‚Wenn du was schreibst, töten wir deine Familie‘ – Druck auf Journalisten in Afghanistan nimmt zu
Die Bedrohung von Journalisten und Medienorganisationen in Afghanistan hat im vergangenen Jahr drastisch zugenommen – und zwar von allen Seiten, den Aufständischen und örtlichen Warlords ebenso wie von der Regierung und den Sicherheitskräften. Zu dieser düsteren Einschätzung kommt die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) in einem am (heutigen) Mittwoch in Kabul veröffentlichten Bericht. Alles was an Medien- und Pressefreiheit am Hindukusch seit 2001 erreicht worden sei, drohe verspielt zu werden, warnte HRW. Zwar hätten die Bedrohungen durch Taliban und andere Aufständische zu einem Klima der Angst beigetragen, weil von dieser Seite Journalisten gezielt für ihre Berichterstattung angegriffen wurden. Der fehlende Schutz der Pressefreiheit habe aber die bestärkt, die entschlossen seien, Kritik an der Regierung, den Sicherheitskräften und anderen mächtigen Personen der Gesellschaft zu unterdrücken.
Das vergangene Jahr sei nach einer Aufstellung der afghanischen Medienorganisation Nai das gewalttätigste in langer Zeit gewesen, mit einer Steigerung der Angriffe auf Journalisten um 64 Prozent, heißt es in dem HRW-Bericht. Die Lage der Medienfreiheit in Afghanistan werde künftig entscheidend vom weiteren Verhalten der Regierung in Kabul abhängen, aber auch vom Vorgehen der internationalen Gemeinschaft. Das gelte besonders nach dem weitgehenden Abzug der internationalen Truppen mit dem Ende der ISAF-Mission 2014. Das Klima der Gewalt habe schon jetzt dazu geführt, dass Medien Selbstzensur übten, um nicht ins Visier bewaffneter Organisationen zu kommen – sei es auf Seiten des afghanischen Staates wie auf Seiten seiner Gegner.
Der Bericht „Stop Reporting or We’ll Kill Your Family“ (Wenn du was schreibst, töten wir deine Familie) gibt es hier zum Herunterladen. Aus der Zusammenfassung:
The phenomenal growth of the media in Afghanistan has been one of the most significant achievements of the post-2001 reconstruction effort. From few print and virtually no broadcast outlets in 2001, Afghanistan now boasts hundreds of newspapers, television and radio stations, and web-based media outlets. The new media increasingly play a role in public life in Afghanistan, including facilitating debate and shaping public opinion during the 2014 presidential elections.
But with most foreign military forces having withdrawn from Afghanistan, and a substantial decline in foreign donor assistance to the country, the freedom that spurred the media’s growth is in peril. Afghan journalists told Human Rights Watch that freedom of the press may be in a “downward spiral,” with increasing intimidation and violence from both state and non-state actors, lack of government protection, and waning international support. Most important, the government’s failure to uphold press freedom and to adequately investigate and prosecute threats and attacks against media workers has, they fear, emboldened those who wish to silence them.
Afghan journalists face threats from all sides: government officials exploiting weak legal protections to intimidate reporters and editors to compel them not to cover controversial topics; the Taliban and other insurgent groups using threats and violence to compel reporting they consider favorable; and police and justice officials letting threats, assaults, and even murders go uninvestigated and unprosecuted. Most of the threats come from individuals acting on behalf of powerful government officials or influential local actors, including militia leaders and so-called warlords.
Violent attacks on journalists that go uninvestigated and unpunished reflect wider impunity and failure to establish the rule of law in Afghanistan. Afghan journalists often respond to the dangers with self-censorship. Many steer clear of reporting on sensitive issues—including corruption, land grabbing, violence against women, and human rights abuses—as a means to minimize safety risks.
Kabul-based editors often avoid assigning stories that could put their reporters at significant risk. Editors and journalists told Human Rights Watch that self-censorship has become a survival mechanism for them. Those outside of the country’s main cities are especially vulnerable to reprisals from powerful individuals and groups because they are more exposed: they lack the protection provided by a larger Afghan media and international presence. The cultural and social conservatism of the provinces also contributes to the difficulty of reporting on controversial issues outside of the capital.
(Archivbild 2010: Die afghanische Journalistin Farrukh Leqa Sultani interviewt den damaligen ISAF-Sprecher Brigadegeneral Josef Blotz in Kabul – Photo by Sgt. 1st Class Matthew Chlosta via ISAFmedia auf Flickr unter CC-BY-Lizenz)
Das „Vorgehen der internationalen Gemeinschaft“ (heisst wohl: NATO) dürfte mit zum Verschlechtern des Klimas für die Journalisten beigetragen haben. Ich denke wir sollten uns da raushalten. Die Afghanen müssen selbst wisen was sie wollen und was gut für sie ist. Und sie müssen lernen um ihre Pressefreiheit zu kämpfen (und nicht kämpfen zu lassen).
