Reden wir über den Tod
Immer wieder kommt die Kritik (auch von mir), dass die Bundeswehr in ihren eigenen Publikationen und Medien das Thema Tod und Verwundung ausspart – und dass es vor allem in der Nachwuchswerbung zu wenig eine Rolle spielt, dass Soldaten eben nicht nur bewaffnete Mechatroniker sind, sondern sich darauf einlassen (müssen), zu töten und getötet zu werden.
Deshalb finde ich es nicht nur bemerkens-, sondern auch höchst lobenswert, dass das Bundeswehr-Monatsmagazin Y seine November-Ausgabe genau diesem Thema widmet: Tod und Verwundung. Nicht in heroisierender Form, sondern sehr nüchtern. Einschließlich der Frage, welche Rolle dieses Thema in der Ausbildung spielt. Und ergänzt mit sehr eindrücklichen Bildern der Fotografin Anja Niedringhaus von verwundeten Soldaten.
Dringender Lesetipp. Und danke an die Y-Redaktion für dieses Heft.
Nachtrag: Da es etliche Nachfragen gibt, wie man an das Heft kommt – im freien Handel ist es ja nicht: Zum einen ist es in Teilen online zu finden (und es sollen noch mehr Geschichten aus diesem Heft online gestellt werden). Zum anderen können von der Druckversion einzelne Exemplare angefordert werden bei der Redaktion der Bundeswehr über die E-Mail-Adresse
redaktionbwy-magazin@bundeswehr.org
Nachtrag 2, fast ein Jahr danach: Das Heft gibt es auch online:
https://bc-v2.pressmatrix.com/de/profiles/d503d8132bf0/editions/a8c6227cf7d3aa744dec/pages
Zurzeit gibt es online (nur) eine Inhaltsübersicht:
http://www.y-punkt.de/portal/a/ypunkt/!ut/p/c4/PYzLCsIwFET_KDepKOquL8GtG62bkjahXJomId5YFD_eBMQZOLM4MHCHVCufOElCZ6WBG3QjHoeVDavS_ctHOxOTM0VtDHt4_Ub5377gYgfX_KE0G53VlEnaEiZOQZILzLtAJpsYQjIMFXRcNJXYCP6L-JSnum73h23RnKsL-GUpvy-M0WA!/
Möglicherweise sind aber einige Artikel in Kürze auch online abrufbar.
(vom Mobilgerät gesendet)
Die Produkte der Redaktion der Bundeswehr gibt es auch in der „Bundeswehr Media“-App.
„Bundeswehr Media“ von Bundesministerium der Verteidigung
https://appsto.re/de/MgPidb.i
Dort kann man, neben der „aktuell“ auch die aktuelle Y. lesen
Ich finde, die Bundeswehr geht schon sehr angemessen und verantwortungsvoll mit den Themen Tod, Verwundung, einsatzbedingte Beeinträchtigung (PTBS etc.) um. In der Vergangenheit war das einfacher, da oft vorhandene christlich religiöse Bindung individuell Halt und Stabilität stiftete und sich der Dienstherr um viele Probleme der Lebenden nicht kümmern musste. In einer mehr und mehr agnostisch-atheistischen Gesellschaft müssen eben andere Institutionen sich ums Seelenheil kümmern. Zu Allerseelen besucht man eben weniger seine Verstorbenen auf dem Friedhof und findet seinen Frieden, sondern räumt häufiger gerade das morbide Kostüm von Halloween weg. Der Umgang mit dem Tod ändert sich.
Die internationalen Einsätze der Neuzeit erhöhen natürlich den Diskussions- und Seelsorgebedarf, auch wenn zu Zeiten des kalten Krieges mehr Soldaten jährlich ums Leben gekommen sind. Die meisten auf dem Weg zur/von der Kaserne.
Meist kommt die Kritik an der Bundeswehr beim Umgang mit diesem Thema aus einem gesellschaftlichen Milieu, das die Bundeswehr pauschal ablehnt und dann das sensible Thema Tod missbraucht, um politische Ziele zu verfolgen.
Ich habe noch nie gehört, dass anderen Berufsgruppen vorgeworfen wird, die Risiken zu verschleiern. Niemand verlangt von der Feuerwehr mit „hier sterben Sie heiß“ zu werben. Oder Pferdewirte, die statistisch ein erstaunlich hohes Mortalitätsrisiko haben, müssen auch nicht mit „Auf den Rücken der Pferde zerbricht schnell das Genick“ werben.
Schaut man in die Unfallstatistik, müsste als erstes Freizeit verboten werden. Denn wir haben ca. 22.000 Unfalltote pro Jahr insgesamt, davon sind 300-400 Arbeitsunfälle, ca. 3500 Verkehrsunfälle, aber ca. 18.000 Heim- und Freizeitunfälle. In der Schule stirb es sich hingegen besonders selten mit 4 Fällen in 2014 (Quelle: gbe-bund.de).
Da drängt sich mir der Verdacht auf, dass bestimmte Kreise politisch motiviert das Mortalitätsrisiko von Soldaten hochspielen wollen, statt den meiner Ansicht angemessenen eher leisen Umgang mit diesem Thema zu würdigen.
Wie viele Tote und welches Berufsrisiko muss eine Gesellschaft akzeptieren, um das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen? Welche Maßstäbe sind hier anzusetzen?
