Lagebeobachtung Ukraine, 29. Mai (Ergänzungen zum ‚Vostok-Bataillon‘)
Gerade in Deutschland dürfte diese Meldung an etwas erinnern: Der selbsternannte Bürgermeister der ost-ukrainischen Stadt Sloviansk /Slawjansk, Wjatscheslaw Ponomarjow, hat nach eigenen Angaben vier vermisste OSZE-Beobachter in seiner Gewalt. Die vier Männer aus der Türkei, der Schweiz, Estland und Dänemark (die das Foto oben zeigen soll), seien aber in Sicherheit, sagte Ponomarjow der Nachrichtenagentur Associated Press:
An insurgent leader in eastern Ukraine said Thursday that his fighters are holding four observers from the Organization for Security and Cooperation in Europe and promised that they would be released imminently.
Vyacheslav Ponomarev, the self-proclaimed „people’s mayor“ of Slovyansk, a city in the Donetsk region, told The Associated Press that the monitors, who are from Turkey, Switzerland, Estonia and Denmark, were safe.
„I addressed the OSCE mission to warn them that their people should not over the coming week travel in areas under our control. And they decided to show up anyway,“ Ponomarev said.
Ähnlich hatte sich der Ortsbürgermeister auch Ende April geäußert, als er eine Gruppe von auch deutschen Militärbeobachtern, die unter OSZE-Auftrag unterwegs waren, festsetzte und nach einigen Tagen intensiver Verhandlungen unter anderem mit einem russischen Sonderbeauftragten auf freien Fuß setzte.
Ein wesentlicher Unterschied zur damaligen Situation ist allerdings, dass es Ende April/Anfang Mai im Osten der Ukraine zwar schon Auseinandersetzungen zwischen ukrainischen Sicherheitskräften und pro-russischen Separatisten gab. Inzwischen hat sich das allerdings zu einer Situation verändert, die faktisch ein Bürgerkrieg ist, auch wenn das so nicht genannt wird. Wie zum Beispiel dieser Haaretz-Bericht aus Donetsk/Donezk zeigt:
A city of a million inhabitants in eastern Ukraine which less than two years ago hosted the Euro 2012 Soccer semi-final was paralyzed Wednesday while pro-Russian separatists in the city prepared to fight for the city and around it large forces of the Ukrainian Army were deployed for what could be a bloody battle. Since Monday morning, when the Ukrainian Air Force bombed separatists who had taken control of Donetsk Airport, killing around fifty of them, every appearance of an aircraft over the city sends people scurrying.
Und dieser Bürgerkrieg heizt sich auf:
Pro-Russian rebels in eastern Ukraine town of Sloviansk shoot down military helicopter – reports say http://t.co/2Xv5e1C1pq
— BBC Breaking News (@BBCBreaking) May 29, 2014
BREAKING: Ukraine’s president says 14 troops, including a general, were killed when helicopter was shot down. — The Associated Press (@AP) May 29, 2014
Mehr zu dem abgeschossenen Hubschrauber bei der BBC:
Pro-Russian rebels in eastern Ukraine have shot down a military helicopter near Sloviansk, killing 14 people, the country’s outgoing president says.
Olexander Turchynov says a general was among the dead and that the rebels used a Russian-made anti-aircraft system.
Am Abend zeichnete sich in verschiedenen Berichten ab, dass pro-russische Milizen, weitgehend militärisch unprofessionell, vom professionellen ‚Vostok-Bataillon‘ abgelöst oder verdrängt wurden – was auch immer das bedeutet.
Der britische Telegraph:
Ukraine’s rebel movement was plunged into crisis on Thursday, when pro-Russian fighters backed by armoured personnel carriers seized the movement’s headquarters in Donetsk and destroyed the barricades protecting it.The surprise move by a group called the Vostok Battalion, a heavily armed rebel unit that has been involved in fighting against the Ukrainian army, sparked speculation about an internal coup within the fractious rebel movement.
There was also speculation that the move could have been an attempt by the leadership to purge undesirable elements with the Donetsk Peoples‘ Republic.
und aus der Kyiv Post:
It’s no longer about amateurs. There is a full-scale war going on, and it’s fought by professionals. The Russians are here – and they’re making a grab for power in eastern Ukraine.
If there was ever any doubt, it was quashed this week when separatist leaders and fighters here opened up to journalists about their Russian roots. In interviews with the Kyiv Post, Vice News, and the Financial Times, fighters in the so-called Vostok Battalion identified themselves as Russian citizens, with several saying they were from the Autonomous Republic of Chechnya.
