Lesestoff: Felgentreus Vermächtnis – Die SPD und die Sicherheitspolitik

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Fritz Felgentreu, sozialdemokratischer Verteidigungspolitiker, hatte im vergangenen Jahr nicht nur sein Auscheiden aus dem Bundestag zum Ende dieser Wahlperiode angekündigt – sondern auch im Streit um die Haltung seiner Fraktion zur Bewaffnung von Drohnen das Amt als verteidigungspolitischer Sprecher aufgegeben. Trotzdem oder vielleicht gerade deswegen ist lesenswert, was Felgentreu seinen Genossen als seine Sicht auf die Verteidigungs- und Sicherheitspolitik der SPD aufgeschrieben hat.

Den ganzen Text, ursprünglich für die französische Fachzeitschrift Allemagne d’aujourd’hui aufgeschrieben, hat der SPD-Politiker am (heutigen) Donnerstag auf Deutsch auf seiner Webseite veröffentlicht:

Sozialdemokratische Verteidigungspolitik in unserer Zeit

Wie viele andere Sozialdemokraten erinnert auch Felgentreu an die Abrüstungspolitik unter dem damaligen SPD-Bundeskanzler Willy Brandt, die wesentlich zum Ende der Blockkonfration im Kalten Krieg führte – aber er zieht daraus andere Schlüsse als viele Genossen:

Unter der Wirkungsmacht dieses Bildes ist die Erinnerung daran verblasst, dass es nicht die Entspannungspolitik alleine war, die letztlich zur Selbstaufgabe der Sowjetunion und ihres Vasallensystems geführt hat. Unter dem Bundeskanzler Willy Brandt wuchs der heute als „NATO-Quote“ umstrittene Anteil des Bruttoinlandsprodukts, das für Verteidigung aufgewendet wurde, von 3,1 auf 3,6 Prozent. Brandt reichte Breschnjew die Hand zur Entspannung bewusst aus einer Position der Stärke heraus und er konnte mit Verweis auf den substanziellen deutschen Beitrag zur gemeinsamen Abschreckung der NATO auch Kritik aus Washington zurückweisen. Und die Endphase des Kalten Krieges wurde weniger durch die Friedensbewegung als durch den NATO-Doppelbeschluss eingeläutet, dessen Vater, Helmut Schmidt, den strategischen Erfolg auf internationaler Ebene mit dem Verlust seines Rückhalts in der eigenen Partei bezahlt hat.

Dieser Notwendigkeit einer Position der Stärke müsse sich auch die heutige SPD bewusst sein, fordert Felgentreu – und hat zwei ganz konkrete Folgerungen für aktuelle Felder der deutschen Verteidigungspolitik: Die nukleare Teilhabe

Gegenüber der NATO steht die SPD vor einer Bewährungsprobe. Der Ablauf der Nutzungsdauer des Mehrzweck-Kampfflugzeugs Tornado steht bevor und damit die Frage im Raum, ob und wie die Bundeswehr die Fähigkeit zum Transport amerikanischer Atomwaffen ersetzen wird. Damit steckt die SPD in einem Dilemma.
Programmatisch scheint die Antwort klar: Die SPD steht für eine atomwaffenfreie Welt, also auch für ein atomwaffenfreies Deutschland. Nicht ganz so klar ist der Weg dahin: Ein einseitiger Verzicht Deutschlands auf die Nukleare Teilhabe der NATO wäre im Sinne der SPD-Programmatik zwar konsequent. Er würde aber den Zusammenhalt der NATO auf eine schwere Probe stellen, denn die Nukleare Teilhabe ist ein Garant dafür, dass sich die Sicherheitsinteressen Nordamerikas und Europas nicht voneinander entkoppeln lassen. Wenn Deutschland keinen Beitrag mehr zur nuklearen Abschreckung leistet, könnten die ostmitteleuropäischen Länder, deren historische Erfahrung ihr Vertrauen in europäische Sicherheitsgarantien in überschaubarenGrenzen hält, ihr Heil in einem engeren bilateralen Verhältnis zu den USA suchen. Die Saat der Trump-Jahre ginge weiter auf.
Liest man das Hamburger Programm der SPD etwas genauer, dann erweist es sich allerdings auch als ein Manifest des Multilateralismus. Einsame Entscheidungen, zumal in Grundsatzfragen wie der der Nuklearen Teilhabe, widersprechen diesem Ansatz diametral. Deshalb war es bisher immer die Politik der SPD, die eigenen Ziele in die Politik des Bündnisses einzubringen und so für Fortschritt im Sinne von Dialog, Vertrauensbildung, Rüstungskontrolle und Abrüstung zu werben, mit dem Ziel eines Kontinents ohne Atomwaffen. In der Logik dieser Politik läge es, die Nukleare Teilhabe nicht infrage zu stellen, sondern die Beschaffung eines Tornado-Nachfolgesystems mitzutragen. (…)
Der verständliche Impuls schließlich, das Problem durch Vertagung auszusitzen, wirkt nur dann entlastend, wenn wir die Antwort auf die für uns so quälende Frage einer Regierung vererben, an der wir nicht beteiligt sind. Das wollen wir natürlich erst recht nicht. Der technische Zustand des Systems Tornados setzt einer solchen Politik ohnehin die Grenzen naher Endlichkeit.

und die konkrete Zusammenarbeit mit Frankreich – über Grundsatzvereinbarungen zu gemeinsamen Rüstungsprojekten hinaus:

Aber überall da, wo ein europäisches Engagement mit neuen Risiken für Leib und Leben von Einsatzkräften verbunden ist, bleibt die SPD auf Distanz. Beispiel Mali: Für Friedenssicherung und Ausbildung bringen wir die Bundeswehr gerne ein, bei der Terrorismusbekämpfung halten wir Abstand. Unter diesen Voraussetzungen kann es nicht gelingen Frankreich davon zu überzeugen, dass es für den Kampf gegen den Terror lieber ein EU-Mandat anstrebt als selbst eine Allianz der Willigen anzuführen. Auch die bisherigen Erfahrungen mit der Gemeinsamen Sicherheit-und Verteidigungspolitik (GSVP) sind nicht geeignet, um französisches Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der EU zu stärken. Denn es gibt ja schon heute kampfstarke Verbände auf europäischer Ebene. Nur sind die rotierend aus nationalen Streitkräften zusammengestellten EU Battle Groups noch nie zum Einsatz gelangt. Im entscheidenden Moment überwog immer das nationale vor dem europäischen Interesse und blockierte eine europäische Entscheidungsfindung. Die SPD hat darauf bisher keine Antwort.

Mit diesen Aussagen, und auch mit der deutlichen Befürwortung des deutschen Anti-IS-Einsatzes in einer Koalition der Willigen, dürfte sich der scheidende Verteidigungspolitiker in deutlichem Gegensatz zu – wie großen? – Teilen seiner Partei, aber auch der Fraktion befinden. Unabhängig von ihrer Position dazu werden sich die Genossen aber mit diesen Fragen befassen müssen: Unsere verteidigungspolitische Lage duldet kein freundliches Desinteresse mehr.

(Vorsorglicher Hinweis: Ich bin ein großer Fan sachlicher Debatten; stumpfes Bashing nach dem Muster „die Sozen können es nicht“ sparen wir uns deshalb in den Kommentaren.)

(Archivbild Januar 2018: Tornado-Jagdbomber beim Anflug auf den Fliegerhorst Büchel – mit freundlicher Genehmigung von Thomas Leicht)