Kurztrip mit der F125: Der Marathonläufer

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Rüstungsprojekte der Streitkräfte stehen fast immer in der Kritik – meist deshalb, weil sie später abgeliefert werden als geplant, weil sie immer teurer wurden oder weil es mit der Funktion Probleme gibt. Da fällt schon auf, dass die neuesten Kriegsschiffe der Bundeswehr bereits vor der Indienststellung wegen ihrer Konzeption diskutiert werden.

Noch bevor ich eine einzige Zeile über die Präsentationsfahrt der Baden-Württemberg, des Typschiffs der neuen Fregattenklasse F125, am (gestrigen) Donnerstag geschrieben hatte, erreichte mich eine Lesermail: Sie waren doch gerade auf der Probefahrt mit einem Marine-Schiff welches ausser ‚fahren‘ kaum etwas kann, was wichtig ist…. Und der Beauftragte der Marine für die F125-Klasse, Kapitän zur See Christoph Mecke, ahnte bei dieser Präsentationsfahrt in der Deutschen Bucht: Das wird heftige Kommentare auf Augen geradeaus! geben.

Die Debatte, ob sich die Deutsche Marine da ein überdimensioniertes Offshore Patrol Vessel leistet, wurde und wird ja hier schon lange immer wieder mal geführt. Und bisweilen hat man den Eindruck, da sei ein Riesenschiff gekauft worden, dass nur mit notdürftiger Bewaffnung über die Weltmeere schippert.

Deshalb zunächst mal ein kurzer Blick auf ein paar Fakten: Die F125-Klasse trägt als Bewaffnung, wenn sie in Dienst gestellt ist, acht Seezielflugkörper Harpoon, ein 127mm-Geschütz für See- und Landzielbekämpfung, zwei RAM-Flugabwehrsysteme sowie zwei Marineleichtgeschütze 27mm, die ebenso wie die fünf schweren Maschinengewehre 12,7mm fernbedient werden.

Also nicht gerade völlig unbewaffnet, und gerade die letztgenannte Bewaffnung gibt einen Hinweis auf das Konzept, das hinter diesem Schiffstyp steckt. So viel wie möglich an Bord, neben der Bewaffnung vor allem die Schiffstechnik, sollte automatisiert werden, um das nötige Personal zu verringern. Die Baden-Württemberg fährt mit einer Besatzung von 120 Mann, fast die Hälfte des Personals der vorangegangenen Fregatten-Klassen. Zusätzlich können 70 Soldaten eingeschifft werden – seien es Spezialkräfte, der Stab einer Einsatzgruppe, ein Helikopter-Detachment oder ein Boardingteam (oder mehreres gleichzeitig).

Zugleich ist die Technik, so die Konzeption jedenfalls, auf eine Intensivnutzung ausgelegt: Zwei Jahre sollen diese Fregatten in einem Einsatzgebiet bleiben können, ehe größere Wartungsarbeiten die Rückkehr in die Heimat erfordern. Deshalb, logische Folge, wird es mehrere Besatzungen geben, die auf jedem der künftig vier Schiffe zur See fahren können. (Ein Konzept übrigens, das die Einsatzrealität schon bei den Korvetten erzwungen hat: Auch da gibt es mehrere Besatzungen, die während eines Einsatzes wechseln – obwohl die Technik der K130-Klasse dafür eigentlich nicht ausgelegt ist.)

Die Grundlage für diese Konzeption vor gut zehn Jahren waren die damals beginnenden und absehbaren Einsätze der Marine. Zum Beispiel der seit 2006 laufende UNIFIL-Einsatz vor dem Libanon und Israel oder  die Mission am Horn vor Afrika (damals noch als Antiterror-Einsatz in der Operation Enduring Freedom nach 9/11). In diese Einsätze – und in folgende ähnliche, zum Beispiel die Anti-Piraterie-Mission Atalanta ebenfalls am Horn von Afrika – schickte die Bundeswehr Kriegsschiffe, die für ganz andere Operationsarten und Kriegssituationen entwickelt und gebaut wurden. Zum Beispiel eine Luftverteidigungsfregatte der F124-Klasse, die dann als Kampfstern mit High-Tech vor Somalia nach kleinen Booten mit Piraten suchte und auf der ein Stab, ein Boardingteam und eine Hubschraubermannschaft nur mit Mühe eine Koje fanden.

Vor diesem Hintergrund sind die F125 auf ganz andere Dinge als Flugabwehr oder U-Boot-Jagd optimiert: Auf einen wartungsarmen Antrieb für dauerhafte auch langsame Fahrt, auf Waffen – und Beobachtungssysteme – für asymmetrische Bedrohungen, für die Einschiffung zusätzlichen Personals. Und mit vier Festrumpf-Speedbooten, die auch autonom mit einer Reichweite von 130 Seemeilen operieren können, auf Boarding-Einsätze ebenso wie auf Missionen von Spezialkräften eingestellt.