Eine weitere Entwicklung nicht in der Ukraine, sondern in Russland, auf die mein früherer Focus-Kollege Boris Reitschuster auf seiner Facebook-Seite verweist:
Andreas Umland, einem der bekanntesten kremlkritischen Ukraine-Experten, wurde heute der facebook-Zugang gesperrt. Miteigentümer von facebook ist der Moskauer Medienunternehmer Juri Milner, dem beste Verbindungen zum KGB-Nachfolger FSB und Kreml nachgesagt werden (stammt m.W. aus Geheimdienst-Familie, eng verbandelt mit dem kremlnahen Oligarchen Usmanow, der Medien kontrolliert, etc. – siehe mein Artikel http://tinyurl.com/milnerfocus). Das nur als interessanter (Warn-)Hinweis, keinesfalls als Verschwörungstheorie.
(Das Foto oben kursiert im Internet, die Quelle ist bislang unklar – aber es soll die vier entführten OSZE-Beobachter zeigen. Ob das stimmt, kann ich derzeit nicht verifizieren.)
Laut bild.de Helikopterabschuss durch Seperatisten. Angeblich 14 Tote.
Das muss ein Irrtum sein – der Bürgermeister hat bestimmt jetzt Namenstag und die OSZE-Beobachter sind alle nur seine Gäste bei den Feierlichkeiten… *Ironie off*
„Unter den Opfern sei auch General Wladimir Kultschizki, sagte Übergangspräsident Alexander Turtschinow …“ NZZ
Ein General? Ich habe zwar wenig Ahnung von Militär, aber das kommt mir seltsam vor, wenn ein General in einem Hubschrauber an der „Front/ Kampfgebiet“ mitfliegt. Oder???
Führen von vorne? Außerdem scheint es mir so, dass eine fest definierte Hauptkampflinie dort nicht existiert – da kann man dann auch in vermeintlich sicheren Gebieten Feindkontakt haben. Klingt inzwischen sehr wie Guerillakrieg-Szenarien…
Bürgerkrieg, hmm?
waren sich nicht vor wenigen Wochen alle einig, dass das nur ein paar russische undercover special forces sind, ohne Rückhalt in der Bevölkerung?
Schon wieder entführte OSZE Leute – und auch noch von der gleichen Gruppierung gefangen genommen wie beim letzten mal – zeigt doch vor allem, dass keiner einen Plan hat und die Situation ziemlich ausser Kontrolle ist.
Ist ein General ein besserer Mensch ???
Randnotiz: Der Supermarkt der deutschen METRO-Gruppe in Donezk wurde von Separatisten der selbsternannten „Volksrepublik Donezk“ geplündert.
Die örtliche Polizei schritt nicht ein.
http://www.kyivpost.com/content/business/looters-ransack-germanys-metro-hypermarket-in-donetsk-349939.html
Die Nationalgarde hat die Zahl der bei dem Hubschrauberabschuss getöteten Opfer auf 12 korrigiert. 1 Soldat der Nationalgarde habe schwer verletzt überlebt.
Eine Gruppe der Angreifer sei bei einem Gegenschlag vernichtet worden.
http://vv.gov.ua/news.php?nid=4889&lang=ua&mid=1
Ich denke das ist genau der Unterschied zwischen einem Konflikt mit ‚ordentlichen Armeen‘ und einer asymmetrischen Kriegsführung gegen Rebellen, Aufständische, Separatisten, oder wie die momentane political correctness dazu auch gerade im Moment sagen mag:
Im ersten Fall sind die betroffenen Konfliktparteien mit den „Spielregeln“ der Genfer Konvention vertraut, im Zweiten Fall eben nicht.
Während also professionelle Soldaten OSZE Beobachter im schlimmsten Fall ein bestimmtes Krisengebiet gar nicht erst betreten lassen oder sie sprichwörtlich „vor die Tür setzen“, werden irreguläre Einheiten hier fälschlicherweise Gefangene nehmen und diese entgegen der internationalen Spielregeln quasi wie Geiseln behandeln…
Bleibt nur zu hoffen, dass Big Brother Putin hier erneut einschreitet und diesem Unkundigen noch einmal die Spielregeln (und mögliche Konsequenzen) erklärt, bevor die Betroffenen noch mehr erleiden müssen!
