zustimmung die Vertrauensfrage im Bundestag zu stellen.
T.W.]
@T.W: Das Bundestagsmandat 2001 ist ein Deadlink.
[Danke, ist gefixt. T.W.]
Wird vielleicht auch einmal thematisiert, warum bei Rückkehr der Truppenfahne aus dem Einsatz ( bei dem ja bekanntlich auch einige Kameraden ihr Leben verloren haben), nicht ein einziger Würdenträger aus dem politischen Leben es für Nötig erachtet hat persönlich vor Ort zu sein?! Wenn selbst die Ministerin es nicht schafft finde ich das schon sehr traurig und es gibt mir als aktivem Soldat nicht unbedingt das Gefühl dass mein/ unser Wirken (und ich habe hunderte Tage in diesem Einsatz verbracht) eine Würdigung erhält. Selbst warme Worte aus dem Ausland in die Heimat finde ich deplatziert!
Der Presseklub hat ja einen Call-In Teil.
Vielleicht meldet sich der ein oder andere aus dem AG-Fanclub.
Ich schaue es mir an.
@all
Da hier in den Kommentaren die Frage aufkam: Der früheren Grünen-Bundestagsabgeordnete Winfried Nachtwei hat sich zu dem Ende des Afghanistan-Einsatzes geäußert; sein Interview in der taz habe ich oben im Nachtrag verlinkt.
Nachtwei erwähnt in seinem Interview eine Einsatzevaluation der Norweger. Hat die schon mal jemand gelesen und kann etwas dazu sagen?
Die dürfte doch inhaltlich mindestens interessant, wenn nicht sogar teilweise auf uns übertragbar sein…?
@Closius:
„Ich sehe hier eine große Einigkeit unter den Kommentatoren, was die Bewertung des AFG Einsatzes für Politik und Truppe angeht, mit der Note 1 für die Truppe und der Note 6 für die Politik.“
Da stellt für mich die Frage wer alles „die Truppe“ umfasst. Die militärische Führung, insbesondere auf den höheren Ebenen, hat beispielweise bei der ROE-Diskussion und der damit verbundenen Beratung der Politik, sowie Einsatzvorbereitung, Einsatzführung und Einsatznachbereitung sicherlich keine Note 1 verdient.
Bei den Streitkräften alles super bei der Politik alles schlecht ist daher für mich zu schwarz-weiß.
@daFendi:
Zur Wahrheit gehört dabei aber auch, dass das BMVg den genauen Termin der Ankunft niemandem mitteilte, auch nicht dem Verteidigungsausschuss (zunächst angeblich aus Sicherheitsgründen und Corona-Lage).
Somit erfuhren Abgeordnete davon aus der Presse (welt.de, „Eine Regierung, die ihre Streitkräfte schätzt, hätte diesen Tag anders begangen“). Es soll auch Abgeordnete gegeben haben, die vorab Interesse bekundeten und vom BMVg eine Teilnahme aus Sicherheitsgründen abgelehnt wurde (Ankunftszeit und Abreisezeit hätten ja in eine Reihe gebracht werden können). Dann war es auf einmal, laut BMVg, der Wunsch der Truppe keine weiteren Beteiligten vor Ort zu haben, um schnell nach Hause zu kommen. Seltsame Argumentation.
Abseits der Begrüßung ohne die Leitung des BMVg, des militärischen Führungsrates und des Bundestages (und die gleichzeitige Reise der Ministerin in die USA) empfand ich das militärische Zeremoniell vor Ort schlicht unwürdig (insbesondere der Umgang mit der Truppenfahne). Es blieb sogar hinter einfachsten Grundregeln solcher Zeremonien zurück.
Ein bezeichnender Abschluss von allen Seiten.
Der nun geplante und bisher auch noch nicht kommunizierte Appell mit dem Bundespräsidenten führte sogar beim ehemaligen Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Tauber für Verwunderung:
https://mobile.twitter.com/petertauber/status/1411038675702587395
Ein Appell im Bendlerblock und nicht vor dem Reichstag ist der nächste Fehler.
