Lesestoff Afghanistan: Über die Brücke der Freundschaft
Für diejenigen hier, die sich noch für Afghanistan interessieren (das werden auch immer weniger…) ein sehr lesenswertes Stück von Thomas Ruttig für das Afghanistan Analysts Network: Am 15. Februar 1989, vor genau 26 Jahren, zogen die letzten sowjetischen Soldaten vom Hindukusch ab und verließen über die Brücke der Freundschaft bei Termez (Foto oben) das Land. Ruttig, damals Diplomat in der DDR-Botschaft in Kabul, erinnert sich an diesen Abzug, was darauf folgte und die Lehren daraus.
Der Text, auf Englisch: Crossing the Bridge: The 25th anniversary of the Soviet withdrawal from Afghanistan
(Der Text wurde zum 25-jährigen Jubiläum des Abzugs 2014 geschrieben; hat aber vor dem Hintergrund der Ende 2014 ausgelaufenenen ISAF-Mission weiter Aktualität. Ein Stück von Thomas Ruttig auf Deutsch dazu gibt es hier: Abzug der letzten sowjetischen Truppen aus Afghanistan – eine Bilanz)
(Foto: Die letzten sowjetischen Soldaten auf der Brücke der Freundschaft – Wikimedia Commons/RIA Novosti archive/image #58833/A. Solomonov/CC-BY-SA 3.0)
Was soll man da schon kommentieren? Der Krieg ist aus, und wir gehen nach Hause. Mit RSM wird noch ein wenig Nachsorge betrieben, auch damit es nicht ganz so wie ein Rückzug aussieht. Schließlich gilt ja „mission accomplished“ auch wenn man sich nicht ganz sicher ist, was denn nun eigentlich Sinn und Zweck des Ganzen war. Am besten paßt man daher die Ziele dem Ist-„end state“ an und kommen so auf eine Zielerreichung von 100%.
Ein toller Artikel den Thomas Ruttig da geschrieben hat. Vor allem weil er beide Abzüge hautnah mit erlebt hat.
Was sind nun die Lehren, die möglichen Konsequenzen aus den beschriebenen Zuständen ? Da kann man nun viel spekulieren, aber ein paar Grundgedanken sind wohl konsensfähig.
1. Jede Intervention erfordert ein sorgfältiges, tiefgreifendes Verständnis der Konfliktparteien und des Konfliktes.
Wenn man diese Seite beachtet hätte, wäre es von Anfang klar gewesen, dass in Afghanistan ein Stellvertreterkrieg tobt. Die Taliban, hauptsächlich von Pakistan unterstützt und die Nordallianz und die spätere Regierungsallianz, vom Westen und von Indien unterstützt. Man hätte gegenüber Pakistan viel früher die Daumenschrauben anziehen müssen und die militärische, wirtschaftliche und politische Unterstützung Pakistans einstellen müssen. Auch wäre die Aufrüstung des Gegners Pakistans, Indiens ein deutliches Zeichen an Pakistan gewesen.
2. Ein Krieg ist ein Krieg und keine humanitäre Intervention. Dies hätte man den Deutschen von Anfang an ehrlich erklären müssen. Der Oberstarzt a.D. Eröz macht eine humanitäre Hilfsaktion, aber nicht die Bw.
3. Eine Änderung der mentalen Grundhaltung einer Bevölkerung eines Landes ist völlig unmöglich. Der Versuch aus Afghanistan eine Demokratie nach westlichen Vorbild zu machen (gemäß Petersberger Abkommen) war von Anfang an zum Scheitern verurteilt und diente nur der innenpolitischen Unterstützung für den Waffengang.
4. Definieren, eigenener nationaler Interessen, für die man bereit ist in den Krieg zu ziehen. Afghanistan als Land gehört sicherlich nicht dazu, die Bündnissolidarität innerhalb der NATO sehr wohl.
5. Überlegen von realistischen Kriegszielen und eines Exit-Szenarios
Die Vertreibung von Al Kaida in AFG war mittels OEF ein realistisches Kriegsziel und anschließend wieder raus aus dem Land mit Ausnahme von ein paar Spezialeinheiten und militärische Berater. Die damalige humanitäre Katastrophe konnte man nicht mit Soldaten bekämpfen, sondern hätte man zivilen Hilfsorganisationen überlassen sollen. Die hätten die Verhältnisse im Land mit einem Bruchteil der Kosten des Krieges, unter den Schutz der lokalen Autoritäten, verbessern können.