@QMensch: Es gibt bewußt keine Spielregeln. Die Ermordung von zahlreichen Zivilisten in der Gegend geschieht auf Anweisung aus Moskau, ebenso wie schon die Entführung der ersten Beobachtergruppe aus Moskau angeordnet wurde.
Ein guter Einblick in die „Ukrainian Connection“ auf WELT.de:
„Gib uns die Krim zurück, wir zahlen die Gasschulden“
Es wird sich auch unter Poroschenko nichts ändern.
Wenn auch eher Lagebeurteilung als Lagebeobachtung: Zum Thema russische Beteiligung am Bürgerkrieg @luna:
Fakt ist bekanntermaßen, dass mit Herrn Strelkov/Girkin ein aus Moskau stammender, russischer Staatsbürger militärischer Kommandeur der Separatisten ist. Und mit Herrn Boroday ebenfalls ein Russe selbsternannter Ministerpräsident dieser wohlgemerkt eigentlich doch regionalen Aufstandsbewegung. Beide teilen außerdem eine mehr oder weniger klare militärische/geheimdienstliche Vergangenheit und einen vorangegangenen Einsatz auf der nachweislich russisch invadierten Krim.
Fakt ist, dass jene von Beginn an derart einheitlich auftretenden und militärisch bewaffneten Kräften in Sloviansk russische Kosaken sind, die nicht nur ebenfalls besser als jeder Ostukrainer wissen wollen, was gut für die Ostukraine ist, sondern offenbar auch keinen Widerspruch darin entdecken können, white supremacy Gruppierungen anzugehören und nun den „antifaschistischen Kampf“ zu führen.
Fakt ist, dass mit dem Bataillon Wostok mittlerweile überdies ausgerechnet Tschetschenen für die angeblich bedrohte russische Sprache und Orthodoxie, sowie die seitens der Separatisten unverhohlen ausformulierten panslawistische Großmachtträume in den Kampf ziehen.
Fakt ist, dass damit auch bewiesen ist, wie löchrig die Grenze sein muss – was zum einen für ukrainische Unfähigkeit sprechen mag, aber ebenso für fehlenden Willen der russischen Seite, illegale Grenzübertritte von Lastwagenladungen voller Kämpfer (und Militärgerät?) zu stoppen, die sich übrigens ganz wie bei einer echten Invasion ihren Weg gegenüber den ukrainischen Grenzschützern im Zweifel einfach freischießen.
Um Putin hier einen verdeckten Krieg gegen die Ukraine nachzuweisen, mögen selbst diese Indizien noch zu wenig sein, weil sie nichts über den Grad der Steuerung aussagen. Aber gerade wenn man ihm den benefit of the doubt zuzugestehen bereit ist, muss man sich umso mehr fragen, weshalb es Russland denn so unmöglich ist, das Geschehen deutlich zu kommentieren (wie bspw. UN-Botschafter Tschurkin gestern im Sicherheitsrat nochmals bewiesen hat).
Man stelle sich vor, in Südtirol tauchten plötzlich deutsche (bzw. eher österreichische) Wehrsportgruppen auf, die zusammen mit örtlichen Separatisten und stolz die deutsche Fahne schwenkend Regierungsgebäude und Polizeiwachen überfielen und besetzten, Geiseln nähmen und mit Maschinengewehren und Panzerfäusten durch die Straßen patrouillierten. Und das einzige, was der Bundesregierung dazu einfiele wäre, die italienischen Sicherheitskräfte für ihr Vorgehen dagegen zu kritisieren (und zwischenzeitlich sogar mit Einmarsch zu drohen).
Ich wäre doch sehr überrascht, wenn die öffentliche Reaktion darauf in Deutschland und Europa ähnlich zweigeteilt wäre, wie sie es jetzt gegenüber Russland ist.
Die russische Sprachregelung ist dagegen eben genau die, dass die Ukraine ihre Truppen zurückzuziehen habe – was angesichts der fehlenden Kompromissbereitschaft auf Separatistenseite, sich mit mehr regionaler Selbstverwaltung zufrieden zu geben, faktisch die Aufgabe des Gebiets einfordert. Die zugegeben unglücklichen Versuche der Ukraine, jene (ich behaupte mal großen) Teile der Bevölkerung von der Volksrepublik zu erlösen, die keine Lust auf diesen waffenstarrenden Gangsterstaat haben, nennt man dann konsequenterweise auch gegen eine nicht mehr zu ändernde Realität gerichtete „punitiv operations“.
