Nach mehr als hundert Jahren: Erneuter Beginn jüdischer Militärseelsorge in Deutschland

Mehr als einhundert Jahre nach den Feldrabbinern des Ersten Weltkrieges gibt es in Deutschland wieder eine jüdische Militärseelsorge. Der sächsische Landesrabbiner Zsolt Balla wurde am (heutigen) Montag in der Leipziger Synagoge in einer feierlichen Zeremonie des Zentralrats der Juden in Deutschland als erster Militärbundesrabbiner ins Amt eingeführt. Unter seiner Leitung soll die Seelsorge mit jüdischen Militärgeistlichen in der Bundeswehr aufgebaut werden.

Das Bundeskabinett hatte im Dezember 2019 einen Staatsvertrag mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland gebilligt, der die Einführung der jüdischen Militärseelsorge in Deutschland regelt; der Bundestag hatte dem entsprechenden Gesetz dafür im vergangenen Jahr zugestimmt. Neben dem Militärbundesrabbiner wird, analog zu den beiden christlichen Kirchen, ein Militärrabbinat als Bundesamt geschaffen, das dem Bundesministerium der Verteidigung unmittelbar nachgeordnet ist. Zunächst sind zehn Stellen für Militärrabbiner vorgesehen, die die geschätzt rund 300 Soldatinnen und Soldaten jüdischen Glaubens in der Bundeswehr betreuen sollen.

Berufen wird der Militärbundesrabbiner, wie im Staatsvertrag vorgesehen, vom Zentralrat der Juden; die Bundesregierung hat dabei allerdings ein Vetorecht. Balla wird seine Aufgaben als Gemeinderabbiner in Leipzig und als Landesrabbiner in Sachsen behalten und seine Aufgabe ehrenamtlich ausüben, wie das zum Beispiel auch beim katholischen Militärbischof der Fall ist.

Bei der Amtseinführung und Übergabe der Ernennungsurkunde an Balla betonte der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, dass die Aufgaben der künftigen Militärrabbiner über die seelsorgerliche Betreuung von Juden in der Bundeswehr hinausgingen:

Sie werden den Soldatinnen und Soldaten und ihren Angehörigen zur Verfügung stehen als Ansprechpartner, als Vertrauenspersonen. Bei ethischen Fragen, mit religiösen Anliegen, in persönlichen Krisen können sich die Soldaten an die Rabbiner wenden. Und nicht nur in Krisen. Ein Rabbiner oder eine Rabbinerin teilt auch gerne das Glück über die Geburt eines Kindes oder über die gerade erfolgte Heirat eines Soldaten.
Diesen Dienst leisten die katholischen und evangelischen Militärgeistlichen genauso. Jetzt kommt jedoch die jüdische Perspektive noch hinzu. Das heißt, dass die Rabbiner sich darum kümmern, werden, dass jüdische Soldaten gemäß der für sie wichtigen religiösen Regeln ihren Dienst tun können. Nicht-jüdische Soldaten können sie mit jüdischen Feiertagen und Traditionen vertraut machen.
Damit wird Fremdheit gegenüber dem Judentum abgebaut, so dass – da bin ich mir sicher – Vorurteile gar nicht erst entstehen oder am besten gleich in sich zusammenfallen. Das ist für uns ein wichtiger Nebeneffekt der jüdischen Militärseelsorge.

Der in Ungarn geborene neue Kopf der jüdischen Militärseelsorge ist Sohn eines Offiziers der ungarischen Streitkräfte – sein Vater kommandierte als Oberstleutnant eine Artillerieeinheit. Balla, der zum Studium als 23-jähriger nach Deutschland kam, machte in seiner Danksagung nach der Amtseinführung deutlich, warum er diese Aufgabe übernimmt:

Aber bei allen Herausforderungen empfinde ich eine ungeheure Dankbarkeit, in einem Land leben zu  dürfen, das sich seiner Vergangenheit gestellt hat, sich aber auch entschlossen hat, nach vorne zu  gehen, um aktiv eine bessere Welt zu gestalten. Diese Dankbarkeit muss sich in Taten manifestieren.  Und es ist schwer, sich eine bessere Gelegenheit vorzustellen, als daran zu arbeiten, die deutschen  Verteidigungskräfte zu stärken, um eine Botschaft der gemeinsamen Lastenteilung zu überbringen.  Wir alle wünschen uns, in einem Land zu leben, das auf der richtigen Seite der Geschichte steht und  für Menschenrechte, Menschenwürde und Demokratie eintritt und sie verteidigt, wo immer es nötig  ist.

Nachtrag: Diese Haltung machte Balla auch in einem Statement nach der Amtseinführung deutlich:

Bislang besteht die jüdische Militärseelsorge in Deutschland nur aus dem Militärbundesrabbiner; in den nächsten Monaten soll das Militärrabbinat Gestalt annehmen. Als Präsidentin der Behörde ist, wie das Verteidigungsministerium in einem Video-Einspieler während der Zeremonie mitteilte, die Professorin an der Fachhochschule des Bundes Angelika Günzel vorgesehen. Unter ihrer Leitung wird es nach den derzeitigen Plänen zunächst bis zu zehn Stellen für Militärrabbiner und -rabbinerinnen geben.


(Die Aussage von Günzel ab Minute 11:20)

Die Reden zur Amtseinführung des neuen Bundesmilitärrabbiners hat der Zentralrat auf seiner Webseite dokumentiert. Vor allem Schusters Rede ist deswegen interessant, weil er auch auf die rechtsextremistischen Vorfälle in der Bundeswehr eingeht.

(Bislang fehlt allerdings noch, dort oder auf der Ministeriums-Webseite, die Rede Kramp-Karrenbauers; wird ggf. ergänzt).

Fürs Archiv hier noch die Rede des Präsidenten des Zentralrats und die Danksagung Ballas:
20210621_Danksagung_Zsolt_Balla 20210621_Bundesmilitaerrabbiner_Rede_Schuster

Nachgetragen: Der Zentralrat hat auch ein FAQ zu dem Thema eingestellt.

(Foto: Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, am Rednerpult, überreicht dem neuen Militärbundesrabbiner Zsolt Balla die Ernennungsurkunde – Tom Twardy/Bundeswehr)