6. Militärische Vorteile in einem Konflikt konsequent nutzen.
Im damaligen „Kessel von Kunduz“ im November 2001 saßen über 1000 pakistanische Militärberater, ISI Geheimdienstmitarbeiter und die führenden Köpfe der Taliban fest. In einer Woche nächtlicher Militärflüge, einer militärischen Evakuierungsoperations der pakistanischen Luftwaffe, sind sie alle mit Erlaubnis und unter den Augen amerikanischer Spezialkräfte nach Pakistan ausgeflogen worden. Die Amerikaner sprachen von einer „Operation Evil Airlift“, was sich in dieser Woche ereignet hat. Ich bin nicht dafür das nach der Methode des General Dostum zu lösen, also alle auszuradieren, zu liquidieren, aber als Kriegsgefangene hätte man sie nehmen müssen. Als Unterpfand gegenüber der pakistanischen Regierung um Zugeständnisse zu erwirken. Außerdem wäre damit sofort der Stellvertreterkrieg Pakistans in AFG aufgefallen. Nach Aussagen von Harmid Karzai, hätte er kurz vorher Botschafter Pakistans in Kabul werden könnte, denn Pakistan betrachtet(e) AFG als Provinz, als Einflussgebiet Pakistans und nicht als selbstständigen Staat.
@ Georg 14:41
Ich wuensche die Fuehrung DE wuerde Ihre Darstellung zur Kenntnis nehmen und danach handeln.
Allerdings bezweifle ich, dass ‚lokale Autoritaeten‘ mehr gemacht haetten, als was sie die ganze Zeit der ‚Intervention‘ ueber taten: Sich die Taschen zu fuellen. Insofern hatte DE garnicht in AFG taetig werden duerfen.
Dennoch: BZ
@ Georg
wo muss ich ihren Beitrag unterschreiben? ;-)
leider würden sie es als Politiker nicht weit bringen: zu durchdacht, ehrlich und offen.
Chapeau!!!
Mit der OEF hätte man es bewenden lassen und bis Mitte 2002 komplett abziehen sollen. AQ war reduziert, und die „message“ war bei den TB auch angekommen. Zudem konnte man mit den TB durchaus verhandeln und zu Ergebnissen kommen, wenn sie einen Vorteil für sich sehen.
Eigentlich war das schon damals klar.
PAK – „schwierig“. Stellen sich die USA allzu klar gegen das Land ist a) eine Hinwendung zu RUS (oder China) zu befürchten und / oder b) eine weitere Radikalisierung.
Klar, daß RUS und die VRC auch ihr Verhältnis zu Indien beachten müssen.
wie ist den so der eindruck derer, die gelegentlich ein offenes wort mit den goldfasanen wechseln können. haben die georgs zusammenfassung so auf der platte und handeln die nach dem motto „ja wissen wa, aber geht nich because … politics“ oder herrscht da flächiges unverständnis über das wesen bestimmter konfliktszenarien?
@Georg:
Mit Ausnahme von Punkt 5 Zustimmung. Humanitäre Organisationen wären ohne bewaffnete Unterstützung ebenso zum Scheitern verurteilt gewesen.
@ Mausschubser
Zitat:“ Humanitäre Organisationen wären ohne bewaffnete Unterstützung ebenso zum Scheitern verurteilt gewesen.“
Ist das wirklich so ? Wie waren denn die Unterschiede für humanitäre Organisationen mit militärischer Unterstützung in dem Gebiet und ohne militärische Unterstützung ?
Im Raum Kunduz haben die Deutschen mit dem später getöteten „Gouverneur“ Mohammed Omar zusammengearbeitet um die Sicherheit zu gewährleisten. Dieser Mann war eigentlich nichts anderes als der lokale War-Lord. Wäre die Bw nicht dagewesen, hätte er warscheinlich auch dort residiert und wäre mit entsprechenden Schmiergeldzahlungen auch kooperativ gewesen. Nichts anderes hat er unter der Aufsicht der Deutschen gemacht. Sich Geld aus internationalen Hilfstöpfen in die eigene Kasse gesteckt und der Rest ging in die Hilfsprojektte für die Bevölkerung.