Strafaktionen, wegen denen man sich übrigens vor Gott werde verantworten müssen, wie Herr Tschurkin so schön sagte. Hoffen wir mal für die russische Regierungsmannschaft, dass das dann ein anderer Gott ist als der, der z.B. über den Tschetschenienkrieg richtet.
@luna: Es gibt auch bis jetzt keinen richtigen Bürgerkrieg, denn die Einheimischen in den betroffenen Regionen sind abgesehen von ihrer Opferrolle überwiegend außen vor. Die anfänglich in einigen Städten hohe Symphatie für die russische Invasion schrumpft, je länger die Leute das dabei errichtete Regime ertragen müssen. Inzwischen kriegt man ausgerechnet in Donetsk und Slowiansk nur noch wenige Hundert Leute zusammen, die man auch noch mit Bussen einsammeln muß. Girkin jammert seit Beginn des Angriffs auf die Ukraine über mangelnden Rückhalt in der Bevölkerung.
Mal eine Zusammenfassung der Lage bisher:
In Slowiansk ist vor allem eine russische Kosackengruppe (Die Hundertschaft des Wolfes) unter der militärischen Leitung des GRU-Offiziers Igor Girkin aktiv. Nach Angaben von Einheimischen und freigelassenen Geiseln sind auch abseits des Rampenlichts Spezialeinheiten des russischen Militärs vor Ort und geben Befehle. Slowiansk konnte in den letzten Wochen weitgehend eingekesselt werden. Girkin hat seine Karriere bei der Inszenierung des Bosnienkrieges begonnen. Ihm werden dort diverse Kriegsverbrechen vorgeworfen.
Anschließend war er überall, wo Rußland dreckige Kriege geführt hat, namentlich in Georgien und Tschetschenien, aktiv. Er ist wohl ein Spezialist für das Verschwinden von Menschen und hat in Moskau vor Jahren ein Strategiepapier veröffentlich, daß sich wie eine Beschreibung des Ukrainekrieges liest.
Im Raum Donetsk war ursprünglich Gubarew, ein russischer Nationalsozialist der RNE, zuständig. Er schien seine Anweisungen von der Führung der RNE in Moskau zu bekommen. Die RNE ist auch für die Destabilisierungsoperationen in Transdnistrien zuständig.
Inzwischen hat mit dem Eintreffen des FSB-Offiziers Borodai das Bataillon Wostok die Führung und die Hauptlast der Aktivitäten übernommen. Das sind professionelle Söldner des tschetschenischen Diktators Kadyrow, das Battaillon hat derartig viele Verbrechen in Tschetschenien begangen, daß es nach einer Bittprozession tschetschenischer Politiker nach Moskau offiziell für aufgelöst erklärt wurde.
Borodai ist „Krisenmanager“ des FSB und Experte für dreckige Kriege: Balkan, Kaukasus, hauptsächlich Tschetschenienexperte.
In die Presse gekommen ist er, als er während des 2.Tschetschenienkrieges die Aufgabe bekam, die Enthüllungen des Überläufers Litwinenko zu beenden. Der Presseartikel bringt dies in verbindung mit Litwinenkos Ankündigung, er wolle beweisen, daß die Hexagon-Anschläge, die den 2.Tschetschenienkrieg begründeten und Putins Wahlerfolg sicherten, in Wirklichkeit vom FSB ausgeführt wurden. Litwinenko wurde mit Polonium vergiftet. Die radioaktiven Spuren führten zu zwei FSB-Agenten.
Gerüchten zufolge führen die Tschetschen gerade eine Säuberung der „Volksrepublik“ Donetsk von einheimischen Separatisten durch. Mal sehen, ob sich das bestätigt. Gubarew scheint entmachtet worden zu sein. Er hat wohl seine Rolle als Politiker für echt gehalten.
In Gorlivka ist „Bes“ mit einer russischen Söldnertruppe und Mafiagruppen aktiv. Er scheint einen gewissen Ruf als sadistischer Mörder zu pflegen. Einheimische berichten angeblich von einem Schreckensregime und vielen Verbrechen.
Wer in Luhansk wirklich das sagen hat, ist noch nicht so recht öffentlich. Man ist dort aber hauptsächlich mit Raubüberfällen, Geiselnahmen und Schutzgelderpressungen beschäftigt und kümmert sich nicht viel um Politik oder Krieg. Angeblich lokale Mafia im Verbund mit Polizei und Lokalpolitik.
