Düstere Warnung: Ab 2014 geht Afghanistan den Bach runter
Die renommierte International Crisis Group hat heute einen Bericht zu Afghanistan vorgelegt – mit düsteren, wenn auch nicht unerwarteten Einschätzungen. Der Tenor der bereits erschienenen Meldungen dazu deckt sich mit dem, was die BBC schreibt:
A new report on Afghanistan warns that the departure of Nato forces in 2014 could be followed by the government’s collapse and even civil war, unless steps are taken now.
The International Crisis Group (ICG) says the Afghan police and army are unprepared for security responsibility.
Army Capt. Philip Schneider, a company commander with the 82nd Airborne Division’s 1st Brigade Combat Team, explains recent events in the villages to Afghan army commanders, June 11, 2012, Ghazni Province, Afghanistan. (U.S. Army photo by Sgt. Michael J. MacLeod via ISAFmedia on flickr, CC-BY)
Mir ist der Bericht eben ins Postfach geflattert, und ich muss ihn erst mal lesen. Aber schon der Anfang ist nicht sehr aufmunternd:
Plagued by factionalism and corruption, Afghanistan is far from ready to assume responsibility for security when U.S. and NATO forces withdraw in 2014. That makes the political challenge of organising a credible presidential election and transfer of power from President Karzai to a successor that year all the more daunting.
Mehr dazu, wenn ich mich durch die 35 Seiten gelesen habe.
Inzwischen steht der Bericht (wie schon in den Kommentaren erwähnt) als Kurzfassung und als Volltext auf der Seite der International Crisis Group. Zwei, sozusagen, Erzählstränge prägen den düsteren Ausblick:
Zum einen, das ist der für die militärische westliche Sicht ein entscheidender Punkt, macht die Organisation große Fragezeichen hinter eine erfolgreiche Übergabe in Verantwortung, was die Sicherheit angeht. Die afghanischen Sicherheitskräfte seien noch weit davon entfernt, alleine die Sicherheitsverantwortung am Hindukusch übernehmen zu können:
Analyses of the defence and interior ministries indicate that neither meets the standard of independence or competence in any category and that in several key areas they have not progressed at all. Low operational capacity has been a perennial problem and is not likely to substantially improve in the near term. Only 7 per cent of army (ANA) and 9 per cent of national police (ANP) units are considered capable of independent action even with advisers.
The majority of officials in the upper echelons of the two ministries are at retirement age or older and have retained their posts through well-established patronage networks that have hindered leadership development in the ministries as in the officer corps. This in turn impacts rank-and-file morale, particularly among non-commissioned officers (NCOs), who often must bear the brunt of poor senior leadership while managing resentments and rivalries among those under their command.
(…)
It is difficult to overestimate the corrosive effect of factionalism in the ANSF officer corps and the risks it poses to continued NATO support for a long-term training and advisory mission. Pervasive fears of Taliban infiltration of Afghan forces may be well founded, but analysis suggests that lack of cohesion between officers and rank and file in both police and army has expanded opportunities for infiltration, as well as increased internal friction between rival factions in the armed forces.
Mit anderen Worten, etwas zugespitzt: Selbst ohne eine Unterwanderung der Sicherheitskräfte durch Aufständische wären sie noch lange nicht so effektiv, wie sie sein müssten. Die Transition zumindest im Hinblick auf die Sicherheit kann so nicht funktionieren.
Zum anderen, und das ist vermutlich noch bedeutsamer, ist die politische Situation angesichts der Position des Präsidenten Hamid Karzai, der geplanten Neuwahl des Präsidenten (wofür Karzai laut Verfassung nicht antreten darf) und der labilen Sicherheitslage nahe am Chaos. Die ICG malt ein Szenario, in dem sich der amtierende Präsident mithilfe des – verfassungsrechtlich vorgesehenen – Notstandes weitere Amtszeit und Macht sichern könnte:
As yet, no official date has been announced for the presidential poll, and there has been virtually no discussion of plans for the parliamentary elections scheduled for 2015. The delay in setting a date has huge implications, not only logistically but also for the constitutionally-mandated transfer of power at the end of Karzai’s final term. According to the constitution, the president, first-vice president and second-vice president are allowed to serve no more than two five-year terms.Karzai, therefore, should leave office when his term ends in May 2014.
The 2004 constitution, however, contains loopholes that could allow the president to keep power longer. The strongest option for extension of his term is a state of emergency. Chapter nine sets out the conditions.2 Article 143 empowers the president to declare a state of emergency “[i]f because of war, threat of war, serious rebellion, natural disasters or similar conditions, protection of independence and national life become impossible”. Several articles would be suspended, leading to martial law; the government would also have the right to “inspect personal correspondence and communications”.