Oberstarzt a.D. Eroz sagte, weit abseits von militärischen Lagern der Amerikanern ließen sich am besten Schulen bauen und waren auch am sichersten, weil sie nicht von Kampfhandlungen gefährdet waren. Eine Schule für afghanische Mädchen betreibt man so oder so nicht, wenn die lokalen Autoritäten dies nicht wollen!
Und als Nachtrag zu dem Kommentar von 09:28 Uhr
http://www.spiegel.de/politik/ausland/gewalt-in-nordafghanistan-taliban-toeten-gouverneur-von-kunduz-a-722057.html
und
http://www.afghanistan-blog.de/gouverneur-von-kunduz-bei-attentat-ums-leben-gekommen/
Wie sagte einmal ein Mitarbeiter einer großen NGO, sinngemäß: wir sprechen auch mit Leuten und arbeiten mit ihnen zusammen, die sie (die Bw) nicht ‚mal kennen wollen.
@ Georg | 16. Februar 2015 – 9:28
Natürlich könnte man auch in einem Land wie Afghanistan unseren Willen aufzwingen. Würde man in jedem Dorf ein- zwei Züge stationieren, hinter jeden Amtsträger einen Aufpasser stellen und das ganze öffentliche Leben beherrschen, dann könnte man mit diesem Zwangskorsett einer intensiven Besatzung so mit ein bis zwei Millionen Besatzungssoldaten sicherlich viel umbauen. Verstöße gegen die Vorgaben der Besatzer müsste man drakonisch bestrafen, incl. Todesstrafe. Aufstände müsste man vernichtend niederschlagen.
Nur wollen wir das? Wo sind unsere Interessen so stark berührt, dass wir die dafür benötigten materiellen Ressourcen aufwenden wollen sollten? Wo ist unsere Existenz so gefährdet, dass wir die ethisch diskussionswürdigen Eingriffe rechtfertigen könnten? In der Planung: Wie viele Afghanen darf man zur Durchsetzung einer Mädchenschule töten?
Mit ein paar tausend Soldaten und nettem Bitte, Bitte machen ist da natürlich nichts auszurichten. Also sollten wir uns auf dieses Feld nicht begeben. Innerhalb unserer nationalen Grenzen gibt es genug Missstände, um die wir uns zuerst kümmern sollten.
Im nächsten Schritt sollte man dann mal ein Erfolgscontrolling unserer Entwicklungshilfe-Ambitionen machen. Bewirken wir mit unseren Maßnahmen wirklich das, was wir bewirken wollen? Oder stärken wir letztlich unsere Feinde und züchten uns selbst Flüchtlingsströme in unsere Auffanglager in Deutschland?
@Georg
Hätte Indien sich so einspannen lassen, bzw. was wäre dann mit China?
Wie hätte ISAF etc. dann in Afghanistan versorgt werden können?
Wieviel Prozent der Bevölkerung braucht es um einen Wechselt Triggern zu können?
Indien hat seine diplomatische Präsenz in AFG während der 10 Jahre dramatisch erhöht. In vielen größeren afghanischen Städten sind Konsulate entstanden.
Pakistan hat eine traumatische Abneigung der indischen Präsenz in AFG, also quasi in ihrem Hinterland.
China hat eine ganz andere Strategie gefahren. Bekanntlich hat China 2010 eine rießige Kupfermiene in AFG gekauft (so weit die Mär in AFG gäfe es keine nenneswerten Bodenschätze). Auch will China gleich ein passende Elektrizitätswerk dazu bauen und eine neue Eisenbahnlinie bauen um diese Schätze nach China über den Landweg auszuführen. Das Ganze ist ein 4 Mrd Dollar Geschäft. Nach Augenzeugenberichten versuchten die Taleban die Bauarbeiten für die Eisenbahnlinie zu stören, weil keine afghanischen Arbeiter sonden chinesische Arbeiter eingesetzt wurden. Der Nachschub an chinesischen Arbeitern (ev. waren es aber auch Strafgefangene) war aber so groß, dass die Taliban scheiterten. Ausserdem kann man bei reinen wirtschaftlichen Interessen (also ohne politische Absichten in AFG was zu ändern) mit Geld bei den Taliban viel erreichen und Geld haben die Chinesen genügend !