Mariupol sollte von Donetsk aus mit Hilfe ehemaliger Berkuteinheiten und stalinistischer Ortsgruppen genommen werden.
Dort hat sich nach der Vernichtung des Berkutquartiers durch die Nationalgarde gezeigt, wie gering der Rückhalt in der Bevölkerung tatsächlich ist: Achmetow hat mit ein paar Tausend unbewaffneten Arbeitern und etwas Streifendienst die ganze Großstadt (500.000 Einwohner) unter die Kontrolle Kiews gebracht: gewaltfrei. Die Präsidentschaftswahlen fanden dort ziemlich langweilig und ereignislos statt. Aus einem Gegenangriff des Bataillon Wostok ist aus unbekannten Gründen nichts geworden.
Odessa sollte offenbar von einer aus Moskau finanzierten stalinistischen Jugendorganisation und der aus Sowjetzeiten übriggebliebenen kommunistischen Einheitsgewerkschaft übernommen werden. Es gab friedliche und idealistische einheimische Unterstützer sowie aus Rußland und von der Krim angereiste Schlägertrupps. Im Vorfeld der Schlacht um das Gewerkschaftshaus haben sich Zugereiste Militante und friedliche Einheimische zerstritten und ein großer Teil der Separatisten ist in ein anderes Lager ausgezogen, das nicht von der Straßenschlacht betroffen war. Nachdem die „Turisti“ in Absprache mit dem mittlerweile nach Tansdnistrien geflüchteten Polizeichef eine friedliche proukrainische Demo angegriffen hatten, wobei mehrere Menschen vor laufender Kamera ermordet wurden, sind Fußballhooligans und Kämpfer des Pravy Sektor (Patrioti Ukraini) auf das Gewerkschaftshaus losgegangen. Beim Sturm des Lagers wurde originalverpackte militärische Ausrüstung aus Rußland, darunter kistenweise Gasmasken, gefunden. Es gibt Hinweise darauf, daß auch hohe Führungsetagen des Pravy Sektor in die Inszenierung der Schlacht verwickelt sind. Auf beiden Seiten wurden Schußwaffen, Molotowcocktails und Eisenstangen eingesetzt.
Auf der wichtigsten Straße nach Odessa liegt Mykolaiw (russisch Nikolajew). Das dortige Antimaidancamp wurde schon frühzeitig in den Auseinandersetzungen von russischen Touristen mit Schußwaffen übernommen und fing dann sofort an, Jagd auf ukrainische Demonstranten zu machen. Daraufhin hat eine zunächst ebenfalls friedliche Ukrainerdemo das Camp überrannt und den Antimaidan bis dato vollständig zerschlagen. Nach Zeugenaussagen wurden dabei mehrere ortsfremde Russen festgenommen, die neben einer ganzen Kollektion verschiedenster falscher Pässe (Spanien und Zypern sind wohl populär) auch Waffen und Sprengstoff besaßen und sich dem Pravy Sektor gegenüber als FSB-Leute identifizierten. Diese Leute wurden dann zur Grenze gebracht und laufengelassen.
In Charkiw ist die Lage unklar. Gegenwärtig scheinen die Versuche, die Stadt zu übernehmen am Widerstand der Lokalpolitik zu scheitern. Als der Bürgermeister entsprechend Farbe bekannte, wurde ein Attentat auf ihn ausgeübt, das er nur knapp überlebt hat. Er leitet die Stadt jetzt vom Krankenhaus in Israel aus.
Sämtliche Versuche, Kiew zu destabilisieren sind bisher gescheitert. Nach Angaben des SBU wurden dort aber von Anfang an immer wieder lokale FSB-zellen ausgehoben, die mit großen Mengen Bargeld Tituschki (bezahlte Schlägertrupps) für Ausschreitungen anwerben wollten. Eine Zelle soll schon fast 300 Mann groß gewesen sein und war mit AK-105 Sturmgewehren ausgestattet. Die Truppe sollte -angeblich- das Parlament stürmen.
Auf der Seite Rußlands stehen:
Tituschki (anheuerbare Schläger, meist aus Mafia- oder Hooligangruppierungen)
Turisti (russische Touristen, die legal in ganzen Konvois einreisen, um ihre „Brüder“
zu befreien)
ehemalige Berkut
nationalistische Kosackeneinheiten aus Rußland
die Neonazis der RNE
militärische Spezialeinheiten
Freischärler aus Serbien, Ossetien, Abchasien, Tschetschenien, Weißrußland
Motorradgangs aus Moskau
die kommunistische Partei der Ukraine
diverse stalinistische gruppierungen der Ukraine
die russisch-orthodoxe Kirche, die offen und bewaffnet als Geheimdienst- und
Militäreinheit auftritt (Ja, wirklich. Sie ist auch federführend für die Außenpolitik.)
