Langfrist-Planung: Bundeswehr mit mehr Fähigkeiten zur Bündnisverteidigung (m. Transkript)

Die Bundeswehr soll langfristig (wieder) die Landes- und Bündnisverteidigung in den Mittelpunkt stellen, aber auch wie zur Zeit die Auslandseinsätze zur Krisenbewältigung leisten können. Der Planungsprozess dafür hat begonnen – mit dem Zeithorizont 2032 bis 2036.

Aus den ersten Papieren dazu hat die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) am heutigen Mittwoch berichtet (und das wird in einem anderen Thread hier auch schon heftig diskutiert). Der FAZ-Bericht selbst steht hinter einer Paywall, deshalb zur Erläuterung aus der umfangreichen Zusammenfassung des Bundeswehrverbandes:

Konkret bedeuten die Planungen, dass die Bundeswehr in den Bereichen Heer, Luftwaffe und Marine kräftig aufwachsen muss, um den neuen Anforderungen gerecht zu werden. Diese sollen dem Papier nach die vollständige Verteidigungsfähigkeit zu Land, zu Wasser, in der Luft, im Weltraum und im Cyberraum sein.

(…)
Die bestehende Struktur des Heeres wird komplett umgebaut. Künftig sollen drei voll ausgestattete Divisionen mit acht bis zehn Brigaden zur Verfügung stehen, die innerhalb von drei Monaten voll einsatzbereit sein sollen. Dieser Ausbau – momentan verfügt das Heer über sieben Brigaden und Anteile an der Deutsch-Französischen Brigade – erfordert zusätzliche Einheiten vor allem im Bereich Artilleriebatallione. Diese werden entweder neu gebildet oder durch Kooperationen mit anderen Nato-Ländern gestellt. (…)
Die Luftstreitkräfte sollen in den kommenden 15 Jahren in die Lage versetzt werden, einen multinationalen Verband zu führen. Pro Tag sollen bis zu 350 Aufklärungs- und Kampfeinsätze geflogen werden können – Dreiviertel davon entfielen dann auf die Bundeswehr. (…)
Zu Wasser sollen künftig mindestens 15 Schiffe und Boote gleichzeitig einsatzbereit sein. Hierfür müssten dem Fähigkeitsprofil nach in den kommenden Jahren sechs Tender, vier Fregatten und die Minenabwehreinheiten ersetzt werden. Auch soll die Bundesregierung bereits der Anschaffung zweier weiterer Versorgungs- und Kommandoschiffen zugestimmt haben.

So ganz überraschend ist das nicht. Der Leiter der Planungsabteilung im Verteidigungsministerium, Generalleutnant Erhard Bühler, hatte bereits Mitte März in einem Gastbeitrag für den Bundeswehrverband die Ziele skizziert:

Kern der planerischen Veränderungen ist die Abkehr von den Vorgaben der Neuausrichtung von 2011, die gesamte Bundeswehr auf Konfliktverhütung und Krisenbewältigung, die wahrscheinlichsten Aufgaben, zu trimmen. (…) Die Leistungsfähigkeit ist wieder nach dem Kernauftrag, der Landes- und Bündnisverteidigung, der Bündnissolidarität und der Bereitschaft zu Abschreckung auszurichten. Dabei darf man auch nicht ansatzweise an Szenare des „Kalten Kriegs“  denken. Cyber, hybride Kriegsführung, schnelle Schwerpunktverlagerung mobiler Kräfte und Unterstützungsleistungen für Alliierte müssen als neue Charaktereigenschaften der heutigen Landes- und Bündnisverteidigung adressiert werden. Die Herausforderung ist auch, dass neben der Landes- und Bündnisverteidigung alle anderen Aufgaben der Bundeswehr, also zum Beispiel die Auslandseinsätze zur Konfliktverhütung und Krisenbewältigung gleichrangig aus dem nur einmal vorhandenen Streitkräftedispositiv für die Landes- und Bündnisverteidigung wahrgenommen werden müssen.

