Ukraine: Debatten-Thread, erste Juniwoche
Da sich (vor allem) gestern gezeigt hat, dass die Kommentare zum Thema Lage in der (Ost)-Ukraine sowohl Infos zur Situation als auch Meinungsäußerung/Debatte etwas unübersichtlich vermischt haben…. hier ein neuer Thread, in dem über die Lage diskutiert werden kann. Ich mache noch einen Eintrag zur Lagebeobachtung auf, wo es wirklich nur um die Sammlung der Informationen geht. Hier aber noch die Bitte: Auch bei aller hitzigen Diskussion auf persönliche Anwürfe, Beleidigungen usw. zu verzichten. Wie sich gestern gezeigt hat, geht das mitunter recht übel ab – und ich werde da wohl härter durchgreifen und Kommentare auch einfach löschen müssen (auch wenn die Pöbler dann laut Zensur schreien…)
Na, dann fang ich mal an ;-)
Die G7 fordern von Russland:
-Zusammenarbeit mit dem designierten ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko, -Stopp des Zustroms von Separatisten und Waffen in die Ostukraine,
-Garantien für die Gasversorgung
-Abzug der Truppen von der ukrainischen Grenze.
Hm, also wie soll Putin denn zeitgleich diese Grenze dicht machen und die Streitkräfte von der Grenze abziehen ?
Die beste Garantie für die Gasversorgung der Ukraine ist die Schulden bei Gazprom zu bezahlen.
A bisserl albern kommt mir dieser Katalog schon vor.
Vor allem, nichts zur Krim außer dröhnendem Schweigen.
Wird wohl zum Europäischen Tibet
@klabautermann:
Auch in Russland werden wohl eher nicht 40.000 im freien biwakierende Soldaten Grenzkontrollen durchführen, sondern das normale Grenzpersonal, welchem in der letzten Zeit doch etliche paramilitärische Truppenbewegungen irgendwie durchgehuscht zu sein scheinen.
Beim Thema Gas drehten sich die russischen Wortmeldungen seit Januar nicht so ganz ausschließlich um die Einforderung gegenseitig vereinbarter und fälliger Zahlungen.
Semi-OT bis Sowas-von-on-topic (je nach Sichtweise):
Im aktuellen ADLAS Magazin gibt es hochinteressante Beiträge, u.a. zum Modernisierungsprogramm der russischen Streitkräfte. Der Tenor ist sehr skeptisch, der Titel lautet „Putins Potemkinsche Panzer“ und wenn auch nur die Hälfte der dort aufgeführten Dinge stimmt, dann relativiert sich die scheinbare russische Stärke aber ganz gewaltig.
@ csthor
stärke ist immer relativ. die frage ist, sind wir besser gerüstet? materiell, mental,normativ?
und das vor allem mit bezug auf die „special war“ strategie die man momentan in der ukraine praktiziert.
besonders schwach kommt mir russland auf dem gebiet der subversion und sonderoperation nicht vor. da kann die symetrische gefechtsfähigkeit der russen noch so dürftig sein, auf sie kommt es ja gar nicht an.
@wacaffe: Das ist eben der Punkt. Rußland braucht gar keine großen modernen Panzerverbände, wenn die Truppen der Landesverteidigung beispielsweise durch „Friedensaktivisten“ umstellt und lahmgelegt werden.
@ wacaffe
Nein, nicht wirklich, aber ich habe zu viele Artikel gelesen in denen der „russische Bär“ zu einem wahren Ungetüm aufgeplustert worden ist. Man sollte sie auch nicht größer und mächtiger machen als sie wirklich sind.
Hmm „nur noch Tatsachen berichten“ wollen und dann ominöse russische Quellen verlinken ist ziemlich inkonsequent, oder?
tja ja, ich seh schon: wir müssen einfach unsere Gesellschaften wieder militarisieren.
Weniger BW, sondern mehr Werkschutz und Wehrsportgruppen !
;-)
@klabautermann: Betriebskampfgruppen heißt das. Die GST hab ich leider nicht mehr mitnehmen können. *schnüff*
Spaß beiseite, Wie die Ereignisse in der Ukraine zeigen, gehört zur modernen Ausstattung einer Armee eventuell auch Tränengas, Taser, Absperrmaterial und andere Mittel zur Mobkontrolle, bei denen man nicht gleich scharf auf die Beine schießen muß.