Naschi und andere russische Jugendorganisationen
Mafiagruppen, die sich gute Geschäfte und politischen Einfluß erhoffen,
darunter prominent die Krimmafia, deren Pate jetzt Gouverneur der Krim ist
lokale Kriminelle – Angriffsziel Nr2 bei jeder Übernahme ist die Vernichtung der
Kriminalakten
viele durchaus gewalttätige Renter, die von der Wiedererrichtung der
Sowjetunion träumen
einige Oligarchen
der ehemalige Inhalt der ukrainischen Staatskasse im Besitz von Janukowitsch
ein unfaßbares Ausmaß an Korruption in der ganzen Ukraine bei viel zu niedrigen
Löhnen
Sehr viele Mitarbeiter des alten Staatsapparates, inklusive Polizei, SBU und Armee.
Dagegen stehen
unbewaffnete einheimische Aktivisten,
Nationalgarde (baut gerade das 3. Bataillon auf),
Armeeinheiten mit unklarer Loyalität und massiven Korruptionsproblemen,
SBU,
die meisten Oligarchen,
bisher zwei kleine Privatarmeen (Bataillon Donbas und Bataillon Dniepropetrovsk),
die ukrainischen Fußballfans im ganzen Land (eine durchaus beachtliche und sehr
militante Masse),
die teilweise verfeindeten und mittlerweile weitgehend entwaffneten Splittergruppen des
Pravy Sektor
und vermutlich eine Kiewer Büroetage mit CIA-Leuten.
Anmerkungen und Ergänzungen sind sehr willkommen.
Noch eine Anmerkung zur Grenze:
Das ist eine grüne Grenze, die eigentlich nur auf den Landkarten existiert. An den großen Transitstraßen hat man Zollstationen errichtet, deren Hauptzweck bisher darin bestand, nach politischer Wetterlage ukrainische Wareneinfuhr durchzulassen oder zu blockieren. Abgesehen von diesen Straßenkontrollstellen ist aber das alte Straßen- und Wegenetz der UdSSR vollkommen intakt. Viele Bauern wissen beim Pflügen selber nicht, in welchem Land der Acker gerade liegt. Es gibt zumeist noch nicht einmal einen Grenzpfosten.
Ein zeitgleich zur Schlacht am Donetsker Flughafen bombardiertes Ausbildungslager in der Ukraine war nur durch wenige Hundert Meter Ackerfläche von einer russischen Armeeinheit getrennt.
Zu den Ausbildungslagern der russischen Freischärler: die wichtigsten sind bei Rostow am Don, also mitten im russischen Militärstützpunkt, sowie in Moskau. Letzteres ist schon seit Jahren aktiv. Der Krieg ist also keine spontane Reaktion auf den Maidan sondern wurde von langer Hand vorbereitet.
Weil ich gerade dabei war, noch ein bißchen aktuelles Getwitter mit interessanten Links und Fotos:
Das wohl hauptsächlich von Russen/Tschetschenen gebildete prorussische Bataillon „Wostok“ hat die Zentrale der Führung der lokalen separatistischen sog. „Volksrepublik Donezk“ umstellt. Es gibt wohl Konflikte unter den Separatisten.
http://www.pravda.com.ua/news/2014/05/29/7027395/
Ukrainische blogger geben an, dass die Führung in Moskau nun ihre unkonventionelle Invasion der Ukraine durch hochprofessionelle Söldner aus Russland verstärkt um die teilweise wenig effektiven lokalen Separatisten zu ersetzen.
Ich frage mich mittlerweile wirklich stark, wo das alles hinführen soll?
Wie weit soll dieser „regionale“ Konflikt eigentlich gehen?
Was wird die Konsequenz daraus sein?
Btw: ich verfolge den Blog hier sehr gerne, da es hier immer objektive und tiefgründige Beiträge gibt!
@Raphael: Aus russischer Sicht soll das solange gehen, bis „Noworussia“ einschließlich Transdnistrien, Kiew und Krim Teil Rußlands ist.
