SWP-‚Denkanstoß‘ für die Bundeswehr: Mehr Geld allein macht nicht glücklich
Die Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) hat am (heutigen) Freitag ein Papier zu Reformüberlegungen für die Bundeswehr vorgelegt, dass wegen seiner Autoren schon vorab von sich reden gemacht hatte: Neben dem ehemaligen Befehlshaber des Einsatzführungskommandos, Rainer Glatz, der frühere Wehrbeauftragte des Bundestages, Hans-Peter Bartels. Ihr nicht so überraschendes Fazit: Weniger Stab, mehr Truppe – neben mehr Geld.
Das achtseitige Papier Welche Reform die Bundeswehr heute braucht – Ein Denkanstoß gibt’s hier zum Herunterladen. Aus den Schlussfolgerungen der Autoren:
Eine künftige Struktur muss die Personalstärke der Truppe wieder erhöhen (zulasten von Stabsstrukturen) und durchhaltefähige, ausbildungsfähige Truppenteile mit vollständiger Ausrüstung (Vollausstattung) und mit Personal schaffen, das für den Gesamtauftrag ausgebildet ist . (…) Das seit etwa zwanzig Jahren geltende Paradigma, Streitkräfte prozessorientiert und betriebswirtschaftlich effizient führen zu sollen, ist kritisch zu überprüfen. Den Kriterien einer hohen Einsatzbereitschaft kann ein betriebswirtschaftlicher Ansatz nicht genügen (Bevorratung statt »just in time«). Um die Wahrnehmung von Verantwortung in einer Hand überhaupt zu ermöglichen, muss die Materialverantwortung in der Nutzungsphase, das heißt nach Indienststellung des Gerätes, an die Inspekteure zurückgegeben werden.
Zusammen mit anderen Empfehlungen wie der Wiedereinrichtung des unter Verteidigungsminister Thomas de Maizière abgeschafften Planungsstabes im Ministerium klingt einiges wie die Rückbesinnung auf frühere Strukturen. Das gilt auch für die Überlegungen zur militärischen Führungsorganisation, an denen Generalinspekteur Eberhard Zorn ohnehin seit einiger Zeit arbeitet (und die, so scheint es, durch die aktuelle Pandemie ein wenig verzögert wurden). Im Papier von Bartels und Glatz heißt es dazu
Zu prüfen wäre, ob dem Generalinspekteur eine Art »Chef des Stabes« zugeordnet wird, der mit einem leistungsfähigen Unterbau die militärischen Abteilungen steuert, die Zusammenarbeit mit den zivilen Abteilungen koordiniert und die grundsätzlichen Weisungen/Befehle des Generalinspekteurs an dessen nachgeordneten militärischen Bereich innerhalb und außerhalb des Ministeriums umsetzt.
So was ähnliches gab es schon mal. Hieß Führungsstab der Streitkräfte und wurde im Zuge der so genannten Neuausrichtung der Bundeswehr aufgelöst.
@Memoria sagt: 02.11.2020 um 20:12 Uhr
„Notwendig ist vorallem – wie im SWP-Papier vorgeschlagen – ein energisches Zurückschneiden des OrgBer-Wildwuches.
Notwendig wären als milOrgBer nur Land, See, Luft/Weltraum, SpezKr und eventuell Cyber (jedoch ohne IT und EloKa).“
Ich würde bei Cyber widersprechen. Dazu bedarf es keines OrgBereichs, sondern hier reicht eine BMVg unmittelbsare Dienststelle. Im Sinne der alten (graue Vorzeit) ZMD (zentrale militärische Dienststellen. Auch hier bin ich zwar für ein zurückfahren des Wildwuchses, da muss man zahlreiche Dienststellen wieder in die Linie eingliedern, aber für die eine Cyberdienststelle (denn wenn man, wie Sie zurecht anmahnen, IT und EloKa auch in die TSK zurück gibt), dann ist es Cyber im Kern ja nicht mehr als 1.000 bis max. 2.5000 Sdt/Zivilbedienstete.
Bei SpezKr kann man so oder so sehen. Hat Vor- und Nachteile. Auch hier würde ich eher für eine BMVg unterstellte Dienststelle (in diesem Fall Großverband unter einem Einsterner) plädieren, dann an einem eigenen vollwertigen OrgBereich hängen halt zu viele Sonderbefugnisse, die dann den echten TSK nur Probleme in der MZ von Vorschriften und Weisungen machen werden.
