„Jeder Beamter oder Soldat muss da mindestens ein Störgefühl haben“

Es geht nicht allein ums Geld. Genau genommen um Summen, die im mehr als 40 Milliarden schweren Verteidigungshaushalt fast wie ein Rundungsfehler klingen. Eine Million Euro, so hoch seien vermutlich die Mehrausgaben, die durch eine möglicherweise unsaubere Vergabe von Beratungsleistungen für ein Projekt entstanden seien. Das rechnete  Helmut Peters vom Bundesrechnungshof (BRH) am späten Donnerstagabend dem Bundestags-Untersuchungsausschuss zu den umstrittenen Beraterverträgen im Verteidigungsministerium vor.

Doch diese Summe ist für den 58-jährigen Leiter des Prüfgebiets 4.3 bei der Bonner Behörde nicht das entscheidende. Viel wichtiger sei die Frage, wie beim Projekt Product Lifecycle Management (PLM), der Auswertung von Nutzungsdaten des neuen Transportflugzeugs A400M, ein bestimmtes Unternehmen an der Konzeption des Projekts beteiligt war. Und danach ohne Ausschreibung über den Einstieg in einen Rahmenvertrag, der für ganz andere Leistungen vorgesehen sei, plötzlich auch den Auftrag erhielt: Jeder Beamte oder Soldat mit entsprechender Lebens- oder Berufserfahrung muss an der Stelle mindestens ein Störgefühl haben.

Der Auftakt der öffentlichen Anhörungen des Untersuchungsausschusses, der durch BRH-Berichte zur Vergabe von Beratungs- und Unterstützungsverträgen im Verteidigungsministerium im vergangenen Jahr ins Rollen gekommen war, zeichnete die künftigen Konfliktlinien für die Arbeit der Parlamentarier schon mal vor.

Über Stunden erläuterten Peters und seine Kollegin Thea Dilger den neun Ausschussmitgliedern, was sie eigentlich geprüft haben: Keineswegs, ob die Nutzung externer Berater und Dienstleister in Ministerium und Truppe inhaltlich notwendig und in der Qualität erfolgreich war. Sondern allein, ob die Vergabe dieser Verträge rechtlich einwandfrei über die Bühne gegangen war.

Und genau das, so das Urteil der BRH-Prüfer, war nicht der Fall. Das PLM-Projekt war eines der Beispiele, die schon öffentliche Aufmerksamkeit erregt haben. Denn dabei geht es nicht allein um die Frage der Vergabe – sondern auch, längst in Medienberichten thematisiert, um die Frage, ob einer der Beteiligten im Ministerium sein Gegenüber bei einer Beratungsfirma persönlich kannte und das die Vergabe zumindest beeinflusst habe.

Nun ist BRH-Mann Peters keiner, auf den das oft geäußerte Vorurteil zutrifft, der Rechnungshof gehe übermäßig kritisch mit den Streitkräften um und erkenne deren Bedürfnisse nicht an. 13 Jahre war er Zeitsoldat, studierte bei der Bundeswehr und machte sein Diplom als Informatiker, ehe er zum damaligen Bundesgrenzschutz und später zur Bundespolizei wechselte, deren Informationstechnik organisierte und vor zehn Jahren zum Bundesrechnungshof kam. Dass gerade die Bundeswehr in den Zeiten des schnellen Wechsels in der Informationstechnik schneller reagieren müsse, ist für ihn keine Frage: die Abläufe im Beschaffungswesen mit ihrer jahrelangen Dauer seien schlicht nicht hinnehmbar: Da müssen wir schneller werden, sagt die Bundeswehr, und der Bundesrechnungshof unterstützt das.

