Positionspapier von AKK und GI: Planung für die ‚Bundeswehr der Zukunft‘ (Nachtrag: Papier)
Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer und Bundeswehr-Generalinspekteur Eberhard Zorn haben erstmals gemeinsam in einem Papier den Weg für eine Anpassung der Streitkräfte an neue Herausforderungen skizziert. Wir dürfen nicht einfach die Streitkräfte der Vergangenheit vergrößern, sondern müssen jetzt die Weichen richtig stellen, um Kräfte, Fähigkeiten und Strukturen auf die Zukunft auszurichten, schrieben die Ressortchefin und der oberste deutsche Soldat. Weiterhin sei die Bundeswehr dabei auf eine verlässliche Finanzierung angewiesen.
In dem am (heutigen) Dienstag (KORREKTUR, nicht Montag) vorgelegten gemeinsamen Positionspapier: Gedanken zur Bundeswehr der Zukunft begründen Kramp-Karrenbauer und Zorn ihre Überlegungen, die auch zu neuen Prioritäten in den Streitkräften führen sollen, mit sehr konkreten Bedrohungen für Deutschland und seine Bürgerinnen und Bürger, denen wir begegnen müssen. Von etlichen Ländern werde das Militärische wieder als oberstes Mittel zur Konfliktlösung vorgesehen. Zudem gebe es neue Waffentechnologien, die rasch weiter entwickelt würden. Gegen manche der Bedrohungen, unter anderem Drohnen, Killer-Satelliten oder Überschall-Flugkörper sind wir heute nur schlecht gewappnet.
Deutschland sei dabei vor allem durch Angriffe auf Datennetze und kritische Infrastrukturen, Übergriffe gegen Bündnispartner oder Kommunikationswege gefährdet. Damit könne die politische Handlungsfähigkeit des Landes eingeschränkt werden; außerdem könnten internationale Handelswege und Versorgungsketten bedroht werden.
Für die Bundeswehr als eines der wesentlichen Instrumente der deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik sei deshalb die Weiterentwicklung zur Bundeswehr der Zukunft erforderlich, schreiben Ministerin und Generalinspekteur in ihrem Positionspapier. Die Streitkräfte müssten gleichzeitig nach dem Sparkurs früherer Jahre aufgefüllt und aufgefrischt werden, zugleich müssten sie auf die schnelle technologische Entwicklung eingestellt werden. Das habe Auswirkungen:
Wer gleichzeitig auffüllt und modernisiert, der ist gezwungen, Prioritäten zu setzen. Wir werden deshalb stärker als in der Vergangenheit prüfen, welche Systeme und Technologien wünschenswert, aber nicht zwingend notwendig sind. Dafür werden wir konsequent – und gegebenenfalls auch auf Kosten bestehender Systeme – Innovationen in die Bundeswehr einführen. Nur so können wir dringend benötigte hochtechnologische Fähigkeiten aufbauen. Geleitet wird diese Auswahl von klaren Kriterien:
• Gegen welche Bedrohungen müssen wir uns schützen?
• Was ist praktikabel und schnell verfügbar?
• Was stärkt den Industrie- und Technologiestandort Deutschland und schafft
Arbeitsplätze?
• Was kann in Kooperation mit unseren europäischen und internationalen Partnern
beschafft werden?
• Und vor allem und am wichtigsten: Was ist das Beste für die Truppe?
Das bedeute gerade nicht Antreten zum Sparkurs, betonten Kramp-Karrenbauer und Zorn. Eine Priorisierung sei für die präzise Ausgestaltung der Modernisierung nötig, nicht aber ein Spartarif. Deshalb sei auch unverändert ein weiter steigender und verlässlich planbarer Verteidigungshaushalt erforderlich, damit nicht die fixen Kosten für Gehälter, Betrieb und Liegenschaften das Geld für Entwicklung und Beschaffung der Fähigkeiten der Zukunft aufbrauchten.