Das war auch Thema der Bundespressekonferenz am (heutigen) Mittwoch; der stellvertretende Sprecher des Verteidigungsministeriums, Oberst Boris Nannt, ordnete die Aussagen des von der FAZ zitierten Planungspapiers in den Rahmen aus Ministeriumssicht ein. Wichtig war ihm dabei offensichtlich die Nachricht, dass diese langfristigen Planungen weder eine Änderung der Grundstruktur der Bundeswehr bedeuteten noch zu einer grundlegenden Änderung der beschlossenen Stationierungsentscheidungen führen würden.

Nannts Aussagen zum Nachhören (angehängt mit akustischer Trennung ein Nachtrag. Transkript wird ergänzt, wenn es vorliegt):

 

BPK_Bw-Planung_19apr2017     

 

 

 

Noch vor der Wahl, das ist eine interessante und heute bestätigte Aussage, soll die neue Konzeption der Bundeswehr mit dieser Neuausrichtung… äh, pardon, so darf das natürlich nicht heißen, also mit der geänderten Zielsetzung vorliegen. Wahrscheinlich wird man erst dann bewerten können, wie die Ziele genau aussehen, was dafür nötig ist – und wie wahrscheinlich der politische Wille, das so umzusetzen und zu finanzieren. Nicht ohne Grund sprach ja auch Nannt von einem Prüfauftrag, quasi ein Auftragsbuch.

Nachtrag: Das Transkript des Audios oben:

Frage : An das Verteidigungsministerium: Ihnen ist ja bekannt, dass es einen aktuellen Zeitungsbericht über Planungen für eine weitgehende Umstrukturierung der Bundeswehr mit – ich paraphrasiere einmal – einer Rückkehr zur Landesverteidigung gibt. Können Sie diese Planungen aus Ihrem Haus einmal einordnen? Wie realistisch ist das, wie kurzfristig soll das geschehen usw.?

Nannt: Schönen Dank, Herr Kollege, das mache ich gerne. – Eines vielleicht vorweg: Es gibt weder eine Entscheidung des Verteidigungsministeriums zur Veränderung der Grundstruktur der Streitkräfte noch irgendwelche Pläne zur Änderung des Stationierungskonzeptes.

Wie muss man das einordnen? Wir hatten letztes Jahr, 2016, das Weißbuch, das ja den politischen Rahmen dafür gibt, was die Streitkräfte zukünftig zu leisten haben. Davon abgeleitet – und das ist die Planung, die wir machen – ist, dass man dort jetzt schaut: Was für Auswirkungen hat das ganz konkret für die Streitkräfte? Dafür werden im Folgenden zwei Dokumente erstellt: Das ist erstens die Konzeption der Bundeswehr, so wie Sie sie auch aus der Vergangenheit kennen, die in diesem Jahr wahrscheinlich frühestens im Sommer verabschiedet wird, und das ist zweitens das Fähigkeitsprofil der Streitkräfte, also der Bundeswehr. Diese Planungen sollen jetzt umgesetzt werden.

Worum geht es dabei? Sie haben den Punkt Bündnisverteidigung angesprochen, den wir ja aus den Beschlüssen des Nato-Gipfels in Wales 2014 ableiten; das ist auch im Weißbuch verankert. Landes- und Bündnisverteidigung ist neben den Kriseneinsätzen also ein wichtiges Thema. Das heißt, beide Bereiche müssen wir abdecken. Das wird in diesen Dokumenten erarbeitet. Wir sind derzeit mitten im Planungsprozess; wie ich schon einmal sagte, gibt es derzeit also überhaupt keine Entscheidung.

