Bundestag billigt weiteren Bundeswehreinsatz in Afghanistan – möglicherweise zum letzten Mal (Update: Abstimmungsergebnis, Biden)

Der Bundestag hat, möglicherweise zum letzten Mal, dem weiteren Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan zugestimmt. Die Verlängerung ist wegen der Bundestagswahl nicht auf ein Jahr, sondern bis Ende Januar 2022 befristet. Die tatsächliche Dauer wird aber wesentlich vom Verbleiben der US-Truppen am Hindukusch abhängen.

In der inzwischen 20. Debatte über den deutschen Einsatz in Afghanistan sprachen sich am (heutigen) Donnerstag in namentlicher Abstimmung 432 Abgeordnete für das neue Mandat (Bundestagsdrucksache 19/26916) aus. 176 stimmten dagegen,21 enthielten sich.

Geschlossen stimmte lediglich die Unionsfraktion für die Fortsetzung der Resolute Support Mission; bei SPD wie FDP gab es einige Gegenstimmen und Enthaltungen. Sehr uneinheitlich war das Abstimmungsverhalten bei den Grünen: Während die Zahl der Nein-Stimmen mit 32 überwog, stimmten ebenso viele Abgeordnete dafür wie sich enthielten, jeweils 14. Die AfD und die Linke sprachen sich geschlossen gegen eine Fortsetzung des Einsatzes aus.

Die Verlängerung ist die im Kern unveränderte Fortschreibung des bisherigen Mandats für den Bundeswehreinsatz, das Ende März ausläuft. Für die Beteiligung an der NATO-geführten Resolute Support Mission können wie bisher bis zu 1.300 Soldatinnen und Soldaten eingesetzt werden können; derzeit sind es rund 1.100. Abweichend vom üblichen Vorgehen wird das Mandat nicht für ein Jahr verlängert, sondern für zehn Monate: nach der Bundestagswahl im September sollen eine neue Regierung und ein neu gebilderter Bundestag nicht zu lange gebunden werden.

Die Verlängerung steht unter dem Eindruck der anstehenden Planung für den Abzug aller internationalen Truppen aus Afghanistan nach inzwischen fast 20 Jahren. Die USA hatten im Februar vergangenen Jahres mit den Taliban einen Abzug bis zum 1. Mai dieses Jahres vereinbart, was auch für die Truppen der Verbündeten und damit der NATO-Mission gelten sollte. Allerdings überprüfen die USA diese Vereinbarungderzeit – vor allem im Hinblick auf die Frage, ob die darin festgelegten Bedingungen tatsächlich eingehalten wurden. Damit sieht es derzeit nicht danach aus, dass tatsächlich bis Ende April ein Abzug stattfindet.

Im eigentlichen Mandatstext wird diese Entwicklung zwar nicht angesprochen, aber um so ausführlicher in der Begründung. Entlang der Argumentationslinie, die Außenminister Heiko Maas und Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer  in einem Schreiben an die Bundestagsfraktionen vorgebracht hatten, soll eine weitere Präsenz der internationalen Truppen und damit auch der Bundeswehr die Friedensverhandlungen in Afghanistan absichern:

Vor diesem Hintergrund ist die Bundesregierung der Auffassung, dass die Bundeswehr ihren Beitrag zu Resolute Support zunächst fortsetzen sollte. Der deutsche militärische Beitrag sollte so ausgerichtet sein, dass dem politischen Prozess weiterhin der nötige Raum gegeben wird und Deutschland seiner Verantwortung als Rahmennation im Norden vorerst weiter nachkommen kann. Die nächsten Monate haben für Resolute Support einen kritischen Übergangscharakter. Die gemeinsame Positionierung innerhalb der Allianz, insbesondere mit der neuen US-Regierung, benötigt Zeit. Gleichzeitig geht es für Deutschland darum, auf dadurch resultierende mögliche Anpassungen adäquat reagieren zu können.
Bei dem Verbleib in Afghanistan über den 30. April 2021 hinaus gilt es, das Risiko der Wiederaufnahme von Gewalt durch die Taliban gegen die internationalen Kräfte zu reduzieren und gleichzeitig bei der NATO-Planung des Kräfteansatzes mit einer lageangepassten Schutzkomponente Vorsorge zu treffen. Vor diesem Hintergrund wird die Obergrenze bei unverändert 1 300 belassen.

