Deutschlands blinder maritimer Fleck
Über die maritime Abhängigkeit des Exportlandes Deutschland können die Experten viel, lange und trefflich reden – meist erreichen sie im Land mit der drittgrößten Handels- und größten Containerflotte weltweit nur wenige. Was die Bedeutung von Meer und Seewegen für die deutsche Bevölkerung und Wirtschaft angeht, scheint es wirklich (mal abgesehen von den Küstenländern) einen blinden Fleck zu geben.
Vor ein paar Tagen haben einige dieser Experten dazu was Lesenswertes aufgeschrieben:
Die sichere Nutzung der See spielt für moderne Industriegesellschaften wie die Bundesrepublik Deutschland und ihre europäischen Partner eine zentrale Rolle. (…)
Die starke politische, ökonomische und ökologische Abhängigkeit Deutschlands und der EU von Entwicklungen auf See wird jedoch weder von den Politikern noch von den Bürgern mit der notwendigen Klarheit erkannt. Im Gegenteil, mit Blick auf die See und ihre Bedeutung lässt sich durchaus von einem gewissen Desinteresse, ja gar von einer Blindheit sprechen. Sie führt dazu, dass maritime Fragen weder in Deutschland noch in Europa besondere Aufmerksamkeit genießen.
schreiben die beiden Ex-Admirale Lutz Feldt (früherer Marineinspekteur), Hans-Joachim Stricker (früherer Befehlshaber der Flotte) sowie Carlo Masala und Konstantinos Tsetsos von der Bundeswehruniversität München in ihrem Gastbeitrag Kein Land in Sicht? für die Frankfurter Allgemeine Zeitung.* Die Kontrolle über die See, so ihr Fazit unter Berufung auf ein Zitat US-Admirals Alfred Thayer Mahan, bestimmt den wirtschaftlichen Wohlstand eines Landes – und da stellt sich Deutschland derzeit recht schwach auf.
Dieser Ansatz provoziert natürlich auch Widerstand, sehr schön dargestellt in dem taz*-Artikel Deutschland, volle Kraft voraus (einen Kommentar des selben Autors vom gleichen Tag habe ich online leider bislang nicht gefunden). Dessen Kernvorwurf, wenn auch nicht wörtlich so ausgesprochen: Deutschland setzt auf power projection zur See und will wieder Fähigkeiten wie zuletzt im Zweiten Weltkrieg haben – wer denkt bei dem Satz Die neuen 90 Meter langen Tarnkappenschiffe (…) sollen lange Zeit weltweit vor fremden Küsten kreuzen und erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg wieder Landziele beschießen können nicht automatisch an die Beschiessung der Westerplatte?
Nun ist eine solche Befürchtung für diejenigen, die sich ansatzweise mit der Deutschen Marine beschäftigen, ein wenig absurd. Angesichts der Situation dieser Teilstreitkraft auch in den kommenden Jahren dürfte die Behauptung, sie setze auf power projection, ähnlich zutreffend sein wie die Aussage, dass die taz den Meinungsmarkt in Deutschland zu kontrollieren droht… aber das ist eine andere Baustelle.
(* Hier werden üblicherweise, die meisten Leser wissen das, deutsche Verleger-Webseiten nicht verlinkt. Aus zwei Gründen mache ich in diesem Fall eine Ausnahme: Zum einen halte ich das Thema für wichtig. Und zum anderen hatte ich ja lautstark – erst hier und als Folge dann hier – moniert, dass der Gastbeitrag von Feldt und den anderen bei der FAZ hinter einer Paywall verschwunden und damit der öffentlichen Debatte entzogen war. Nachdem die FAZ ihn jetzt für jedermann sichtbar gemacht hat, sollte das auch genutzt werden.)
(Foto: Archivbild 2008: Die Fregatte Lübeck begegnet vor der spanischen Atlantikküste einem Frachtschiff, beladen mit Containerversetzkränen – Bundeswehr/Böhnke via Flickr unter CC-BY-ND-Lizenz)
Noch als Nachtrag:
Wie wunderbar internationales Strafrecht und Hamburger Prozesse zum Piraterieproblem passen, sieht man am besten an der Realität.
Da funktioniert das so überaus gut – die Angeklagten und die Seeleute stehen geradezu Schlange in Hamburg. Niemand käme jemals auf die Idee, erwischte Freibeuter im vorbildlichen Rechtsstaat Kenia aburteilen zu lassen oder gar freizulassen, statt sie mit umfassender Forensik, den Zeugen und allem nötigen Kriminalpapierkram nach Deutschland zu bringen.
