Absage an Osteuropäer: Bundesregierung bekennt sich zur NATO-Russland-Grundakte
Die Bundesregierung hat sich zur NATO-Russland-Grundakte bekannt und damit den Wünschen osteuropäischer NATO-Länder nach dauerhafter Stationierung zusätzlicher Truppen an der NATO-Ostflanke erneut eine klare Absage erteilt. Auf dem bevorstehenden Gipfel des Bündnisses in Warschau werde die Allianz zwar ein angemesses Konzept für eine dauerhafte, aber rotierende Präsenz von Verbündeten vor allem in den baltischen Staaten und in Polen entwickeln, sagte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen am (heutigen) Freitag auf der Sicherheitskonferenz GlobSec 2106 in Bratislava. Gleichzeitig werde dieses Konzept aber die Verpflichtungen der NATO-Russland-Grundakte respektieren.
Vor allem Polen und die drei baltischen Staaten hatten wiederholt gefordert, die Allianz müsse Kampftruppen, möglichst mindestens jeweils eine Kampfbrigade, dauerhaft an der NATO-Ostflanke stationieren, was nach der Zusicherung des Bündnisses in der 1997 geschlossenen Vereinbarung mit Russland zumindest fraglich ist. Einzelne Länder wie die USA haben zwar deutlich stärkere Truppenpräsenzen im Osten angekündigt, allerdings soll es keine dauerhaften Stationierungen geben, sondern nur rotierende, also wechselnde Anwesenheiten von Kampftruppen. Aus Sicht einiger osteuropäischer NATO-Mitglieder sind diese Verpflichtungen nicht mehr bindend, weil Russland durch sein Verhalten das Abkommen faktisch aufgekündigt habe.
Die Aussage der deutschen Ministerin nach dem vom BMVg veröffentlichten Redetext:
Yes, NATO is adapting to the dramatic changes in our security environment.
And yes, the Kremlin’s policy of power projection, it’s violation of international law in Eastern Ukraine gave us reason to rethink our common defence structures.
And there is no doubt that as NATO we have to make sure that our Allies at the Eastern flank are reassured that we stand together for their security.
This is why, for the Warsaw summit, we will develop an adequate concept for a permanent rotational presence of allies especially for the Baltic countries and for Poland.
A concept that will show our resolve and that, at the same time, will show our respect for the obligations we accepted in the NATO Russia Founding Act.NATO is not an organisation directed against anybody; it is an alliance for peace and freedom.
From this position of strength we wish for a Russia that returns to respecting the European peace architecture, we agreed upon decades ago. That is why we should always be ready for dialogue.
It’s up to Russia to change.
Zum Nachlesen hier noch mal aus der NATO-Russland-Akte von 1997 (hier in offizieller deutscher Übersetzung beim Auswärtigen Amt nachlesbar), in der sich die Allianz sowohl für Atomwaffen als auch für Truppen Beschränkungen auferlegt:
Die Mitgliedstaaten der NATO wiederholen, dass sie nicht die Absicht, keine Pläne und auch keinen Anlass haben, nukleare Waffen im Hoheitsgebiet neuer Mitglieder zu stationieren, noch die Notwendigkeit sehen, das Nukleardispositiv oder die Nuklearpolitik der NATO in irgendeinem Punkt zu verändern – und dazu auch in Zukunft keinerlei Notwendigkeit sehen. Dies schliesst die Tatsache ein, dass die NATO entschieden hat, sie habe nicht die Absicht, keine Pläne und auch keinen Anlass, nukleare Waffenlager im Hoheitsgebiet dieser Mitgliedstaaten einzurichten, sei es durch den Bau neuer oder die Anpassung bestehender Nuklearlagerstätten.
und
Die NATO wiederholt, dass das Bündnis in dem gegenwärtigen und vorhersehbaren Sicherheitsumfeld seine kollektive Verteidigung und andere Aufgaben eher dadurch wahrnimmt, dass es die erforderliche Interoperabilität, Integration und Fähigkeit zur Verstärkung gewährleistet, als dass es zusätzlich substantielle Kampftruppen dauerhaft stationiert. Das Bündnis wird sich dementsprechend auf eine angemessene, den genannten Aufgaben gerecht werdende Infrastruktur stützen müssen. In diesem Zusammenhang können, falls erforderlich, Verstärkungen erfolgen für den Fall der Verteidigung gegen eine Aggressionsdrohung und für Missionen zur Stützung des Friedens im Einklang mit der Charta der Vereinten Nationen und den Leitprinzipien der OSZE sowie für Übungen im Einklang mit dem angepassten KSE-Vertrag, den Bestimmungen des Wiener Dokuments von 1994 sowie gegenseitig vereinbarten Transparenzmassnahmen. Russland wird sich bei der Dislozierung konventioneller Streitkräfte in Europa entsprechende Zurückhaltung auferlegen.