Oder ein anderer Bodycount: Wie viele gefallene Soldaten darf eine Regierung akzeptieren, um tausende im Mittelmeer ertrunkene Flüchtlinge per Nation-Building zu verhindern? Wie reagieren wir also auf den statistisch erwartbaren ersten Leichensack aus Mali?
Welches soldatische Risiko darf eine Regierung dem Volk abverlangen, um ein neues Massaker von Srebrenica zu verhindern?
Ein britischer Beobachter meinte sinngemäß einmal, dass es eine Besonderheit der modernen deutschen Kultur sei, dass es in ihr die Figur des Helden nur noch in ironisierter Form gäbe. Die Vorstellung, dass es Menschen geben könne, die freiwillig besondere Opfer (auch das des eigenen Lebens) für das Gemeinwesen bringen, sei dieser Gesellschaft vollständig fremd geworden, so dass man entsprechenden Menschen auch keine Anerkennung mehr gewähre und Fragen von Tod und Opfer entweder ganz ausspare oder als Berufsrisiko abhandele. Er wünschte unserer Gesellschaft, dass sich dennoch solche Menschen finden werden, wenn sie eines Tages wieder mehr als in unserer vergleichsweise noch sicheren Zeit gebraucht werden.
Nun meine ich, dass der Umgang mit Menschen, die für unser Gemeinwesen das höchste Opfer gebracht haben, nicht angemessen sein kann, wenn er „nüchtern“ erfolgt. Nüchtern beschreibt man Verkehrsunfälle oder das Wetter. Aber ich bin gespannt auf das Heft.
Unabhängig davon bleibt bei dem Theme in Deutschland noch viel zu tun. Zu den fatalen Mängeln der Inneren Führung gehört etwa, dass sie das Thema ebenfalls völlig ignoriert. In der entsprechenden Vorschrift dazu wird mehr über Umweltschutz gesprochen als über Tod und Verwundung, aber das wäre noch ein anderes Thema.
Sensemann | 04. November 2016 – 11:25
+1
Die Inhaltsangabe des Magazins Y klingt sehr interessant und erweckt den Eindruck, daß man sich hier sehr professionell dem Thema Tod und Verwundung von Soldaten nähert. Leider ist nur die Inhaltsangabe online zu lesen im Moment.
Was mir dagegen an der Kritik nicht gefällt, daß die BW das Thema Tod und Verwundung aussparen würde ist, daß ich nie höre, daß die Polizei oder die Feuerwehr sich zu wenig mit dem Thema auseinandersetzen würde, obwohl immer wieder Polizisten im Einsatz getötet werden oder töten müssen und ca. 14 – 18 Feuerwehrleute jährlich getötet werden. Damit haben wir mehr tote Feuerwehrleute pro Jahr als gefallene Soldaten.
So daß ich denke, daß die Kritiker in Wirklichkeit die BW nur schädigen wollen.
@Closius
Na na. Ich habe oben geschrieben, dass das Thema in den Publikationen der Bw unterbelichtet ist. Mir dann zu unterstellen, ich würde behaupten, das die Bw das Thema Tod und Verwundung aussparen würde, und daraus zu schließen, ich wolle in Wirklichkeit als Kritiker die Bw nur schädigen – das ist schon bisschen dreist.
@Closius
„Damit haben wir mehr tote Feuerwehrleute pro Jahr als gefallene Soldaten. “
Das kann man so m.E. nicht vergleichen. Der Soldat hat das Problem, dass die Bedingungen von massenhaftem Tod und Verwundung um ihn herum im Idealfall nur sehr selten eintreten, er aber genau für diesen seltenen Moment bereit sein muss. Der Soldat muss sich also auf Bedingungen vorbereiten, die mit der normalen gesellschaftlichen Realität nichts zu tun haben. Das wiederum müsste die Folge haben, dass er sich kulturell aus dieser Gesellschaft ein ganzes Stück hinausnehmen müsste um seinen Auftrag im Ernstfall erfüllen zu können. Das will die Gesellschaft jedoch mehrheitlich nicht, und da die politische Führung und leider auch der Großteil der Soldaten diesbezüglich den Konflikt scheut flüchtet man sich in Lebenslügen und Illusionen, die zunächst keine sichtbaren negativen Folgen haben, zumindest solange der Ernstfall nicht eintritt. Wenn es soweit ist, steht der in vielen Fällen unzureichend geformte und vorbereitete Bundeswehrsoldat dann einem IS-Kämpfer oder einem russischen Soldaten gegenüber, die beide stärker als er davon überzeugt sind, dass sie wegen der Risiken die sie eingehen von ihren Leuten als Helden wahrgenommen werden, und dass ihr Opfer einen Sinn hat.
@Sensemann
Christliche Kirchen hatten Katharsismechanismen, die BW wurde von PTBS unvorbereitet überrascht(Soldiers Heart, 1000 Yard Stare, Kriegszitterer) nicht das der erste dokumentierte mir bekannte Fall die Schlacht von Marathon gewesen wäre) und ihr Umgang damit war kritikabel und lies Anstand stark missen.
Die Polizei hat Möglichkeiten des Umgangs mit solchen Fällen.
Halloween ist ein Kinderfest, d.h. ein Fest für Kinder und liegt am Gleichen Tag wie Samhainn und deshalb halten Christen an dem Tag Allerseelen.
