Lesestoff: Felgentreus Vermächtnis – Die SPD und die Sicherheitspolitik
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Fritz Felgentreu, sozialdemokratischer Verteidigungspolitiker, hatte im vergangenen Jahr nicht nur sein Auscheiden aus dem Bundestag zum Ende dieser Wahlperiode angekündigt – sondern auch im Streit um die Haltung seiner Fraktion zur Bewaffnung von Drohnen das Amt als verteidigungspolitischer Sprecher aufgegeben. Trotzdem oder vielleicht gerade deswegen ist lesenswert, was Felgentreu seinen Genossen als seine Sicht auf die Verteidigungs- und Sicherheitspolitik der SPD aufgeschrieben hat.
Den ganzen Text, ursprünglich für die französische Fachzeitschrift Allemagne d’aujourd’hui aufgeschrieben, hat der SPD-Politiker am (heutigen) Donnerstag auf Deutsch auf seiner Webseite veröffentlicht:
Sozialdemokratische Verteidigungspolitik in unserer Zeit
Wie viele andere Sozialdemokraten erinnert auch Felgentreu an die Abrüstungspolitik unter dem damaligen SPD-Bundeskanzler Willy Brandt, die wesentlich zum Ende der Blockkonfration im Kalten Krieg führte – aber er zieht daraus andere Schlüsse als viele Genossen:
Unter der Wirkungsmacht dieses Bildes ist die Erinnerung daran verblasst, dass es nicht die Entspannungspolitik alleine war, die letztlich zur Selbstaufgabe der Sowjetunion und ihres Vasallensystems geführt hat. Unter dem Bundeskanzler Willy Brandt wuchs der heute als „NATO-Quote“ umstrittene Anteil des Bruttoinlandsprodukts, das für Verteidigung aufgewendet wurde, von 3,1 auf 3,6 Prozent. Brandt reichte Breschnjew die Hand zur Entspannung bewusst aus einer Position der Stärke heraus und er konnte mit Verweis auf den substanziellen deutschen Beitrag zur gemeinsamen Abschreckung der NATO auch Kritik aus Washington zurückweisen. Und die Endphase des Kalten Krieges wurde weniger durch die Friedensbewegung als durch den NATO-Doppelbeschluss eingeläutet, dessen Vater, Helmut Schmidt, den strategischen Erfolg auf internationaler Ebene mit dem Verlust seines Rückhalts in der eigenen Partei bezahlt hat.
Dieser Notwendigkeit einer Position der Stärke müsse sich auch die heutige SPD bewusst sein, fordert Felgentreu – und hat zwei ganz konkrete Folgerungen für aktuelle Felder der deutschen Verteidigungspolitik: Die nukleare Teilhabe
Gegenüber der NATO steht die SPD vor einer Bewährungsprobe. Der Ablauf der Nutzungsdauer des Mehrzweck-Kampfflugzeugs Tornado steht bevor und damit die Frage im Raum, ob und wie die Bundeswehr die Fähigkeit zum Transport amerikanischer Atomwaffen ersetzen wird. Damit steckt die SPD in einem Dilemma.
Programmatisch scheint die Antwort klar: Die SPD steht für eine atomwaffenfreie Welt, also auch für ein atomwaffenfreies Deutschland. Nicht ganz so klar ist der Weg dahin: Ein einseitiger Verzicht Deutschlands auf die Nukleare Teilhabe der NATO wäre im Sinne der SPD-Programmatik zwar konsequent. Er würde aber den Zusammenhalt der NATO auf eine schwere Probe stellen, denn die Nukleare Teilhabe ist ein Garant dafür, dass sich die Sicherheitsinteressen Nordamerikas und Europas nicht voneinander entkoppeln lassen. Wenn Deutschland keinen Beitrag mehr zur nuklearen Abschreckung leistet, könnten die ostmitteleuropäischen Länder, deren historische Erfahrung ihr Vertrauen in europäische Sicherheitsgarantien in überschaubarenGrenzen hält, ihr Heil in einem engeren bilateralen Verhältnis zu den USA suchen. Die Saat der Trump-Jahre ginge weiter auf.