Von so absurden Ideen wie Lösegeldzahlungen oder versenkten Mutterschiffen ganz zu schweigen! ;)
@J.R.: =:^)
Schiffe haben einen Flaggenstaat und eine Gerichtsbarkeit an Bord. Aus Gründen. :)
Bzgl. UNPOS etc. – Da sind wir wieder bei der Pirateriebekämpfung an Land und damit letztlich bei Protektoraten. Wie man das bemäntelt, ist eigentlich eine Modeerscheinung.
@califax
Meinungen respektiere ich in ziemlicher Bandbreite, aber bei den Fakten sollten wir hier etwas präziser sein….
Nein. Das Völkerstrafgesetzbuch ist Teil der deutschen Strafrechtsordnung. Oder, um ein anderes auch hier diskutiertes Beispiel heranzuziehen: Meinen Sie, die Bundesanwaltschaft hat über das Verfahren gegen Oberst Klein auf Basis internationalen Vertragsrechts entschieden, kein Strafverfahren einzuleiten? Die Entscheidung über eine strafrechtliche Würdigung des Luftschlags von Kundus war eine reine politische Verhandlungssache?
„Das Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) hat das nationale deutsche Strafrecht an die Regelungen des Völkerstrafrechts, insbesondere an das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs, angepasst.[1] Es regelt in Deutschland die Folgen von Straftaten gegen das Völkerrecht. “ (Wikipedia)
Welcher Teil von „Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs“ und „Völkerrecht“ ist so schwer verständlich? Wo liegt das Verständnisproblem bei der Tatsache, daß man da nationales Recht an international ausgehandelte Verträge anpaßt und eben nicht umgekehrt?
Ich finde ja Wunschdenken symphatisch, aber den faktischen Unterschied zwischen diplomatischen Konferenzen und Verträgen auf der einen Seite und nationaler Machtentfaltung im eigenen Territorium auf der anderen Seite sollte man nicht immer ignorieren. Sonst stolpert man noch über so blöde Wirklichkeitsschlaglöcher wie die Möglichkeit, daß der internationale Strafgerichtshof in den USA oder in China gewisse Authoritätsprobleme haben könnte.
Jetzt reden wir aber munter aneinander vorbei.
Wie Sie selbst zitieren:
und ist damit geltendes Strafrecht in Deutschland. Wo liegt das Verständnisproblem bei der Tatsache, das wir über geltendes Strafrecht reden und nicht über internationales Vertragsrecht?
Jedem seine Meinung zu Völkerrecht und Völkerstrafrecht unbenommen. Aber so zu tun, als ob deutsche Gesetze nichtig wären, weil einem die – internationale – Grundlage suspekt ist, ist schon vollendetes Wunschdenken.
Die internationale Grundlage ist mir durchaus nicht suspekt. Aber deutsche Gesetze implementieren internationale Vorlagen, nicht umgekehrt.
Und die internationalen Vorlagen sind nun einmal politisch ausgehandeltes Vertragsrecht. Da können sie stundenlang mit dem Fuß aufstampfen, wenn Sie wollen, es ändert nichts an der Wirklichkeit. :)
Der Internationale Strafgerichtshof als Beispiel wurde eben NICHT durch Beschluß des Bundestages geschaffen sondern durch die Unterschriften von Staatsoberhäuptern zum Abschluß langwieriger diplomatischer Verhandlungen. Und der hat nicht einfach so staatliche Authorität über den ganzen Globus sondern nur da, wo der Staat zu den Unterzeichnerstaaten gehört.
Und wenn der Staat diese Authorität nicht anerkennt, dann ist das kein polizeiliches sondern ein politisches Problem. Und im Konfliktfall schickt man dann nicht die Kripo sondern militärische Einheiten. Weil es dann nämlich außerhalb anwaltlicher Träume kein strafrechtlicher Konflikt sondern defacto ein militärischer Konflikt ist.
Zu den lustigen Abgrenzungsproblemen zwischen Kriminalität und Krieg noch ein paar Quizfragen:
Gab es einen Vietnamkrieg oder hat sich der Onkel Ho, der olle Intensivtäter, bloß dem Haftbefehl widersetzt?
Gab es einen Krieg in Afghanistan? Gab es überhaupt jemals einen Krieg in AFG? Hat schon mal jemand die Migrationsproblematik von Attilla und Dschingis Khan untersucht? Sind deren Strataten eigentlich verjährt? Aufgrund welcher Gesetzeslage?
Hat Rom jemals in seiner Geschichte einen Krieg geführt oder gab es da nur Polizeieinsätze?
Was haben eigentlich Piraten mit territorialen Machtansprüchen, Handelsblockaden, Seekriegen und spanischem Gold zu tun?