@Merseburger
Entspricht das Bild des „Staatsbürgers in Uniform“ nicht eher dem des (US) National Guard Reservisten? D.h. im Grundbetrieb eigentlich ein Zivilist, der nur wenn aufgeboten zum „richtigen“ Militär wird?
@ ThoDan
Die Bundeswehr glaubte, die christliche Seelsorge würde das Thema für sie erledigen und hat insofern lange den gesellschaftlichen Wandel und den heutigen höheren Anspruch an psychische und existenzanalytische Kompetenz verschlafen. Das ist aber meiner Ansicht inzwischen behoben, Kleinigkeiten kann man natürlich immer verbessern.
Aus unterschiedlichsten Gründen sind heutige junge Erwachsene bei uns für psychosoziale Störungen auch anfälliger, aber das ist ein anderes Thema. Um an ihren historischen Ausflug anknüpfen zu wollen: Sowohl ein römischer Legionär, als auch die Kämpfer unter Arminius werden eine geringere Anfälligkeit für PTBS gehabt haben, als unsere Rekruten, da die damalige Zeit schon ihre Mechanismen zur Organisation psychischer Stabilität hatte. Da wir zu diesen archaischen aber wirksamen Methoden aus guten Gründen nicht zurückkehren wollen, müssen wir neuzeitliche Wege entwickeln. Meiner Ansicht sind hier Armeen und Gesellschaften anderer Länder schon weiter als wir.
Sowohl Halloween als auch Allerseelen sind in ihrem Ursprung Mechanismen zum Umgang mit dem Tod und der Angst davor. Ob unsere Abwandlung von Halloween die stabilisierende Wirkung des einstigen Allerseelen-Brauchs ersetzen kann, wage ich jedoch zu bezweifeln.
Eine längst überfällige „Maßnahme“ diese Y-Ausgabe, aber imho noch immer „zu wenig“….aber die Themen Tod, Verletzung, Unfall, Krankheit sind ja „kulturell“ in Deutschland etwas „unterbelichtet“ gerade bei der Nachsorge und natürlich der Vorsorge – das überläßt „Vater Staat“ dann gerne dem einzelnen „mündigen Bürger“ im Rahmen des gesetzlichen oder privaten Krankenkassen(un)wesens. Gerade gegenüber Soldaten, von denen man mittlerweile eine „weltweite“ Treuepflicht fordert in einem insgesamt recht risiko-und gefahrenreichen Berufsfeld, halte ich das für unredlich. Hier beginnt eben Fürsorge mit der Vorsorge von Anfang an – da bin ich völlig einer Meinung mit dem Hausherren – also mit der Nachwuchsgewinnung.
@Sensemann
Das die BW prinzipiell die Gesellschaftliche Veränderungen erst eine Generation später mitbekommt ist Grund ihres Versagens, nicht eine akzeptable Erklärung dafür und für diesen Fall gewiss nicht ausreichend.
Das Problem von PTBS ist spätestens seit dem Amerikanischen Bürgerkrieg bekannt(Soldiers Heart) und seit WWI(Kriegszittern) kann man sich eigentlich nicht mehr für unvorbereitet, Unkenntnis etc. entschuldigen.
Vom Umgang gar nicht erst zu reden.
Mkn Stammt der erste „Beleg“ für einen Fall von PTBS aus der Schlacht von Marathon 490 v. Chr.
„Aus unterschiedlichsten Gründen sind heutige junge Erwachsene bei uns für psychosoziale Störungen auch anfälliger“
Gibt es dafür wissenschaftliche Beweise?
Bei der Brutalität, Grausamkeit mit der Rom sich sein Imperium eroberte, halte ich das auch für eine gute Lösung.
@Wiegold: Ich habe mich vielleicht missverständlich ausgedrückt, oder ihr auch von mir, übersehen, aber ich habe nicht Sie oder konstruktive Kritik gemeint! Wenn jemand, der sich mit Sicherheitpolitik beschäftigt, den Umgang der BW mit dem Tod kritisiert, dann ist dies voll in Ordnung.
Ich wollte vielmehr sagen(ähnlich Sensemann), daß die Kritik daran, daß die BW(Werbung) sich nicht ausreichend mit dem Tod auseinandersetzt, meistens von denjenigen Gruppen kommt, die immer gegen Militär und BW sind und die ich deshalb nicht ernst nehmen kann, weil es diesen Kritikern egal ist, womit diese die BW angreifen können, Haupsache sie können die BW kritisieren oder schädigen.
Durchaus bemerkenswert, Verluste bei „y“ zu thematisieren.
Hatte zu Beginn meiner Zeit im damaligen HA mit Truppenzeitschriften am Rande zu tun, „y“-Beiträge waren durch FüS (damals) zu genehmigen.
Da dies gegenwärtig kaum wesentlich anders sein dürfte, kann also darauf geschlossen werden, IBuK befürwortet solche Diskussion?
Die weiter oben angedeutete Verantwortlichkeit der Kirchen kann doch wohl auch nur greifen, sofern unser Nachwuchs sich religiös gebunden fühlt. Und der Rest, also bestimmt die Masse, den Schamanen will niemand resultieren, was dem „gemeinen Atheisten“ auch nicht gelegen käme.
Zudem, der Anteil muslimischer Soldaten, …!
Es bleibt also nur „der Dienstherr“ sich zu kümmern, im konkreten Fall immer im Form der Dizsiplinarvorgesetzten. Der KpChef! In der Offiziersausbildung muss er vorbereitet werden!