(Foto: GlobSec 2016)
Endlich, seit langer Zeit, mal wieder ein deutliches Zeichen und Zugehen in Richtung Russland. Bleibt zu hoffen, dass sich Frau vdL mit dieser Ansicht durchsetzen kann.
Noch besser wäre, dieses „Rotieren“ von Truppenteilen, welches sich nach der Grundakte ahS ebenfalls verbietet, nach entsprechender Auslegung im Sinne von „Wortklauberei“ wohl aber zulässig erscheint, endlich beendet würde.
Jeden Wiedereinstieg in einen vernünftigen, zielgerichteten Dialog kann ich nur begrüßen.
@JC
Ihre Meinung ist Ihre Meinung, aber wen meinen Sie mit welches sich nach der Grundakte ahS ebenfalls verbietet? Genauer, wer ist aus hiesiger Sicht?
(Die Frage wird ohnehin kommen, also kann ich sie auch gleich stellen.)
„Ein Zugehen in Richtung Russland“ ist, wie in diesem Fall, ausgesprochen anspruchsvoll, wenn RUS sich selbst entfernt, besser selbst isoliert. Nicht der Westen isoliert Putin, schaft er ganz allein.
Niemand zwang ihn, Krim/Ostukraine mit grünen Männchen heimzusuchen. Die „Dauerrotation“ auf der Krim geht in Ordnung?
Was bietet Putin eigentlich für unser Dialogsangebot; in der Diplomatie entscheiden allein Interessen, welche hat Putin, alles haben wollen und im Gegenzug nichts anbieten?
@K-P K
Na, „der“ will einfach, dass die Interessen Rußlands berücksichtigt werden – und falls das auf diplomatischen/kooperativen Weg nicht möglich ist, dann vertritt er die russischen Interessen eben auf „undiplomatischen“ Wegen……..siehe Donald Cook. Und schon greift Herr Kerry zum Telefon und ruft in Moskau an. Geht doch ;-)
Natürlich hält die BReg an der NATO-Rußland-Akte fest, denn falls die „gekippt“ wird, dann bleibt von der vielbeschworen europäischen Friedensordnung überhaupt nichts mehr übrig. Das wäre ein geopolitischer/geostrategischer Rückfall in die 60er.
Ich denke mal, das wäre keine gute Idee, Herrn Putin so eine „Vorlage“ zu liefern….der könnte die glatt annehmen.
@JC Ein “ vernünftiger, zielgerichteter Dialog“ kann nur zum Ziel haben, dass die russische Regierung ihre aggressiven, militärischen Abenteuer in der Ukraine beendet.
Zum Topic: Vermutlich bildet Deutschland eine Mittel-Position ab. Während westeuropäische Länder die Sanktionen beenden möchten, wollen osteuropäische Länder Kampfbrigaden.
Ein paar Auszüge:
„Russland setzt den Aufbau einer demokratischen Gesellschaft und die politische und wirtschaftliche Transformation fort.“
„wie z.B. aggressiven Nationalismus, die systematische Verletzung der Menschenrechte und der Rechte von Personen, die nationalen Minderheiten angehören, sowie ungelöste Gebietsstreitigkeiten“
Das ich nicht lache, was für ein Witz. Diese „Grundakte“ hat Putin doch schon längst aufgekündigt und verstößt täglich dagegen, genauso wie den KSE Vertrag, und zwar schon seit 2007.
„Am 11. März 2015 wurde der Vertrag seitens der Russischen Föderation, aufgrund der Verlegung von 3000 US-amerikanischen Soldaten und mehreren Hundert Kampffahrzeugen ins Baltikum, offiziell aufgekündigt“
Seit 2015 nimmt Russland auch nicht mehr ab Sitzungen der Beratungsgruppe teil. Anscheinend kapiert das unsere Verteidigungsministerin nicht.
@tluassa
Die Zitate kommen jetzt wo her? Eine Quellenangabe wäre schon sinnvoll.
Und generell, auch @all: Auch bei diesem Thema hoffe ich trotz gegensätzlicher Ansichten auf einen sachlichen Ton.
Putin hat ohne mit der Wimper zu zucken die Sebstverpflichtung in der KSZE Schlussakte von Helsinki , das Budapester Abkommen und bilaterale Verträge Russland -Ukraine missachtet.
Es ist naiv zu glauben, dass sich Putin durch das Bekennen der Bundesregierung zur NATO-Russland-Grundakte positiv beeinflussen lässt.
Auch die Bundeswehr ist trotz vager Versprechen, den Verteidigungshaushalt zu erhöhen, weiter unterfinanziert.