Und dann bleibt noch ein generelles Problem: Wie geht man in einer offenen Gesellschaft mit Einflußagenten um?
Mein Gott Müller. Ich bitte um konkrete substantiierte Einwendungen gegen die dargelegten Tatsachen, also was konkret davon von dir bestritten werden soll bzw. unwahr sei. Deine Pauschalunterstellung, eine „russische Quelle“ sei allein aufgrund der Herkunft unwahr, ist ein bisschen flach. Wenn Du Russisch verstehst, könntest du zur Konkretisierung beitragen und zusammenfassen, was das bei meiner angegebenen Quelle zu hörende Telefonat zum Inhalt hat. Danke.
@califax
„Und dann bleibt noch ein generelles Problem: Wie geht man in einer offenen Gesellschaft mit Einflußagenten um?“
Das ist eine wichtige Frage. Ich denke, dass dies in Deutschland derzeit gar nicht so schlecht läuft. Der Bereich social networks ist noch etwas überfordert, aber nach anfänglicher Unsicherheit bei Presse und Politik scheint mir die Situation wieder etwas normaler derzeit.
Prinzipiell gibt es bei Einflussnahme immer zwei Wege: Einfluss abblocken oder Einflussnahme wirkungslos machen. Ersteres ist in freien Gesellschaften schwierig und sehr heikel, letzteres allerdings ist eigentlich die Stärke von offenen Gesellschaften. Schutz ist eine freie Presse, eine solide Bildung und nicht zuletzt Lebenszufriedenheit. Spätestens Events wie die WM ersticken massiven Einfluss im Kern. Einige Politiker und Parteien sind auf den Propagandazug mit aufgesprungen, aber der Gewinn derselben scheint mir sehr fraglich. Dass dabei mehr als Stammwählerstreicheln stattgefunden hat, wage ich mal zu bezweifeln.
Auf der Seite der Kontrolle von Einflussnahme sind Verbote oder gar aktive Gegenmaßnahmen wohl eher kontraproduktiv. Viel effektiver ist die Bloßstellung. Da ist auch wieder in erster Linie die Presse gefragt, aber es ist auch ein Feld für Verfassungsschutz, BND und unter Umständen MAD. Sobald die transparente Einordnung von Einflussagenten öffentlich klar möglich ist, ist deren Schlagkraft drastisch reduziert. Eine stärkere Transparenz bei Lobbyarbeit wäre auch sehr hilfreich.
Der beste Schutz erscheint mir damit:
– soziale Stabilität
– hoher Bildungsstandard
– transparente Politik
– wache Presse
Die Armee ist an dieser Stelle eigentlich nur im Selbstschutz relevant, sprich bei der Überprüfung des Hintergrunds der eigenen Geheimnisträger und des Führungspersonals. Eine stärkere Rolle im Inneren schürt in der deutschen Gesellschaft nur Unzufriedenheit, die wiederum kontraproduktiv wäre.
@Califax
Na ja, riot-control-Erfahrung haben wir ja im Kosovo gut üben können.
Und mit Einflußagenten, bzw. Netzwerken hat der „Westen“ deutlich mehr Erfahrung und Expertise als Rußland.
Wollen wir doch nicht vergessen, dass die Ukraine im Kern ein failing state ist und das nicht erst seit dem Maidan. Was auf der Krim abging und nun vielleicht in der Ostukraine ist von daher kein Szenario für Polen oder auch die baltischen Staaten.
@Jodocus_Quak
„… Pauschalunterstellung, eine “russische Quelle” sei allein aufgrund der Herkunft unwahr, ist ein bisschen flach.“
Das würde ich nicht sagen. Die Pauschalunterstellung ist auch eher, dass eine russische Medienquelle aufgrund ihrer Herkunft Teil russischer Meinungssteuerung ist. Dieser Vorwurf ist keinesfalls flach, sondern sehr begründet. Wenn Ihnen die russische Herangehensweise an Presse und Medien nicht bewusst ist, hier einmal ein Abriss aus der Wikipedia:
http://de.wikipedia.org/wiki/Medien_in_Russland
https://en.wikipedia.org/wiki/Freedom_of_the_press_in_Russia
Insbesondere möchte ich anmerken, dass jegliche Information nur extrem eingeschränkt auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft werden kann. Das liegt in der Natur der Sache. Daher ist ihre Forderung auch recht typisch für die Versuche Kritik zu blocken. Leider ist es nun aber so, dass zu fast 100% die Quelle und deren Glaubwürdigkeit die einzigen verläßlichen Indikatoren zur Einordnung sind. Und in diesem Punkt sind russische Medien sehr sehr fragwürdig.