Ministerin und Generalinspekteur formulierten dafür auch einen Zielkatalog:
Unser Ziel ist es,
• die Fähigkeiten der Streitkräfte für alle Rollen unseres Landes und in der gesamten Bandbreite weiter zu modernisieren und dem technologischen Wandel anzupassen,
• die Lücken in der Ausrüstung und Ausstattung zu füllen,
• schlankere, funktionalere, resilientere Strukturen sowie kürzere und damit schnellere
Prozesse in der militärischen Führungsstruktur, in der Beschaffungs- und
Nutzungsorganisation und im Verteidigungsministerium zu schaffen,
• Verantwortung dort anzusiedeln, wo es sinnvoll ist.
Dabei leiten uns ergänzend folgende Fragen:
• Welche Fähigkeiten benötigen wir in welcher Qualität und Quantität – auch im Sinne der Priorisierung kritischer Bereiche, wie z.B. einer umfassenden modernen Luftverteidigung, eines schnellen Transports leistungsfähiger Kräfte, intelligenter Aufklärungssysteme in allen Dimensionen, durchgängiger digitaler Führungsbefähigung?
• Wie gelingt uns zielgerichtete und wirkungsstarke Innovation, um schnell neue Technologien zu erschließen und für die Bundeswehr nutzbar zu machen?
• Wie können wir die Truppe wieder stärken und der Stabslastigkeit der Bundeswehr entgegenwirken?
• Wie können wir multinationale Kooperation effektiver nutzen, um Beschaffung, Nutzung und Interoperabilität zu verbessern?
• Wie kann die Einsatzbereitschaft noch wirksamer erhöht werden?
Dazu gehörten auch eine moderne Beschaffung und Überlegungen zur künftigen Struktur des Verteidigungsministeriums.
Kramp-Karrenbauer und Zorn kündigten an, jetzt möglichst schnell die Entscheidungen zu treffen, die noch vor der Bundestagswahl im September gefällt werden könnten; die übrigen sollten so weit vorbereitet werden, dass sie zu Beginn der neuen Legislaturperiode entschieden werden könnten. Konkret gehört zu den aktuell anstehenden Entscheidungen:
Im März 2021 legen wir eine umfassende Bewertung des Themas bodengestützte Luftverteidigung vor.
Bis zum Ende des I. Quartals leiten wir die Beschaffungsvorlage für die Eurodrohne dem Deutschen Bundestag zu.
Im II. Quartal treffen wir die Entscheidung zur Beschaffung eines schweren Transporthubschraubers.
Im April 2021 präsentieren wir die Grundzüge für einen modernen und zeitgemäßen Heimatschutz.
Wir erlassen im Mai 2021 Eckpunkte für die Bundeswehr der Zukunft und legen damit konkrete Vorschläge zur Weiterentwicklung der Streitkräfte hinsichtlich ihrer Fähigkeiten, Strukturen und Einsatzbereitschaft vor.
Bei allen Schritten für die Bundeswehr der Zukunft, das betonen beide Autor*innen des Positionspapiers ausdrücklich, müssten die Entscheidungen nicht nur der Truppe, sondern auch der Öffentlichkeit immer wieder erklärt werden: Wer wie wir will, dass Deutschland mehr tut und mutig in Führung geht, der muss zu allererst unseren Bürgerinnen und Bürgern schlüssig erklären, warum das nötig ist und wie das gehen soll.
(Nicht alle Aspekte des Positionspapiers sind hier berücksichtigt; ggf. und nach Entwicklung gibt’s ein Update.)
Nachtrag: Das Papier im Wortlaut:
20210209_AKK_GI_Bundeswehr_der_Zukunft
(Archivbild: Kramp-Karrenbauer und Zorn im März 2020 auf dem Weg in die Bundespressekonferenz – Thomas Imo/ photothek.net)
Kenntnisreiche, eindringliche und mahnende Worte durch die BAKS.
https://www.baks.bund.de/de/arbeitspapiere/2021/krieg-um-berg-karabach-2020-implikationen-fuer-streitkraeftestruktur-und
Bin gespannt auf Einschätzungen zu den Vorschlägen.