Also sollte sich aus meiner Sicht die Kritik vorallem an die Leitung des BMVg richten, dir schnelle Empörung über die Politiker (insbesondere Abgeordnete), die das angeblich nicht interessiert ist zwar plakativ und emotionalisierend (von gewissen politischen Kreisen bewusst geschürt), aber deswegen nicht unbedingt zutreffend.
Fussgaenger:
Der Bericht der Kommission liegt seit 2016 vor: https://www.afghanistan-analysts.org/en/reports/international-engagement/to-say-it-like-it-is-norways-evaluation-of-its-part-in-the-international-intervention/
Deutschland kann ja auch ISAF erst jetzt auswerten. Die meisten Punkte kann man auf Deutschland übertragen.
Insbesondere auch, dass zwar ein COIN-Konzept in der NATO mitbeschlossen wurde, aber national nie konsequent umgesetzt wurde.
@Memoria
Glauben sie mir wenn ich ihnen sage das es die Truppe tatsächlich lieber hatte eben nicht von irgendwelchen Politikern empfangen zu werden oder gar noch ein Antreten daraus zu machen. Sowas interessiert nur Leute die sich gerne selbst reden hören.
Ich habe mich zur Rückkehr bereits geäußert.
Ich fand es unwürdig.
Ich teile zu 100% auch die Auffassung von @ Memoria.
@ FORODIR 03.07.2021 um 23:57 Uhr
Auch rückkehrende Truppe hat bis zum Schluss einen Auftrag. Dazu kann auch eine würdige Zeremonie gehören. Der Auftrag hat etwas mit dem Bild unserer Bundeswehr zu tun. Übrigens Politiker können auch gute, kurze Reden halten. Na ja, vor einiger Zeit – besser geworden ist es nicht. Doch man hätte bei diesem Appell neu ansetzen können. Würdevoll hat nichts mit Geschwafel zu tun. Nicht alle Politiker sind „irgendwelche“ und „hören sich selbst gerne..“
Das es anders geht, haben uns die PL Nachbarn gezeigt (findet man im Internet auf ENG und in PL).
Da kann man auch erkennen, dass rückkehrende Truppe Disziplin, auch und gerade äußere, zeigen kann.
Ich empfehle, sich den Appell unserer deutschen Soldaten in voller Länge anzuschauen. Allein der Umgang mit der Truppenfahne gibt nun gar kein gutes Bild ab. Es gibt noch mehr, das überlasse ich dann dem geneigtem Betrachter.
@FORODIR:
Es gibt da offensichtlich verschiedene Ansichten was „die Truppe“ sich gewünscht hätte. Wahrscheinlich manche das eine und andere das Gegenteil.
Aber vielleicht kurz zurück zu größeren Problemen.
Die Lage in Feyzabad verschlechtert sich offenbar erheblich. Die Taliban haben die Distrikte rundum die Provinzhauptstadt eingenommen und Vertreter der Regierung fliehen angeblich aus der Stadt:
https://mobile.twitter.com/Real_opinion/status/1411477771428171779
Dies wäre dann ein besonderes Signal, da aktuell keine Provinzhauptstadt unter Kontrolle der Taliban ist. Zudem war Badakshan eine der Provinzen, die in den 90er Jahren besonders lange Widerstand leistete. Aktuell fliehen wohl hunderte Soldaten nach Tadschikistan.
Im ehemals „ruhigen“ Norden haben die Taliban sehr viele schnelle Erfolge (Faryab, Balkh, Taloqan, Baghlan, Badakshan).
Gleichzeitig verkünden Politik und Generalität, dass die Bw ihren Auftrag erfüllt haben. War nicht der Hauptauftrag seit 2014 funktionierende Sicherheitsstrukturen zu schaffen?
Warum verschlechtert sich die Lage im Norden noch schneller als beispielsweise im Süden?