Vielleicht noch ein Lesehinweis für Sie: In dem Artikel der „FAZ“ von heute Morgen werden zwei Dokumente zitiert. Das erste Dokument ist ein Artikel von Generalleutnant Bühler mit dem Titel „Aktuelle Planungen in der Bundeswehr“, der im März erschienen ist. In diesem Artikel, der für Sie alle offen zugänglich ist, erklärt er noch einmal, wie dieser Planungsprozess aussieht. Das zweite Dokument ist die vorläufige konzeptionelle Vorgabe für das Fähigkeitsprofil der Bundeswehr – ebenfalls Mitte März. Dieses Dokument ist quasi ein Auftragsbuch, das an die verschiedenen Organisationsbereiche herangeht und untersucht, wie die Streitkräfte zukünftig aufgestellt werden müssen. Dieser Untersuchungsauftrag hat dann quasi irgendwann einmal Ausfluss in eine Konzeption, in ein Fähigkeitsprofil der Bundeswehr. Das heißt, wir sind hier mittendrin im Prozess; es gibt dazu keine Entscheidungen, vielmehr sind es Überlegungen. Es ist quasi so, dass wir das, was 2014 in Wales an Fähigkeiten verankert wurde, untersuchen und schauen: Wie muss die Bundeswehr das umsetzen, was muss sie leisten?

Zusatzfrage : Habe ich das jetzt richtig verstanden, dass vor der Wahl Planungsentscheidungen über den künftigen – wie heißt es Neudeutsch? – „level of ambition“, also über die Ziele der Bundeswehr, getroffen werden?

Nannt: Ich versuche es Ihnen noch einmal zu erklären. – Wir haben in den letzten beiden Jahren ja schon eine personelle und materielle Trendwende gehabt. Das sind die maßvollen und begrenzten Änderungen, die wir im Bereich der Streitkräfte derzeit planen. Das bedeutet im Personalbereich zum Beispiel einen Aufwuchs auf 198 000 Soldatinnen und Soldaten und über 61 000 zivile Kräfte. Das ist der eine Bereich, der läuft.

Der zweite Bereich ist: Wir wollen europäisch wachsen. Dieser Prozess der Umsetzung der Nato-Vorgaben läuft über einen Zeitraum von 15 bis 19 Jahren. Alle vier Jahre wird in der Nato ein solcher Prozess beschlossen; das ist auch nichts Neues. Das heißt, bei dem jetzigen Prozess geht es um ein Zeitfenster, das zwischen 2032 und 2036 endet; es geht also um einen Prozess, der über die nächsten 15 Jahre hinausgeht.

Das muss jetzt planerisch umgesetzt werden; dazu finden Überlegungen statt. Aber wie gesagt: Es geht jetzt nicht um eine Veränderung der Grundstruktur, es geht nicht um ein neues Stationierungskonzept. Das, was wir machen, sind ganz normale begrenzte Anpassungen, die wir auch im Rahmen dieses Planungsprozesses untersuchen. Da geht es einfach um die Frage: Wie muss die Bundeswehr von den Fähigkeiten her aufgestellt sein und wie werden wir vielleicht europäisch wachsen? Wir hatten ja schon in der Vergangenheit entsprechende Kooperationen, unter anderem im Februar und März mit den Rumänen, mit den Tschechen, gerade erst mit den Franzosen, aber genauso auch mit den Niederländern, mit denen wir ja sehr intensiv kooperieren. Dieses europäische Wachsen, das ja auch eine große Linie der Ministerin ist, ist natürlich auch ein ganz großer Ankerpunkt im Rahmen der Kooperation der Streitkräfte. Dabei geht es darum, wie sich die Nato zukünftig – wir sprechen hier wieder von 15 Jahren und fortfolgenden – aufstellt, und dabei sollen eben sowohl der Punkt Landes- und Bündnisverteidigung als auch der zweite Bereich, die Kriseneinsätze, abgedeckt werden.

Frage: Dazu zwei Fragen:

Erstens. Herr Nannt, habe ich Sie richtig verstanden, dass das Verteidigungsministerium diese beiden Grundlagenpapiere zur Konzeption der Bundeswehr und zum künftigen Fähigkeitsprofil noch im Sommer vorlegen will?