[Zur Einordnung: Das ist nicht „die BAKS“, sondern ein Gastautor vom IISS. T.W.]
@Nurso:
Ja bezüglich der *Spitzengliederung“ gibt es ja schon seit einiger Zeit Überlegungen und Untersuchungen, nun wird ja aber auch zusätzlich (?) das bisherige Fähigkeitsprofil in Frage gestellt, somit greift das Thema in die gesamte Struktur bis auf die Einheitsebene.
Dies international abgestimmt (Anpassung NDPP?) bis Mai in konkrete Vorschläge umzuformen erscheint mir zumindest ambitioniert.
@KPK:
Ich finde das Papier weitet den Blickwinkel und hilft eine sehr vereinfachte Sichtweise Drohne vs. Panzer richtig einzuordnen.
Die Diskussion zu Auflockerung vs. Stoßkraft von Landstreitkräften bei Luftbedrohung ist ja auch schon hundert Jahre alt.
Vielleicht bringt die aktuelle Diskussion um Fähigkeiten ja neue operative Ideen hervor, die bisher nicht betrachtet wurden.
Der internationale Trend scheint mehr zum verteilten Operieren (distributed operations: hit hard, move fast) zu gehen, wobei die Führbarkeit bei einem potentiellen Gegner mit starker EloKa ein wesentliches Thema sein wird.
Für mich bleibt als (wenig überraschende) Kernbotschaft des Papiers:
Drohnen und Drohnenabwehr sind nicht die alleinige Form des Landkrieges und somit sind moderne Gefechtsverbände von Landstreitkräften auch keine „Streitkräfte der Vergangenheit“.
Feuer und Bewegung bleiben die zentralen Elemente der Operationsführung, auch wenn sich die jeweilige Ausgestaltung (z.B. indirektes Feuer und direktes Feuer) natürlich verändern kann.
Es lohnt sich auf einer solchen abstrakten Ebene zunächst einmal ein Grundverständnis zu schaffen, bevor es dann um konkrete Fähigkeiten geht.
Ich hoffe alljene die dies zweifellos im Blick haben, erhalten ausreichend Gehör bei den Entscheidern.
Denn es wäre nicht das erste Mal, dass Streitkräfte in Zeiten von technischen Wandel anhand von unzureichend durchdachten Grundannahmen ausgeplant werden (z.B. Frankreich 1930er Jahre).
Das Positionspapier „Gedanken zur Bundeswehr der Zukunft“ scheint mir eher aus organisationpsychologischen Aspekten relevant zu sein.
1. Das Positionspapier setzt die Tradition des ständigen und hochfrequenten Veränderungszwangs (Reform, Transformation, Wandlung, Erneuerung, Anpassung, Umbruch, usw.) fort, bei dem die beabsichtigten Veränderungen sich nicht auswirken können sollen. Vielmehr sind nicht ausgereifte Schwebezustände stets durch nachfolgende Veränderungen aufzuheben. Der Weg wird zum Ziel und Ergebnisse verlieren ihre Relevanz.
2. Das Positionspapier kommt ohne „Defizitanalyse“ aus, da diese als bekannt vorausgesetzt wird („Die Analyseergebnisse liegen auf dem Tisch“). Daher ist Abschnitt II auch mit der bereits „wissenden“ Überschrift „Was das für Deutschland heißt“ versehen und nicht als offene Frage „Was heißt das für Deutschland?“ formuliert. Die Antworten kommen ohne Fragen aus, was das Denken überflüssig macht – und dadurch womöglich vor Ent-Täuschungen schützt.