Und dann sind Weißrußland, Baltikum, diverse andere ehemalige Sowjetrepubliken und Teile Finnlands dran. Achja, Griechenland, Serbien und Zypern werden von der orthodoxen russischen Kirche auch als Teil des Reichskerns beansprucht. Aber ob Putin ernsthaft soweit denkt, ist dann doch sehr fraglich. Dafür gibt es die Eurasische Union, die von Moskau aus kontrolliert, vom Pazifik bis zum Atlantik reichen soll.
@ califax
danke für die schöne aufstellung über die aktiven kräfte, würd ich weitgehend so unterschreiben.
wobei ich die tituschki eher zum ukrainischen mafia lager rechnen würde. die haben traditionell die besten cons in die lokalen schlägerszenen und die tituschki laufen daher wohl für vertreter der ehemaligen führung aufs spielfeld …
ob das wirklich „prorussisch“ ist, würd ich erstmal bezweifeln, die ehemalige führung hätte wohl gerne weiter eine unabhängige ukraine, um nicht zu sehr mit den großen russischen „dächern“ interagieren zu müssen.
bzgl charkiw
da gabs es wohl schon recht früh nach der maidanrevolution ein schisma zwischen den „regionistas“ aus donetsk und charkiw, die jeweils die öffentlichen gesichter der großen lokalen Clans sind.
charkiw (lies: der clan in charkiw) ist in dem konflikt atm wohl neutral bis moderat pro kiew.
wirkliche opposition zu kiew konzentriert sich auf luhansk und donetsk.
Interessante Argumentation, wenn auch nicht sehr einflußreich in den USA:
http://www.worldaffairsjournal.org/blog/alexander-j-motyl/putin%E2%80%99s-russia-state-sponsor-terrorism
Zum Jägerlatein um die Drone in Donetsk:
http://www.stopfake.org/en/lies-unmanned-aerial-vehicle-shot-down-by-donetsk-gunmen/
Zur „Volksrepublik Donetsk“: Die wurde jetzt abgeräumt. Das Hauptquartier wurde vom Bataillon Wostok komplett geräumt, die Barrikaden sind entfernt worden, die einheimischen Separatisten sind verschwunden. Borodai hält die Maskerade wohl nicht mehr für notwendig. Kostet ja auch alles Geld.
Mal schauen, was aus Puschilin und Ponomarew wird.
DAS muß man lesen!
https://www.facebook.com/reitschuster/posts/885545008127355
Zum jüngsten Helikopterabschuß:
http://www.ukrainebusiness.com.ua/news/11998.html
Das war also tatsächlich der Chef der Nationalgarde. So ein Zufall…
auf der straße zum donetzker flughafen nach den gefechten.
die toten könnten zivilisten oder milizionäre sein.
http://www.youtube.com/watch?v=xpnjViyuvbQ#t=77
@all
Eintrag oben ergänzt um Angaben zum ‚Vostok-Bataillon‘.
Ein russischer INTEL-Blogger über die Rolle des FSB in der Ukraine:
http://www.agentura.ru/english/dossier/truerole/
@ califax
oder
es war fuehren von vorne
vielen dank uebrigens für ihre unentwegte infobereitstellung
Ukrainische Helikopter:
http://www.twitlonger.com/show/n_1s1uur7
Zum vermutlichen Abschluß des Tages wieder etwas zum Lachen:
https://medium.com/war-is-boring/russias-cyber-war-has-now-become-totally-ridiculous-151550432787?utm_content=buffer4d012&utm_medium=social&utm_source=twitter.com&utm_campaign=buffer
PBS-Bericht in dem ab 15:00 auch der Einfluss des FSB in der Ostukraine beleuchtet wird (bezahlte Störer, etc): http://video.pbs.org/video/2365254983/
Scheinbar ist schon wieder ein OSZE-Team weg:
@califax
Dem Dank Soenke Marahrens schließe ich mich gern an. Außerordentlich informativ!
Bataillon Donbas wird offizielle Spezialeinheit der Nationalgarde.
http://www.kyivpost.com/content/ukraine/civilian-donbas-battalion-forming-national-guard-unit-350068.html
Ansonsten scheint weiter nichts losgewesen zu sein.