@ThoDan: PTBS kann sogar durch Mobbing ausgelöst werden, bzw. macht die Traumatisierung – das Gehirn setzt Ablehnung als körperlichen Schmerz um – das PTBS Symptom wahrscheinlicher. Es ist eine Kausalverkettung der Ängste.
Hinzu kommt, dass alles was mit Brutalität, Tot und gefährlichen Extremsituationen zusammenhängt sooo weeeit weeeg ist. Der Soldat, behütet aufgewachsen erlebt einen Weltenbruch der extreme. Unterdrückt er dann Gefühle ist es nur eine Frage der Zeit bis erste Symptome wie Burnout und Depression (Depressere lat. unterdrücken) einkehren.
Daher hat @Sensemann durchaus recht, da Gebet und besonders Meditation die spirituelle/seelische Reflektion befördern. Eine zeitnahe emotionale Exposition verhindert Schlimmeres.
@AoR
Ich hatte von den Kartharsismethoden der byzantinischen Kirche auch schon gepostet zum Thema.
Kontakt , Hilfe von Kameraden die mit dabei waren gelten mWn als wichtige Hilfe bei PTBS(auch im zivilen – waren byzantinische Soldaten mkn dort Zuhause wo ihre Kameraden und Vorgänger es waren, d.h. da waren Väter, Onkel, ältere Nachbarn etc. die auch im Feld gewesen waren und die Probleme kannten) und dazu kamen die Kartharsismethoden der Kirche.
Hier kam ein Soldat zurück und konnte bei sowas Mobbing und Bossing befürchten, dazu eine nicht verstehende Gesellschaft, deren Väter oder Grßväter ja WWII ohne PTBS –
Falsch, die konnten nur nicht den Mund aufmachen oder wollten nicht.
Heute gelten Soldaten, die aus dem Einsatz zurückkommen zumindest in Teilen der Gesellschaft automatisch als Damaged Goods.
@ThoDan: Bzgl. Einsatz der BW im Inneren…. Wo bleiben jetzt die gemeinsamen Übungen? ;)
@AoR
Ich verstehe nicht.
@ThoDan: Sichtbarkeit der Bedeutung des Einsatzes der Soldaten für Recht und Freiheit.
Habe das Heft hier liegen. Nicht nur für das Thema zu loben sondern auch sehr einfühlsam gemacht und außerdem gestalterisch wirklich gelungen (finde ich).
Note: Uneingeschränkt zu empfehlen!
Mein erster Gedanke:
Ist es nicht einfach nur medientaktisch konsequent, wenn man die eigene Landesverteidigung und Bevölkerung schon so widerstandslos an Luftaufklärung für Al-Qaida gewöhnt und das permanente Rumrotieren an der russischen Grenze geräuschlos als Dienst an der Sicherheit des Weltfriedens verkauft hat, dann auch im nächsten Schritt die Menschen in DE mal wieder an den Tod zu gewöhnen.
Also aus der Perspektive würde ich das schwierige Thema auch genau jetzt bringen. Vergangenheit ist verblasst, Gegenwart vernebelt und wenn es in Zukunft rumst, wäre es dafür zu spät.
Also jetzt.
Man muß dann aber auch über das Töten sprechen – das Überwinden der Schieß- und der Tötungshemmung, quasi das Überwinden unseres zivilastorischen „acquis“.
Wer hat denn heute schon Berührung mit dem Tod oder dem Töten? Früher gab es die Hausschlachtung, und es wurde auch zu Hause gestorben.
Zur „Einstimmung“ würde ich eine Pathologie und dabei evtl. eine Obduktion besuchen.
@K-P K
@T Melber
Aber jetzt reicht es!
Sorry, aber hier reden mal wider die Theoretiker
von Vorgängen, die Sie NIE in de Praxis erlebt haben!
@K-P K – Kriegsgeschichte
@T Melber -6 – leider überhaupt keine Ahnung
Thomas Melber | 04. November 2016 – 21:01
Ich denke mal, Sie beziehen Ihre Aussagen auf Soldaten, oder?
Denn das Thema Tod ist in der (zivilen) Gesellschaft presenter, als Sie es vielleicht wissen.
Besuchen Sie Hospize, sprechen Sie mit Palliativ- bzw. Hospizhelfern; oder unterhalten Sie sich mit „Profis“. In der Gesellschaft ist es Thema … gerade heute war wieder eine Sendung im DLF zu dem Thema.
Bei der Bundeswehr und seinen Mitarbeitern war die Thematik vielleicht nicht richtig besetzt … in der ziv. Gesellschaft schon.
Als ein Beispiel:
Anfang 1999 war ich als OSZE-Beobachter bei KVM (Kosovo Verification Mission) im Kosovo. Ich war Leutnant, damals 27 Jahre alt und habe zum ersten Mal (abgesehen von Verwandten bei der Beerdigung) Tote gesehen. Es war eine sehr einschneidende Erfahrung für mich. Bei der Einsatznachbereitung hatten wir auch eine Psychologin dabei, die ich natürlich nicht brauchte, es waren ja nur 2,5 Monate Einsatz. Also beim Termin mit der Psychologin draußen warten bis ich dran komme, 10 Minuten später wäre ich ja wieder raus, alles kein Problem und dann mit den Kameraden einen trinken gehen.
Nach über einer Stunde kam ich dann raus, die Schlafstörungen wurden etwas besser, ich litt aber trotzdem noch einige Zeit daran.