Liest man das Hamburger Programm der SPD etwas genauer, dann erweist es sich allerdings auch als ein Manifest des Multilateralismus. Einsame Entscheidungen, zumal in Grundsatzfragen wie der der Nuklearen Teilhabe, widersprechen diesem Ansatz diametral. Deshalb war es bisher immer die Politik der SPD, die eigenen Ziele in die Politik des Bündnisses einzubringen und so für Fortschritt im Sinne von Dialog, Vertrauensbildung, Rüstungskontrolle und Abrüstung zu werben, mit dem Ziel eines Kontinents ohne Atomwaffen. In der Logik dieser Politik läge es, die Nukleare Teilhabe nicht infrage zu stellen, sondern die Beschaffung eines Tornado-Nachfolgesystems mitzutragen. (…)
Der verständliche Impuls schließlich, das Problem durch Vertagung auszusitzen, wirkt nur dann entlastend, wenn wir die Antwort auf die für uns so quälende Frage einer Regierung vererben, an der wir nicht beteiligt sind. Das wollen wir natürlich erst recht nicht. Der technische Zustand des Systems Tornados setzt einer solchen Politik ohnehin die Grenzen naher Endlichkeit.
und die konkrete Zusammenarbeit mit Frankreich – über Grundsatzvereinbarungen zu gemeinsamen Rüstungsprojekten hinaus:
Aber überall da, wo ein europäisches Engagement mit neuen Risiken für Leib und Leben von Einsatzkräften verbunden ist, bleibt die SPD auf Distanz. Beispiel Mali: Für Friedenssicherung und Ausbildung bringen wir die Bundeswehr gerne ein, bei der Terrorismusbekämpfung halten wir Abstand. Unter diesen Voraussetzungen kann es nicht gelingen Frankreich davon zu überzeugen, dass es für den Kampf gegen den Terror lieber ein EU-Mandat anstrebt als selbst eine Allianz der Willigen anzuführen. Auch die bisherigen Erfahrungen mit der Gemeinsamen Sicherheit-und Verteidigungspolitik (GSVP) sind nicht geeignet, um französisches Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der EU zu stärken. Denn es gibt ja schon heute kampfstarke Verbände auf europäischer Ebene. Nur sind die rotierend aus nationalen Streitkräften zusammengestellten EU Battle Groups noch nie zum Einsatz gelangt. Im entscheidenden Moment überwog immer das nationale vor dem europäischen Interesse und blockierte eine europäische Entscheidungsfindung. Die SPD hat darauf bisher keine Antwort.
Mit diesen Aussagen, und auch mit der deutlichen Befürwortung des deutschen Anti-IS-Einsatzes in einer Koalition der Willigen, dürfte sich der scheidende Verteidigungspolitiker in deutlichem Gegensatz zu – wie großen? – Teilen seiner Partei, aber auch der Fraktion befinden. Unabhängig von ihrer Position dazu werden sich die Genossen aber mit diesen Fragen befassen müssen: Unsere verteidigungspolitische Lage duldet kein freundliches Desinteresse mehr.
(Vorsorglicher Hinweis: Ich bin ein großer Fan sachlicher Debatten; stumpfes Bashing nach dem Muster „die Sozen können es nicht“ sparen wir uns deshalb in den Kommentaren.)
(Archivbild Januar 2018: Tornado-Jagdbomber beim Anflug auf den Fliegerhorst Büchel – mit freundlicher Genehmigung von Thomas Leicht)
Noch kein SPD-Bundeskanzler hat seine letzte Amtszeit turnusgemäß zu Ende gebracht. Schröder ist der erste „Kriegskanzler“ der Bundesrepublik (Beginn Allied Force, gestern 24. März 1999). Da war sogar die völkerrechtliche Grundlage zumindest zweifelhaft.
Und das ist der Punkt. Die SPD wird auch beim nächsten Schwur nicht zurückzucken können und wird dann z.B. Piloten in die Luft schicken, wo andere Drohnen einsetzen können.
