Kaserne in Delmenhorst: Geographischer Name statt Bezug auf Wehrmachtsfeldwebel

Die Bundeswehr setzt die Umbenennung von Kasernen fort, die Namen der Soldaten der Wehrmacht tragen. Die Delmenhorster Feldwebel-Lilienthal-Kaserne erhielt den Namen Delmetal-Kaserne. Der bisherige Namensgeber, ein Feldwebel und Ritterkreuzträger der Wehrmacht, werde damit jedoch nicht verurteilt, betonte der Inspekteur der Streitkräftebasis, Generalleutnant Martin Schelleis, bei der Zeremonie am (heutigen) Donnerstag.

Die Kaserne in Delmenhorst trug bis 1966, also schon zu Bundeswehr-Zeiten, zunächst den Namen Oswald Boelcke, des Jagdfliegers des Ersten Weltkrieges. 1966 wurde sie in Lilienthal-Kaserne umbenannt, was sich aber zunächst auf den Luftfahrtpionier Otto Lilienthal bezog. Erst ab 1970 trug sie den Namen Feldwebel-Lilienthal-Kaserne, benannt nach dem Wehrmachtsfeldwebel und Panzerjäger Diedrich Lilienthal, der 1943 an der Ostfront zahlreiche sowjetische Panzer vernichtete und dafür mit dem Ritterkreuz ausgezeichnet wurde.

Die Umbenennung war für die Bundeswehr zunächst weniger eindeutig als bei anderen hochdekorierten Wehrmachtssoldaten wie den Luftwaffenpiloten Helmut Lent und Hans-Joachim Marseille. Über die militärischen Taten hinaus, für die er ausgezeichnet wurde und die zur Wahl als Namensgeber einer Bundeswehrkaserne führten, gebe es aber praktisch keine Informationen zu seiner Person – und vor dem Hintergrund des neuen Traditionserlasses der Bundeswehr aus dem Jahr 2018 und eines neuen Gutachtens 2019 sei klar gewesen, dass dieser Name nicht mehr traditionsstiftend sein könne, sagte Schelleis bei der Umbenennungszeremonie.

Zu dem, wie es die Streitkräftebasis ausdrückte, nicht einfachen, aber notwendigen Schritt ist die ausführliche Erläuterung des Generalleutnants nachlesenswert. Auszüge aus Schelleis‘ Rede:

Die heutige Veranstaltung markiert das formale Ende eines über zweijährigen Prozesses zur Namensgebung der Delmenhorster Kaserne. Über ein halbes Jahrhundert lang trug sie den Präfix ‚Feldwebel-Lilienthal‘.
Noch 2017 hatten sich zwei Drittel der Stimmberechtigten für die Beibehaltung dieses Namens ausgesprochen. Umso nachvollziehbarer die emotionale Betroffenheit vieler, als im Jahr darauf erneut eine grundlegende Diskussion geführt werden musste.
Doch vor dem Hintergrund des neuen Traditionserlasses vom Frühjahr 2018 und eines weiteren Gutachtens 2019 war klar, dass Dietrich Lilienthal für die Bundeswehr nicht, bzw. nicht mehr – traditionsstiftend sein kann. (…)
Zwischen 1936 und 1966 war diese Kaserne, seinerzeit ein Fliegerhorst, nach Oswald Boelcke benannt. Dieser Jagdflieger des Ersten Weltkrieges begründete heute noch gültige Taktiken des Luftkampfes und den Teamgeist aller am Flugbetrieb beteiligten.
Seit 1966 war die Kaserne dann nach dem Luftfahrtpionier Otto Lilienthal benannt – auch wenn im Laufe der Zeit gar keine Luftwaffenangehörigen mehr Dienst in Delmenhorst-Adelheide leisteten. Die Frage nach dem Bezug der hier liegenden Truppe zum Namensgeber drängte sich auf.
So geschah es dann auch. Der Name Lilienthal blieb, aber 1970 wurde aus Otto Diedrich.
Diedrich Lilienthal aus Elsfleth wurde nach Metzgerlehre und Reichsarbeitsdienst mit 20 Jahren Soldat. 1942 wurde der Panzerjäger zum Unteroffizier, später zum Feldwebel befördert. 1943 wurde ihm das Ritterkreuz verliehen, ein Jahr später erlag er im Feldlazarett im heutigen Litauen seinen schweren Verwundungen, gerade 23 Jahre alt.
Lilienthal galt als Draufgänger – jung und ungestüm, ganz nach dem Geschmack der NS- Propaganda.
Es gelang ihm u.a., 18 feindliche Panzer zu vernichten. Eine auch nach den Maßstäben des damaligen Vernichtungskrieges eine schier unglaubliche Einzelleistung. Von seinen Vorgesetzten wurde er ob seines Pflichtbewusstseins, seines unbedingten Kampfeswillens und seiner großen Tapferkeit gelobt.
Darüber hinaus wissen wir nur wenig über Dietrich Lilienthal.
Jedenfalls zu wenig, um ihn im Sinne des gültigen Erlasses als für die Bundeswehr traditionsstiftend zu bezeichnen. Denn dazu braucht es nicht allein soldatische Exzellenz, die Feldwebel Lilienthal zweifellos bewiesen hat.
Es braucht im Handeln auch den klaren Bezug zu den Werten unseres Grundgesetzes. Und den gibt die Quellenlage zum Wirken Dietrich Lilienthals schlicht nicht her.
Weil wir so wenig wissen, dürfen wir ihn aber auch nicht pauschal verurteilen, obwohl er einem verbrecherischen Regime gedient und in einem Vernichtungskrieg gekämpft hat. Wie die überwältigende Mehrheit seiner Generation hat er das getan, was damals allgemein als Pflicht angesehen und verlangt wurde! Wer nicht mitmachte, stellte sich neben die Volksgemeinschaft, gefährdete sich womöglich selber. Und wer konnte schon, wie Dietrich Lilienthal, als junger Twen das Unrecht und die Grausamkeiten der damaligen Machthaber erkennen, geschweige denn ermessen?
Den Zeitgenossen von damals wird man nur gerecht, wenn man die Grenzen ihres Handlungsspielraumes verstehen will. Genau dieses aber lassen viele Kritiker der Generation Dietrich Lilienthals heute vermissen.
„Tote können sich nicht wehren, deshalb gebührt ihnen umso mehr Gerechtigkeit“ – so Theodor Fontane. Daher ist die heutige Namensänderung keine Verurteilung Dietrich Lilienthals.
In Freiheit und Demokratie, in Selbstbestimmung aufzuwachsen ist ein Geschenk. Feldwebel Lilienthal hatte nicht die Möglichkeit, in der Weise selbstbestimmt zu handeln, was für die meisten von uns heute selbstverständlich ist.
Es ist wichtig, sich dessen bewusst zu sein. Die Freiheit ist auch heute in Gefahr, vielleicht mehr als in den vergangenen Jahrzehnten, und sie muss verteidigt werden.
Daher befürworte ich es sehr, dass die Angehörigen der Delmenhorster Kaserne diese Debatte weiter führen und pflegen. Dass Diedrich Lilienthal weiterhin Denkanstöße liefern kann. Sich am Beispiel seines kurzen Lebens über begangenes und erfahrenes Leid und über soldatische Ethik auszutauschen, um unseren moralischen Kompass immer wieder aufs Neue zu kalibrieren.

Der Namensgeber Lilienthal galt allerdings vielen Bundeswehrsoldaten durchaus als Vorbild – insofern dürfte auch nach der Umbenennung die Debatte nicht ganz vorbei sein. Aber das hat Schelleis in seiner Rede ja bereits erwartet. Als Beispiel für die Einschätzung des Wehrmachts-Feldwebels aus einem Gastbeitrag des früheren Bundeswehrgenerals Helge Hansen hier auf Augen geradeaus! (allerdings: geschrieben 2017, vor dem neuen Traditionserlass):

Ich habe in den Siebzigerjahren als Bataillonskommandeur in der Feldwebel Lilienthal-Kaserne in Delmenhorst Dienst getan, die zur Zeit noch seinen Namen trägt und hoffentlich behalten wird. Dieser Feldwebel hat im Zweiten Weltkrieg in der Sowjetunion, nachdem sein Kompaniechef gefallen war, im Alter von 23 Jahren die Kompanie übernommen und durch seinen Einsatz seine Einheit vor der Vernichtung bewahrt. Ich habe sein Handeln stets bei Gelöbnisfeiern für wehrpflichtige Soldaten unter Hinweis auf die Pflicht, „Recht und Freiheit tapfer zu verteidigen“, als beispielhaft hervorgehoben, ohne den Krieg zu verherrlichen oder dessen Völkerrechtswidrigkeit zu verschweigen.

Vorsorglich der Hinweis: Bei diesem Thema wird es in den Kommentaren gerne sehr emotional – ich werde deshalb sehr auf Sachlichkeit achten.

(Foto: Das neue Namensschild der Kaserne in Delmenhorst mit Generalleutnant Martin Schelleis, r. – Pottmeier/Bundeswehr)