Habe da gerade einige böse Gedanken:
Hatte nämlich gerade ein Dejavu zum Thema „Selbstzensur“ der Medien (natürlich ohne die Drohung mit dem Umbringen, aber das machen ja andere, wie wir wissen).
Schauplatz ist auch Wien und nicht Afghanistan. Die Taliban werden nicht genannt, aber man kann ihre gedankliche Anwesenheit beinahe spüren. :-)
EU-Kommissarin Benita Ferrero Waldner auf dem Euromediterranen Symposium in Wien am 22.-23. Mai 2006, Sie redet vor eingeladenen Medien-Verantwortlichen.
http://europa.eu/rapid/press-release_SPEECH-06-321_en.htm?locale=en
„… Freedom of speech is central to Europe’s values and traditions. But its preservation depends on responsible behaviour by individuals. Freedom of religion is a fundamental right of individuals and communities. It entails respect for the integrity of all religious convictions and all ways in which they are exercised.
[…]
The precise contours of a solution cannot be prescribed, they must come from each individual taking responsibility for his or her own actions. By extension, we do not believe the media should be regulated from outside, but rather that you find ways to regulate yourselves.
[…]
In considering the question of self-regulation, I would also ask you to think about the need for monitoring from within your own professional bodies. I am convinced that will have a significant impact. …“
@ r.koch
das vorgehen der inernationalen gemeinschaft hat das entstehen einer (relativ) freien presse in afghanistan erst möglich gemacht. Das das Klima für journalismus sich jetzt graduell wieder dem afghanischen normalzustand (schlechte presse = 9mm implantat) nähertt kann man ISAF nicht vorwerfen. Die Feinde der Presse sind Talibs/Warlords/korrupte eliten usw. nicht der Westen.
Mit der pressefreiehit ist es ohnehin wie mit allen anderen westlichen importen. nach ende resolute support wird das gros dieser insitute wieder abgeschafft.
entweder aktiv durch politik/gewalt oder wegen geldmangels
@wacaffe
Ja klar, die internationale Gemeinschaft hat die Pressefreiheit erst ermöglicht, genauer: durch Druck ermöglicht. Das kam nicht von den Afghanen selbst. Ich vermute dass die wenigsten dort auf die Pressefreiheit gewartet haben wie auf die göttliche Offenbarung. Das hat dort einfach keine Tradition. Das Zeitalter der Aufklärung hat bei uns stattgefunden, nicht dort im asiatischen Raum.
Und auch noch: Man kann nicht so etwas einfach durch Druck ermöglichen. Da muss das ganze Umfeld (Wertekanon, Sozialverhalten) sich verändern. Und so etwas funktioniert nicht nach 10 Jahren. Und deswegen wird das nach dem Abzug alles wieder im Orkus verschwinden …. und kaum ein Afghane wird die Pressefreiheit vermissen.
Die Journalisten dort tun mir leid. Die können den Beruf an den Nagel hängen oder sich zu Verkündern staatstragender Erfolgsmeldungen degradieren.
So ein wenig muss man den Eindruck haben, dass die Werte der aufgeklärten Welt weltweit auf dem Rückzug sind. Egal ob man nach Kabul, Paris oder Dresden schaut: Die Form des Austragens von Meinungsverschiedenheiten eskaliert und wird weltweit gewaltsamer.
Nur woran liegt das?
@ FvS – Mangel an Bildung im eigentlichen Sinn (Formung des Menschen in Hinblick auf sein Menschsein)
@ Bang50 | 21. Januar 2015 – 12:45
Kann ich mir kaum vorstellen. Wenn man mal die Vogelperspektive verlässt und sich die „Brandstifter“ ansieht, die da gerade die Welt anzünden, dann ist das intelligenz- und bildungstechnisch meist eher das obere Quantil, welches da aktiv ist. Bei den Mitläufern findet man dann so einiges an Mangel an Bildung und deformierter Persönlichkeit, das ist richtig, aber von allein würden die nie losrennen.
Betrachten wir mal zwei vollkommen unterschiedliche Bildungs- und Formgebungssysteme:
Unsere gendergerechten Gutmenschen sind meist sehr intelligente und gebildete Zeitgenossen, die in ihrer Denkschule auch sehr geformt wurden. Trotzdem sind es genau diese oberlehrerhaften Zeitgenossen, die im Umgang mit ihren Antipoden ausarten. Da werden dann alle Register der Zündelei gezogen, wie Ablehnung von Diskussion, Entmenschlichung bis hin zur Gewalt – vor sich selbst nennt man das dann Zivilcourage und merkt gar nicht, wie man in faschistische Methoden abgleitet.
Es war auch diese Denkschule, die militärisch unterfüttertes Nation-Building bei uns gesellschaftsfähig gemacht hat, also eine Denke „Wir wissen, wie ihr leben sollt und werden euch mit Gewalt dazu zwingen!“
Es ist individuell ja gerade ein selbstgewisser Dünkel der intellektuellen Überlegenheit, der die Person zu der Sichtweise verleitet, selbst anderen ihr Denken und Handeln vorschreiben zu müssen, notfalls mit Gewalt.
