Ein bisschen Transparenz

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Die augenscheinlich tödlichste Gefahr in dieser Fabrikhalle ist die Zigarette am Arbeitsplatz. „Bitte keine Zigaretten in die Spänekübel werfen“, mahnt ein Schild neben einer computergesteuerten Drehmaschine. Ein Rauchverbot in diesem metallverarbeitenden Betrieb gibt es (bislang) nicht, sonst unterscheidet die Halle mit ihrem Maschinenpark wenig von den zahlreichen anderen mittelständischen Betrieben, die nur wenige Kilometer entfernt entlang des Neckars von schwäbischen Tüftlern ersonnene Technik in weltweit gefragte Produkte umsetzen und oft genug Marktführer in ihrem Bereich sind.

Dieser Marktführer für technische Geräte, ein Mittelständler wie viele andere in der Region, hat allerdings einen besonderen Ruf in aller Welt – für manche vor allem in den USA sind seine Produkte fast schon Kultgegenstände. Für andere ist es der Inbegriff für tödliche Gewalt in zahllosen Kriegen und Unruhen weltweit. Heckler und Koch ist eine Marke, die wie wenige andere polarisiert: Das Unternehmen stellt her, was recht harmlos als „Kleinwaffen“ bezeichnet wird: Sturmgewehre, Maschinengewehre, Maschinenpistolen. Kriegswaffen, die an Militär oder Polizei verkauft werden und in vielen Konflikten eine wichtigere Rolle spielen als das meist viel mehr beachtete schweres Gerät wie Panzer oder Kampfflugzeuge.

In diesen Tagen hat Heckler und Koch, vor fast 65 Jahren gegründet und ein ebenso verschwiegenes wie sicherheits- und traditionsbewusstes Unternehmen, mit einer Tradition gebrochen und Journalisten eingeladen. In das Stammwerk in Oberndorf am Neckar, hoch über dem Fluss im Stadtteil Lindenhof gelegen und streng abgeschirmt, auch wenn die nächsten Wohnhäuser nur wenige Meter entfernt liegen. Selbst die Kollegen der Fachpresse, die für Spezial-Journale lange Rezensionen über neue Scharfschützengewehre oder Maschinenpistolen schreiben und mit so ziemlicher jeder Waffe schon geschossen haben, konnten sich nicht an eine solche Einladung erinnern.

Zwar hatte die Firma mit der gut eine Hand voll Journalisten überwiegend solche Fachleute eingeladen, dazu zwei Reporter (darunter mich), die sich allgemeiner mit Verteidigungs- und Rüstungsthemen befassen. Es fehlten allerdings Medienvertreter, die in der Vergangenheit über umstrittene Rüstungsexporte oder Korruptionsverdacht berichtet hatten. Aber mit dieser Einladung, versprach Niels Ihloff, einer der beiden H&K-Geschäftsführer, gehe das Unternehmen einen Schritt zu „einer offenen, pro-aktiven Pressearbeit“.

Die hat die schwäbische Rüstungsschmiede bitter nötig. Denn das Unternehmen ist nicht nur als wehrtechnisches Unternehmen grundsätzlich und wegen umstrittener Exportgeschäfte (siehe auch die Auflistung bei Wikipedia) in der öffentlichen Kritik. Seit fast zwei Jahren gibt es auch Ärger mit dem größten und wichtigsten Kunden, der Bundeswehr, nachdem Untersuchungen der Wehrtechnischen Dienststelle in Meppen bekannt wurden: Ausgerechnet das Sturmgewehr G36, Standardwaffe der deutschen (und etlicher ausländischer) Streitkräfte, soll bei heißgeschossener Waffe ganz kräftig danebenschießen. Und dieses Gewehr ist für den Hersteller nicht ein beliebiges Produkt, sondern seit der Nutzungsgenehmigung 1995 der Verkaufsschlager im Portfolio.