3. Im Positionspapier ist der Abschnitt „Strategiefähigkeit“ im Vergleich zu anderen Abschnitten eher kurz gehalten. Somit wird dem am wenigsten trivialen Aspekt des Positionspapiers rechtzeitig die erforderliche Aufmerksamkeit entzogen. Der Rest des Positionspapiers bedient geistige Komfortzonen.
4. Der „Stabslastigkeit der Bundeswehr“ entgegenzuwirken ist sicherlich ein frommer Wunsch. Der Digitalisierung der Bundeswehr folgt – nicht ohne einer inneren Logik – ein bisweilen starker Anstieg des Administrationsbedarfs. Insofern gelingt die Verringerung der „Stabslastigkeit der Bundeswehr“ in der Schaffung zusätzlicher „Bullshit Jobs“, die die Anheuerung ganz anderer Bewerber ermöglicht (Bullshit Jobs – A Theory, David Graeber, 2018).
5. Schließlich drückt das Positionspapier begründete Hoffnung aus, wenn es den Zulauf von neuer „Hardware“ andeutet. Unterstellt wird dabei, dass es ausschließlich die fehlende oder ungenügende „Hardware“ ist, die der Bundeswehr in „Einsätzen“ den „Sieg“ vorenthält.
Im Ergebnis verhindert das Positionspapier eine Überforderung des BMVg, sorgt für eine „zukunftssichere“ Vollbeschäftigung der Streitkräfte auch im Grundbetrieb, schützt die Bundeswehr vor risikobehafteten (und unnötigen) „Einsätzen“ und beweist, dass die „gefühlte“ Misere der Bundeswehr (Personallage / Ausrüstung / Skandale / usw. ) eher grundlos ist.
Ein ausführliches Interview mit der Ministerin:
https://www.swr.de/swraktuell/radio/a-kramp-karrenbauer-corona-hilfe-der-bundeswehr-hinterlaesst-spuren-100.html
Die Diskussion um Fähigkeiten (ab 10:00) begrenzt sich – bezeichnenderweise – auf Drohnenabwehr.
Ansonsten spricht die Ministerin bei persönlicher Ausstattung von „klassischen Problemen“.
Vielsagend für die ehemalige CDU-Vorsitzende.
Große Projekte sollen ausserhalb des Verteidigungshaushaltes finanziert werden.
Nun gut, es ist ja auch Karneval…
@Luftikus sagt: 11.02.2021 um 21:14 Uhr
„Sollte man nicht eine Struktur zumindest auf 25-30 Jahre einnehmen, mit ganz leichten Veränderungen während dieser Jahrzehnte?“
Nein, bitte nicht. Keine Struktur die wir seit 1900 in DEU hatten, wäre mehr als 10 bis max 15 Jahre sinnvoll gewesen.
Nach Ablauf dieser Phasen gab es entweder politische oder militärische oder technologoische Änderungen, die eine Änderung zwingend machten.
Und so war es ja auch in den letzten 30 Jahren. Grob kann man sagen: 1990 Kalter Krieg auf Friedensheer. 2000 Ausrichtung auf Friedenseinsätze, 2010 Abschaffung der Wehrpflicht und Einsätze am scharfen Ende der Waffe. 2020 Refokussierung auf LV/BV.
Zu keinem der Zeitpunkte hätte man auf eine der Reformen verzichten können. Und keine der Reformen war unter Kenntnisstand der jeweiligen aktuellen Zeit komplett falsch. Ich hätte mir zwar bei der letzten (2010) etwas (!) mehr LV/BV gewünscht, aber das war halt damals mit dem Haushalt nicht bezahlbar…
„Da kann man sich dann schon mal die Frage stellen, ob die „neue“ zukünftige Struktur denn überhaupt sinnvoll ist, wenn in 10-15 Jahren sie wieder geändert wird. Denn eine Umstrukturierung dauert ja auch eine gewisse Zeit und um den Vorteil aus einer neuen Struktur zu ziehen, vergehen doch Jahre.“
Ja, Sie haben Recht. Das ist in der Tat ein Problem. Aber es ist nunmal nicht zu ändern.