Doch gerade deshalb, das machte der 58-jährige auf die stundenlangen Fragen der Abgeordneten deutlich, müsse die Vergabe an immer wieder benötigte externe Fachleute auch sauber ablaufen. Gerade beim PLM-Projekt sei das aber von Anfang an falsch passiert. Schon der Rahmenvertrag mit dem Bundesinnenministerium, in den der konkrete Auftrag eingeklinkt wurde, sei nur für Softwarebeschaffung und -pflege vorgesehen gewesen, nicht für andere Projekte: Es bleibt dabei, diese Vergaben waren rechtswidrig.

Über die aus BRH-Sicht rechtswidrige Vergabe hinaus sei das konkrete Problem, dass bei einer Besprechung der damaligen Abteilungsleiter für Ausrüstung, Planung und Cyber- und Informationstechnik (CIT) im November 2017 auch die Firma mit am Tisch saß, die dann später auch den Auftrag für das PLM-Projekt bekam. Namen der Beteiligten nannte Peters schon aus Datenschutzgründen im Ausschuss nicht, aber sie sind längst öffentlich bekannt: Die von ihm als Unternehmen A. bezeichnete Firma war das Dienstleistungsunternehmen Accenture, Abteilungsleiter Ausrüstung der damalige Generalleutnant und heutige Staatssekretär Benedikt Zimmer, Abteilungsleiter CIT der inzwischen ausgeschiedene Hardy Mühleck und Abteilungsleiter Planung der Generalleutnant Erhard Bühler – der wiederum den Vertreter von Accenture privat kannte.

Als Folge der Besprechung, so schilderte der BRH-Prüfer, sei dann ein Erlass an das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) ergangen, genau dieses Unternehmen mit dem Projekt zu beauftragen – mit ausdrücklichem Bezug auf die damalige Rüstungs-Staatssekretärin Katrin Suder. Das BAAINBw habe da gar nicht mehr unabhängig prüfen können, ob auch eine andere Firma infrage komme: Es ist schwierig für einen Mitarbeiter im BAAINBw, gegen drei Abteilungsleiter plus Staatssekretärin zu argumentieren.

Das klingt alles sehr nach Details, dürfte aber ungeachtet der recht geringen Summe, um die es dabei geht, einer der entscheidenden Punkte im Ausschuss werden. Denn die mit diesen Details verbundenen Vorwürfe richten sich gegen drei zentrale Personen im Verteidigungsministerium: Zimmer ist inzwischen als Staatssekretär für Rüstung zuständig; Bühler soll als Vier-Sterne-General auf einen wichtigen NATO-Posten wechseln, und Suder ist zwar nicht mehr im Amt, hat aber eine große Nähe zur Verteidigungsministerin.

In der nichtöffentlichen Sitzung des Verteidigungsausschusses im vergangenen Jahr, noch vor der Einsetzung des Untersuchungsausschusses, hatte deshalb auch genau dieses Projekt schon eine wichtige Rolle gespielt. Bühler hatte damals diese Vergabe an Accenture, die der BRH in den Mittelpunkt der Kritik an dem Projekt PLM stellt, vehement verteidigt: Die Firma Accenture arbeitete zu diesem Zeitpunkt bereits im BMVg in anderen Abteilungen. Wir hatten hervorragende Zusammenarbeit mit ihr. Sie war vertraut mit den Gegebenheiten, sie war vertraut mit dem Bereich CIT bei uns. … Es lag also nahe, und aus meiner Sicht war es offenkundig, dass wir die Firma um Rat fragen sollen.

Bühler selbst ist vom Untersuchungsausschuss als Zeuge geladen, also wird diese unterschiedliche Einschätzung des Projekts und der Vergabe sicherlich noch zur Sprache kommen. Allerdings traf Peters vor dem Untersuchungsgremium schon eine Aussage, die einen Teil der Skandalisierung des privaten Kontakts zwischen dem Generalleutnant und einem Accenture-Vertreter ausräumen könnte: Zu dem Ergebnis, dass ein Auftrag aufgrund eines solchen Kenn-Verhältnisses vergeben wurde, seien die Prüfer nicht gekommen.