Unter Berücksichtigung obiger Textauszüge werden zwei Feststellungen in gegenwärtiger SiPo-Großwetterlage innerhalb der SPDBT-Fraktion auf scharfe Ablehnung treffen:
– Und die Endphase des Kalten Krieges wurde weniger durch die Friedensbewegung als durch den NATO-Doppelbeschluss eingeläutet, …
– Dieser Notwendigkeit einer Position der Stärke müsse sich auch die heutige SPD bewusst sein, fordert Felgentreu …
Ein Lob auf den Doppelbeschluss mit Befürwortung einer Position der Stärke, so nachweislich richtig diese auch waren und sind, entsprechen kaum dem SiPo Verständnis einer Saskia Eskens, eines Norbert Walther-Borjahns sowie des eigentlichen Parteichefs, Rolf Muetzenich.
Weder der ideologische Überbau sozialdemokratischer (Friedens- und) Sicherheitspolitik, der vom Selbstverständnis einer Soft Power mit hohen moralischen Ansprüchen bei Nutzung bewaffneter Macht getragen wird, noch fehlende Auffassung von deutscher Gestaltungsmacht erlauben die Verwendung von Streitkräften als Mittel der Außenpolitik.
Ein Anspruch „to fight Germany’s wars“ ist undenkbar.
Als absolut konsequente SPD-Politik muss somit die Ablehnung von Mitteln angesehen werden, die deutsche Streitkräfte zu offensiver Operationsführung befähigen könnten. Eine Argumentation von „ja aber LV/BV“ greift insofern nicht, dass z.B. NT mit ff F18 als Provokation für den Kreml betrachtet wird, die abzulehnen ist.
Ein Brandt, Helmut Schmidt, vor allem aber Egon Bahr fehlen der Partei, hätten in aktueller Lage aber kaum Mehrheiten. Dass Herr Felgentreu Konsequenzen zog, mag das belegen. Sein überzeugendes Papier wird im kommenden Wahlkampf keinerlei Bedeutung haben. Bedauerlich.
@ J, Hoffmann:
Das lag bei Brandt und Schmidt aber nicht an diesen beiden.
Im ersten Fall lag es an einer mangelnden Spionageabwehr und daran, dass Politiker für Fehler noch Konsequenzen zogen (Grüße gehen raus an Scheuer und Spahn).
Im zweiten Fall lag es an der FDP denen die 30 Silberlinge von Kohl die Taschen schwer gemacht haben.
Jedenfalls kann ich die Analyse von Felgentreu nur unterschreiben.
Der NATO-Doppelbeschluss hat ganz wesentlich dankenswerterweise diese Mauer eingerissen; und Pazifismus schützt keine Menschenrechte (Neville Chamberlain weiß zu berichten).
Es wäre spannend zu wissen, was die Drohnen-AG zu dieser Analyse denkt.
Naja, „die Sozen“ können es ja offenbar gerade doch! Jedenfalls mindestens dieser hier. Es sei den Genossen anempfohlen, seine Worte auf sich wirken zu lassen und zu überlegen, ob es nicht sicherheitspolitische Entscheidungen gibt, deren Bedeutung und Tragweite über die Risiken für die eigene Person, die eigene Partei und vor allem die Interessen der aktuellen Legislaturperiode hinaus gehen.
Die Lektüre der – im Übrigen auch sonst sehr lesenswerten – Ausführungen Felgentreus dürfte aber auch anderen Politikern jedweder Couleur keinesfalls schaden. Es schadet nie, Argumente zu kennen, auch wenn man sie man im Ergebnis womöglich nicht teilt.
nach meiner Erinnerung haben auch auch Adenauer und Erhard ihre letzten Kanzlerschaften nicht über die volle Legislaturperiode „durchgehalten“.
Was soll also der Hinweis?
Bei der SPD mit drei Kanzlern sind es einer aus drei
Bei der CDU sind es ggf. drei aus fünf (Kanzlerschaft Merkel ist noch nicht beendet).