Soldaten verdienen eine hohe Wertschätzung in der Öffentlichkeit. Diese erreichen wir am besten dadurch, dass wir sie nicht ständig einfordern, sondern überzeugend darstellen, z.B. mit einem würdigen Rückkehrerapell, kurz und doch ansprechend, das geht. Eine würdige Ansprache von Höchster Stelle der Politik hätte wohl kaum das ersehnet Zusammentreffen mit den Familien verzögert
Soldaten sind die einzige Berufsgruppe, die in ihrem Eid dazu verpflichtet wird, tapfer zu sein. Sie sind nicht die Einzigen, die sich in Gefahr begeben. Auch ein ziviler Kampfmittelbeseitiger begibt sich in Gefahr. Auch ein Polizist, der in eine Schule geht, in der ein Amokläufer um sich schießt. Aber sich für die Ausübung des Dienstes sozusagen dauerhaft in gewaltsame Situationen, Strukturen und Systeme zu begeben, verbunden mit der Pflicht, gegebenenfalls töten oder sterben zu müssen, das ist einzig dem Soldatenberuf eigen.
Unser Soldaten waren tapfer und waren in Gefahr. Danke dafür
Zum Auftrag gehört eben auch ein würdiger Abschluss.
DER MOMENT DES AUGENBLICKS, die günstige Gelegenheit in Würde und Dankbarkeit, gekonnt gemacht – ist das was zählt. Alles andere kann trotzdem folgen, Zeremonie im BMVg uvm.
Positiv muss man bei allem beklagten Mangel in den Einsätzen einmal feststellen: Die Soldatinnen und Soldaten werden sogar seelsorgerlich und psychologisch betreut. Was die deutsche Gesellschaft aus dem Afghanistan-Einsatz gelernt hat? Nikolas Busse hat in der Faz geschrieben: „Immerhin aber hat das Land im Laufe dieses Einsatzes gelernt, seinen Gefallenen die Ehre zu erweisen“
@Closius
„Ich sehe hier eine große Einigkeit unter den Kommentatoren, was die Bewertung des AFG Einsatzes für Politik und Truppe angeht, mit der Note 1 für die Truppe und der Note 6 für die Politik.“
Vielleicht widerspreche ich ja gerade deshalb, um mit der „Tradition“ deutscher Streitkräfte Niederlagen der Politik zuzuschreiben zu brechen. Dass der Einsatz überwiegend an der Zielsetzung und politischen Konstellationen scheiterte mag offensichtlich sein, aber trotzdem sollte man sich nicht selber auf die Schulter klopfen und mit „sehr gut“ bewerten und jedes Defizit auf die Politik schieben. Fragen Sie doch einfach mal Verbündete, was sie von der deutschen Performance halten und fragen Sie sich selber, ob jedes Problem im Einsatz der Politik oder nicht doch der Truppe oder ganz besonderen Individuen geschuldet war. Und seien Sie sicher: Es gab nicht nur Licht, sondern auch sehr viel Schatten. Selbstbeweihräucherung und Selbstmitleid sind der Feind jedes Lernprozesses.
@ Forodir
Wenn Sie „die Truppe“ fragen, ob jemand „Lust“ auf einen Quartals- oder Übergabeappell hat, dann wird das vermutlich die Mehrheit auch mit „nein“ beantworten. Also lassen wir das künftig auch sein?
Wenn man schon meint, die Truppenfahne entrollt bei der Ankunft zeigen zu müssen, dann auch richtig – oder gar nicht. So ist es ein wenig rühmliches Bild.
Thema „End of mission“: Wie begeht man das wuerdig? Ist wohl nicht so unsere Staerke, weder auf politischer noch auf Truppen-Ebene, mir scheint, das hat keiner so richtig aufm Schirm gehabt mit „visuell & emotional, abholen“, alle, insb. mil Fhrg in DEU und Truppe in AFG, waren damit beschaeftigt, ihre Unterwaesche sauber zu halten, falls Insurgenz auf abziehende NATO-Kontingente noch Munition und Sprengmittel haette vergeuden wollen. „Ach ja, die Truppenfahne..“. Kann ich gut nachvollziehen. Aber sich dann noch auf Twitter wieder pseudo-populistisch hinter den vermeintlichen Beduernissen der Soldaten verstecken..ist mir immer ein wenig unangenehm, dieser vermeintlich fuersorgliche, aber eigentlich herablassende Ton. Haette nicht sein muessen, Hinweis auf den Abschlussappell nach der Sommerpause des politischen Berlin haette mMn gelangt.