Insgesamt sendet die Bundesregierung Signale der Schwäche aus. Putin wird sich in seiner aggressiven Politik bestätigt fühlen.
Kameraden aus Polen und den drei baltischen Staaten haben mir in Einzelgesprächen immer zugegeben, dass in deren Streitkräften wenig Vertrauen in Artikel 5 herrscht.
Daher der Ruf nach westlichen Kräften, die permanent stationieren und im Invasionsfall automatisch Konfliktpartei würden. Eine rotierende Präsenz ist zwar kostspielig, aber letztlich eine machbare und insgesamt erwachsene Lösung, da sie auch jederzeit beendet werden kann. Es bleiben also alle Gesprächskanäle nach Moskau offen, die osteuropäischen Partner bekommen die verdiente Solidarität (gleichzeitig ist die Widerrufsfähigkeit auch ein politischer Hebel gegenüber diesen Staaten) und die NATO sieht auch nicht schwach aus. Anders gefragt: Wenn das nicht der Plan ist, was dann?
Die Führungsmacht der NATO hat festgelegt, mit Rußland sicherheitspolitische Konsultationen auf Botschafterebene aufzunehmen http://augengeradeaus.net/2016/04/nato-russland-rat-soll-erstmals-seit-fast-zwei-jahren-wieder-zusammenkommen/ und Truppen in Osteuropa zu rotierten, nicht fest zu stationieren. Die Bundesregierung ist nicht in der Position für noch in irgendeiner Wiese interessiert an einer von den Vorgaben der USA abweichenden Sicherheitspolitik. Dieser Umstand ist nicht neu, sondern das bundesdeutsche Standardverfahren. Alles andere wäre sehr überraschend.
@ TW
Die Zitate stammen aus ihrem Link der Nato Russland Grundakte von 1997.
Das zur KSE von wikipedia.
Tjaa … Warschau im Juli. Ich sag das wird „lustig“.
Was man im BMVg erneut verdrängt:
Gerade auch bei einer Rotation bedarf es rotierender Beiträge der Bundeswehr. Bei den Landstreitkräften hat sich nach all den Ankündigungen nichts verändert.
Dazu kommt noch VJTF 2019.
Offenbar wird Deutschland in Warschau erneut großspurige Versprechen abgeben – und dann schaut man In der Truppe auf den Hof und in die Waffenkammer.
Nachtrag zur Umsetzung der Versprechen:
Auch der Kdr 1.PzDiv zeigt sich mit Blick auf die VJTF 2019 in einem gestrigen Interview in der NWZ optimistisch („Division ohne Nachwuchssorgen“, online verfügbar).
Alles wird gut…
Ehrlicher und erwartungsvoller geht’s kaum. Polnischer Ex-Außenminister Sikorski – allerdings mit Bezug zur €-Krise: „Ich fürchte mich weniger vor Deutschlands Macht, sondern beginne mich mehr vor Deutschlands Untätigkeit zu fürchten“.
Auszug aus seiner Rede anlässlich des 1. Berliner Forum Außenpolitik am 29.11.2011.
Besonders Polen (nach vier Teilungen), aber auch Balten unterliegen mittlerweile genetisch fixierter Angst des Zerriebenwerdens zwischen Berlin und Warschau bzw hegemonialer Dominanz eines von beiden.
Der politische Unwille gepaart mit militärischer Impotenz, mehr als warme Worte Richtung Mittelosteuropa auszusenden, stößt auf Unverständnis und provoziert Angstgefühle: Nicht, dass die (Deutschen) nicht wollen, die können auch nicht, uns zur Seite stehen.
Der fundamentale Paradigmenwerchsel deutscher internationaler Politik nach 1949/89 – Politik des Interessenausgleichs – wurde immer noch nicht verstanden. Insofern sind die Rotationsbeiträge des Heeres im Baltikum in Form von jeweils InfKp-Äquivalent beinahe nicht mal als Symbolik zu erkennen.
Zu erwarten ist andererseits, dass Berlin die Vorbehalte im Osten hinsichtlich offensichtlicher und unterstellter Intentionen im Kreml versteht und Maßnahmen zur Beruhigung der polnischen Gemütslage ergreift. Dass dies nicht eintrifft kann im schlimmsten denkbaren Fall, aus polnischer Sicht, einem stillen Einverständnis Berlin – Moskau zuzuschreiben sein.
Für Warschau, da kann großspurig in Berlin versprochen/verschwiegen werden was da will, gelten die Worte nichts (mehr). Wohin entwickelt sich eine Gesellschaft, die sich zu Recht/zu Unrecht verlassen fühlt? Sie besinnt sich auf’s Nationale, zieht sich zurück, die jüngsten Wahlen beweisen dies. Ursächlich für nationale, faktisch anti-EU-Politik stehen DEU Entscheidungen.