Und das es nicht zu ändern ist, sieht man nicht nur an den letzten 120 DEU Geschichte, sondern auch daran, dass viele unserer Alliierten ähnlichen Erfahrungen machen und ähnliche Zyklen haben.
Es kann daher mEn nicht das Ziel sein weniger Reformen zu machen, sondern eher bessere!
@Memoria
Auch hier muss man genau hinschauen. In ihrem Link steht vieles und letztlich nix. Müssen wichtige investitionsreife(!) Projekte geschoben oder gestrichen werden wegen Finanzmangel? Und wichtig heißt fallen in meiner Ratio unter 1. “Sind wir schuldig” oder 2.
Wenn die benötigten Finanzmittel für die Umsetzung der NATO Planungsziele bis 2031 FEHLEN und absehbar weder die Planungsziele (z.B. Systemwechsel) oder die Finanzmittel (Einsparungen, Umschichtungen) kompensiert werden können – DANN muss sich das BMVg Sorgen machen.
Ich möchte auch nochmal auf einen Unterschied aufmerksam machen. Die viel beschworenen 2% für Verteidigung ist eine Absichtserklärung und eher politisch wertvoll als für den Kernauftrag der NATO.
Diesen regelt das Bündnis über die Planungsziele und da pocht es auch drauf – das ist der Stützpfeiler des Bündnisses und ihre Basis zugleich. Der NATO ist es dabei letztendlich “wurst” ob die alle am Ende mit 1,2 1,5 oder 2,7 Prozent BIP erfüllt werden. Aber natürlich möchte sie eine einigermaßen gerechte und vor allem gesicherte Lastenteilung – das stellt sie wiederum über die Anpassung der NATO Planungsziele im Zyklus sicher.
Also Geld ist perspektivisch genug da für den Kernauftrag. Ob es für alle Absichten der Streitkräfte und “Projekte” der Bundeswehr reicht, ist mit dem derzeitigen Haushaltswesen eben schwierig zu prognostizieren- das ist ja die berechtigte Kritik vom GI und AKK. Das wird man wohl auch in der Reform merken,
@Hans Dampf
Ich habe ja extra “in ihrer jetzigen Form” geschrieben. Die BwK sind heute auch ein großer ziviler Dienstleister. Es gibt aber nur noch wenige. Die gesamte Strategie der SanVersorgung im LV/BV auch kontinentaleuropäisch gesehen sollte ja eh jetzt überarbeitet werden. Das wird sich auswirken. Ich bin da gespannt. Da gibt es ne Menge Möglichkeiten – es ist eben eine der einfachsten “militärischen” Fähigkeiten die man mit zivilen kombinieren kann
@Jas:
„Wenn die benötigten Finanzmittel für die Umsetzung der NATO Planungsziele bis 2031 FEHLEN und absehbar weder die Planungsziele (z.B. Systemwechsel) oder die Finanzmittel (Einsparungen, Umschichtungen) kompensiert werden können – DANN muss sich das BMVg Sorgen machen.“
Das BMVg macht sich dazu offenbar sehr große Sorgen (siehe SPIEGEL zu FBA).
Sie hatten in anderen Diskussionen die Bedarfe der Nutzer in Frage gestellt, aber auch diese Differenz löst das Grundproblem nicht:
Auftrag (gem. ihrer Kategorie 1 und 2), Kräfte und Mittel passen offensichtlich nicht zusammen.
Ich verstehe irgendwie nicht, dass sie diese Diskrepanz nicht nachvollziehen können.
Vielleicht können sie das mal genauer erläutern?