Wie hätte sich ISAF in AFG versorgen lassen, wenn Pakistan auch offiziell feindlich und nicht nur inoffiziell feindlich eingestellt gewesen wäre ?
Eine gute Frage für die ich auch keine Antwort habe, aber:
im Endeffekt wurde der Nachschub über den Kyber-Pass von talibannahen Kräften (Lastwagenfahrer) durchgeführt. Dafür haben sie immense Summen kassiert. Ich kann mich an einen US-Bericht erinnnern, ich denke er war vom US-Rechnungshof, der aufgrund der hohen Transportkosten den Liter Flugbenzin, also Kerosin mit über 100 Dollar angegeben hat. Im Endeffekt hat der Westen über die hohen Transportkosten über den Kyber-Pass und durch Schmiergeldzahlungen durch die Stammesgebiete, die Taliban finanziell ausgestattet.
@Georg
Beantwortet nicht meine Bedenken.
Wäre Indien bereit gewesen sich mit dem Westen zusammen zu tun?
Ich bezog mich eigentlich auf China – Pakistan und China vs. Indien
Warum erinnert mich das mit den LKWs an den Vietminh?
@FvS 11:30
Ja, aber die Franzosen haben das schlauer mit weniger kräften auch hinbekommen, z.B. in Marokko (unter Lyautey).
Zitat: „Wäre Indien bereit gewesen sich mit dem Westen zusammen zu tun?
Ich bezog mich eigentlich auf China – Pakistan und China vs. Indien“
Ja, Indien wäre bereit gewesen sich mit dem Westen zusammenzutun. Es wäre vor allen Dingen Pakistan massiv unter Druck gesetzt worden AFG aufzugeben und nicht mehr als Provinz in ihrem Hinterland zu betrachten.
Indien wollte z..B. den Eurofighter kaufen, wenn Merkel bereit gewesen wäre, den Eurofighter für den A-Waffeneinsatz auszurüsten.
China hat meiner Meinung nach das Interesse nach Ressourcen aller Art (afrikanische Landwirtschaftsflächen, griechische Häfen, afg. Kupfermiene) und dies bei weitgehenden Desinteresse sich in die Innenpolitik eines Landes einzumischen.
Ich denke China gegen Pakistan hätte nicht zu zusätzlichen Spannungen geführt, wenn der Westen sich gegen Pakistan entschieden hätte.
China vs. Indien ist die Frage der Vormachtstellung der beiden Mrd-Bevölkerungsnationen, meiner Meinung unabhängig vom AFG-Konflikt eine Frage der Hegemonie in einer Region
@Georg
Der Eurofighter hatte also die Auswahl gewonnen? Ich wusste der IIRC Inspekteur der Luftwaffe wurde da auf Werbetour erwartet und das Singh ziemlich an einer Entspannung mit Pakistan interessiert gewesen zu sein schien
China hatte sich zur gleichen Zeit „wirtschaftlich“ in Pakistan engagiert u.a. Hafen und ich vermute mal die chinesisch – indischen Grenzstreitigkeiten sind ihnen ein besserer Begriff als mir.
Meiner Meinung nach verhalten sich Pakistan und Indien wie „Erbfeinde“ untereinander und dies bis zum Himmalaya auf 6000 m über N.N hinauf.
Ich denke spätestens nach dem Terroranschlag auf das indische Hotel in Bombay war der latente Konflikt wieder aufgewärmt.
China hat sich, meiner Meinung nach, überall auf der Welt „wirtschaftlich“ engagiert, insbesondere im Rohstoffbereich.
Australien hat bei seiner Sicherheitspolitik ein ganz klares Feindbild. Der rießige australische Kontinent mit den unermesslichen Rohstoffen könnte eines Tages den Appetit der Chinesen auf ein militärisches Abenteuer wecken und deshalb rüstet Australien auf, auch in strategischen Dingen, wie z.B. „The Ghan“, die Eisenbahnlinie quer durch den Kontinent wurde von Alice Springs bis zur Nordküste weiter gebaut auch aus militärstrategischen Überlegungen.
Sorry ich bezog mich auf die Cricket Diplomatie 2011