Meiner Meinung nach hat sich die Bundeswehr schon damals um PTSD gekümmert, sowohl in der Ausbildung (OSH) als auch in der Einsatzvor- und auch besonders in der Einsatznachbereitung. Gleiches gilt für meinen Einsatz in Afghanistan.
Werferfehler
@Aufklärer19
Könnten Sie etwas konkreter werden?
@Aufklärer19:
Also wie @ Heiko Kamann feststellt, in der Zivilgesellschaft ist es selbstverständlich Thema. Aber eben als Teil eines natürlichen Prozesses und nicht als Folge intendierter Handlung.
Insofern verweist doch @T.Melber zu recht daraufhin, dass gerade der aktive Teil, der gesellschaftlich nicht relevant ist – ich formulier das jetzt mal bewusst hart: – „Ich töte“, dass besonders der für den Berufsstand „Soldat“ aktiv und permanent präsent sein muss.
Denn nur mit dem Wissen darum, was DAS bedeutet und als einziger Berufszweig, der mit der Besonderheit dieser Thematik wirklich konfrontiert ist und alle Kontroversen dazu aktiv diskutiert – nur so kann die Bundeswehr ihrem Auftrag als Verteidigungsarmee gerecht und alle Kraft darauf verwendet werden, sicherzustellen, dass sowas nie wieder nötig sein wird.
Das ist imho der eigentliche Auftrag. Und der ist aktueller denn je.
Die BW ist das letzte Bollwerk und keine fliegende Raststätte in Syrien…
@ Thomas Melber | 04. November 2016 – 21:01
Ihr Kommentar ist ein schönes Beispiel dafür, warum es richtig ist, dass die Bundeswehr dieses Thema eher abseits der Öffentlichkeit mit ihren #Aufschrei-Ritualen und Mechanismen behandelt.
Man könnte sich jetzt herrlich politisch korrekt über Sie empören. Gleichsetzung von Menschen mit Tieren, Verharmlosung von Mord, irgendwer könnte Ihnen bestimmt die Vorbereitung eines Angriffskriegs unterstellen und ein Karikaturist würde irgendwas mit Legebatterie-KZ malen, um zu zeigen, was Sie doch für ein schlimmer Finger seien. Man würde alles aus dem Zusammenhang gerissen diskutieren, nur nicht Ihr Thema.
Richtig ist meiner Ansicht: Wer sich bereits kreischend ins Höschen macht, wenn die Weihnachtsgans einen Kopf kürzer gemacht wird, der wird höchstwahrscheinlich auf einem Gefechtsfeld nicht emotional stabil bleiben. Würde eine solche Person beispielsweise mit einem Massengrab konfrontiert, hätte das wahrscheinlich lebenslange Traumata zur Folge. Es ist also richtig, im Rahmen soldatischer Ausbildung Impulse und emotionale Reize abzuhärten und zu trainieren. Gleichzeitig muss aber das humanitäre Menschenbild und ein solides ethisch moralisches Fundament geformt werden, damit niemals ein feindlicher Kämpfer mit der auf Zubereitung wartenden schnatternden Weihnachtsgans verwechselt wird.
@Sensemann
Heute hat ein 10 jähriger mehr Tote in den Medien gesehen als ein 18 jähriger der früher in den Krieg zog. Beim Anblick des ersten Toten in der Realität ist es immer anders….übrigens die erste eigene Verwundung auch.
Unsere Kampf-Soldaten sind gut ausgebildet und Pers Erfahrung kann durch nichts ersetzt werden.
@Sensemann | 05. November 2016 – 10:20
Die Bundeswehr oder Teile aus dem öffentlichen Diskurs nehmen wollen – verrückt.
Sie müssen ja jetzt schon hinnehmen, nur noch per umstrittener völkerrechtliche Grundlage, in einem parlamentarischen Eilverfahren durchgepeitscht ihr Leben als fliegende Raststätte über Syrien exponieren zu müssen.
Wie weit sind Sie denn da bereit zu gehen?
Ohne öffentlichen Diskurs wird das noch sehr weit sein.
@Thomas Melber
Haben Regimenter der British Army nicht Rekruten aus genau diesem Grunde um WWII in Schlachthäuser geführt?
@ThoDan
Möglich. Es wird ja kolportiert, das härteste am EKL sei zum Schluß das Schlachten des Hasen bzw. des Huhns und die Zubereitung der Mahlzeit gewesen (falls das noch gemacht wird).
@ leie | 05. November 2016 – 11:13
Ich verstehe nicht ganz, was Sie mir sagen wollen.
Ich will nicht die Bundeswehr aus der öffentlichen Debatte nehmen, eher im Gegenteil. Öffentliche Debatten in Deutschland verlaufen nur leider immer häufiger auf einem erbärmlichen Niveau.
Ich fürchte, dass bei solchen Debatten nicht mehr rumkommt als #Aufschrei, #Soldaten sind Mörder, #Alles Nazikommunisten, #Selber, #Nein du selber, #Rettet die Weihnachtsgans
Aufklärer19 hat ja bereits versucht, mehr emotionale Empörung in die Debatte einzuführen. „ABER JETZT REICHT ES!“
@Sensemann | 05. November 2016 – 11:38
scusy –
„Ihr Kommentar ist ein schönes Beispiel dafür, warum es richtig ist, dass die Bundeswehr dieses Thema eher abseits der Öffentlichkeit…“
Der Rest klang für mich wie „emotionale Reize abhärten zum Zwecke der Gefechtsfeldstabilität am Beispiel schnatternder Weihnachtsgänse!?“
…Wait what?