@ muck
Dieses „Weißbuch“ ist und bleibt eine Alibi-Veranstaltung zur Bespaßung der mikroskopisch kleinen ThinkTanker Szene in Deutschland. Dort kreiste es, wurde bis in seine Atome seziert und interpretiert und verschwand dann doch in der Schublade und wird nur wenn es gerade in den Kram paßt mal zitiert oder genannt. Welche Funktion hat es de facto denn im alltäglichen Politikbetrieb oder gar für die deutsche Bevölkerung? Gar keinen … Ich wage sogar zu behaupten, daß nicht mal die Mehrzahl der MdBs diesen „kleinsten gemeinsamen Nenner“ zwischen SPD und CDU gelesen haben. Schließlich haben beide Parteien aktiv und teils auch recht rabiat jeden Versuch torpediert, dieses mal öffentlich im Bundestag zu debattieren. Warum wohl?
Wenn wir bei Sprachregelungen zum „Verkaufen“ bleiben wollen … Die Politik weiß nicht, was sie eigentlich verkaufen will, weil sie das Thema eigentlich am liebsten unter der Theke verschwinden lassen würde. Ein „Verkaufserfolg“ wird nicht erwartet, stattdessen wird enormer Reputationsschaden befürchtet. Das hatte und hat auch Auswirkungen auf das letzte Weißbuch, das ja einst mit maximalem Getöse als „breite Diskussion“ angekündigt wurde. Und dann stellte sich heraus, daß diese sogenannte „Diskussion“ eher eine Ansammlung von Monologen ausgewählter Redner war, das Ergebnis war vorweg genommen und echte Fragen oder sogar eine echte kontroverse Debatte fand gar nicht statt (und war angesichts der Anlage aller Veranstaltungen offensichtlich auch nie gewünscht). Auch dieses Verhalten trägt nicht zum Schließen des Grabens zwischen sicherheitspolitischer Blase und Gesellschaft bei, denn die Menschen nehmen sehr wohl wahr, ob die Politik sie ernst nimmt oder sie zu vergackeiern sucht. Und wer diesen Graben nicht einmal versucht zuzuschütten, der wird auch ewig Probleme damit haben zu begründen, warum dieser Steuer-Euro in die Bw und eben nicht in die vielen kleinen und großen Wehwehchen (Infrastruktur, Gesundheitsvorsorge, Digitalisierung etc) fließt, die Otto Normalo eben so in seiner unmittelbaren Umgebung wahrnimmt (auch wenn diese wie Bildung oder Gesundheit eben nicht immer Bundesangelegenheiten sind). Und man wird sich ewig damit herumschlagen müssen, daß der politische Gegner ggf genau diese Entscheidungen mit Hinweis auf eben diese „Wehwehchen“ zu torpedieren sucht.
Mit Verlaub, das ist mir viel zu billig. Das allein an den Kanzlern aufzuhängen entbindet den gesamten Politikbetrieb von der Verantwortung, der er sich seit mindestens 30 Jahren zu entziehen sucht. Die Kanzler sind und waren vielleicht die Frontleute und zentral im Mediengewitter, aber verglichen mit der Macht eines Staatspräsidenten á la Frankreich oder in den USA sind sie dennoch kleine Leuchten. Das ist eben unser System, basierend auf einer föderalen Tradition und dem Versuch eine Machtkonzentration á la Drittes Reich um jeden Preis zu verhindern. Es ist eher Ausdruck dafür, daß das „Gründungsideal“ der BRD auch in der „Friedfertigkeit“ (d.h. Abwesenheit von „militärischem Säbelrasseln“ jedweder Art) gesehen und honoriert wird. Daß die Gründungsgeneration der Bundesrepublik am Anfang #ohne Militär auskommen mußte mag anfangs von außen auferlegte Beschränkung gewesen sein, aber sehr schnell wurde aus diesem „Muß“ ein hoch angesehenes „Soll“ … Deutschland sollte aus den Fehlern der Vergangenheit lernen und das Militär aus dem „Werkzeugkasten der Politik“ verbannen. Das war das Ideal (egal wie wenig realistisch das ist und bleibt). Dieses Ideal existiert immer noch, es treibt die Ambivalenz zu Auslandseinsätzen aller Art, es unterfüttert die Schizophrenie, die die Umfrageergebnisse zur Bundeswehr so voller innerer Widersprüche sein läßt und es ist der Brennstoff für die endlos um sich selbst drehenden Debatten um „all things military“ hierzulande (die Drohnendebatte als ein prominentes Beispiel ist ja allen bekannt).