Auf die Vorwürfe reagierte Heckler und Koch erst mit einiger Verzögerung, und dann wenig öffentlichkeitswirksam: Wer von einem „Mangel“ des G36 sprach oder schrieb, musste mit Post von den Firmenanwälten rechnen. Erst im Dezember vergangenen Jahres bemühte sich das Unternehmen auch um eine inhaltliche Argumentation, um die Vorwürfe zu entkräften, und stellte eine Studie auf die Firmenwebseite. Die fatalen Tests, so die unausgesprochene Schlussfolgerung, seien mit der falschen Munition durchgeführt worden. Geklärt ist die Angelegenheit bislang noch nicht.

Zumindest ein Anfang von Transparenz scheint jedoch inzwischen für die Firmenleitung der neue Kurs, und mit dem eineinhalb Tage dauernden Programm für Journalisten startete offensichtlich ein erster Test dafür.

Den Anspruch „Wir sind Technologieführer“ demonstrierte Martin Lemperle, zusammen mit Ihlhoff Geschäftsführer und sein ganzes Berufsleben bei H&K, schon beim Rundgang durch die Werkshallen. Er verkörpert den Typ „schwäbischer Tüftler“ und kann stolz berichten, wie eine neue computergesteuerte Dreh- und Fräsmaschine in nur 23 Minuten aus einer Stahlstange eine Verschlusskammer herausarbeitet – „in nur einer Aufspannung“. Mindestens ebenso stolz kann er auch vorführen, wie ein von ihm ersonnenes Gerät  in einem Arbeitsgang ein Rohr richtet, eine Aufgabe, für die zuvor mehrere Spezialisten nötig waren. Eben so, wie man sich den Chef einer Firma vorstellte, die im vergangenen Jahr ins Spitzenranking „Top 100 Mittelständler“ der Wirtschaftswoche aufstieg.

Nach Waffen sieht in diesen Fertigungshallen wenig aus. Bei vielen Teilen erkennt nur der Fachmann, dass aus den gefrästen Teilen später ein Gewehr oder eine Pistole zusammengebaut wird. Das Endprodukt entsteht erst in der Montage, in Räumen, die sichtbar stärker gesichert und abgeschottet sind als die Fabrikhallen mit den Fräsmaschinen. Rohr, Verschluss, Schlagbolzen und was sonst eine Schusswaffe ausmacht, wird hier zusammengefügt – und unterirdisch auch getestet: Mit normalem Beschuss, mit „Überdruckbeschuss“, bei dem zwei Patronen mit doppelter Ladung abgefeuert werden, mit Kälte-, Wärme- und Falltests.

Die fertige Waffe erhält auch die Markierung, die das Nachverfolgen während der gesamten Nutzungszeit ermöglichen soll – auch das ein Thema, bei dem H&K wie alle Waffenhersteller öffentliche Kritik einstecken muss: Zu oft waren in der Vergangenheit in Konflikten irgendwo in der Welt Gewehre aufgetaucht, die dort nicht hätten sein dürfen, und oft genug ließ sich nicht mehr feststellen, woher sie ursprünglich kamen. Grund ist die früher und oft bis heute üblichen Gravur von Seriennummer oder Herkunftsbezeichnung: wird sie weggefeilt, ist die Waffen-Identifikation verschwunden. Inzwischen werden die Nummern eingelasert und können so, sagt Lemperle, mit modernen Methoden auch nach dem Wegfräsen wieder sichtbar gemacht werden. Ähnlich wie der vor Urzeiten gebräuchlichen Prägetechnik, dem Einschlagen der Nummer – die dann über die Rekonstruktion der „Materialverdrängung“ sichtbar gemacht werden kann.

Dass seine Produkte nachverfolgt werden können, daran muss Heckler und Koch ein mittlerweile massives Interesse haben. Denn im vergangenen Jahrzehnt zeigten Fernsehbilder und Fotos auf einmal das Vorzeigeprodukt G36 in Georgien oder in Libyen. Das Unternehmen beteuert in solchen Fällen immer, nie in diese Länder geliefert zu haben, muss dann aber möglichst auch belegen können, auf welchem Umweg die Waffe in die falschen Hände gelangte.

