Digitalisierung der VJTF2023: Neue Software, alte Hardware

Für die Digitalisierung der Landstreitkräfte in der nächsten vom Deutschen Heer gestellten NATO-Speerspitze setzt die Bundeswehr auf neue Software, die auf den bereits vorhandenen Funkgeräten und Computern genutzt werden soll. Anfang der Woche schrieb das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) den Auftrag für ein entsprechendes Battle Management System für die Landkomponente der Very High Readines Joint Task Force (VJTF) im Jahr 2023 aus. Das neue System soll ab Januar 2020 eingeführt werden; als Abschluss der Arbeiten wird August 2021 angegeben.

Aus dem veröffentlichten Ausschreibungstext:

Der Fokus in dieser Vergabe liegt auf der Beschaffung einer als Framework geeigneten Produktsuite, der Anbindung und Ablösung der ersten COI [Community of Interest] Specific Services, der Integration der Software auf die vorhandenen Funkgeräte- und Führungsausstattungen und der Lieferung von Beiträgen zur Serviceentwicklung MESBw [Mission Enabling Service Bundeswehr]. Die Stückzahl beläuft sich ca. auf 3 000 Instanzen. Das Framework stellt die Grundfunktionalitäten des Systems (Funkintegration, Lagebearbeitung und BFT [Blue Force Tracking]) über alle Führungsebenen sicher und ist so anzulegen, dass ein hohes Maß an Planbarkeit und Stabilität gegeben ist.
[Erläuterungen in eckigen Klammern von T.W.]

Die Zeit drängt – für den deutschen Beitrag zur NATO-Speerspitze 2023, wie im kommenden Jahr im wesentlichen der Kern einer Brigade, müssen zahlreiche Aufträge im Jahr 2019 angeschoben werden: Die Ausrüstung muss so rechtzeitig bereitstehen, dass die Truppe in der Stand-up-Phase im Jahr 2022 damit umgehen kann.

Deshalb soll auch nur der Software-Anteil des derzeit genutzten Führungsinformationssystems Heer durch ein Military Off the Shelf-Produkt, also eine bereits marktverfügbare neue Software, abgelöst werden. Durch die Hardware bedingte Einschränkungen wie die Bandbreite für die Datenübertragung werden damit nicht verändert.

Die Digitalisierung der VJTF hatte sich das Heer als Zwischenziel auf dem Weg zum Heer 4.0 im Jahr 2032 vorgemerkt; die VJTF-Brigade ist damit die erste, die vollständig mit digitalen Führungs- und Kommunikationssystemen bereit stehen soll.

Die interessante Frage wird, wie jetzt ausgeschriebene neue Battle Management System unter Beibehaltung der vorhandenen Funkgeräte- und Führungsausstattungen mit dem vor wenigen Tagen gestarteten Digitalisierungsprogramm des Heeres kompatibel sein wird. Dafür wurde ja eigens in Munster ein Versuchsverband aufgestellt:

In Munster werden die Soldatinnen und Soldaten ab sofort die neuen Möglichkeiten der Digitalisierung nutzen. Sie werden dazu beitragen, nicht nur die Landstreitkräfte zukunftsfähig zu machen, sondern damit die Bundeswehr insgesamt zu stärken. „Der Testverband geht aktiv in die ‚Digitale Welt‘, um zu testen, was die neuen Produkte der Industrie tatsächlich können und wie sie das Kerngeschäft der Landstreitkräfte verändern“ sagte Generalleutnant [Jörg]Vollmer. Der Schwerpunkt des Vorhabens, mit dem das Heer auf dem Weg in die Zukunft vorangeht, liegt dabei zunächst auf der Führungsfähigkeit und der Digitalisierung in der Dimension Land.
Das bedeutet beispielsweise, dass Systeme des Heeres wie Aufklärungsdrohnen, Schützenpanzer, Artilleriesysteme und viele mehr, bis hin zum Einzelschützen, mit den Gefechtsständen und anderen Führungseinrichtungen vernetzt werden. So können Daten und Erkenntnisse der Aufklärungskräfte (Sensor) über gegnerische Ziele oder Handlungen unmittelbar an die Waffensysteme (Shooter) weitergegeben und damit eine schnelle Aktion oder Reaktion durch Waffenwirkung erzielt werden. Auch die Kommunikation wird digitalisiert. Im Zuge der Digitalisierung Land können sehr große Datenmengen viel schneller übertragen und damit detailliertere Lagebilder gewonnen werden, um eigene Operationen zielgerichtet und deutlich schneller zu führen. Ebenfalls werden eigene Führungseinrichtungen vom Gegner schwerer aufgeklärt und identifiziert werden können. Die eigenen Kräfte können deutlich besser geschützt werden.

berichtete das Heer am 6. Dezember* vom Startschuss der Digitalisierung. Und nennt dabei ausdrücklich die VJTF:

Ziel ist, dass die Möglichkeiten der Digitalisierung handfeste Früchte tragen. Ganz konkret gilt das für eine bessere Führungsfähigkeit der Speerspitze der NATO, der Very High Readiness Task Force (Land), kurz VJTF (L), bereits für das Jahr 2023.

Aus Sicht des Heeres ist die Erprobung des neuen Battle Management Systems eine der ersten Aufgaben des Versuchsverbandes:

Mit dem Testverband wird also die Digitalisierung erprobt. Das erfolgt notwendigerweise in Einzelschritten. Zunächst geht es im Kern um den Betrieb eines neuen Führungs- und Informationssystems, auch Battle Management System genannt. Das bedeutet: Jedes Gerät, jedes Fahrzeug soll mit jedem anderen verknüpft werden, sodass die militärische Führung jederzeit ein klares Lagebild besitzt. Sie weiß, welcher Panzer wo im Gelände ist und was die anderen Einheiten machen. Am Ende sollen nicht nur die deutschen Einheiten damit verbunden werden, sondern auch die, anderer Nationen. Eine Grundforderung an eine Rahmennation.

Allerdings: Bei dem Versuchsverband dürfte es nicht zuletzt darum gehen, neue Hardware und vor allem die Integration neuer Funk-, Kommunikations- und Computersysteme in die Vielzahl der verschiedenen Funktions-, Führungs- und Gefechtsfahrzeuge des Heeres zu erproben – und eben nicht nur die Nutzung neuer Software auf vorhandener Hardware. Da wird es interessant zu sehen, wie die im kommenden Jahr gefundene Lösung für die VJTF 2023 zu dauerhaften Strukturen über diese Brigade hinaus führen kann.

*Vorsorglich, da die Bundeswehr-Webseiten in absehbarer Zeit auf ein neues System umgestellt werden, die Heeres-Beiträge als pdf:

20181203_Die Umsetzung des Plans Heer beginnt

20181213_Deutsche_Landstreitkräfte_werden_digital

(Foto: Archivbild 3. November 2018: Relaisstation der Bundeswehr in Engerdal/Norwegen während der Übung Trident Juncture – Jesper Vigander Edwin/Forsvaret; Grafik: Deutsches Heer)