@ leie | 05. November 2016 – 11:54
Trollen Sie einfach nur rum oder leben wir in so unterschiedlichen Welten, dass ich nicht verstehe, was Sie mir sagen wollen?
Oder wollen Sie direkt den Beweis für meine These von 11:38 liefern?
Ihre offenbar bewusst falsche Zusammenfassung ist in einer ernsthaften Diskussion methodisch nicht zulässig.
Hintergrund der Umerziehung der Deutschen ist ja die (hier leider recht grob zusammengefaßte) Erfahrung aus den Weltkriegen. Pflichtgefühl war leicht zu mißbrauchen – und die GIs haben diese Deutschen und ihr Pflichtgefühl irgendwann echt satt gehabt. Pflicht war nach dem Krieg auch die Ausrede, wie Papi-Opa denn die Verbrechen mitmachen konnte…
Töten wird „bei uns“ nicht mehr akzeptiert. Daß „andere“ das Töten von irgendwelchen Gegnern sogar für wünschenswert halten, könnte unsere zivilisatorische Entwicklung nochmal etwas bremsen.
@Sensemann | 05. November 2016 – 10:20
Als reiner Theoretiker, der hoffentlich nie o.g. in die Praxis wird umsetzen müssen. +1!
Also der Kommentar @Sensemann | 05. November 2016 – 10:20 reizt mich nun auch zu einer Kommentierung., da bin ich ganz bei @joey.
„…..im Rahmen soldatischer Ausbildung Impulse und emotionale Reize abzuhärten und zu trainieren. Gleichzeitig muss aber das humanitäre Menschenbild und ein solides ethisch moralisches Fundament geformt werden, damit niemals ein feindlicher Kämpfer mit der auf Zubereitung wartenden schnatternden Weihnachtsgans verwechselt wird.“
Das ist ein so schwurbeliger Satz , da muß ich doch einmal nachfragen: gibt es eigentlich auch ein nicht-humanitäres Menschenbild ? Vielleicht ein islamisches ? „Ethisch-moralisches Fundament formen“; Katholibanischer Formguß ?
Das erinnert mich doch alles zu sehr an das Feldgebetsbuch des deutschen Soldaten von 1914 – passte wunderbar in die Brusttasche der Feldbluse, habe so ein Teil einmal auf einem Trödelmarkt erstanden.
Am besten man gewöhnt den Soldaten den Tötungsreflex schon bei der Wachausbildung an; Das Gesetz über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes (UZwG) ist eh lästig, das kann man dadurch umgehen, dass man die Soldaten quasi aus dem Öffentlichen Dienst rausnimmt. So, dann müssen wir nur noch erweiterte Notwehr/Nothilfe präventiv auslegen und dann sind wir wieder bei „Nur ein toter Indianer ist ein guter Indianer“.
Das alles natürlich ohne jede öffentliche Debatte, denn das könte die Bevölkerung ja nur verunsichern (wo hab ich das schon einmal gehört?)./SCNR
@ klabautermann | 05. November 2016 – 13:19
In einer freien Gesellschaft dürfen Sie annähernd jede Meinung haben. Ich würde die von Ihnen dargelegte Position mit Bullshit zusammenfassen, will damit aber nicht Ihre Gefühle verletzen oder gar Ihre Unfehlbarkeit in Frage stellen.
Ich möchte Sie aber doch bitten, das von Ihnen zusammengeschriebene nicht in einen Zusammenhang mit meiner hier dargelegten Sichtweise zu bringen. Diese Methode „Man verfälsche die Aussage des Gegenübers und unterstelle ihm dann allerlei Boshaftigkeit“ ist zwar in vergifteten Diskussionskulturen häufig anzutreffen, führt aber nicht zu konstruktiven Erkenntnissen. Bei einem sensiblen Thema wie Tod und Verwundung sind solche rhetorischen Taschenspielertricks gänzlich unangemessen.
Ich gehe davon aus, dass Sie sehr wohl meinen Standpunkt verstanden haben und möchte Sie daher bitten, meine Position nicht verfälscht darzustellen. Welche Meinung Sie vertreten, ist Ihre Sache.
Danke.
@Sensemann
Dieser Faden lautet „Reden wir über den Tod“. Sie versuchen imho daraus „Reden wir über das Töten“ zu machen – das stört mich halt a bisserl, Was nun die rhetorischen Taschenspielertricks anbelangt, da hab ich eben so meine Probleme mit ihrer schnatternden Weihnachtsgans. Das verstehen Sie unter sensibler thematischer Behandlung ? Ich denke einmal, dass ich ihren „Standpunkt“ gut verstanden habe, vielleicht sogar aus ihrer Sicht ein wenig zu gut ?