Zweitens. Ist es so, dass Sie das im eigenen Geschäftsbereich entscheiden können, oder ist das sozusagen eine Angelegenheit, die die Bundesregierung betrifft? Gibt es Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt und dem Kanzleramt über den Zeitplan, das noch im Sommer zu machen?

Nannt: Ich muss da vielleicht noch einmal etwas einordnen: Der Rahmen der Bundesregierung, die strategische und politische Ebene, ist das Weißbuch. Das ist ein Papier der Bundesregierung, das innerhalb der Bundesregierung im Sommer letzten Jahres gemeinsam verabschiedet wurde. Die Konzeption der Bundeswehr und das Fähigkeitsprofil der Bundeswehr sind Bundeswehrdokumente, die beschreiben, wie die strategischen und politischen Vorgaben innerhalb der Streitkräfte umgesetzt werden.

Ich merke schon, dass Sie jetzt meinen, dadurch kämen neue Stationierungskonzepte heraus. Das ist aber überhaupt nicht der Fall. Es geht einfach darum, dass man jetzt dieses strategische Papier, das Weißbuch, hat. Das wird jetzt umgesetzt, dazu laufen Untersuchungen.

Das Papier, das ich gerade genannt habe und das heute ja auch zitiert wird, die vorläufige konzeptionelle Vorgabe, ist ein Papier über 60 Seiten, aber die zwei meistgebrauchten Worte in diesem Dokument sind „prüfen“ und „untersuchen“. Das heißt, es ist so, dass die verschiedenen Organisationsbereiche, die Teilstreitkräfte, derzeit untersuchen: Wie können wir diese Fähigkeiten erfüllen – dabei geht es, wie gesagt, um ein Zeitfenster von 15 bis 19 Jahren -, wie müssen wir uns dafür vielleicht aufstellen, wo müssen wir Schwerpunkte setzen? Das wird untersucht, und wenn Anpassungen vonnöten sind – so haben wir es auch in der Vergangenheit schon gemacht -, dann sind das Anpassungen im Rahmen der Trendwenden, also der Materialobergrenzen und im Bereich Personal.

Die Antwort auf Ihre Frage ist also: Das sind Bundeswehrdokumente, mit denen wir innerhalb der Bundeswehr die Vorgaben des Weißbuches erfüllen.

Zusatzfrage: Dann erst recht noch einmal die Frage: Kommt im Sommer beides oder nicht?

Nannt: Ich hatte es Ihnen ja gesagt: Die Absicht ist, dass die Konzeption der Bundeswehr frühestens im Sommer verabschiedet wird. Was das Fähigkeitsprofil betrifft, so weiß ich nicht, ob das noch ein weiteres Dokument ist, das abgeleitet ist; das müsste ich noch einmal prüfen, das kann ich jetzt nicht genau sagen. Die Konzeption der Bundeswehr ist aber quasi das entscheidende Dokument, und die Planung ist, das im Sommer zu verabschieden. Das ist auch nichts Neues, vielmehr haben wir das bereits so kommuniziert.

(…)

Nannt: Ich habe noch eine Ergänzung zu einem anderen Thema, da ich gerade das Mikrofon habe und kann die Frage abräumen, die Frau Kraus vorhin gestellt hat.

Es ist geplant, die Konzeption der Bundeswehr (KdB) im Sommer zu veröffentlichen. Das ist ein Dokument, das offen ist. Das Fähigkeitsprofil ist ein Folgedokument, das also darauf folgen wird, und zwar vermutlich auch im Sommer. Das entscheidende Dokument ist die Konzeption der Bundeswehr.

(Archivbild Dezember 2016: Transportpanzer Fuchs des Jägerbataillons 291, gesichert von französischen Radpanzern, rücken vor im Rahmen der binationalen Übung Feldberg auf dem Truppenübungsplatz Bergen – Bundeswehr/Carl Schulze)