von der Leyen: ‚Abwarten ist keine Option‘
Es war die erste sicherheitspolitische Rede Ursula von der Leyens vor internationalem Publikum, und davon wird, wage ich vorherzusagen, ein Satz in Erinnerung bleiben und in den Schlagzeilen auftauchen: Abwarten ist keine Option. Die Verteidigungsministerin sagte diesen Satz (siehe Wortlaut unten) bei ihrer Rede vor der Münchner Sicherheitskonferenz am Freitag im Anschluss an ein Bekenntnis zu mehr Zusammenarbeit in der EU und in der NATO, dem Hinweis auf das von ihrem Vorgänger Thomas de Maizière eingebrachte Konzept der Rahmennation und einer Aufzählung der Krisen von Syrien bis Afrika:
Es liegt auf der Hand: Diese Krisen und Konflikte betreffen uns unmittelbar. Diese Krisen und Konflikte betreffen jeden, der sich verantwortlich fühlt für internationale Stabilität. Und diese Krisen und Konflikte appellieren an unser humanitäres Gewissen, nicht diejenigen im Stich zu lassen, die am meisten leiden. Daher ist Abwarten keine Option. Wenn wir über die Mittel und Fähigkeiten verfügen, dann haben wir auch eine Verantwortung, uns zu engagieren. Verstehen Sie mich nicht falsch: Dies bedeutet nicht, dass wir dazu tendieren sollten, unser ganzes militärisches Spektrum einzusetzen – auf keinen Fall. Und dies bedeutet genauso wenig, dass wir kurzfristige Erfolge erwarten dürfen.
Aber es bedeutet, dass wir die Verpflichtung und die Verantwortung haben, unseren Beitrag zu einer schrittweisen Lösung der aktuellen Krisen und Konflikte erbringen. Gleichgültigkeit ist niemals eine Option, weder aus sicherheitspolitischer noch aus humanitärer Sicht. Und Gleichgültigkeit ist keine Option für Deutschland.
Als eine bedeutende Volkswirtschaft und als ein Land von erheblicher Größe haben wir ein starkes Interesse an internationalem Frieden und Stabilität. Vor diesem Hintergrund nimmt die Bundesregierung ihre internationale Verantwortung wahr. Wir haben zum Beispiel angeboten, die Zerstörung der Reste chemischer Kampfstoffe aus Syrien zu unterstützen. Wir sind bereit, unseren Beitrag in Mali zu verstärken. Und wir sind bereit, den bevorstehenden Einsatz der Europäischen Union in der Zentralafrikanischen Republik zu unterstützen, wenn dies angezeigt und erforderlich ist.
Dennoch kann eine langfristige Stabilität nur durch den Wiederaufbau funktionierender staatlicher Strukturen erzielt werden. Weder die NATO noch die EU – erst recht nicht Einzelstaaten – können alleine nachhaltig Krisen wie die in Afrika lösen. Es ist daher entscheidend, verlässliche Partner vor Ort – seien dies regionale Organisationen oder Staaten – in die Lage zu versetzen, selbst für ihre eigene Sicherheit zu sorgen. Dies muss umfassend erreicht werden, durch Ausbildung, Beratung, Hilfeleistung und, falls erforderlich, Ausstattung. Zu diesem Zweck müssen die Staaten Europas lernen, mit einer Stimme zu sprechen.
(Zitiert nach der veröffentlichten deutschen Fassung der Rede; die Ministerin hat auf Englisch gesprochen, mit dem Kernsatz: To sit and wait is not an option.)
Das ist, vor allem im letzten zitierten Absatz, ein Wiederaufgreifen der Ertüchtigungsstrategie von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Und sie greift die Akzente des Bundespräsidenten in seiner vorangegangenen Rede vor dem Münchner Publikum auf. Doch interessant wird es werden, wie die von von der Leyen betonte Verantwortung Abwarten ist keine Option praktisch umgesetzt wird in den kommenden Wochen. Nicht dass Deutschland einen Beitrag leisten will, wird der entscheidende Punkt sein. Sondern wie dieser Beitrag aussieht.
Das gleiche gilt übrigens auch für eine transatlantische Lastenteilung, bei der, sagt die Ministerin, die Europäer einen angemessenen Anteil übernehmen sollen. Was das konkret bedeutet, wird auch eine interessante Frage.
Nachtrag: Die CSU hat recht schnell auf die Aussage der Ministerin zur Zentralafrikanischen Republik reagiert. Ihr verteidigungspolitischer Sprecher Florian Hahn twitterte: Ministerin vdL hat auf der #MSC50 wieder dt. Engagement in ZAR angeboten. Aus meiner Sicht nur mit vollständigem Konzept möglich.