Das aber, so die Befürchtung, würde die Sicherheitslage erst recht verschlechtern:
If President Karzai declares a state of emergency ahead of or during the 2014 election campaign, there would be very high risks of major violence. It could also bring to the surface the factionalism long latent in the Afghan national security forces (ANSF) and possibly trigger the break-up of parts of the army, police and intelligence services. Martial law would place a tremendous burden on not only Afghan security forces but also ISAF, precisely as the NATO withdrawal was developing.
Wie jeder Bericht der International Crisis Group enthält auch dieser Empfehlungen an die verschiedenen Akteure – was davon umgesetzt wird, ist eine andere Frage. Unter anderem wird der Unabhängigen Wahlkommission (IEC) dringend geraten, spätestens 2012 ein Datum für die Präsidentenwahl zu nennen und mit technischen Vorbereitungen wie der Wählerregistrierung zu beginnen.
Die internationale Gemeinschaft, vor allem aber die Geldgeber Afghanistans, sollten solche Schritte notfalls auch mit finanziellem Druck begleiten:
Maintain aid commitments in support of the election, contingent on the Afghan government meeting key benchmarks for reform; consider, if benchmarks are not met, withholding related funding so as to spur the Afghan government to action; and coordinate better, including with the UN Assistance Mission to Afghanistan (UNAMA), their support for elections.
Die wesentliche Frage für die internationale Gemeinschaft und die Nationen, die Truppen am Hindukusch haben, wird allerdings sein: Bestimmt die Entwicklung in Afghanistan ihre Abzugspläne – oder die Innenpolitik in den jeweiligen Ländern, wo die Bevölkerung zunehmend auf ein rasches Ende des Afghanistan-Engagements dringt?
Neben diesem ICG-Bericht noch eine düstere Meldung Afghan war getting worse for civilians, ICRC says und ein hoffnungsvoller Kommentar: Afghan Future is Secure if Commitments are Met
Und als Nachtrag die SpOn-Meldung: Böll-Stiftung zieht Direktorin aus Kabul ab. Und der Kollege Simon Klingert hat den ICG-Report auch gelesen: The 2014 Election In Afghanistan: High Costs, Low Value
Gibt es öffentliche Zugriff auf den Bericht?
@HansG
Klar, die Crisisgroup.org hat diesen auf ihrer Webseite gepostet.
Mich erschrickt eher, dass „man“ nun so überrascht tut. Wem war denn nicht klar, dass Post-ISAF die Warlords die Macht im Lande wieder übernehmen werden ?
Der Kulturkreis funktioniert eben nur so (…und das meine ich durchaus wertneutral !). Hehre Ziele wie Demokratie und Frauenrechte sind Zutaten der westlichen Werteordnung – andere Kulturen funktionieren aber nicht nach (oder besser „mit“) diesem Prinzip.
Die Frage, inwiefern der Afghanistan Einsatz damit „etwas gebracht hat“, wäre im obigen Sinne je nach Gemütslage und poitischer Neigung zu beantworten.
Einfach mal die HP der International Crisis Group (http://www.crisisgroup.org/) im Auge behalten.
Ach nee, steht ja schon längst auf deren Startseite als oberster Beitrag inkl. „Overview | Read full report | Media release“ – Links. (http://www.crisisgroup.org/~/media/Files/asia/south-asia/afghanistan/236-afghanistan-the-long-hard-road-to-the-2014-transition.pdf)
Ja, gibt es: http://www.crisisgroup.org/~/media/Files/asia/south-asia/afghanistan/236-afghanistan-the-long-hard-road-to-the-2014-transition.pdf
Vielen Dank!
@all
Habe den Eintrag nach Lesen des Berichts ergänzt.
Wann ging es den Bach rauf?
Vielleicht hab ich ja was übersehen, aber – wenn ich es richtig sehe – dann scheint eine post-ISAF-Mission bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit der ANSF in 2015ff keine Rolle zu spielen.
Auf der politischen Ebene trifft das Papier sicher den Kern: Dem Karzai-Regime fehlt die Legitimität, d.h. es wird früher oder später kollabieren.
Mit Blick auf nach 2014 bedarf es daher einer klaren Positionierung auf nationaler Ebene. Nach meinem Eindruck stolpern wir jedoch nur in das nächste Kapitel der Tragödie.