Die erste Runderneuerung der Bundeswehr, insbesondere die Anpassungen aus der Auswertung des Yom-Kippur-Krieges, erfolgten unter der Ägide Leber und Apel. Als Schröder die Tornados einsetzte waren diese „State of the Art“. Den Fähigkeitsverfall(?) der Bw müssen andere verantworten.
Es ist traurig, für uns alle und die SPD im Besonderen, dass ein dermaßen fachkundiger und ebenso überzeugt, wie überzeugender Politiker seinen Posten und den Bundestag verlässt bzw. verlassen hat.
Die Behauptung
„die Endphase des Kalten Krieges wurde weniger durch die Friedensbewegung als durch den NATO-Doppelbeschluss eingeläutet,“
ist völlig ahistorisch. Damit wird die Rolle Deutschlands erheblich überbetont. Das ist „am deutschen Wesen soll die Welt genesen“ in die Vergangenheit projiziert. Das ist Polemik. Durchschaubar – der Mann ist verletzt.
Sicherheitspolitik geht anders. Eine auf Versöhnung bedachte Haltung würde ihm eine ganz andere Wirksamkeit zuwachsen lassen. Er spielt lieber den „Kalten Krieger“ nun seiner Partei gegenüber. Ist immerhin konsistent mit seinem Konzept Russland gegenüber,
@Ökonom sagt: 25.03.2021 um 19:29 Uhr
„Die Behauptung „die Endphase des Kalten Krieges wurde weniger durch die Friedensbewegung als durch den NATO-Doppelbeschluss eingeläutet,“ ist völlig ahistorisch.“
Ehrlich gesagt finde ich sie sogar sehr treffend.
@Ökonom
Da bin ich doch mal gespannt, wie Sie zu dem Schluss kommen, dass die Folgerung Felgentreu’s, der NATO (!) Doppelbeschluss habe mehr als die Friedensbewegung zum Ende des Kalten Krieges beigetragen, a) völlig ahistorisch sei und b) woher kommt das mit der überbewerteten Rolle Deutschlands?
Ihr Post hinterlasst bei mir eine Menge Fragezeichen …
@KPK
„Als absolut konsequente SPD-Politik muss somit die Ablehnung von Mitteln angesehen werden, die deutsche Streitkräfte zu offensiver Operationsführung befähigen könnten. Eine Argumentation von „ja aber LV/BV“ greift insofern nicht, dass z.B. NT mit ff F18 als Provokation für den Kreml betrachtet wird, die abzulehnen ist.“
Richtig analysiert. Leider vergisst man das ganz schnell, sobald es um die Marine geht. Da denkt man links der Mitte an die Arbeiter der Werften.
Also SPD-Stimmen. Und stimmt der F 126 zu.
Seit der Wahl der Doppelspitze ist der linke Flügel der SPD am regieren.
Man sucht den Wahlerfolg, indem man sich weg vom Seeheimer Kreis bewegt.
Wenn die Wahlen erfolglos bleiben, werden die Genossen eher wieder konservative Stimmen zulassen.
Wie Herr Felgentreu richtig analysiert hat.
Man kann die Fragen zu Nuklearer Teilhabe und Drohnenbewaffnung aussitzen-bis zum Herbst.
Aber was wäre, wenn es zur Ampel-Koalition käme?
Spätestens dann muss man sich entscheiden.
Der NATO-Doppelbeschluss war meiner Meinung nach ein Element, dass zum Ende des Kalten Kriegs beitrug, insbesondere als er die Geschlossenheit des Bündnisses unterstrich … (sind wir heute nicht mal auf dem Kontinent, sprich EU, in der Lage). Er ist darüberhinaus einzuordnen in das damalige Wettrüsten, bei dem Mitte der 1980er Jahre selbst WK2 US-Schlachtschiffe wieder in der Ostsee auftauchten. Ökonomisch konnte der Warschauer Pakt dann irgendwann nicht mehr mithalten.