@klabautermann
Das mit den baltischen Staaten würde ich nochmal überdenken. Die haben stellenweise einen höheren russischsprachigen Bevölkerungsanteil als die Ukraine. Und die Kampagne des Kremls läuft in Litauen, Estland und Lettland bereits auf vollen Touren.
Zu den Einflußagenten: Da war doch gerade erst was mit Ungarn und der EU…
wie selbstbwusst man in deutschland mit ausländischen antideutschen einflussnahmen umgeht hat ja vor kurzem der erdogan besuch gezeigt.
„immer hereinspaziert…..“
drd, es geht um die Darstellung von Tatsachen. Es ist völlig egal, woher eine Tatsache stammt, weil eine Tatsache nur in „wahr“ oder „unwahr“ unterteil werden kann. Es ist egal, ob sie aus einer russischen, ukrainischen oder deutschen Quelle stammt.
Abzugrenzen sind Tatsachen von Meinungen, die können nicht in „wahr“ oder „unwahr“ unterteilt werden, sondern sind durch das Element der Stellungnahme gekennzeichnet.
Deswegen auch die Fragen nach den konkreten substantiierten Einwendungen gegen die von mir vorgetragenen Tatsachen. Substantiiert ist eine Einwendung dann, wenn du beispielsweise eine Quelle vorbringst, die das Gegenteil des von mir Dargestellten behauptet. Dann ist die Tatsache bestritten. Ansonsten lasse ich es dabei bewenden, weil Herr Wiegold darum gebeten hat, nur Berichte in diesem Thread zu posten. Danke.
@califax
Na ja, die baltischen Staaten haben vielleicht auch noch etwas Nachholbedarf in Sachen Minderheitenschutz.
Ansonsten ist das Einflußagentproblen ja mehr oder weniger ausgeprägt überall anzutreffen. Ich bin da sehr auf drd’s Linie:
– soziale Stabilität
– hoher Bildungsstandard
– transparente Politik
– wache und freie Presse
sind die wichtigen strukturellen Merkmale einer Gesellschaft, um sie gegen professionelle Einflußnahme von außen zu härten.
Manchmal frage ich mich, welcher Teil von Infos zur Lage in den Lagebeobachtungs-Thread, die Diskussion darüber in den Debatten-Thread so schrecklich unverständlich ist?
Dann mal ganz konkret: Der angebliche Einsatz von GRAD bei Slowiansk ist eine Lüge, die seit Wochen von der russischen Propaganda verbreitet und mit recycelten Bildern aus Militärmanövern und anderen Kriegen „belegt“ wird.
@ Alfred
Ich stoße mich an Ihrer Formulierung „nur noch von Tatsachen berichten“ und der Präsentation des Inhalts des Artikels als „Tatsachen“. Sie können gerne schreiben Lifenews.ru „behauptet, dass…“. Trifft die Realität wahrscheinlich besser. Schließlich ist das Netz voll von dreisten Lügen vieler russischsprachiger Medien in Bezug auf den Ukraine-Konflikt.
Der Examinier zeigt einige Beispiele: http://www.examiner.com/list/russia-s-top-20-lies-about-ukraine
@Jodocus_Quak
Damit das jetzt nicht völlig abdriftet nur als Anregung zum Nachdenken. Eine Antwort brauche ich nicht, eine Diskussion würde zu weit in Kommunikationswissenschaft und Philosophie führen:
Es werden niemals Tatsachen übermittelt. Das geht gar nicht, denn jede Schilderung ist schon Wertung, jedes genannte oder ausgelassene Detail ist Beeinflussung, jede Einordnung in den Kontext ist Meinung. Eine der esten Betrachtungen dazu wäre das Höhlengleichnis von Platon… falls unbekannt, lohnt sich die Lektüre, ist auch kurz.