@Nurso:
In der Zeitschrift „loyal II/2021“ und auch online verfügbar auf reservistenverband.de findet sich ein Bericht („Bessere Aufstellung“) zu den verschiedenen Ideen der Spitzengliederung.
Dabei geht es auch in dem Bericht vorallem um die Ebenen *** und **.
Um künftig notwendige Fähigkeiten in Qualität und Quantität geht es dabei nicht, sondern um klassische bürokratische Machtspiele wie in jeder Großorganisation.
Wie sehr sich durch die letzten 20 Jahre auch bei den wesentlichen Verbündeten die Fähigkeiten verändert haben, zeigt eine neue RAND-Studie des Luftkrieges gegen den IS:
„This meant that many practitioners lacked experience in applying these processes to real-world operations and the ‚muscle memory‘ to rapidly execute them“.
https://www.airforcetimes.com/news/your-air-force/2021/02/09/air-war-against-isis-holds-lessons-for-future-battles/
Die Stäbe waren offensichtlich durch Afghanistan und Irak so geprägt, dass schon im Bereich des Luftkrieges die klassischen Verfahren zu „deep ops“ nicht mehr beherrscht wurden.
Dazu kommt natürlich auch der ewige Streit zwischen taktischer Luftunterstützung und strategischem Luftkrieg.
Was bedeutet alldas für die Bundeswehr der Zukunft?
Gibt es den politischen Anspruch an solchen Szenaren künftig „auf Augenhöhe“ mitzuwirken?
Zumindest wird ja aktuell sehr viel in die Modernisierung der Luftwaffe investiert.
Aber mit einem echten Ziel?
Der GI hatte ja zu Jahresbeginn bereits die Munitionsbevorratung als Sparpotenzial angesprochen.
Das britische Heer soll um fast 10.000 Soldaten schrumpfen. Mit den Einsparungen soll zusätzliches Material für die gesamten Streitkräfte finanziert werden.
Ich sage voraus, dass es in der Bundeswehr auch so kommen wird.
170.000 Soldaten und hochwertiges Equipment. Das ist der Weg!
@Florian Staudte:
das könnte tatsächlich so sein…
wenn man zusätzlich das Kunststück hinbekommt die Anzahl an einsatzbereiten Soldaten zu erhöhen (also weniger Wasserkopf mehr Fußvolk) und diese dann 120% einsatzbereites, modernes Material haben…
dann wäre das nicht das schlechteste…
gleichzeitige Ausweitung der Reserve (Schwerpunkt Heer) und genug eingelagertes Material für die Reserve (G36, diverse „alt“-Fahrzeuge) inkl. Überarbeitung des Reservekonzepts…
@Florian Staudte u. Obibiber:
Das Problem bei der Umsetzung solcher Ideen ist der enorme Finanzbedarf zur Modernisierung von Luftwaffe und Marine (inkl. nukleare Fähigkeiten) in Deutschland und Großbritannien.
Da besteht erneut (!) die Gefahr, dass die Landstreitkräfte weiter reduziert werden und eine spätere Verbesserung der Ausstattung in Aussicht gestellt wird (die dann nie so umgesetzt wird).
Großbritannien steht vor grundlegenden Fragen über die Zukunft der Fähigkeiten der Landstreitkräfte und deren Rolle in der NATO.
Ähnliche Fragen sollten sich derzeit in Deutschland stellen, es müssen jedoch nicht die gleichen Antworten sein.