Wo ist die Debatte auf politischer Ebene was man überhaupt noch erreichen will und kann?
Das NATO-Ministertreffen diese Woche scheint wohl nur noch den eingeschlagenen Weg fortzuführen.
Eine Debatte auf politischer Ebene, was man überhaupt noch erreichen will und kann, setzt eine nüchterne Analyse der bisherigen Performance voraus. Das würde dann natürlich auch öffentlich. Ich denke Politiker geben sich so wie Spitzensportler der Selbsthypnose, die Misserfolge ausschließt, hin. Also: keine Debatte auf der Ebene.
Beispiel: ein führender Sicherheitspolitiker teilte mir mit, dass man eine Entscheidung als Fehler betrachtet, jedoch diese Entscheidung nicht rückgängig gemacht werden könne.
Letztlich bedeutet das doch, dass man auf die Folgen der Entscheidung keinen Einfluss mehr hat. Wer räumt so etwas öffentlich ein??
„On Afghanistan, Defence Ministers are expected to discuss the progress made in the mission with ISAF partners on Wednesday, 10 October .
The ministers are expected to endorse the first phase of planning for NATO’s post-2014 training, advice and assistance mission to the Afghan forces. They are to approve the broad framework for the mission, which will serve as guidance for military experts as they take the planning process ahead. NATO Secretary General Anders Fogh Rasmussen has set a goal to reach agreement on a detailed outline of the mission by early next year and to finalise the operational plan well before the end of 2013.“
http://www.nato.int/cps/en/SID-523FE1FF-79711991/natolive/news_90515.htm
Augen zu, statt Augen geradeaus!?
Don’t think that the bureaucracy will get it right…
Weil Sie die Böll Stiftung erwähnen, Hr Wiegold.
Nun, sie ist als Beraterin des seinerzeitigen AM nicht ganz unschuldig an der seinerzeitigen Zielformulierung, Herangehensweise und begleitenden Öffentlichkeitsarbeit.
Jetzt geht sie also von Kabul weg, kurz vorm selbst skizzierten Untergang (Sie sagt ja grds. nichts anderes als die International Crisis Group, nur deutlich unfundierter.) …deutlicher kann man mE grüne Außen- und Sicherheitspolitik nicht in eine Metapher pressen…
@ Dieter Deimel | 08. Oktober 2012 – 11:31
…Hehre Ziele wie Demokratie und Frauenrechte sind Zutaten der westlichen Werteordnung – andere Kulturen funktionieren aber nicht nach (oder besser “mit”) diesem Prinzip…
Nein: diese Dinge sind und bleiben unverhandelbar. Sie sind und bleiben, wenngleich noch fernes, Ziel der Weltgemeinschaft.
Womit Sie mit Ihren Worten der Böll-Stiftung aber näher sind, als Ihnen lieb ist. Zwar formulierten Sie unterschiedlich das Ziel, aber in der Sache knicken Sie wie die Böll-Stiftung vor „fremder Kulturhoheit“ ein. ME unzweckmäßige Toleranz gegenüber einem Menschenbild, welches den Mensch zu einer Kreatur niedersten Ranges verzerrt, ein Menschenbild, welches selbst Naturvölker für ihre innergesellschaftliche Organisation nach Stand derzeitiger Forschung strikt ablehnen.
Ich möchte Ihnen nicht zu nahe treten, sollte Ihnen die ein oder andere Formulierung zu persönlich erscheinen, zu scharf erscheinen: Das war Ihnen gegenüber nicht Absicht, bitte entschuldigen Sie mir das. Ich wollte lediglich meine Überzeugung klar herausstellen, dass man eben auch mal Butter bei die Fische geben muss und ein Einknicken vor dunkelster Archaik für mich kein nonchalantes „ja die sind eben so“ bedingen darf/ kann.
P.S.: Schon Früh-Forscher wie der Entomologe und Sexualwissenschaftler Ferdinand Karsch, hier sein Eintrag bei der dnb: https://portal.dnb.de/opac.htm?query=Woe%3D117571105&method=simpleSearch , selbst ein heute als überwiegend kritisch zu diskutierender Ethnologe wie Walter Krickeberg, nebst Kollegen Arthur Haberlandt und Richard Lasch kamen nicht umhin in ihren Werken (hier gemeint die zwischen 1900 und 1940) Akzeptanz von Homosexualität, Gleichberechtigung zwischen Mann/ Frau, Antirassismus, Frühformen der politischen Partizipation als den von ihnen erforschten Naturvölkern bekannte und akzeptierte Phänomene -wenngleich auch nicht „westlich“ institutionalisiert- zu beschreiben.