Die Baden-Württemberg und ihre Schwesterschiffe, so argumentiert denn auch der Marine-Typenbeauftragte Mecke, haben bewusst einige Fähigkeiten nicht und würden sicherlich nie zur Abwehr ballistischer Raketen hochgerüstet. Aber sie seien eben optimiert für lange Einsätze in weit entfernten Einsatzgebieten.

Nun stammt dieses Konzept aus dem vergangenen Jahrzehnt – und es scheint, dass mit der geänderten Weltlage seit der Ukraine-Krise solche Schiffe gar nicht mehr nötig wären. An der Nordost- wie der Südostflanke der NATO, so bildet sich als einhellige Meinung heraus, bedarf es kampfkräftiger Überwassereinheiten, vor allem zunehmend mit der Fähigkeit zur U-Boot-Jagd.

Allerdings: Ein Blick auf die aktuellen Einsätze der Deutschen Marine, vor allem auf die in den vergangenen zwei Jahren hinzugekommenen, zeigt ein etwas anderes Bild. UNIFIL seit 2006 ohnehin, aber vor allem der Einsatz in der Operation Sophia im Mittelmeer: Schleuser bekämpfen, ein Waffenembargo durchsetzen und faktisch eine große Zahl von Menschen aus Seenot retten ist keine Aufgabe für ein High-Tech-Schiff. Auch die Aktivität der NATO in der Ägäis, wo eine sensible Nahtstelle zwischen zwei Bündnispartnern seit mehr als einem halben Jahr von Kriegsschiffen eben dieser Allianz überwacht wird, verlangt nicht nach hochgezüchteten Radarfähigkeiten oder Waffensystemen.

Aus der Atalanta-Mission vor Somalia hat sich die Marine mit ihren Kriegsschiffen faktisch zurückgezogen. Denn den geschrumpften deutschen Seestreitkräften fehlen einfach Schiffe – und das auch deshalb, weil angesichts des Mangels an Flaggestöcken Einheiten für Einsätze geschickt wurden und werden, für die sie schlicht überdimensioniert sind.

Heute würde die Marine, das räumt auch Mecke ein, eine Fregatte in der Konzeption der F125 nicht mehr in Auftrag geben, eben angesichts der veränderten geopolitischen Lage: Das nächste Schiff wird ein Warfighter. Aber ohnehin müsse es eine gewissen Komplementärfähigkeit von Seestreitkräften geben.

Nun ging es bei der Medien-Fahrt zwischen Cuxhaven und Helgoland, gemeinsam veranstaltet vom Bundesamt für Ausrüstung, IT und Nutzung (dem das Schiff derzeit formal gehört), der Werften-Arbeitsgemeinschaft aus ThyssenKrupp Marine Systems und Lürssen-Werft und der Deutschen Marine, weniger um diese konzeptionellen Überlegungen für die deutschen Seestreitkräfte, sondern um die Präsentation eben dieser Vorteile.

Und wenn ein Schiffstechniker davon schwärmt, wie viel weniger Überwachungs- und Wartungsarbeit in die Antriebsanlage gesteckt werden muss; der Obermaat begeistert das Vier-Personen-Deck mit eigener Nasszelle zeigt oder die Schiffsärztin jubelt, wie viel Platz auf dem fast 150 Meter langen Schiff für das Schiffslazarett ist: Das wirkte eben nicht bestellt (und ich hoffe, das war’s auch nicht).

So gesehen sind die F125-Fregatten quasi der Gegenentwurf zu den (im vergangenen Jahr außer Dienst gestellten) Schnellbooten: Wo die auf möglichst wenig Raum möglichst viel Kampfkraft mit hoher Geschwindigkeit kombinierten, dafür aber auf den Sprint mit kurzen Stehzeiten optimiert waren, stehen die neuen Schiffe für das Gegenteil: Lange Ausdauer, so viel Kampfkraft wie nötig und mit 20 Knoten Marsch- und 26 Knoten Höchstgeschwindigkeit so wirtschaftlich und wartungsarm wie möglich. Sozusagen der Marathonläufer.

Dass die Schiffe mit ihren 7.200 Tonnen Verdrängung dennoch nicht wie ein Supertanker stur ihre Bahn ziehen müssen, demonstrierte dann für die eingeschifften Journalisten der Kommandant, Fregattenkapitän Markus Venker. Mit großem Vergnügen – das ist die Spielzeit des Kommandanten – ließ er die Baden-Württemberg mit schnell wechselnden harten Ruderlagen ihren Tanz in den viereinhalb Meter hohen Wellen vor Helgoland aufführen. Die Fregatte, sagte Venker hinterher trocken, habe die besten Manövriereigenschaften der Schiffe der Deutschen Marine.

(Kleiner Nachtrag, das wollte ich natürlich nicht unterschlagen: Mit der F125 gab’s natürlich auch Verzögerungen und technische Probleme – die Schiffe liegen, gemessen am Vertragsschluss 2007, knapp 30 Monate hinter dem Plan, wozu nach Marineangaben allerdings auch 15 Monate Verzögerung wegen geänderter Vorschriften gehören. Und auch bei der Fertigstellung gab’s Schwierigkeiten. Die Diskussion scheint sich derzeit aber eher um die Konzeption zu drehen.)