Die Taliban hatten bereits damit gedroht, die seit einem Jahr weitgehend eingestellten Angriffe auf die internationalen Truppen wieder aufzunehmen, falls der Abzugstermin 1. Mai nicht eingehalten werde. Auf die damit erneut steigende Gefahr auch für die deutschen Soldaten geht die Bundesregierung in der Mandatsbegründung auch ein:

Die Sicherheit der deutschen Soldatinnen und Soldaten vor Ort hat stets eine besondere Priorität. Um bei einem Verbleib über den 30. April 2021 hinaus ein mögliches Wiederaufflammen der Taliban-Gewalt gegen die internationalen Truppen abzuwenden, setzt sich die Bundesregierung dafür ein, dass die US-Seite dies zu einem integralen Gegenstand ihrer Gespräche mit den Taliban macht. Im Rahmen der NATO wurden zudem gemeinsam militärische Schutzmaßnahmen basierend auf einer Lageeinschätzung bei einem Verbleib über den 30. April 2021 hinaus identifiziert.
Die Bundesregierung geht – im Einklang mit der NATO – für den Fall des möglichen Verbleibs in Afghanistan über den 30. April 2021 hinaus von einer deutlich erhöhten Gefährdungslage für die deutschen Soldatinnen und Soldaten aus. Daher hält die Bundeswehr – gemeinsam mit ihren Partnern – entsprechende Fähigkeiten im Rahmen der nationalen Rückfallpositionen und des nationalen Risiko- und Krisenmanagements vor.

US-Präsident Joe Biden erneuerte in seiner ersten formalen Pressekonferenz am Donnerstag seine Aussage, dass ein Abzug der US-Truppen bis zum 1. Mai kaum möglich sei. Allerdings gehe er davon aus, dass im kommenden Jahr keine amerikanischen Soldaten mehr am Hindukusch seien. Aus dem Transkript der Pressekonferenz:

Q Thank you, Mr. President. I wanted to ask you about Afghanistan. You face a May 1st deadline for the withdrawal of U.S. troops from that country. As a candidate, in foreign affairs, you wrote that it is past time to end these forever wars. Can you commit to the American people that by May 2nd the U.S. will no longer have forces in Afghanistan?

THE PRESIDENT: The answer is that it’s going to be hard to meet the May 1 deadline. Just in terms of tactical reasons, it’s hard to get those troops out. So, what we’ve been doing — what I’ve been doing and what Secretary Blinken has been doing — has been — we’ve been meeting with our allies, those other nations that have NATO Allies who have troops in Afghanistan as well. And if we leave, we’re going to do so in a safe and orderly way.

We’re in consultation, I said, with our allies and partners in how to proceed. And Secretary Blinken is meeting in Brussels this week with our NATO Allies, particularly those who have forces there.

And General Austin is — just met with Ghani and I’m waiting for the briefing on that. He is the — the “leader,” quote, in Afghanistan and Kabul. And there’s a U.N.-led process that’s beginning shortly on how to mechanically get people — how to end this war.

But it is not my intention to stay there for a long time. But the question is: How and in what circumstances do we meet that agreement that was made by President Trump to leave under a deal that looks like it’s not being able to be worked out to begin with? How is that done? But we are not staying a long time.

Q You just said “if we leave.” Do you think it’s possible that we–

THE PRESIDENT: We will leave. The question is when we leave.

Q Do you — sorry — do you believe, though, it’s possible we could have troops there next year?

THE PRESIDENT: I — I can’t picture that being the case.

Nachtrag 26. März: Die Taliban reagierten auf Bidens Worte mit der Drohung, den bewaffneten Kampf wieder aufzunehmen, um das Land zu befreien:

… und auch das gehört dazu, von der New York Times:

American intelligence agencies have told the Biden administration that if U.S. troops leave before a power-sharing settlement is reached between the Taliban and the Afghan government, the country could fall largely under the control of the Taliban within two or three years after the withdrawal of international forces. That could potentially open the door for Al Qaeda to rebuild its strength within the country, according to American officials.
The classified assessment, first prepared last year for the Trump administration but not previously disclosed, is the latest in a series of grim predictions of Afghanistan’s future that intelligence analysts have delivered throughout the two-decade-long war.

(Archivbild Oktober 2020:  Ein Joint Terminal Attack Controller (JTAC)der Bundeswehr koordiniert die Luftnahunterstützung während einer Übung im Rahmen der NATO-Mission Resolute Support in Mazar-e Sharif/Afghanistan –  Andre Klimke/Bundeswehr)