Die Publikation, auf die sich hier bezogen wird, hat folgendes Inhaltsverzeichnis:
Ich sterbe
Karfreitagsgefecht – Der bisher härteste Kampf der Bundeswehr – S. 8
Gefahr – Bilder der Kriegsfotografin Anja Niedringhaus – S. 16
Vorsorge – Soldaten bereiten sich auf ihren eigenen Tod vor – S. 22
Checkliste – Testament, Patientenverfügung, Vollmachten – S. 28
Anatomie – Was passiert, wenn der Körper stirbt? – S. 30
Trauer – Ein Soldat über den Tod seines Kameraden – S. 36
Rituale – Letztes Geleit für die Gefallenen – S. 38
Zahlen – Die Toten der Kriege – S. 44
Ich töte
Kampf – Moment der Wahrheit: Wenn du abdrückst – S. 48
Psychologie – Kann man töten lernen? Eine Untersuchung – S. 56
Medien – Faszination Tod: Warum wir uns Gewalt im Film und TV anschauen – S. 60
Recht – Das Tötungsverbot und seine Ausnahmen – S. 66
Ich bin verwundet
Rettungskette – Dank klar definierter Maßnahmen überleben Verwundete – S. 72
Erstversorgung – Diese ersten Handgriffe müssen sitzen – S. 78
Interview – Truppenpsychologe Thorsten Roth hilft Betroffenen – S. 80
Geschichte – Der medizinische Fortschritt rettet Soldatenleben – S. 84
Anschläge – Zivilbevölkerung im Fadenkreuz des Terrors – S. 90
Ich lebe
Porträt – Meik Briest und Maik Mutschke leben mit ihren Verwundungen – S. 68
PTBS – Wenn der Krieg in der Seele weiter wütet – S. 104
Verlust – Jacqueline ist Anfang 20 – und Witwe eines Bundeswehrangehörigen – S. 108
Gedenken – Wie ehren wir heute unsere Gefallenen? – S. 112
Mut – Unsere unbezwingbare Seele – S. 84
Ich kann nicht erkennen, wo ich diesen thematischen Rahmen verlassen habe. Inhaltlich gehört das auch zusammen. Die Autoren reden nicht nur über den Tod, sondern auch übers töten, verwundet sein und das Leben danach. Ist halt etwas umfassender und daher nicht für jeden auf Anhieb verständlich. Darin liegt dann auch ein Problem bei öffentlichen Debatten über solch schwere Kost.
Das spachliche Bild mit der Gans ist doch eigentlich verständlich, in Relation zur ursprünglichen Publikation geradezu simpel.
@Sensemann
Schon fast genial wie sie die gesamten Inhalte und Breite der Y-Publikaten auf das sprachliche, „geradezu simple“ Bild der Weihnachtsgans verkürzen – das ist schon ein ganz schön dreister Demontage-Versuch. Das dumme ist bloß: Weihnachtsgänse sind auch schwere Kost und besonders schwer verdaulich wenn man sie einfach ohne eine ausgewogenes Menue und ohne „helfende“ Beilagen serviert. Das führt meistens zu heftiger Verstopfung und kann sogar Gelbsucht auslösen.
Prost Mahlzeit ;-)
@klabautermann:
Völlig unabhängig von der Weihnachtsgans ist doch überaus bemerkenswert und begrüßenswert, dass sich die einzige frei erhältliche Zeitschrift der Bundeswehr mit Tod/ Verwundung aber eben auch mit töten beschäftigt.
Das ist doch wirklich ein positives Signal, da die Dinge klar angesprochen werden.
Nun muß das Thema „nur“ auch wieder zentraler Bestandteil der Ausbildung sein.
Aber da wird sich sicher auch bald die FüAk der neuen Art (siehe Bällebad) beschäftigen – oder eben auch nicht.
@Memoria
Ich habe ja diese Publikation eingangs des Fadens sehr begrüßt und ich habe auch geschrieben, dass ich hier vom „Dienstherrn“ eigentlich noch mehr erwarte. Ja, und das Unterthema „Töten“ gehört natürlich zu dieser besonderen soldatischen Thematik „Tod“, sie ist imho aber nicht Schwer- und Mittelpunkt dieser Thematk, ganz bestimmt nicht zu Beginn einer soldatischen Laufbahn in der Basis-Ausbildung. Wieviele Soldaten hat denn die BW, die strukturell ihren Finger auf einem Feuerknopf oder an einem Abzugshebel haben – sei es als Befehlender oder Ausführender ? In der erweiterten „Systemausbildung“ von Kampfeinheiten ist das „Töten“ dann sicherlich ein wichtiges Thema im Kontext von „Kämpfen“……und da gehört es eben hin.
@klabautermann
„dass Soldaten eben nicht nur bewaffnete Mechatroniker sind, sondern sich darauf einlassen (müssen), zu töten und getötet zu werden.“
Man durfte den Wehrdienst verweigern, wenn man es für falsch hielt Menschen in kriegerischen Aktionen Schaden zuzufügen.
Nicht den Dienst bei den Kampftruppen sondern den Wehrdienst und ehrlich sehe ich nicht den Unterschied zwischen dem der den Abzug gemäß der Doktrin betätigt oder ihm die Patronen dafür liefert.
Es kam oft genug vor, das Nicht Kampftruppen kämpfen mussten, als Unterstützung/Ersatz der Kampftruppen oder weil sie gegen gegnerische Truppen kämpfen mussten.
Den Dienst bei der BW kann man in den ersten 6 Monaten beenden, bis dahin sollte ein Soldat also mit den entsprechenden Problemen, vertraut gemacht, geschult und genügend Zeit gehabt haben um eine Entscheidung zu treffen, wie Alvin York.
Gibt es Philosophien ohne Menschenbild?