Das fällt den Oberndorfern vor allem bei einem Bestseller ihrer frühen Jahre schwer: Für die damals noch junge Bundeswehr erhielt Heckler und Koch in den 1950-er Jahren den Auftrag für das damalige Standardgewehr G3. Die Waffe war ein solcher Erfolg, dass sie nicht nur weltweit verkauft – sondern auch weltweit nachgebaut wurde, ganz offiziell in Lizenz. Und mit – nach Schätzung von H&K – rund vier Millionen Exemplaren zwar nicht eines der verbreitesten, wohl aber der angesehensten Sturmgewehre weltweit. Die Rechte an der Konstruktion, das beteuert das Unternehmen immer wieder, lagen allerdings nie bei dem schwäbischen Hersteller. Sondern bei der Bundeswehr, die über eine andere Firma weltweite Lizenzen für die Produktion vergab, jenseits der Kontrolle von Heckler und Koch.

Allerdings gibt es neben den Schwierigkeiten mit dem Vorzeigeprodukt der frühen Jahre inzwischen weit drängendere Probleme mit dem aktuellen Verkaufsschlager G36, wie die umstrittene  und möglicherweise illegale Lieferung an Polizeieinheiten in einigen mexikanischen Bundesstaaten. Dazu äußert sich das Unternehmen derzeit nicht öffentlich, vor allem weil Strafverfahren und Untersuchungen laufen.

Ebensowenig möchten die Firmenvertreter Stellung nehmen zu Vorwürfen, bei der Ausschreibung für das neue Maschinengewehr der Bundeswehr, das MG5, sei nicht alles sauber gelaufen – denn über bisweilen offensichtlich nicht spannungsfreie Beziehung zum wichtigsten Kunden mag in Oberndorf  niemand offiziell etwas sagen. Nur so viel: Das MG5 sei das beste Maschinengewehr, das man derzeit für Geld kaufen könne. Und in der Endmontage stehen auch bereits die nächsten Exemplare für die anstehenden Kältetests in Kanada bereit – die gemeinsam mit der Bundeswehr stattfinden werden.

Dabei ist der Kunde Bundeswehr und vor allem seine Spezialeinheit KSK fürs Image wichtig, für den Umsatz direkt aber kaum noch. Nur knapp 20 Prozent des jährlichen Konzernumsatzes von 235 Millionen Euro macht das Unternehmen in Deutschland, und da werden nicht nur die Streitkräfte, sondern auch etliche Polizei-Spezialeinheiten beliefert. Das nagelneu entwickelte MG5, firmenintern HK121 genannt, wurde sogar von einem ausländischen Kunden geordert, bevor es in der Bundeswehr eingeführt ist.

Die große ausländische Basis – und indirekt die Fangemeinde, die H&K vor allem in den USA hat – hob denn auch der Firmeneigentümer Andreas Heeschen hervor, der während des Journalistenbesuchs kurz vorbeischaute. In anderen Ländern, merkte der überaus korrekt gekleidete Investor und Chief Executive Officer mit Wohnsitz in London bedeutsam an, würden die Leistungen des Unternehmens auch anerkannt.

Das Selbstverständnis des Unternehmens, zusammengefasst in vier Absätzen, steht dem nicht nach. Es enthält nicht nur ein Bekenntnis zur Gesetzestreue (Gesetzestreue und Einhaltung der waffen- und  exportrechtlichen Vorgaben ist unsere wirtschaftliche Grundlage – ohne dies keine Exportlizenz, keine Aufträge), sondern auch einen internationalen Anspruch: „Wir sind Teil der westlichen Sicherheitsinfrastruktur, denn wir fühlen uns mitverantwortlich für die Sicherheit und das Leben von Soldaten und Polizisten der NATO-Staaten und der NATO-Alliierten.“

(Disclosure: Ich bin einer Journalisteneinladung von Heckler&Koch gefolgt;habe die Reise aber aus eigener Tasche bezahlt – bis auf die vom Unternehmen bezahlte Übernachtung im Wert von 45 Euro und Bewirtung während dieser eineinhalb Tage. Ehe Missverständnisse aufkommen, wollte ich das klarstellen.)

(Foto: Transparentes Plastikmodell des Sturmgewehrs G36 im Firmenmuseum von Heckler&Koch in Oberndorf)