Nicht mehr viel Zeit bis Mai, um dann konkrete Vorschläge vorzulegen.
@Memoria
Man muss trennscharf bleiben. Wenn die FBA für ALLE DERZEITIGEN geplanten Kosten als kritisch bewertet wird, ist das fair. Wenn es möglich wäre würde ich planerisch eh mit 110% reingehen um dann mit den Holprigkeiten vor allem in der Rüstung am Ende Haushaltsvorzug melden zu können. Das macht man für den EP14 ja auch durch das schieben und neuzuweisen quasi.
Soll heißen: Eigentlich muss zu wenig Geld da sein XD.
Aber – und das ist eben wichtig – der Status Quo stellt eben keinen Abgleich zum wirklich Notwendigem dar – diesen wird man in der Reform wohl schnell herauslesen können.
Machen wir uns nix vor – von 52 Mrd fließen ne Menge Euro in Dinge die nicht zum Kerngeschäft der Verteidigung gehören. Da auszumisten muss kein Spardiktat sein – vielmehr eine Optimierung ;)
Fürs Kerngeschäft ist genug Geld da. Für Personal, Infrastruktur und Material – ob es für alles zusätzliche reicht mag mancher kritisch sehen – ob es das alles geben muss aber eben so.
@Jas:
Ganz trennscharf:
Die besagten 52 Mrd sind schonmal mehr als der aktuelle und geplante EPl. 14.
Die FBA gibt ja vorallem einen Ausblick auf die Bedarfe bei Personal, Infrastruktur und Material.
Wo soll denn aus ihrer Sicht so umfassend gespart werden, damit es wieder so gut funktioniert, um die Zusagen im NDPP (also ihrer Kategorie 1) einzuhalten?
Natürlich kann man Sportförderung und weitere Klassiker aus dem Nichtkernbereich einsparen, aber wo ist der echte Hebel?
Offenbar vorallem beim Verzicht in Qualität und Quantität der Fähigkeiten und damit im Bereich der Zusagen im NDPP.
Oder was ist ihr konkreter Vorschlag zur Optimierung?
@Memoria
Ich nehme an ihre Erwartungshaltung ist nicht, dass ich hier jetzt die zig Seiten aus dem Bundeshaushalt und dem Finanzplan auseinandernehme und schlaue Sparvorschläge mache – das wäre auch unsachlich.
Aber auch die FBA des BMVg ist eine gesamte Kostenübersicht und Investitionsschau – ohne umfassende Bewertung der einzelnen Kategorien und Gruppen. Also:”Wenn wir weitermachen wie bisher (geplant) dann brauchen wir wohl x”
Das wird wohl weiter zu untersuchen seien – welche Kosten unabdingbar sind und welche nicht. Auch das erhoffe ich von der Reform.
Ja Quantität und Qualität von Fähigkeiten kann ein Sparansatz sein. Das müssen aber erstmal nicht die der NATO Planungsziele sein. Auch das ist eben der Kern meiner Ausführungen zum Prozess. Hätten wir genug Geld und Personal für die Planungsziele UND was wir sonst so als Bundeswehr noch gerne alles hätten und tun – bräuchten wir keine Reform…
Warten wir doch mal morgen ab. Und dann den Mai – vorher ist alles sehr spekulativ.
@Jas:
Dann bin auch ich mal gespannt wie die Vorschläge im Mai aussehen.
Hoffentlich ist ihr Optimismus berechtigt – und dann folgen ja Wahlkampf, Koalitionsverhandlungen, Haushaltsplanungen, etc.
Die SPD sieht die Bundeswehr – da politisch gerade opportun – erneut an der Leistungsgrenze in der Sahelzone:
https://tinyurl.com/1g9fpbn3
Wenigstens ist es dieses Mal kein (vorgebliches) verfassungsrechtliches Problem.
Eine konsequente Reform, die mehr einsatzbereite Kräfte generieren würde, wäre politisch nicht immer opportun.