Dazu kommt, dass selbst bei angestrengt objektiver Berichterstattung über Tatsachen diese so gut wie nie direkt nachgeprüft werden können… Details vielleicht, vielleicht die Beteiligten, vielleicht das Material, vielleicht der Ort… nie aber die ganze Geschichte. Hier spielt dann die Vertrauenswürdigkeit der Quelle die entscheidende Rolle.
Wahr und Unwahr sind außerdem sehr heikle Begriffe für Informationen aus der Ferne. Selbst im engsten Bekanntenkreis kann man das nicht bei jeder Situation zweifelsfrei sagen, ob eine Tatsache jetzt wahr oder unwahr ist, denn das hängt massiv von der Perspektive und Fragestellung ab. Die Frage „Hast du jetzt oder nicht“ beantwortet nicht umsonst jeder gefragte mit „Ja, aber…“ oder „Nein, aber…“ Die Welt ist nicht binär.
Soviel dazu. Sie haben keine Tatsachen vorgetragen, sondern Informationen aus nicht überprüfbaren Quellen mit nicht eben makelosem Ruf. Sie sind nicht vor Ort gewesen, sie haben keine Möglichkeit, diese Informationen fundiert zu bewerten, kennen nicht die objektive Zeitlinie aller Ereignisse vor Ort noch die Akteure und deren Ziele. Das geht allen hier so, also sprechen wir von Informationen und Quellen, nie von Tatsachen.
Jetzt hoffe ich, T.W. steinigt mich nicht für das völlige Abdriften in die Metadiskussion, …es tut mir leid!
@ Müller
Haben Sie den die 20 Beispiele nachvollziehen können? Wurden diese tatsächlich so von russischprachigen Medien verwendet? Allein 7 Beispiel zeigen lediglich Twittermeldungen, dort wird von Hinz und Kunz alles in die Welt gesetzt was man sich so vorstellen kann (@euromaidan_pr: 500 tote Separatisten pro Tag, Slaviansk wurden von den Separatisten in Putinski umbenannt,…).
Standbilder aus dem TV dienen auch eher der Verwirrung, ein Beispiel welches gestern die Runde machte: ein Newsbalken unter einer Sendung die das brennende World-Trade-Center zeigte als Beleg dafür das russische Medien den Angriff auf Slaviansk übertreiben. Die Wahlberichterstattung im russischen Fernsehen hat selbstverständlich die Ergebnisse der ukr. Präsidentschaftswahlen gezeigt, was soll also Bsp. 5.
Der Examinier verknüpft das mit Beispielen die tatsächlich falsche Zusammenhänge aufzeigen, wie der polnischen Grenzübergang (Beispiel 18), allerdings schon Monate alt.
Falschdarstellungen und Lügen sehe ich auch bei russischsprachigen Medien, die von Ihnen verlinkte Auflistung – als Beleg dafür, das alles was von russischsprachigen Medien kommt zu ignorieren ist – ist ungeeignet und auch nur Propaganda.
Irgendwie versteh ich den ein oder anderen hier (nicht explizit in diesem Thread, sondern in den Posts der letzten Tage) nicht…..
Es wird immernoch versucht die Ereignisse zu relativieren….Schuldige im Westen zu suchen…..Seitenweise über irgendwelche Rechtsauslegungen des Kriegsvölkerrechts gestritten, die russische Beteiligung bestritten, während die Grenzanlagen/das Grenzschutzpersonal eines souveränen Staates vom Staatsgebiet eines anderen Staates attakiert werden ohne das dieser davon Kenntniss haben will oder Einfluss ausüben können will….
DAS ist einfach nur lächerlich…..Russland will eine Weltmacht sein und den Frieden in der Ukraine unterstützen….aber ist nicht in der Lage und Willens solche Sachen zu unterbinden? ==> daraus folgt: Sie dulden/unterstützen es
Ich lehne mich mal weit aus dem Fenster mit der Behauptung „unterstützen“ trifft es eher. Besonders in Anbetracht der doch ungewöhnlich modernen und umfassenden Ausstattung der „lokalen Selbstverteidigungskräfte“….fehlt eigentlich nur noch eine eigene Luftwaffe aus dem Military Shop.
Es tut mir ja schrecklich leid, wenn ich mit einer so schlichten Interpretation zu der philosopischen Diskussion hier nichts beitragen kann…..ABER ich finde die Lage schon recht eindeutig und recht einfach.
