Beginn jüdischer Militärseelsorge in der Bundeswehr – Erstmals seit über 100 Jahren in deutschen Streitkräften (Nachtrag: Rede AKK)

Mit der Amtseinführung eines Militärbundesrabbiners gibt es jetzt in der Bundeswehr und damit erstmals seit mehr als 100 Jahren in den deutschen Streitkräften wieder eine jüdische Militärseelsorge. Der sächsische Landesrabbiner Zsolt Balla wurde am (heutigen) Montag in der Leipziger Synagoge in einer feierlichen Zeremonie des Zentralrats der Juden in Deutschland als erster Militärbundesrabbiner ins Amt eingeführt. Künftig sollen zunächst zehn Militärrabbiner jüdische Soldaten betreuen, aber auch alle Soldaten mit jüdischem Leben in Deutschland vertraut machen.

Bei der Amtseinführung in der Synagoge in Leipzig  betonte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, dass jüdisches Leben zur Bundeswehr gehöre. Der Beginn einer jüdischen Militärseelsorge sei aber auch ein Zeichen für eine konsequente Haltung gegen Antisemitismus in den Streitkräften wie in der Gesellschaft, gerade auch gegen den leisen, subtilen Antisemismus, sagte die Ministerin. Es ist ein großes Bekenntnis für unsere Demokratie, für unsere offene, vielfältige Gesellschaft. Und dass wir dieses Zeichen in der Bundeswehr setzen – das macht mich stolz

Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, betonte, dass die Aufgaben der künftigen Militärrabbiner über die seelsorgerliche Betreuung von Juden in der Bundeswehr hinausgingen:

Sie werden den Soldatinnen und Soldaten und ihren Angehörigen zur Verfügung stehen als Ansprechpartner, als Vertrauenspersonen. Bei ethischen Fragen, mit religiösen Anliegen, in persönlichen Krisen können sich die Soldaten an die Rabbiner wenden. Und nicht nur in Krisen. Ein Rabbiner oder eine Rabbinerin teilt auch gerne das Glück über die Geburt eines Kindes oder über die gerade erfolgte Heirat eines Soldaten.
Diesen Dienst leisten die katholischen und evangelischen Militärgeistlichen genauso. Jetzt kommt jedoch die jüdische Perspektive noch hinzu. Das heißt, dass die Rabbiner sich darum kümmern, werden, dass jüdische Soldaten gemäß der für sie wichtigen religiösen Regeln ihren Dienst tun können. Nicht-jüdische Soldaten können sie mit jüdischen Feiertagen und Traditionen vertraut machen.
Damit wird Fremdheit gegenüber dem Judentum abgebaut, so dass – da bin ich mir sicher – Vorurteile gar nicht erst entstehen oder am besten gleich in sich zusammenfallen. Das ist für uns ein wichtiger Nebeneffekt der jüdischen Militärseelsorge.

Das Bundeskabinett hatte im Dezember 2019 einen Staatsvertrag mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland gebilligt, der die Einführung der jüdischen Militärseelsorge in Deutschland regelt; der Bundestag hatte dem entsprechenden Gesetz dafür im vergangenen Jahr zugestimmt. Die Zahl der jüdischen Soldaten in der Bundeswehr wird auf rund 300 geschätzt, genaue Zahlen gibt es nicht. In deutschen Streitkräften hatte es zuletzt im Ersten Weltkrieg Feldrabbiner gegeben, die rund 100.000 jüdische deutsche Soldaten betreuten.

Berufen wird der Militärbundesrabbiner, wie im Staatsvertrag vorgesehen, vom Zentralrat der Juden; die Bundesregierung hat dabei allerdings ein Vetorecht. Balla wird seine Aufgaben als Gemeinderabbiner in Leipzig und als Landesrabbiner in Sachsen behalten und seine Aufgabe ehrenamtlich ausüben, wie das zum Beispiel auch beim katholischen Militärbischof der Fall ist.

Unter Ballas Leitung wird in den nächsten Monaten das geplante Militärrabbinat als Bundesbehörde aufgebaut. Geleitet wird sie, wie das Verteidigungsministerium in einem Video-Einspieler während der Zeremonie mitteilte, von der Professorin an der Fachhochschule des Bundes Angelika Günzel. Nach den derzeitigen Plänen sollen zunächst zwei und dann bis zu zehn Stellen für Militärrabbiner und -rabbinerinnen besetzt werden.


(Die Aussage von Günzel ab Minute 11:20)

Der in Ungarn geborene Balla ist Sohn eines Offiziers der ungarischen Streitkräfte – sein Vater kommandierte als Oberstleutnant eine Artillerieeinheit. Balla, der zum Studium als 23-jähriger nach Deutschland kam, machte in seiner Danksagung nach der Amtseinführung deutlich, warum er diese Aufgabe übernimmt:

Aber bei allen Herausforderungen empfinde ich eine ungeheure Dankbarkeit, in einem Land leben zu  dürfen, das sich seiner Vergangenheit gestellt hat, sich aber auch entschlossen hat, nach vorne zu  gehen, um aktiv eine bessere Welt zu gestalten. Diese Dankbarkeit muss sich in Taten manifestieren.  Und es ist schwer, sich eine bessere Gelegenheit vorzustellen, als daran zu arbeiten, die deutschen  Verteidigungskräfte zu stärken, um eine Botschaft der gemeinsamen Lastenteilung zu überbringen.  Wir alle wünschen uns, in einem Land zu leben, das auf der richtigen Seite der Geschichte steht und  für Menschenrechte, Menschenwürde und Demokratie eintritt und sie verteidigt, wo immer es nötig  ist.

und erläuterte das auch in einem Video-Statement:

Die Reden zur Amtseinführung des neuen Bundesmilitärrabbiners hat der Zentralrat auf seiner Webseite dokumentiert, dort ist auch die Ernennungsurkunde eingestellt. Vor allem Schusters Rede ist deswegen interessant, weil er auch auf die rechtsextremistischen Vorfälle in der Bundeswehr eingeht.

Fürs Archiv hier noch die Rede des Präsidenten des Zentralrats und die Danksagung Ballas:
20210621_Danksagung_Zsolt_Balla 20210621_Bundesmilitaerrabbiner_Rede_Schuster

Der Zentralrat hat auch ein FAQ zu dem Thema eingestellt.

Nachtrag 22. Juni: Das Verteidigungsministerium hat inzwischen das Redemanuskript Kramp-Karrenbauers eingestellt, außerdem ein Interview mit Balla:

Rede der Verteidigungsministerin bei der Amtseinführung des Militärbundesrabbiners

Interview mit Zsolt Balla: „Ich bin mir des historischen Gewichtes meiner Aufgabe bewusst“

(Foto: Die obersten Geistlichen der Militärseelsorge der Bundeswehr: v.l. der evangelische MilitäŠrbischof Bernhard Felmberg, MilitäŠrbundesrabbiner Zsolt Balla und der katholische MiliätŠrbischof Franz-Josef Overbeck – Tom Twardy/Bundeswehr)