@joey:
Nur damit das nicht so stehen bleibt, das ganze ist deutlich komplexer als die Vorstellung der „Umerziehung“ der Deutschen, und der zivilisatorischen Verweichlichung/Degeneration, dass Sie (vielleicht ironisch) zeichnen.
Erstmal ist Töten in fast allen Gesellschaften/Kulturen ein Tabu. Das töten eines anderen Menschen ist daher auch fast immer mit Sanktionen belegt, wobei es auch rechtfertigende Kontexte gibt, z.B. Notwehr, oder eben kriegerische Auseinandersetzungen, in denen das Töten eines anderen Menschen meist als legitim betrachtet wird. Es gibt auch hier Ausnahmen, beispielsweise gibt es Gesellschaften in denen Krieg stark ritualisiert durchgeführt wird ohne das Ziel den Gegner zu töten, das erinnert dann häufig eher an Rangkämpfe im Tierreich. Und das sind Gesellschaften die die meisten von uns als äußerst primitiv bezeichnen würden. Es lässt sich übrigens auch gut nachweisen, dass Kriege erst sehr spät in der menschlichen Geschichte geführt wurden, und das Töten innerhalb der eigenen Art keineswegs „natürlich“ ist. Das aber nur als kleiner Exkurs. Das töten eines anderen Menschen ist also alles andere als normal, natürlich, etc und nicht nur in „verweichlichten Zivilgesellschaften“ tabuisiert, sondern das ist fast eine anthropologische Konstante.
Soldaten der BW finden sich hier in einer schwierigen Situation, weil es gesellschaftlicher Konsens ist, dass das aktive, offensive Töten zu anderen Zwecken als der direkten Selbstverteidigung nicht zu akzeptieren ist. Das ist eigentlich überall Konsens, von wenigen Ausnahmen (zB IS) abgesehen. Da sind wir beieinander. Allerdings war das, um auf die Umerziehungsthese zu kommen, auch im 3.Reich nicht anders. Sogar das NS-Regime sah sich genötigt militärische Aktionen damit zu rechtfertigen, sich gegen eine aktive Aggression verteidigen zu müssen (z.B. Sender Gleiwitz) bzw. dass die arische Rasse existentiell bedroht sei (z.B. Lebensraum im Osten, Rassenhygiene, etc.).
Diese Bedrohungslage lässt sich heute nicht mehr konstruieren, weil sie auch effektiv einfach nicht vorhanden ist. Dementsprechend erscheinen auch Töten, Verwundung und Tod in den Konflikten in die wir heute verwickelt sind als umso tragischer und unnötiger.
Verstärkt wird dies grundsätzlich durch die zunehmende Individualisierung unserer Gesellschaft. Solidaritätsverpflichtungen verschieben sich, das Sterben und Töten für „Deutschland“ muss zunehmend aktiv vermittelt werden, um als sinnhaft verkauft werden zu können. Das lässt sich leicht veranschaulichen, wenn man sich vorstellt, man würde einem Psychologen erzählen, man wolle für Deutschland töten. Das kann man ruhig mal laut aussprechen, „Ich will für Deutschland töten“. Fühlt sich eigenartig an, oder? Deutschland lässt sich hier durch diverse andere Begriffe (Familie, Ehre, Gott, etc.) ersetzen.
Töten und getötet werden ist immer eine Ausnahmesituation, und war es seit den frühesten Hominiden. Und es braucht auf individueller Ebene psychologische Tricks die kulturell oder sozial vermittelt werden, um das aktive Töten positiv zu bewerten. „Hätte ich nicht zuerst geschossen, läge ich jetzt unter der Erde“ würde ich zB als so einen bewerten (unabhängig vom vorhandenen Wahrscheinlichkeitsgehalt des Satzes). Oder „Wenn ich den nicht abknalle, verbringt er IED/tötet er vllt. Kameraden/Unschuldige/etc“.
Das ist jetzt wieder alles viel zu lang geworden. Aber anstatt einfach „zivilisatorische Verweichlichung“ vorzuschieben, muss man sich auch ganz konkret die Konflikte ansehen, in denen unsere Soldaten involviert sind, und wie Sie das Töten und Sterben konkret sinnhaft machen können. Dass das vllt nicht gelingt muss kein kulturelles Phänomen sein.
@AB: Toller Text, nehmen sie sich die Zeilen… +1
Ein Trick ist ja, dann Krieg in eine „humanitäre“ Hülle zu verpacken, nachdem z.B Rache verübt wurde. Denn keiner will irgendjemand töten, aber er will Sicherheit für sich und die Seinen (wieder-)herstellen.
@klabautermann:
Interessant, dass sie das Thema töten auf die rein praktische Ebene bei den Kampftruppen bzw. Teileinheiten begrenzen wollen.
Das ist aus meiner Sicht eine in der Bundeswehr weit verbreitete Grundhaltung. Jedoch hat das Thema in einem höheren Abstraktionsgrad (Gewaltanwendung) grundlegende Bedeutung für die Bundeswehr. Denn dies ist der Organisationszweck.
Jedoch sind weder Konzeption, Personalauswahl, Ausbildung, Struktur, etc hierauf konsequent genug ausgerichtet.
Dieser Umstand wird durch den Wandel des Kriegsbildes noch wichtiger.
Nachtrag:
Bezeichnenderweise ist das durchaus kontroverse Buch zum Thema von Grossmann (https://en.m.wikipedia.org/wiki/On_Killing) in der Bundeswehr weitgehend unbekannt.