Neue SWP-Studie: Was kann und soll die Bundeswehr im Cyber-Krieg?

Seit gut drei Jahren hat die Bundeswehr ein Kommando Cyber- und Informationsraum (Kdo CIR), mit einem eigenen Inspekteur, und einer ziemlichen Bandbreite an Aufgaben. Hacker im eigentlichen Sinne, oder besser ausgedrückt: offensive Computer-Netwerk-Operationen sind nur für eine vergleichsweise kleine Gruppe in diesem Kommando der Auftrag. Aber was könnte, soll und darf die Bundeswehr mit solchen offensiven Operationen überhaupt leisten? Das steht im Mittelpunkt einer neuen Studie der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik, die die Bundesregierung berät.

Die am (heutigen) Montag veröffentlichte Studie Militärische Cyber-Operationen – Nutzen, Limitierungen und Lehren für Deutschland von Matthias Schulze, dem stellvertretenden Leiter der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik der SWP, kommt zu einem eher skeptischen Ergebnis. Knapp gesagt: Bei Stabilisierungsmissionen und Einsätzen zur Krisenbewältigung habe es die Bundeswehr in der Regel mit Gegnern zu tun, bei denen digitale Technologie eine geringe Rolle spiele – und für die Landesverteidigung seien offensive militärische Cyber-Operationen (OMCO) mit der Gefahr verbunden, als Spionage eine Situation erst anzuheizen.

Oder, in den Worten des Autors:

• Deutschland sollte auch in Zukunft daran festhalten, keine strategischen OMCO zu planen und zu entwickeln. Der strategische Einsatz von OMCO ist operativ zu aufwendig, extrem risikobehaftet und zudem der globalen Sicherheit des Cyber-und Informationsraums unzuträglich.
• Sehr limitierte und überschaubare Cyber-Operationen zur sequenziellen Begleitung von Kampfeinsätzen können bei hochtechnisierten Gegnern sinnvoll sein. Der größte Nutzen von OMCO liegt in ihrer Spionagefunktion und weniger in disruptiven, zerstörerischen militärischen Effekten.
• Für das typische Einsatzprofil der Bundeswehr, nämlich Konfliktmanagement in wenig digitalisierten Regionen mit schwacher Staatlichkeit, dürften militärische Cyber-Operationen nur in wenigen Fällen einen militärischen Nutzen haben.
• Um effektiv zu sein, müssen OMCO auf Ziele exakt zugeschnitten sein. Bei einem OMCO-Einsatz zur Landesverteidigung müssen daher schon im Vorfeld und noch zu Friedenszeiten Zielinformationen beim potentiellen Gegner erhoben worden sein – mittels offensiver Cyber-Spionage in fremden Netzen. Diese Präemptionslogik erzeugt aber ein Sicherheitsdilemma bei potentiellen Gegnern und kann destabilisierend wirken.

Diese Einschätzung wird natürlich je nach Perspektive unterschiedlich bewertet werden – und mich würde schon eine Antwort des Kommando CIR auf diese Ansicht interessieren.

Auf jeden Fall hat Schulze einen Punkt, wenn er darauf hinweist, dass solche Cyber-Operationen von Verteidigungsministerium und Bundeswehr zwar in verschiedenen Papieren angeführt werden – aber eine detaillierte Debatte, auch über das Mitspracherecht des Bundestages, derzeit nicht wirklich stattfindet:

Im deutschen Cyber-Sicherheitsdiskurs werden diese Eigenheiten offensiver militärischer Cyber-Operationen (OMCO) kaum offen diskutiert. Die Diskussion dreht sich bisher vorwiegend um die zivile Nutzung von Cyber-Angriffen im Rahmen der aktiven Cyber-Abwehr, das heißt als Reaktion auf fremde Cyber-Attacken (sog. »Hackback«). … Die militärische Seite indes ist weitgehend unterbelichtet. Es herrscht Unklarheit darüber, welche grundsätzlichen Ziele Deutschland mit eigenen OMCO verfolgt und wie sich diese strategisch in die deutsche Sicherheitspolitik einbetten lassen.
Auch die zentralen strategischen Dokumente wie das Weißbuch und die Konzeption der Bundeswehr von 2018 geben auf die Frage, inwiefern Cyber-Operationen ein sinnvolles Mittel für Deutschlands Außen-und Sicherheitspolitik sein können, keine stichhaltige Antwort. Es ist unklar, ob militärische Cyber-Fähigkeiten zum spezifischen Profil der Bundeswehr, etwa beim internationalen Konfliktmanagement, passen oder tatsächlich zur Landesverteidigung beitragen können. Es gibt auch keine Diskussion darüber, welche Arten von Cyber-Operationen von Deutschland zu erwarten sind. Diesbezügliche parlamentarische Anfragen werden in der Regel mit dem Verweis auf den Geheimschutz nicht beantwortet.

Angesichts der recht generischen Aussage, dass der militärische Einsatz solcher Computer-Operationen wie ein Einsatz herkömmlicher Waffen der Zustimmung des Parlaments unterliege, stellt sich natürlich die Frage, worüber die Abgeordneten eigentlich gegebenenfalls abstimmen sollen. Denn welche Fähigkeiten Panzer, Artillerie, Jagdbomber und Kriegsschiffe mitbringen, ist Ihnen mehr oder weniger bekannt – wie sich diese Cyber-Operationen auswirken, viel weniger.

(Foto: Präsentation des Kdo CIR auf der Informationslehrübung Landoperationen 2019)