@ Pete sagt, 01.11.2020 um 1:17 Uhr:
„Um dies zu beantworten müßte man zunächst einmal wissen, WOFÜR, und zwar sehr konkret, es die Bundeswehr heute überhaupt noch gibt und diese Bundeswehr dann diesbezüglich sehr konkret und sehr konsequent daraufhin ausbilden und ausrüsten.“
Meines Erachtens ist es nicht übermäßig schwer, diese Frage zu beantworten: Die Bundeswehr existiert, damit Deutschland gegenüber seinen Partnern Bündnissolidarität demonstrieren kann. Ohne EU und NATO stände die BRD doof da, also beteiligt man sich notgedrungen an den militärischen Aktivitäten dieser Organisationen. Weil die eigene Bevölkerung das geschichtlich bedingt aber eher ungern sieht, wird in multinationalen Einsätzen immer nur das absolute Minimum geleistet.
Aus diesem Dilemma wird sich Deutschland auch in den kommenden Jahrzehnten nicht befreien können, weshalb es nur konsequent wäre, die Bundeswehr entweder komplett aufzulösen oder zumindest auf Logistik, Pionierwesen und Sanität zu beschränken. Vielleicht noch ein oder zwei Infanteriebataillone für die Force Protection, aber teures Großgerät wie Kampfflugzeuge oder Schützenpanzer könnten wir uns definitiv sparen.
(Zur Klarstellung: Nein, ich bin natürlich nicht für die Auflösung der Bundeswehr, sehe aber auch nicht, was die gefühlt 758936. Reform am Zustand der Truppe ändern sollte. Das Problem sind nicht die internen Strukturen, es ist die Mentalität der bundesdeutschen Bevölkerung und somit auch die ihrer Politiker.)
„Wer auch nur ansatzweise glaubt, dass diese Bundeswehr wirklich kämpfen kann, der lebt in meinen Augen nicht in der Realität, ich hoffe ich täusche mich.“
Hier muss ich teilweise widersprechen: Auf den Ebenen Teileinheit bis Verband kann die Bundeswehr durchaus kämpfen, wie uns die Jahre 2009 bis 2012 gezeigt haben. Was die Gesamtlage angeht, haben Sie aber natürlich recht.
@ Bow
Sie sprechen den entscheidenden Punkt an und genau daran scheitert ja auch der Abbau des Wasserkopfes.
Solange man keine Reform des Status „Berufssoldat“ vornimmt, nach Vorbild „BO 41“, wird sich daran auch nichts ändern. Der DBwV hat das ja schon als „BS flex“ oder „BS Vario“ vorgeschlagen. Nur so hätte man die notwendige Flexibilität seitens des Dienstherrn, auf Strukturveränderungen auch entsprechend (5 Jahre im Voraus) zu reagieren – unter Berücksichtigung der dienstlichen Erfordernisse, die hier natürlich im Vordergrund stehen müssen, gälte das natürlich auch für die Soldaten selbst.
Wen man heute als BS einstellt, den hat man noch locker für 30 Jahre als „Fixkosten“ am Hacken. Was sich alles so in 30 Jahren ändern kann, wissen wir wohl alle. Insofern: Die „Elefantenfriedhöfe“ werden bleiben…
@Koffer:
Mir ging es vorallem darzustellen, dass eine Verminderung der OrgBer – angelehnt an die NATO-Einteilung – Sinn macht. Dabei kann es dann durchaus Sinn machen Cyber und eventuell SpezKr eine herausgehobene Stellung zu geben ohne die gesamte Rolle als OrgBer (ZMD hatte ich da auch vor Augen).
Dabei müsste vorallem die Mitsprache im Planungsprozess abgebildet sein.
Wichtiger ist aber der grundlegende große Wurf – weg von der Prozessorientierung (und damit Verantwortungsdiffusion) hin zu klaren Zuständigkeiten, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten.
Das beginnt aus meiner Sicht bereits bei den Staatssekretären und dem GI, geht weiter bei den ministeriellen Abteilungen, den zentralen Dienststellen, den OrgBer, etc.
Man kann nur hoffen, dass diese Studie verschiedenen (künftigen) Entscheidern den grundsätzlichen Handlungsbedarf aufzeigt, der nach der Wahl angegangen werden muss.
Ich empfehle zum Thema „mehr Geld macht nicht glücklich“ das neue Papier der Niederlande: Defence Vision 2035.
Dort Seite 40 bis 44. Und insbesondere S. 44 macht deutlich, wo das deutsche aber auch niederländische aber auch europäische Problem liegt.
Die Lücke, die dort aufgezeigt wird und analog sicher bei manchem Alliierten besteht, ist durch Vorschläge von organisatorischen Maßnahmen nach dem Motto „hättet Ihr mich nur gefragt und machen lassen“ nicht zu schließen. Es fehlt der politische Wille. Dazu paßt gut, was S. Neitzel dazu sagt: Bundeswehr ist Innenpolitik. Und aus der Perspektive ist alles gut . . .