Na, da wird das „Azov battalion“ des ultra-nationalistischen Dmytro Korchnsky aber beleidigt sein.
http://www.thedailybeast.com/articles/2014/05/27/war-and-murder-in-eastern-ukraine.html
„Die USA werden nicht wegschauen, wenn jemand die fundamentalen Prinzipien der internationalen Ordnung herausfordert“ = Zitat Chuck Hagel zum Verhalten Chinas im chinesischen Meer
Hmmm…..irgendwie wird da derzeit mit zweierlei Maß gemessen ;) …..oder aber massive Einsatz von Söldnern ist in den fundamentalen Prinzipien der internationalen Ordnung nicht geregelt^^
@Brogi: 2014 ist Tom-Clancy-Jahr. Threat vector. ;)
(Gehört aber eigentlich ins Bällebad oder so.)
Ein Augenzeugenbericht aus der Ostukraine im schweizer Tagesanzeiger:
http://www.tagesanzeiger.ch/leben/gesellschaft/Nach-Donezk-traut-sich-keiner-mehr/story/27260506
Es scheint erneut Kämpfe um den Flughafen in Donetsk zu geben:
Interessanter Artikel auf WELT.DE :
„Anatomie-des-russischen-Infokriegs-in-Netzwerken“
Der Artikel blendet alerdings aus, dass nicht nur Rußland diese Konzepte betreibt. Gesteuerte Meinungsmanipulation, Propaganda etc sind ja nun Binsen. Nur die technischen Plattformen haben sich eben verändert und deren Nutzungsmöglichkeiten.
Anthrazit an der Grenze zu Rußland: Militärischer Nachschub rollt.
http://www.bbc.com/news/world-europe-27643518
BBC berichtet , dass nach Angaben von Anwohnern die ostukrainische Stadt Antrazyt zum Hauptumschlagplatz für russische Kämpfer und Waffennachschub geworden ist. Sogar Hubschrauber hätten Nachschub aus Russland gebracht. Die Stadt würde vollständig von pro-russischen/russischen bzw. tschetschenischen Kämpfern kontrolliert.
http://www.bbc.com/news/world-europe-27643518
Hier gibt es auch noch einmal eine Aufstellung von russischen Truppen in der Ukraine:
Inguscheten, Osseten, Tschetschenen.
http://burkonews.info/considerations-on-the-north-caucasus-militants-on-donbass
Die prorussischen b.z.w. russischen Kräfte beklagen nach eigenen Angaben 6 Tote bei erneutem Angriffsversuch auf den Flughafen in Donezk .
http://www.kyivpost.com/content/ukraine/self-proclaimed-donetsk-peoples-republic-pm-6-militiamen-killed-in-attempt-to-collect-bodies-at-donetsk-airport-350170.html
Obiger Link betreff Angriff auf Flughafen Donezk funtioniert nicht, neuer Link:
http://www.kyivpost.com/content/ukraine/separatist-leader-says-six-rebels-killed-in-attempt-to-collect-bodies-at-donetsk-airport-military-says-they-attacked-350174.html
Interessanter Hinweis:
http://www.atlanticcouncil.org/blogs/natosource/putin-s-unconventional-tools-for-destabilizing-neighbors-and-undermining-nato
neue modifizierte PKP Pecheneg MG
alt > http://world.guns.ru/machine/rus/pecheneg-e.html
neu>
Vice.news veröffentlicht eine Reportage über den Rücktransport der Leichen von 30 getöteten russischen Kämpfern von Donezk in ihr Heimatland Russland per LKW. (Keine schönen Bilder.)
news.vice.com/article/ice-cream-corpses-and-the-big-bear-repatriating-dead-russians-from-ukraine
Bei Luhansk hat in der Nacht ein schwerer Angriff auf einen ukrainischen Grenzposten begonnen.
Es wird von 200 bis 400 Angreifern berichtet.
https://www.youtube.com/watch?v=xOeGhx1Mt-w
https://www.youtube.com/watch?v=nNJ4B3mBT-E
https://www.youtube.com/watch?v=SZyCLiv37JU
Noch ein Video des Gefechts um den Grenzposten:
https://www.youtube.com/watch?v=rypAOH-pIbk
Stimmenauszählung ist jetzt fertig. Die Zentrale Wahlkommission hat Poroschenko zum nächsten Präsidenten der Ukraine erklärt. Vereidigung soll am Wochenende kommen.
Derweile bereitet Rußĺand offenbar eine UN-Resolution vor, die den militärischen Nachschub durch „humanitäre Korridore“ sichern soll.
NATO-Rußland-Rat hat getagt.
Statement der NATO dazu:
http://www.nato.int/cps/en/natolive/opinions_110643.htm