Beklagen wir uns also nicht.
Dass sich die Bundesregierung für eine dauerhafte Präsenz ausspricht war ja bereits jetzt unwahrscheinlich.
Man kann nur hoffen, dass man sich nun an die Spitze derer stellt, die die Rotation sinnvoll ausgestalten.
Offene Punkte gibt es genug:
http://augengeradeaus.net/2016/02/mehr-nato-soldaten-in-den-osten/#comment-226335
Oder wieder viele Worte, wenig Taten.
Klaus-Peter Kaikowsky | 16. April 2016 – 10:02
Beklagen wir uns also nicht.
Ohne das ständige Beklagen, Jammer und Mimimi – wird dieser Blog aber recht leer. (Die da oben: Alle doof, zuwenig Panzer und Raketen, 5 nach 12, Abendland ist verloren, Putin kann alles, wir nichts, ….)
@mittgard:
Alles wird gut. Irgendwie.
Nur wie konnte die Ministerin noch nicht aufzeigen.
Natürlich gibt es hier viel realitätsfremde Diskussionen (Flugzeugträger!), aber wenn man die Bundesregierung an ihren eigenen (!) Zielen und Versprechen gerade bei der Bündnisverteidung misst, dann wird es eben schon sehr schnell sehr dünn.
Aber solange die militärische Führung weiterhin in einer Parallelwelt lebt (siehe oben Interview Kdr 1. PzDiv) wird sich daran auch nichts ändern.
@memoria
Habe das Interview gestern in der NWZ auch gelesen. Klang irgendwie nach Parallelwelt oder Volksverdummung. Wieder eine Gelegenheit, Verantwortung zu übernehmen, verpasst. Ich war ein wenig geschockt ob der Schönfärberrei.
@ChairForce | 15. April 2016 – 22:00
Sie bringen es auf den Punkt!
@mittgard | 16. April 2016 – 13:19
Soooo schlimm ist das Gejammer hier aber auch wieder nicht! Also nicht immer. Manche sehen auch hin und wieder einen Hoffnungsstreifen am Horizont … außer bei den Politikern und der Ministerin … und den meisten Großkopferten mit dem goldenen Eichenlaub. Aber sonst …
um zu erklären, dass deutschland weder kann noch will, hätte vdl nicht nach pressburg fahren müssen. die balten und polen wissen längst, dass sie, wenn sie sich auf deutschland verlassen, verlassen sind.
LTC007 | 16. April 2016 – 18:28
polen wissen längst, dass sie, wenn sie sich auf deutschland verlassen, verlassen sind.
Und auf die Franzosen, die Engländer, die Italiener, die Spanier, …? Kein Europäisches Land kann die Sicherheit der Polen garantieren.
Und wenn die Polen mehr Hilfe erwarten – dann sollten sie evtl. mal netter und freundlicher zu übrigen Europäischen Ländern sein. Als Deutschland Frontstaat war haben wir auch nicht ständig die westlichen Nachbarn angepöbelt, sondern haben sie mit Geld und guten Worten bei Laune gehalten. Nur so als Tipp – wie erfolgreiche SiPo aussehen kann :-)
Zur Info und Einordnung:
https://euobserver.com/foreign/133084
Aus von @T.W gesetztem Link:
Petr Pavl, a Czech general in charge of Nato military planning, said new bases might act as a “political deterrent” but have little value in tactical terms.
Gut und treffend prägnant ausgedrückt, general.
Entscheidend ist das politische Signal, der tatsächliche Nutzen im Zuge einer entschlossenen RUS Aggression mit kurz gefassten (Angriffs)Zielen ist in der Tat vernachlässigbar.
Insofern darf sich ein jeder westliche (im SP DEU) Anfeindungstheoretiker den Schaum aus den Mundwinkeln wischen. Der CZE General hat aus Nachrüstung und Doppelbeschluss der 80er gelernt: den politischen Willen zu Hilfen in NATO-Osteuropa demonstrieren durch
– glaubhafte Zeichen der Abschreckung und
– gleichzeitige Gesprächsangebote, z.B. im NATO-RUS-Rat.
Aber Polen legt nach:
Russia is more dangerous than the Islamic State group, Poland’s Foreign Minister Witold Waszczykowski told reporters Friday during a visit to Slovakia,
und fordert das Bündnis zum Beschluss über die Stationierung von Truppen an den Ostgrenzen beim bevorstehenden Gipfel im Juli in Warschau auf. (Von Rotation spricht er dabei nicht).
http://www.defensenews.com/story/defense/international/europe/2016/04/16/russia-more-dangerous-than-says-poland-foreign-minister/83120564/