Russland führt uns alle gerade am Nasenring herrum und verhält sich unakzeptabel….mit sehr gefährlichen Auswirkungen in der mittel- bis langfristigen Zukunft.
Ich sehe in Anbetracht der russichen Aktionen (militärisch, nachrichtendienstlich), Aussagen (auch von Spitzenpolitikern) und der teilweise unglaublichen Propanganda (welche eindeutig die Bevölkerung auf Linie und Konfrontationskurs bringen soll) nicht wirklich optimistisch in die sicherheitspolitische Zukunft.
Ei gucke mal! War diese brandneue Propagandavorgabe nicht gerade erst hier aufgeschlagen?
https://twitter.com/12nb34/status/474682116908023809
Mal ein etwas anderer Blickwinkel auf den Donbas:
http://www.newrepublic.com/article/118010/eastern-ukraine-mafia-state-can-kiev-impose-rule-law
@califax
schönen Dank für den Artikel. Passt voll in meine Sicht der Dinge.
@ Müller: Meine Formulierung „Tatsachen“ war in Abgrenzung zu „Meinung“ gemeint. Ich wollte damit sagen, mich nicht an „wertenden“ Diskussionen beteiligen zu wollen. Damit habe ich keine Aussage getroffen, ob du diese Tatsachen als glaubhaft ansehen sollst oder nicht. Es bleibt dir überlassen. ICH (!) halte allerdings nichts davon, eine Quelle als nicht glaubwürdig anzusehen, allein weil sie russisch ist. Da fehlt mir die Substanz in dem Argument.
@ drd: Meine Differenzierung stützt sich auf die juristische Sichtweise und nicht auf die kommunikationswissenschaftliche oder philosophische. Davon habe ich gar keine Ahnung. Ich gebe dir aber Recht, dass das Weglassen von Tatsachen Propaganda ist. Allerdings wird dies dadurch noch nicht zur Meinungskundgabe im juristischen Sinn, weil die Tatsachen noch immer in „wahr“ oder „unwahr“ unterteilt werde können. Ansonsten werde ich bei den von dir verwendeten Argumentationsstrukturen ganz hibbelig, weil du – sicher unbeabsichtigt – nicht in meinem juristischen Denkmuster formulierst, wir sprechen zwei unterschiedliche Sprachen.
Allgemein: Bis zum 2. Mai 2014 war die deutsche Presse für mich über jeden Zweifel erhaben und ich habe Berichte ohne nachzudenken als wahr angesehen. Am 2. Mai 2014 ist mein Vertrauen in die deutsche Presse komplett zerstört worden und ich sehe sie nicht mehr als vertrauenswürdiger als die hier kritisierte russische Presse an.
Warum?
Ich habe im Livestream zugesehen, wie in Odessa das Gewerkschaftshaus in Brand gesetzt wurde und von wem. Die Brandstifter haben alles gefilmt und ich hatte auf der Seite http://www.militaryphotos.net im Forum den Link zum Livestream genutzt. Aus dem Livestream wurden später die youtube Videos geschnitten. Diese Bilder haben mich erschüttert (eigentlich immer noch).
Als ich dann in den deutschen Medien nach den News dazu gesucht habe, habe ich beispielsweise auf der Seite des Stern das gelesen (kopiert aus meinem Kündigungsschreiben):
„Nach dem Brand des Gewerkschaftshauses in Odessa herrscht Unklarheit über die genaue Zahl der Opfer. Nachdem in ersten Berichten der Behörden von 38 Toten die Rede war, heißt es nun, mindestens 31 Menschen seien ums Leben gekommen. Das Feuer sei im zentralen Haus der Gewerkschaften ausgebrochen, so die Polizei.“
Das war dermaßen weit von dem entfernt, was ich im Livestream gesehen habe und dermaßen verzerrt, dass für mich als „gläubiger“ Deutscher eine Welt zusammengebrochen ist („herrscht Unklarheit“ bzw. „Brand ausgebrochen“). Ich habe sofort das Abo bei G+J gekündigt. Das Vertrauen ist weg und wird nicht wiederkommen. Ich suche mir seitdem die Infos im Netz zusammen, gleiche sie ab und entscheide für mich, ob ich sie als glaubhaft ansehe oder nicht. Wird die deutsche Presse so weiter machen wie in der Ukraine-Berichterstattung, werden bald die Einnahmen wegbrechen, weil die Leute über das Internet die Differenz zwischen der Berichterstattung und den Videos sehen und es nicht hinnehmen werden.