Machen wir uns nichts vor, eigentlich sind alle froh, dass das Kapitel abgeschlossen ist, und eigentlich hat niemand nun auf einmal Lust, einen stringenten „Review“-Prozess „DEU in AFG“ durchzuziehen. Deswegen, quasi als Ablenkung/Ablasshandel, reflexartig Dank und Anerkennung an die Bw und die fuer mich hohl klingenden Beileids-, Mitleids- und Trauer-Bekundungen an die „Gefallenen“. Diese gefuehligen Pflichtuebungen mag ich nicht so gern, ich koennte auch hier bei TW darauf verzichten, dass jede(r) Zwote meint, dazu schriftlich das Haupt neigen zu muessen. Das ist der Pfad, den wir gewaehlt haben. Ich sehe im Uebrigen es null als Vorteil an, dass jede(r) Tote in DEU Uniform gleich als Hypothek auf unseren politischen Willen, eine Mission durchzuziehen, hochgejazzt wird, sowas wird von unseren Gegnern sehr wohl registriert, dass wir da extrem „post-heroisch“ sind.
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Zu Herrn MdB aD Nachtwei kann ich nur sagen: Wie bitte?!? „Scham“? „Man wollte vor allem aus Bündnisloyalität nach Afghanistan gehen […].“..Genau, Herr Nachtwei, Sie waren ja dabei, in Echt sogar an entscheidender Stelle als Abgeordneter einer der damals an der Regierung beteiligten Parteien. „Wenn man feststellt, dass man die Ziele verfehlt hat – gemeinhin nennt man das eine Niederlage […].“ Genau diese „Ziele“ sind ja schon 2001 ueber das reine „AFG=Kein sicherer Hafen fuer Bin Laden & Co=Kein 9/11 2.0“ hinaus erweitert worden, nicht zuletzt deswegen, weil es Leuten wie Herrn Nachtwei, die es sowohl bei Gruenen und Sozialdemokraten gab, leichter gemacht werden sollte, ihre Zustimmung zu geben, beim „global war on terror“ mitzumachen oder zumindest nicht im Wege zu stehen: Kuenstliche Unterscheidung von „evil“ Anti-Terror-Mission und „VN-mandatierter Schutz- und Wiederaufbau-Truppe, gesellschaftliche Transformation in die richtige Richtung ermoeglichen, etc.. Herr Nachtwei weiss das doch alles, er laesst ja sogar durchblicken, dass der Fall Kosovo schon klar gemacht hatte, dass in AFG die Ziel-Mittel-Relation von Anfang an eher mau und vom Prinzip Hoffnung getrieben war. Durch ihn, fuer ihn! Ich haette mich ueber ein bisschen Selbstkritik gefreut. Und einen etwas klareren Blick auf Land & Leute unter der GIRoA-Flagge. Machen wir uns nichts vor: Es gab nicht nur bei uns Menschen & Organisationen, die von dem Dauer-Zustand „unfinished business“ profitiert haben, auch viele Akteure in AFG waren Profiteure einer „war economy“…
Ahhh, es geht also doch eben nicht um die Wünsche der Truppe, sondern das was manche Meinen, was für die Truppe wichtig und richtig ist, verstanden.
Herrlich, wir könnten da mal eine Befragung machen, wer in der Truppe so etwas möchte und wer nicht und ich kann mir das Ergebnis sehr gut vorstellen und sogar mir vorstellen an welcher Linie die unterschiedlichen Meinungen kommen werden (sowohl Alter als auch Dienstgrad).