Hinzu kamen vielleicht auch noch das Thema Afghanistan als das „Vietnam“ der Sowjetunion und/oder im Hintergrund das Wirken des polnischen Papstes.
@Alex M.
@RedFive
Mein Bild vom Auslaufen des Kalten Krieges, der Beendigung der Blockkonfrontation geht so:
i) Die Initiative von Helmut Schmidt war NATO-intern motiviert: sollte der drohenden Abkopplung der USA einen Widerstand entgegensetzen.
ii) Entscheidend waren Vorgänge außerhalb der sicherheitspolitischen Kalküle. Die SU-Führung unter Gorbatschow hatte wirtschaftliche Sorgen. Um diese Probleme zu lösen, suchte er den Ausgleich mit den USA. Dazu benötigte er ein Mittel der Vertrauensbildung, welches zugleich wirtschaftlich entlastend zu sein versprach. Deshalb sein Griff zur Rüstungskontrolle. Das sah Reagan und griff zu – gegen den Widerstand seiner militärpolitischen Berater. Die Mittelstrecken-Null-Lösung war ja – beidseitig – militärpolitisch unbegründbar.
Die in sicherheitspolitischen Kreisen beliebte Rekonstruktion, dass die SU in einem militärpolitischen Kalkül eingesehen habe, dass sie verloren habe, halte ich für Geschichtsklitterung, dessen Motiv mir verständlich ist.
Quelle meiner Sichtweise bin nicht ich sondern ist der letzte Rüstungskontrollbeauftragte im AA unter Genscher, Josef Holik. Er hat das in einem sehr lesenswerten schmalen Büchlein, unter dem Titel „Abrüstung als Wegbereiter der Wende in Europa.“ Berlin 2017 festgehalten.
@Thomas Wiegold
Danke, dass Sie Ihre Leser auf Felgentreus Stellungnahme hingewiesen haben.
Offen gesagt, ich komme an der Floskel: „Die Sozen können’s nicht!“ kaum vorbei. Zumindest diese Sozen können’s nicht. Die SPD scheint wild entschlossen, die Fehler ihrer internationalen Schwesterparteien zu wiederholen (man denke nur an Labour unter Corbyn) und das Radikale zum neuen Mainstream umzuwidmen.
Der Vergleich drängt sich in mehr als einer Hinsicht auf; denn Theresa May und Boris Johnson nahmen sich Angela Merkel zum Vorbild, als sie mit Ideen wie z.B. der Zuckersteuer oder dem Ende des Verbrennungsmotors den Linken das Wasser abgruben, und sie somit in eine Identitätskrise trieben.
Dass die um sich schlagende SPD nun auch in der Verteidigungspolitik Kompetenz abbaut, ist nur folgerichtig. Auf allen anderen Feldern liegt die Sozialdemokratie ebenso brach. Aber da sie auf absehbare Zeit nicht den Kanzler stellen wird, sollte sie zur Profilschärfung den Wechsel in die Opposition anstreben.
Mich überrascht allenfalls noch die Weigerung der SPD, das Militär der Industrienation Deutschland zumindest als Mittel der Wirtschaftsförderung wertzuschätzen, übrigens auch im Sinne der Schaufensterfunktion. Anderswo gilt die Armee ganz selbstverständlich als Schaubühne der volkswirtschaftlichen Innovationskraft.
Amüsant ist für mich Felgentreus Hinweis auf die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit, was die Europapolitik der SPD anlangt. Nach wie vor will die Partei nämlich eine Europa-Armee. Aber sie muss sich doch darüber im Klaren sein, dass die Entscheidung über deren Einsatz nicht Deutschland allein zukäme.
@Ökonom
Vermutlich wollen Sie die historische Bedeutung des NATO-Doppelbeschlusses in Zweifel ziehen, aber Ihre Wortwahl ließe sich auch so interpretieren, als hätte die Friedensbewegung mehr zum Ende des Kalten Krieges beigetragen als der NATO-Doppelbeschluss. Was natürlich Unsinn ist.