Die Ergebnisse der BRH-Spezialisten waren auch so für das Ministerium unangenehm genug. Peters‘ Kollegin Dilger, Leiterin Prüfgebiet 4.1., nannte vor dem Ausschuss etwas überraschend deutlich höhere Fehlerquoten als bisher bekannt für eine nicht korrekte Vertragsvergabe. Für 96 Prozent der untersuchten Verträge über Beratungs- und Unterstützungsleistungen habe es keine ausreichende Wirtschaftlichkeitsuntersuchung gegeben, bei 80 Prozent keine ausreichende Begründung für die Beauftragung externer Dienstleister. Nach Widerspruch aus dem Ministerium lägen diese Zahlen bei 75 und 55 Prozent. Dem sei der BRH dann nicht mehr im Detail nachgegangen: Schon die vom Ministerium eingeräumte Fehlerquote sei so groß, dass unzweifelhaft großer Handlungsbedarf besteht.

Ein Detail, dass bei der ersten Zeugenvernehmung nur am Rande eine Rolle spielte, dürfte übrigens in den nächsten Ausschusssitzungen auch noch eine Rolle spielen: Die Frage, ob eine Anweisung ans BAAINBw für einen Beratungsauftrag an ein Unternehmen von einem Berater gezeichnet wurde – ob also ein Externer weitere Externe mit einem Vertrag bedacht hat. Auch der Name wurde in der öffentlichen Sitzung nicht genannt, vor allem die FDP machte deutlich, dass sie da noch weitere Aufklärung suchen wird.

Vor den beiden Zeugen hatte der Ausschuss den Inspekteur des Kommandos Cyber- und Informationsraum, Generalleutnant Ludwig Leinhos, zu grundsätzlichen Fragen von Beratungs- und Unterstützungsleistungen angehört – allerdings nicht als Zeugen, sondern als Sachverständigen.

Leinhos ließ in seiner Darstellung keinen Zweifel daran, dass die Bundeswehr vor allem beim Thema Informationstechnik derzeit ohne externe Unterstützung kaum handlungsfähig wäre. In bestimmten Bereichen wie einer Cloud-Infrastruktur oder dem umfassenden IT-Portfolio-Management fehlten den Streitkräften Experten, die für den eigenen Bedarf erst ausgebildet werden und deswegen vorübergehend auf dem zivilen Markt eingekauft werden müssten. Das grundsätzliche Problem würden aber auch eigene Fachleute nicht völlig beseitigen können: Wir werden immer einen Bedarf haben an Unterstützungsleistungen.

Die Bundeswehr habe jedoch inzwischen begonnen, dem Mangel an Spezialisten in der Informationstechnik zu begegnen, betonte Leinhos. So sei bisher das Fachstudium von Offizieren nicht zwingend an ihre spätere Tätigkeit in den Streitkräften gekoppelt: Da müssen wir umdenken. Auch schnellen Verwendungswechsel in den militärischen Werdegängen bedeuteten Expertiseverlust. Wir werden die Stehzeiten auch im höheren Dienst für bestimmte Bereiche verlängern müssen, ohne dass die Leute Laufbahnnachteile haben, kündigte der Inspekteur an. Eine Zeit von zwölf Monaten oder eineinhalb Jahren auf einem hoch spezialisierten Posten sei für unsere High Potentials nicht sinnvoll.

Der Generalleutnant machte vor dem Untersuchungsausschuss allerdings auch deutlich, dass er für die Frage nach exterer Beratungsleistung eigentlich der Falsche sei – in seinem Aufgabengebiet als Inspekteur eines Organisationsbereiches habe er es eher mit Unterstützungsleistungen zu tun.Und zu möglichen Regelverstößen bei der Vergabe von Aufträgen könne er schon gar nichts sagen: Wir sind ja keine Vergabestelle.

(Fotos: Felix Zahn/photothek.de)