Wie wäre es, wenn man dann aber es sein lässt darüber zu sprechen was angeblich die Soldaten wollen und klar zu sagen das wollen wir aus diesen Gründen und ihr habt das gefälligst zu machen
Die Diskussion im Presseclub offenbarte für mich wieder weit verbreitete Mißverständnisse in der deutschen Diskussion um den Einsatz von Streitkräften.
Nur „Zeit zu kaufen“, während es einen aktiven Gegner gibt, führt eben zwangsläufig zum Scheitern.
Das gern beschworene sichere Umfeld schafft man dann eben auch nicht mit den Mitteln der Balkaneinsätze.
Auch eine politische Einigung mit der Gegenseite kann man nur Erreichen, wenn die politische Dynamik unter Rückgriff auf Gewaltandrohung und -anwendung verstanden wird.
Diese Themen scheinen wir aber gerne weiter den Amerikanern zu überlassen, um diese dann zu kritisieren.
Etwas weniger abstrakt müsste eine Kernfrage der viel beschworenen Evaluation sein:
Haben wir zu viele, zu wenige und/oder die Falschen umgebracht?
In Badakshan scheinen sich die ANDSF auf Feizabad zurückzuziehen bzw. wirklich nach Tadschikistan zu fliehen – nun auch von Tadschikistan bestätigt:
https://apnews.com/article/joe-biden-taliban-afghanistan-a554e1731c767b5ffaf09fb98c81bc7e
Die Regierung hat den Kommandeur des Pamir-Korps nach Faizabad entsandt er versprach die Taliban zu besiegen und bis zum letzten Blutstropfen zu kämpfen.
Bald gibt es wohl auch einen afghanischen „Comical Ali“.
@Memoria: Da ich nur ein paar wenige Fotos der Ankunft gesehen habe, möchte ich Sie bitten, mir mal Licht ans Fahrrad zu machen.
Ihr Unmut über den Umgang mit der Truppenfahne und die Missachtung der Grundregeln militärische Formen und Feiern lässt sich doch sicher mit Beispielen und Regelungsbezügen untermauern….
@Tom74:
Hier die Schlüsselszene:
https://mobile.twitter.com/Bw_Einsatz/status/1410602225194311695
Kann man so machen, aber eigentlich funktioniert das anders.
@Forodir:
Nochmal ihre Wahrnehmung des Meinungsbildes „der Truppe“ scheint nicht die gesamte Truppe abzubilden. Ich kenne mehrere aktive Kameraden mit vielen Einsatztagen, die den Empfang als unwürdig empfanden. Dann machen sie doch mal eine Befragung.
Insgesamt machen Soldaten eigentlich primär das was ihnen gesagt wird und nicht das was sie gerne machen würden.
Diese „Das ist der Wunsch der Truppe“-Argumentation wird vom BMVg ja nicht zur Fürsorge der Truppe verbreitet, sondern um die Abwesenheit der Ministerin zu kaschieren.
@Memoria
Ja, beim WachBtl gibt’s dafür wohl keine 1 oder 2. Aber ich gehe mal davon aus, dass es Null Vorüben gegeben hat.
@Forodir
Streitkräfte gehören zu den wichtigsten Instrumenten unseres Staates. Sie tragen dazu bei, den zentralen Verfassungsauftrag zu erfüllen, unsere Bürger zu schützen, auch vor äußerer Gefahr, auch vor Krieg.
Das bedeutet Dankbarkeit des Vaterlandes, Verantwortung und Fürsorge des Parlamentes und der Politik, für Soldaten und Familien. uvm
Dazu gehört z.B. auch, dass die Politiker aller Couleur sich endlich dazu bekennen müssen, dass eine von der Mehrheit im Bundestag gewollte Bundeswehr nicht nur zu existieren, sondern einsatzbereit zu sein hat. (OT)
Es geht natürlich darum, was Truppe benötigt um den Auftrag zu erfüllen.
Innere Führung gibt Orientierung im Spannungsfeld zwischen Rechten und Pflichten.
Doch klar ist auch.