Die Friedensbewegung konnte gar keinen Beitrag zur Beendigung des Konflikts leisten, dazu war sie viel zu unbedeutend, erst recht außerhalb Deutschlands oder gar in Russland. Die Sowjetunion ist vielmehr unter ihrem eigenen Gewicht zusammengebrochen, welches das ineffziente System nicht zu tragen vermochte.
Der Kollaps wurde beschleunigt durch die Verwicklung der Sowjetunion in ein zehrendes Wettrüsten mit dem Westen – also auch durch den NATO-Doppelbeschluss –, sowie durch die Sogwirkung der Marktwirtschaft insbesondere an den Rändern des sowjetischen Machtbereichs.
@ Karl Mohr
Zitat: “ Als Schröder die Tornados einsetzte waren diese „State of the Art“. Den Fähigkeitsverfall(?) der Bw müssen andere verantworten.“
Nicht ganz richtig. Die deutsche Luftwaffe hat zwar damals (1999) über 200 HARM-Flugkörper gegen feindliche Radarstellungen abgeschossen, aber nur wenige haben die Radarstellung getroffen und zerstört. Das lag daran, dass die Serben die Radargeräte nur kurz senden ließen und dann aus Eigenschutz wieder abgeschalten haben. Also kurz nach der Luftlage schauen ( 1-2 Minuten) und dann sofort wieder abschalten.
Unser Problem war, das unsere HARM-Flugkörper nicht mit der GPS-Modifikation nachgerüstet waren, d.h. wenn sie ihr Ziel verloren haben, das das Ziel seine Aussendung abgeschaltet hatte, konnten sie nicht nach Koordinaten das letzte bekannte Ziel anfliegen und zerstören.
Im Sinne von „Suppression of Enemy Air Defence“ (SEAD) hat die Taktik trotzdem funktioniert, denn durch die relativ lange Flugzeit (Verweilzeit) der FK HARM in der Luft, konnte der Gegner seine Radargeräte nicht durchgehend betreiben.
Nichtsdestotrotz waren unsere ECR-Tornados (mal gerade eben zu diesem Zeitpunkt 8 – 10 Jahre alt) eine wichtige Ressource für den Luftkrieg gegen Serbien und die Amerikaner hatten nur die „Wild Wiesel“ auf Phantom F4 Basis im eigenen Arsenal.
@muck:
Speziell dieser Spagat der deutschen Sozialdemokratie hat mich schon immer verwundert. Bei den Ostermärschen für den Frieden mitlaufen, „Schwerter zu Pflugscharen“ Pazifismus, Abrüstung undsoweiter, aber dann wieder im engen Schulterschluss mit der IG Metall die überragende Bedeutung der Arbeitsplätze in der deutschen Rüstungsindustrie unterstreichen und für Jobsicherheit der dort Beschäftigten eintreten.
Da passt so einiges nur begrenzt zusammen; umso bitterer, wenn ein wirklich kompetenter und reflektierter Vertreter jetzt für die Genossen ausfällt. Da geht einer der letzten, die überhaupt noch versuchen, sozialdemokratische Sicherheitspolitik nicht rein ideologisch, sondern im Rahmen der pragmatischen Möglichkeiten und tatsächlichen Gegebenheiten zu positionieren. Ich kenne Gottseidank noch ein paar SPD-Mitglieder, die ähnliche Positionen vertreten, aber meiner persönlichen Erfahrung nach, werden die sukzessive von den Anhängern eines unreflektierten Pazifismus innerparteilich aufs Abstellgleis gedrängt.
Das deckt sich mit dem allgemeinen Wandel der Politik, weg von Sachfragen und einem auf einheitlichen Tatsachengrundlagen beruhendem Diskussionskonsens hin zu „gefühlten Wahrheiten“und Stimmungen, „Fake-News“ oder „alternativen Fakten“.
@Metallkopf
Diese Zeiten sind wohl vorbei. Ebenso wie jene, als ein SPD-Kanzler der NATO „uneingeschränkte Solidarität“ versprach. Man sieht es bereits daran, dass die SPD etwa in puncto Tornado-Nachfolge nicht ernsthaft versucht hat, einen für die NATO und Deutschlands Rolle darin tragfähigen Kompromiss durchzusetzen.