Heutige Forschungen können meine Aussagen stützen und kommen aus ohne die Verbrämungen dieser Phänomene aus dem seinerzeitigem mitteleuropäischen Ablehnungskontext (Duktus Untermenschenkategorie) heraus. Man muss das nur zur Kenntnis nehmen wollen.
Insofern: nein. Frauenrechte, usw. sind zwar Zutaten „westlicher Werteordnung“ -und bleiben das hoffentlich für immer auch- sie sind es aber wahrlich nicht dort exklusive Werteelemente.
@Sachlicher: Nicht exklusiv heißt noch nicht allgemein. Wenn Sie gesellschaftliche Werteordnungen, die Ihre Aussagen eben nicht stützen, als dunkelste Archaik qualifizieren, zu deren Umpolung westliche Gesellschaften schon aufgrund des Befundes ihrer Nichtverbreitung bzw. anderswo ethnologisch nachweislichen Missbilligung berechtigt sind, beißt sich die Katze in den Schwanz.
Ausschnitt aus dem „doorstep statement“ des SecGen:
„We remain committed to our goal, our strategy, and to Afghanistan. We remain committed to completing our ISAF mission at the end of 2014, as planned. And we remain committed to launching a new mission to train, advise and assist the Afghan security forces after 2014.
In other words, the goal, the strategy and the timeline remain unchanged.“
http://www.nato.int/cps/en/natolive/opinions_90558.htm
Na dann ist ja schon (fast) alles geklärt.
Pakistan geht dafür schon jetzt den Bach runter:
http://www.guardian.co.uk/world/2012/oct/09/pakistan-girl-shot-activism-swat-taliban
bmvg.de: aus ISAF soll ITAAM werden:
„Anschließend steht die ISAF-Mission und die Planungen für das internationale Engagement nach 2014 im Vordergrund. Die Strategie bis 2014 werde fortgesetzt, sie sei nachhaltig und werde entschlossen in die Tat umgesetzt, betonte der Minister. Für die Zeit danach ginge es jetzt darum, einen politischen und strategischen Rahmen für ein neues und anderes Mandat ab 2015 zu besprechen.
„Dabei geht es noch nicht um Zahlen, sondern um den Auftrag“, führte der Minister weiter aus. Der Auftrag wird anhand des Arbeitsbegriffs der neuen Mission, International Training Assistance and Advisory Mission (ITAAM), deutlich.“
http://tinyurl.com/9o89qoh
Der Fortschritt zu Chicago wird wohl eher überschaubar.
Ein klarer Auftrag für ITAAM wäre ja schonmal was.
Miteinander reden hilft – fast immer.
@Memoria
Schrödinger hatte nie eine Katze ;-)
@klabautermann:
Kommt drauf an, ob man hinschaut zu Schrödingers Katze!
Laut DLF (Rolf Clement) beabischtigt die Bundesregierung auch in der Folgemission ITAAM die „lead nation“ des RC-N zu stellen.
Über den Charakter des Einsatzes hat man sich wohl noch keine Gedanken gemacht, aber schonmal um die Kästchen.
Auch ihr Kommentar im anderen thread zeugt von der Überforderung der Bürokratie:
„Kein Draft Stabilization Assistance Force Concept, weil kein ANA future deployment/employment Konzept existiert….“
Loriot und Kafka hätten ihre wahre Freude.
Sicher hat die Politik ihren Anteil an dem mühsamen Abstimmungsprozess.
Aber wenn ich mir das Ganze anschaue, dann ist in der NATO-Kommandostruktur noch sehr viel Luft drin…
Der O-Ton von TdM („Der Auftrag wird anhand des Arbeitsbegriffs der neuen Mission, International Training Assistance and Advisory Mission (ITAAM), deutlich”) macht vorallem deutlich, dass auch er den Dreiklang „train, advise, assist“ und die damit verbundene Abstufung (entstammt den Vorschriften der US Special Forces) nicht versteht.
Hat ihm aber wahrscheinlich auch keiner aufgeschrieben (warum denn auch?).
Das BMVg ist sich offenbar immer noch nicht im Klaren auf was man sich bei einer TAA-Mission einlässt. Aber immer schön wichtig mitplappern.
@klabautermann:
Der UN-Sicherheitsrat hat übrigens gestern in der Resolution zur Verlängerung von ISAF eine Folgemission „begrüßt“. Somit sind auch hier die Weichen gestellt.