Auftrag bedeutet auch Pflicht.
Im Kampf bis hin zum äußeren Erscheinungsbild der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr.
Eine Überbetonung „Was will Truppe“ liegt nicht im Ziel.
In unserem Staat, seiner Bundeswehr haben die persönliche Freiheit des Einzelnen, Presse- und Redefreiheit ebenso wie andere demokratischen Rechte eine hohe Bedeutung. Siehe, dazu Innere Führung. Das ist aber nicht gleichzusetzen mit „Truppe will…“
Vorgesetzte in der Bundeswehr sind demnach aufgefordert, ihre Untergebenen mit Erklärungen sowohl hinsichtlich des Sinnes, des Zweckes und der Legitimation auch einer solchen Maßnahme – Rückkehrerappell zu verdeutlichen.
Bedenkt man das Gewicht und die Bedeutung von Bundeswehr m Rahmen unsere Gesellschaft, so ist ein Rückkehrerappell gesamtgesellschaftlich von nicht zu unterschätzender Relevanz.
Übrigens – Ab und zu gilt auch: „Auftrag ist Auftrag“, „jetzt nicht dsikutieren sondern machen.“ Na, ja für manche nicht, da arbeiten wir daran :-) das war sarcalarm…:-)
@ Memoria trifft es: „Diese „Das ist der Wunsch der Truppe“-Argumentation wird vom BMVg ja nicht zur Fürsorge der Truppe verbreitet, sondern um die Abwesenheit der Ministerin zu kaschieren.“
Ich verweise auch auf meine bisherigen Beträge – Sichwort UNWÜRDIG.
Die Bundeswehr zog in die ISAF Mission mit Ausrüstung, die nicht wirklich für das Einsatzgebiet geeignet war. Somalia, wo ähnliche Verhältnisse geherrscht haben, war ja lange her und die Menge an Soldaten, die davor an UN Missionen vergleichbaren Klimaten beteiligt waren war ja auch überschaubar.
Was also kann man über das Material berichten? Wie entwickelte sich der Aufwand für Instandsetzung, Wartung und Ersatzteilbeschaffung? In unserer Presse fand man über diese Seite des Einsatzes praktisch nichts. Der Marder hätte ja eigentlich schon vor dem Einsatz abgelöst werden und die Fuchs Transportpanzer waren ja nie dazu vorgesehen gewesen, als Schützenpanzer zu agieren. Bis wann mussten eigentlich die Wiesel aushelfen? Vielleicht könnte dazu mal jemand aus dem Nähkästchen plaudern.
Tom74 04.07.2021 ; 14:10 Uhr
Was spricht gegen Vorüben. Die Lage vorOrt?
Die Tradition der Bundeswehr zeigt sich auch in ihren Symbolen. Besonders eine Truppenfahne aus dem Einsatz. Das hat man doch zu berücksichtigen. Und ich vermute, wir wissen beide, wenn amn WILL, kann man das zeigen.
Wenn einem -oder DEM Kommandeur – es wichtig wäre, ginge es. Ehrlich, Vorüben findet doch nicht unter Feindbeschsuss statt oder das Aufgabenpaket gibt das nicht her!
Auch im Einsatz gehört Pflicht, Disziplin zum Aufgabenpaket.
Das ist unser Selbstverständnis!
Einsatz gehört zum Auftrag und erfordert in den meisten Fällen keinen Sonderstatus.
Wenn in Deutschland von „dem“ Afghanistaneinsatz geredet wird, dann ist ISAF gemeint.
Die „ursprüngliche“ Mission, die Deutschland nach Afghanistan geführt hat, war aber OEF.
Im Rahmen OEF ist es gelungen Al-Qaida zu schwächen und die zuvor in Afghanistan befindlichen Ausbildungslager für den internationalen Terrorismus zu schließen. Wenngleich Deutschland, trotz Beteiligung, keinen nennenswerten Beitrag zum Erfolg der OEF geleistet hat, so war dieser Einsatz dennoch unter dem Strich erfolgreich. Insofern können jene Staaten, die bei den Zielen der OEF-Mission den Schwerpunkt ihre Afghanistan-Engagements gesehen haben, zu einer anderen Bewertung kommen als jene Staaten, bei denen die mit ISAF verbundenen Ziele den (alleinigen) Bewertungsmaßstab für „den“ Afghanistaneinsatz darstellen.