Man hätte ja auch folgendermaßen vorgehen können (und in meinen Augen um einiges glaubhafter): Wir wollen keine Atombomben mehr in Deutschland, wir wollen aber auch unsere NATO-Verpflichtungen ernst nehmen. Stellen wir also eine bruchfreie Ablöse sicher und bestellen jetzt Eurofighter Typhoon-Jagdbomber.
Es lag einmal im Wesen der Sozialdemokratie, widerstreitende Interessen sozialverträglich zu vereinen, ohne dogmatisch die eine oder die andere Seite zu bevorzugen. Auf obigem Wege hätte man den außenpolitischen Schaden minimiert und Deutschland zugleich zumindest wirtschaftlich genutzt.
Stattdessen: Blockadehaltung. Weil man, wie Felgentreu richtig diagnostizierte, trotz aller Parolen die Festlegung zur Unzeit fürchtet wie der Teufel das Weihwasser. Tja – noch ärgerlicher als ein Ideologe ist einer, der nicht den Mumm hat, den Mund aufzumachen, wenn es darauf ankommt.
Den Artikel von Herrn Felgentreu finde ich lesenswert aber wird sicher nicht, wie schon verschieden angemerkt, gern bei der SPD gesehen.
@Karl Mohr:
„… nach meiner Erinnerung haben auch auch Adenauer und Erhard ihre letzten Kanzlerschaften nicht über die volle Legislaturperiode „durchgehalten“.
Was soll also der Hinweis?
Bei der SPD mit drei Kanzlern sind es einer aus drei
Bei der CDU sind es ggf. drei aus fünf (Kanzlerschaft Merkel ist noch nicht beendet).“
Ihre Bemühungen die SPD in einem guten Licht erscheinen zu lassen in allen Ehren aber vergleichen Sie bitte nicht Äpfel mit Birnen. Bei einem SPD-Kanzler war das Kanzleramt anschließen komplett futsch und ein anderer hat vorgezogene Wahlen angesetzt mit der Konsequenz, dass das Kanzleramt ebenfalls geräumt werden musste während es bei Adenauer und auch Erhard einen Übergang (ohne Bundestagswahl) zu einem anderen CDU-Kanzler gab.
„Als Schröder die Tornados einsetzte waren diese „State of the Art“. Den Fähigkeitsverfall(?) der Bw müssen andere verantworten.“
Genau, da die ECR-Tornados zuvor beschafft wurden allerdings nicht in einer SPD-Regierung. Zudem ist derzeit doch die SPD der Bremser um zeitgerecht Ersatz (F-18) für die ECRs zu besorgen, oder?
@Essener
Zur F18-Frage innerhalb der SPD: Es ergibt sich Gelegenheit zu kostengünstiger Übernahme vom U.S. Marine Corps. Die Ausphasung hat begonnen, es folgt F35B.
https://www.military.com/daily-news/2021/03/02/after-36-years-marines-f-18-hornets-have-completed-their-final-carrier-deployment.html
[Nein, hier ist keine Satireseite, und so was lassen wir bitte. Im Zweifel noch mal die Aussagen hier in der Vergangenheit nachlesen, welche F/A-18-Versionen ggf. beschafft werden sollen. T.W.]
@ Ökonom
So schön die harmonische Sicht auf die Welt auch ist, und so wichtig die Abrüstung ab einem Zeitpunkt war,
ohne die massiven Rüstungsaufwendungen des Westens wäre „die SU-Führung unter *Gorbatschow hatte wirtschaftliche Sorgen“ *(Gorbatschow ersetzen durch Breschnjew/Andropow“ nicht in finanzielle Schieflage geraten/hätte weniger in gigantische Land- und Meeressysteme zur Verteidigung investieren müssen.