Bei Islamisten ist es dann nicht besser. Weil man sich selbst im Besitz der einzigen Wahrheit über das Menschsein verortet, man war ja schließlich in der Koranschule, leitet ein Islamist daraus das Recht zum Dschihad ab und sieht es als legitim an, Karikaturenzeichner zu ermorden, weil diese einfach nicht die einzige Wahrheit des Korans annehmen wollen. Auch diese Zeitgenossen sind meist weder dumm noch ungebildet. Gerade ein Islamist sieht in seiner Formung die einzige Möglichkeit des Menschseins.
Beide Denkschulen, so unterschiedlich Gutmenschentum und Islamismus auch sind, haben im Ergebnis eine Neigung, Konflikte zu produzieren, da sie mit Sendungsbewusstsein für ihre Sache werben/missionieren. Und letztlich landen beide bei „Und willst du nicht mein Kumpel sein (meine Denkschule übernehmen), dann schlag ich dir den Schädel ein …“
Formung und Bildung allein reicht nicht. Es kommt auch auf die konkrete Formgebung und die Bildungsinhalte an.
Da scheint mir unsere Gesellschaft etwas die Mitte verloren zu haben und damit an Stabilität zu verlieren. Die Zeichner von charlie hebdo haben jeglichen Respekt vor allem und jedem unterlassen, vorsätzlich religiöse Gefühle verletzt und nichts geachtet. Ein anständiger Mensch tut sowas nicht. In einem stabilen Staatswesen darf man sowas natürlich, das gehört zu den Freiheitsrechten, eine überwiegende Mehrheit der Bevölkerung lehnt derartige Verletzungen religiöser Gefühle genau so ab wie nackt tanzende Frauen auf dem Altar einer christlichen Kirche.
Nicht alles, was rechtlich erlaubt und möglich ist und sein sollte, entspricht auch den Regeln von Respekt und Anstand. Eine Gesellschaft, die keinen Respekt und keinen Anstand mehr hat, destabilisiert sich fast zwangsläufig.
Und da kommen wir wieder zur Falsifizierung Ihrer These: Es gibt viele Menschen, die nicht besonders gebildet oder intelligent sind, die Regeln von Respekt und Anstand aber verinnerlicht haben und so einen sehr friedvollen und konstruktiven Alltag gestaltet.
Somit halte ich Intelligenz, Bildung und Formung nicht für entscheidende Faktoren zur Organisation von Frieden. Falsche Bildung und falsche Formgebung in Kombination mit Intelligenz kann hingegen Weltkriege auslösen.
@FvS: Ich glaube nicht, dass unsere Werte auf dem Rückzug sind. Ich sehe das eher als eine Frage der Perspektive. Richtig ist: Unsere Werte sind zunehmend bedroht. Dabei kann natürlich das subjektive Gefühl entstehen, man befinde sich schon auf dem Rückzug. So wäre dann aber bereits ein wichtiger Teil der Strategie des Drohenden aufgegangen – nämlich die Völker des freien Westens in eine depressive Stimmung zu drängen, die den Tenor trägt: „Gegen die haben wir eh‘ keine Chance. Also lassen wir es besser gleich.“
Solch fatalistisches Denken darf niemals Maxime unseres Handelns sein.
Unsere Werte sind nicht auf dem Rückzug. Im Gegenteil: Sie sind begehrter denn je!
Spannend wird allerdings die Frage sein, wieviel wir für deren Verteidigung (auf) zu geben bereit sind. In diesem Sinne: Nur Mut!
Nun ja, die nicht-aufgeklärte Welt scheint wohl schneller zu wachsen als die aufgeklärte, mag voll darin begründet sein, dass die Geburtenrate bei Nicht-Aufgeklärten höher ist. Aber der Papst meint ja wohl auch, dass künstliche Geburtenkontrolle und die Aufklärung nicht unbedingt kompatibel sind mit dem Katholizismus ;-)
Es sit schon so ein Dilemma mit diesen „Werten der aufgeklärten Welt“…..meine Fresse, Deine Presse und so
@ Minenjäger | 21. Januar 2015 – 14:16
Ich hoffe, Sie haben Recht.
Dummerweise zeigt die aktuelle Politik unseres Staates, dass die Bereitschaft zur Verteidigung unserer Werte nicht besonders ausgeprägt ist. Es galt mal z.B. beim Demonstrationsrecht der Grundsatz „Ich verachte Ihre Meinung, aber ich gäbe mein Leben dafür, dass Sie sie sagen dürfen.“. Leider hat man sich im Deutschland des Jahres 2015 dafür entschieden, das Demonstrationsrecht recht schnell einzuschränken. Das damit gesandte Signal an Islamisten und sonstige Extremisten ist natürlich fatal.
Zivilcourage kommt leider für viele in unserer Gesellschaft nur dann in Frage, wenn sie ungefährlich und Mainstream ist. Leider ist sie dann auch belanglos.