@Jodocus Quak :
Ihre Argumentation wäre fast glaubwürdig, wenn Sie nicht ausgerechnet russische Propagandaquellen verlinken würden, die durch besonders dreiste Erfindungen und Fälschungen auffallen, und wenn das von Ihnen kritisierte Zitat nicht zufälligerweise den damaligen Stand seriöser journalistischer Recherchen exakt wiedergeben würde.
Sie sind übrigens nicht der einzige, der die Schlacht von Odessa live verfolgt hat.
@ califax: Um ehrlich zu sein, mich interessiert es nicht, ob du meine Argumentation für „glaubwürdig“ erachtest oder nicht, zumal du deine Auffassung auch nicht begründest. Es ist nicht der Stand der „seriösen“ damaligen Recherche, sondern meiner Auffassung nach (!) eine bis heute fortdauernde „informelle“ Sprachregelung. Wenige Journalisten möchten ihre Karriere für eigenständige Berichte opfern, also zieht man den Kopf ein und bleibt im Mainstream. Ansonsten würde der heutige Artikel von Herrn Alexander von der Welt anders formuliert sein:
„…und eine internationale Untersuchungskommission zulassen, die das Unglück von Odessa aufarbeitet, wo 48 prorussische Separatisten bei einem Brand ums Leben kamen.“
http://www.welt.de/politik/deutschland/article128841361/Merkel-spielt-aussenpolitisch-volles-Risiko.html
(bitte beachte die Terminologie „Unglück“ und „ums Leben kommen“)
Allgemein möchte ich zur Propaganda noch etwas ausführen. Der von mir zitierte Satz beinhaltet bereits terminologisch Propaganda, weil er die „Verstorbenen“ (um in der Diktion der deutschen Presse zu bleiben) sämtlich als „prorussische Separatisten“ bezeichnet. Es dürfte Herrn Alexander schwer fallen, nachzuweisen, dass sämtliche „Verstorbenen“ prorussische Separatisten gewesen sind.
Propaganda wirkt bereits durch die frühzeitige negative oder positive Besetzung von Worten, weil damit eine erhoffte Wirkung beim Leser erzeugt werden soll. Meiner Auffassung nach sind die Menschen, die entweder bewaffnet Widerstand leisten, friedlich demonstrieren oder den „Maidan“ negativ aber passiv gegenüberstehen, nicht mit der Formulierung „prorussische Separatisten“ zu erfassen. Einige wehren sich, weil ihre Stadt angegriffen wird, andere wollen den Tod von Verwandten rächen, andere wollen das Russische in der Verfassung verankern, andere streben nach Dezentralisierung oder sogar Föderalisierung, andere wollen „Action“. Nur diejenigen, die für die Eigenstaatlichkeit der Oblasten außerhalb der Ukraine sind bzw. einen Anschluss an Russland wollen, würde ich als Separatisten bezeichnen. Prorussisch sind für mich nur diejenigen, die tatsächlich den Anschluss an Russland wollen. Es geht zu weit, all diese Menschen unter dem Begriff „prorussische Separatisten“ zusammen zu fassen.
Wie dem auch sei, ultimativ entscheidet jeder selber, welche Tatsachenbehauptung er als wahr oder unwahr (auch im Sinne von wahr, aber nicht bewiesen) ansieht. Im Hinblick auf den Vorwurf der russischen Propagandaquelle kann ich deinem Posting keinen neuen Erkenntnisgehalt abgewinnen. Der allgemein gehaltene Vorwurf ist für mich von keiner hinreichenden Substanz, dass ich dir folgen könnte.
Ich bin schon zulange im Netz unterwegs, als dass ich nicht wüsste, dass Internetdiskussionen meist nicht zielführend sind, sondern sich oftmals im Kreise drehen und jeder auf seiner Sicht der Dinge beharrt. In diesem Sinne beende ich die Diskussion mit der Erkenntnis, dass wir beide nicht zueinander finden. :-)
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