(Foto: MSC/Mueller)
@-MK20-
Man hat Deutschland konsultiert und sogar eingeladen mitzumachen. Deutschland lehnte beide Male eine direkte Beteiligung ab und unterstützte die Militäroperationen indirekt. Einer fremden Macht militärische Konsequenzen anzudrohen kann ebenso ein Mittel der Diplomatie sein, wie in jedem Fall militärische Konsequenzen auszuschließen. Das erste kann eine mehr oder minder glaubwürdige Drohkulisse aufbauen, auch wenn man nicht die Absicht hat, die Maßnahme zu ergreifen.
Ein schöner, wenn auch realitätsferner Ansatz, der sicher Stellen beim AA einsparte. Vielleicht sollte Deutschland dann auch mit solchen Überlegungen anfangen, anstatt die Einsatzplanung immer vom best case und der politisch gewollten Kontingentobergrenze her zu beginnen. Aber wir nehmen uns ja auch nicht so ernst. ;-)
Das Problem liegt doch weniger darin, dass Deutschland sich nicht militärisch engagiert, als das Deutschland sich scheinbar gar nicht engagiert. Unsere europäischen Nachbarn haben kein klares Bild was Deutschland für außenpolitische Interessen, Ziele oder Programme hat und wo es mal Verantwortung übernimmt.
@ K.Müller
Wenn man mal außenpolitische Interessen analysierte und formulierte und eine solche Politik dabei herauskäme, wäre das ja bereits ein Fortschritt. Da gäbe es in der EU sicher Partner, die sich einem solchen Programm anschlössen. Es wäre sogar vorstellbar, dass andere europäische Mächte mit anderen Interessen das respektierten und sagten: Ihr kümmert euch darum und wir machen weiter Afrika.
Eine außenpolitische Gesamtstrategie wäre schon was tolles.
@Cynic2
Was unsere Nachbarn sehen, nicht sehen oder gewillt sind in Deutschland zu sehen ist mir persönlich schnuppe. Wissen wir denn wirklich und verlässlich über die außenpolitischen Interessen, Ziele oder Programme von Belgien, Polen, Spanien und Norwegen? Von den konfliktträchtigen Österreichern mal ganz abgesehen?
Das „sogar eingeladen“ interpretiere ich mal als ironische Wortwahl. Verflucht nett von unseren Verbündeten. Kann man auch so auslegen, dass die schon die Operationen und Bombenziele festgelegt haben ohne genügend eigene Kapazitäten zu besitzen und so sich von vornerein übernommen haben. In anderen Kreisen nennt sich das Fehlplanung.
„[…] und wo [Deutschland] mal Verantwortung übernimmt“ klingt einfach schwammig. Entschuldigung, aber Verantwortung für was genau übernehmen? Etwa für die innerpolitischen Konflikte in Ländern, die mal im Erdkundeunterricht lose erwähnt wurden?
Daher auch nochmals nachgehakt: werden wir unsere Verantwortung in Zukunft auf alle Krisenregionen ausweiten oder dann doch nur dem Beispiel der verantwortungsbewussten Nationen folgen und uns auf ein paar einzelne Störenfriede konzentrieren? Gibt es in diesem Zusammenhang irgendwo eine Art Tabelle oder Erklärung, wieviel Verantwortung ein Land X zu übernehmen hat? Beispiel Mali im Jänner 2013: da haben afrikanische Truppen Kampftruppen geschickt, die Briten (!) beschränkten sich hingegen auf Logistik. Wollen die etwa keine Verantwortung mehr übernehmen?
Das ist irgendwie komisch. Man wirft Deutschland vor sich überhaupt gar nicht (!) zu engagieren. Dementsprechend kann ich ja beruhigt anderen Ländern vorwerfen sich viel zu oft zu engagieren.
@-MK20-
Ihnen persönlich kann das als Staatsbürger selbstverständlich schnuppe sein. Als Staatsregierung hat man diesen Luxus nicht mehr, weil es handfeste politische Konsequenzen hat, was andere Regierungen von einem halten.
Perception is reality.
@Cynic2
Das scheint dann aber wohl nur für Deutschland zu gelten, gelle? Andernfalls müssten Sie doch für handfeste politische Konsequenzen eintreten, nachdem Hollande Deutschland vorwarf, einen Wirtschaftskrieg gegen Frankreich zu führen, und die USA nur zu bereitwillig sind ihrer NSA Narrenfreiheit zu gönnen. Kurzum: diese Regierungen interessiert es nicht die Bohne, was wir oder unsere Regierung von denen halten. Dann heißt es nur halb-beschwichtigend „Ach, war doch nur Wahlkampf“ oder „Ach, das war doch für unser aller Sicherheit“, bevor der ganze Rotz in innerhalb kürzester Zeit von vorne beginnt.