Die DDR und die SU waren absehbar auf dem Weg in die Pleite, ohne Aussicht auf die Möglichkeit von „Zugewinnen“ durch Kriege gegen „Terroristen“ aus falschen Kriegsgründen, wo man als erstes Erdölministerien besetzen kann, aber Kulturstätten wochenlang plündern lässt.
Besoffene, aber normale Machtpolitik allerorten und, ja, auch im „Osten“.
Der „Osten“ hatte den kürzeren Atem und musste sich zum Überleben gesund schrumpfen. Das wusste auch der Westen, nicht erst zur Wende, als Kohl von Gorbatschow die DDR kaufen konnte.
Hätte der „Ostblock“ unter Führung der SU einer Abrüstung in der Art zugestimmt, wenn die geopolitische Einzwängung durch- und die Überlegenheit des Westens weniger groß gewesen wäre? Ich denke, das hätte sich anders entwickelt.
Ziehen und Schieben, und nicht nur die SPD sollte einen klugen Menschen („…Notwendigkeit einer Position der Stärke…“) wie Felgentreu studieren.
Im Fazit des Papiers findet sich erfreulicherweise auch der Kernpunkt:
„Zur Sicherheits- und Verteidigungspolitik gehört zwingend das Nachdenken über die
Voraussetzungen und die Grenzen der Anwendung von Gewalt, ein Nachdenken, das sich auf
einer grundsätzlichen Bereitschaft dazu gründet, wenn es denn notwendig ist.“
Das ist auch das Problem hinter der oben erwähnten Debatte um deutsche Beiträge bei der Terrorbekämpfung in einer Koalition der Willigen.
Auch Herr Felgentreu argumentiert hierbei ja politisch und nicht rechtlich.
In der Drohnendebatte zeigte sich besonders plakativ wie wenig die Grundlagen von Verteidigungspolitik (Gewaltandrohung und -anwendung auf strategischer, operativer und taktischer Ebene) parteiübergreifend verstanden sind. Da wird es sicher mit der Projektgruppe der SPD erneute interessante Beispiele geben.
Dieses ernsthafte Nachdenken über organisierte Gewalt zur Erreichung politischer Ziele (=Krieg) vermeiden jedoch alle Parteien, aber auch die Bundeswehr in der gesamten Breite (Streitkräfte, UniBw, etc.). Die wenigen anderen Institutionen (SWP, DGAP) trauen sich an das Thema auch nicht wirklich heran.
Umso anständiger dass Herr Felgentreu die SPD auf die eigenen Denkblockaden hinweist.
@Klaus-Peter Kaikowsky (KPK)
Zum F18 Link: Dort wird die C-Version der Hornet ausgemustert. Das ist ein völlig anderes, mehr als 30 Jahre altes Luftfahrzeug, als die von der Luftwaffe benötigten F18 Superhornet der Version F für die Bomberrolle und EA18 Growler für die SEAD Rolle.
Die bisherige Blockade der SPD ist genauso ein Stich ins Herz der NATO, wie die Aussage von Donald Trump, der das Bündnis als „obsolet“ bezeichnete.
@Groundabort
Guter Vergleich! In der Tat ist es beschämend, dass aus der SPD nicht wenigstens ein Olivenzweig kam á la: Wir wollen keine Atombomber, aber eingedenk unserer Bündnisverpflichtungen sollten wir zumindest die EA-18 so schnell wie möglich bestellen.
Als noch SPDler kann ich dem Herrn Felgentreu nur zustimmen. Die Sache zeigt wie wichtig eine umfangreiche Kenntnis und korrekte Analyse der Geschichte ist. Ich habe damals im Schulunterricht schon gelernt, dass ein entscheidender Faktor für den Zusammenbruch der Sowjet Union war, dass diese mit den Rüstungsplänen von Reagen (Star Wars) nicht mithalten konnten. Der Wettbewerb hatte die Sowjet Wirtschaft an den Abgrund geführt. Natürlich stimmt es auch, dass es gefährlich ist jemanden in eine ausweglose Situation zu drängen. Das Angebot der Entspannungspolitik bot dann diesen Ausweg.