Für das Scheitern der ISAF-Mission gibt es viele Gründe, ein zu „softes“ Vorgehen Deutschlands im eigenen Verantwortungsbereich gehört jedoch nicht dazu. In anderen Regionalkommandos wurde „hartes“ Vorgehen praktiziert und hat sich nicht als „Schlüssel zum Erfolg“ erwiesen.
Der m.E. wichtigste Einsatz in Afghanistan, der jetzt in Deutschland aufzubereiten ist, ist die deutsche Polizeimission. Deutschland hat in der Afghanistan-Konferenz im Jahr 2002 die Führungsrolle für den Aufbau der Polizei übernommen. Für den Aufbau der Armee lag die Führungsrolle bei den USA. Wenn man also aus deutscher Sicht auf „den“ Afghanistaneinsatz blickt, dann muss die Polizei im Zentrum der Betrachtung stehen. Hier stellt sich die Frage, ob der deutsche Beitrag quantitativ und qualitativ angemessen, inhaltlich zielführend und erfolgreich war. Wie hat sich dieser Einsatz über die Zeit hinweg entwickelt und inwieweit hat Deutschland auf die Erfahrungsberichte der Polizeimission jeweils reagiert? Die Nachbetrachtung der durch Deutschland für das gesamte Land Afghanistan (und nicht nur für den Norden) international federführend verantworteten Polizeimission ist m.E. „der Schlüssel“ zur Erkenntnis DEU sicherheitspolitischen Handelns und Wirkens in der Welt.
@ dieandereMeinung 04.07.2021 um 17:13 Uhr
Ich hab ja nur meine Einschätzung kundgetan. Warum es vermutlich kein Vorüben gegeben hat, das müssen Sie schon den Verantwortlichen fragen und nicht mich!
Memoria sagt:
04.07.2021 um 13:23 Uhr
„Die Diskussion im Presseclub offenbarte für mich wieder weit verbreitete Mißverständnisse in der deutschen Diskussion um den Einsatz von Streitkräften.“
Ein sine-qua-non für derartige Einsätze ist die Existenz einer vernünftigen Zentralregierung (good governance). Nicht umsonst ist ja ‚Legitimacy is the main objective‘ die erste Regel in Counterinsurgency.
Diesen Faktor konnte Deutschland (und auch alle anderen externen Akteure) nie beeinflussen. Aufgrund der korrupten und in weiten Teilen der AFG Bevölkerung nicht anerkannten AFG Regierung war also das Scheitern der Mission vorprogrammiert. Dies kam in der Presseclub Diskussion auch kurz zur Ansprache, dass man sich da mit korrupten Partnern eingelassen hat. Wo COIN in der Vergangenheit Erfolg hatte, war eine gute Zentralregierung immer eine notwendige Voraussetzung. Ein sehr gutes Beispiel ist u.a. der Unterstützungseinsatz der Briten für Oman in der Dhofar-Provinz von 1971-1975, hauptsächlich durch Spezialkräfte des SAS.
Ganz toller Artikel hierzu bei smallwarsjournal:
https://smallwarsjournal.com/blog/journal/docs-temp/93-white.pdf?q=mag/docs-temp/93-white.pdf
Der Erfolg in dieser Counterinsurgency ist deshalb so spektakulär, da im Jahr 1970 die Insurgency den krieg praktisch schon gewonnen hatte. Als ersten Schritt hat die Britische Regierung dann den alten und verhassten Sultan (bad governance) durch seinen Sohn Qaboos ersetzt, der eine ganz andere Regierung einleitete. Der COIN Plan bestand dabei aus 5 Hauptpunkten (siehe verlinkten Artikel S. 6)
„Sultan Qabus (or Qaboos) was a Sandhurst graduate who upon his return from England in 1966, was placed under house arrest by his father for being ‘too western.’ Sultan Qabus, probably aided by British Foreign Office and Special Air Service (SAS) planners, quickly announced a broad five-point plan:
1. Offering a general amnesty to all those of his subjects who had opposed the Sultan.
2. Ending the archaic status of the Dhofar province and its incorporation in the state of Oman.
3. Opposing those insurgents who did not accept the general amnesty offer by conducting effective military operations, and
4. Improving the lives of the populace through a vigorous nation-wide development
program.
5. A diplomatic initiative with two aims:
a. Having Oman recognized as an Arab state with a legal form of government
b. Isolating the PDRY from the support it was receiving from other Arab states.
The significance of the Sultan’s five-point plan was that for the first time, the government adopted a comprehensive counterinsurgency strategy, one built on a foundation which coordinated political, social and military actions and was focused on gaining support, both internally and externally. While the strategy was to take another five long years of implementation and fighting, it laid out the course for eventual government success.“
Die Leistung der externen Akteure (Britischer SAS und später auch ein Infanteriebataillon des Schahs von Persien) bestand darin, die Sicherheit so lange zu gewähren, bis die Massnahmen der ‚good governance‘ gegriffen hatten. Ein hochinteressanter Aspekt dabei war die Schaffung und Ausbildung von Einheiten aus ehemaligen Rebellen (sog. Firqats) durch den britischen SAS.
Und wenn wir jetzt nach Mali und seine dubiose Regierung blicken, dann können wir den Ausgang des dortigen Bw-Engagements bereits jetzt vorhersagen.
Der vom Hausherrn angesprochene Vergleich mit den Erfolgen der Bw-Missionen auf dem Balkan zieht hier nicht, denn die Missionen am Balkan vollzogen sich mit dem Einverständnis aller Konfliktparteien, daher dort auch die sog. ‚Impartiality‘ aller IFOR/SFOR/KFOR Operationen. Diese gibt es in COIN nicht; dort ergreift man immer Partei auf Regierungsseite und wird dann für deren Politik auch mitverantwortlich gemacht werden. Die IEDs gegen die Bw-Soldaten richteten sich dort nicht primär gegen die Bundeswehr oder Deutschland, sie richteten sich gegen die AFG Regierung, die die Bw unterstützte.
Noch etwas: Im Presseclub wurde eine fehlende Einigung der Taliban mit der AFG Regierung angesprochen. Eine derartige Einigung wird es NIEMALS geben können. Denn die Taliban machen schon seit jeher klar (auf ihrer Webseite seit über 10 Jahren konsequent dort zu lesen) das sie selbst die legitimierte Regierung Afghanistans sind (Deshalb bezeichnen sie sich selbst ja auch als ‚Islamic Emirate of Afghanistan‘). Die USA betrachten sie seit 2001 als ‚Besatzer‘ die ihre eigene Taliban-Regierung gewaltsam gestürzt haben; mit den USA verhandelten die Taliban daher immer auf dieser Grundlage und es gab nur ein Verhandlungsthema: den Abzug der ‚Besatzungstruppen‘. Die AFG Regierung dagegen wurde immer als ‚Marionettenregierung‘ bezeichnet. Dies ist und war immer das NARRATIV der Taliban. Sie können also gar nicht mit der AFG Regierung verhandeln, ohne ihr eigenes Narrativ (=Center of Gravity, da ihre Legitimation!) zu gefährden. Und daher werden sie das auch nicht tun.
Sie haben es mittlerweile ja auch gar nicht mehr nötig. Wie vom Hausherrn angesprochen wird – wie damals in Vietnam – das schöne hochtechnisierte Kriegsgerät der AFG Armee (allem voran die Air assets) nicht mehr lange einsatzbereit sein und dann werden wir alle sehr rasch den ‚Saigon 1975‘ Moment in Kabul erleben, vermutlich noch vor Weihnachten diesen Jahres.