Aber jetzt will ich nicht weiter bei der allgemeinen Empörung über belanglose Videos von drittklassigen Musikinterpreten stören.
Ist mal wieder ein gutes Beispiel für das (un)freundliche Desinteresse an Sicherheitspolitik – sogar in diesem blog: Persönliche Betroffenheit (Beleidigung der Gruppe, Stationierung, Struktur, Personalanpassung) erzeugt Interesse. Daher ist es auch legitim, dass weite Teile der Bevölkerung freundliches Desinteresse an Sicherheitspolitik und Bundeswehr haben. Sicherheitspolitik erzeugt im Gegensatz zum Kalten Krieg eben keine Betroffenheit mehr.
Gleiches gilt wohl hier für post-ISAF – noch wähnt man sich offenbar nicht betroffen.
@ Memoria
Sicherheitspolitik ist eben Politik.
Seit auch dem letzten klar ist, dass die Lage in Afghanistan sich nur mit vernünftiger Sicherheitspolitik entwickeln läßt, und nicht mit krassen Special Forces und ihrem technischem Spielzeug bzw. gutgemeinten Geschenken vom Onkel in Europa, ist das Land doch verdammt unsexy geworden.
Politik macht man eben nicht als Zuschauer, sondern nur als Akteur. Und das ist ein dreckiges Geschäft, für dass sich viele hier – auch gerade viele deutsche Politiker, Beamten und Soldaten – zu fein sind. Da bleibt man lieber unverbindlich, verweist darauf, dass man ja tut was man ja tut und schon immer getan hat („Den Afghanen helfen“) und hält ansonsten mindestens eine Armlänge Abstand vom afghanischen Chaos – wer zutief drin steckt, an dem bleibt womöglich noch was hängen.
Und auch in Deutschland sieht es nicht besser aus: „Think Tanks“ wie das Center for a New American Security, die sowohl vor Ort recherchieren als auch publizieren und in den Medien auftreten, sucht man hier vergeblich. Das nächstbeste ist vermutlich AAN. Das ist zwar nicht deutsch, aber nicht zuletzt da ein Deutscher beteiligt ist wird es sogar manchmal zitiert. (Damit mein ich jetzt nicht Augengeradeaus – das ja deutliich international ist – sondern eher die taz und Co.)
Ich wäre ja wirklich gespannt, wieviele „Sicherheitspolitische Sprecher/Beiräte“ und Offiziere überhaupt ein Buch wie „The Accidental Guerilla“ gelesen haben.
@JCR
meine vollste Zustimmung
@Memoria
Eine muliti-tier (Korps- bis Kompanieebene), multinationale (um die 40 Truppensteller), combined (NATO, Coalition und Afghanistan) ITAAM ist planerisch so komplex, dass schon allein der Koordinierungs- und Abstimmungsbedarf nicht leistbar ist…schon gar nicht durch die NATO Kommandostruktur, die gerade weiter abgeschmolzen und personal durchgewuerfelt wird. Das wagt bloss kein NATO 4 Sterner zu sagen, weil er das ja auch nicht braucht, denn poor General Allen hat ja den Auftrag an der Backe.
Der wiederrum darf immer nur 10 powerpoint slides fuer seine briefings im Pentagon und im Oval Office benutzen, davon 3 Einleitung und 7 fuer seine CoA….auf 7 slides laesst sich die Komplexitaet von ITAAM aber nicht darstellen….interessiert die Politiker eh nicht.
Also, the catch 22 Saga continues….
…und natuerlich begruesst der Sicherheitsrat die ITAAM Ankuendigung, denn besonders die Russen, Chinesen und Inder wollen natuerlich nicht die Suppe ausloeffeln, die die NATO Koalition unter US Fuehrung angerichtet hat…..Wenn Obama weiter Preasident bleibt, wird Putin ihn gnadenlos vorfuehren. Besonders „lustig“ wirds eh erst naechstes Jahr, wenn die Transition im Sueden und Osten Fahrt aufnimmt…..denn besonders im Osten hat der surge zur Vorbereitung der Transition nicht wirklich stattgefunden. Die Infantristen der *2nd haben zwar jede Nacht 3 Tueren eingetreten, das war aber nicht der richtige taktische Ansatz…
@klabautermann:
Vorausgesetzt die Aussage „Eine muliti-tier (Korps- bis Kompanieebene), multinationale (um die 40 Truppensteller), combined (NATO, Coalition und Afghanistan) ITAAM ist planerisch so komplex, dass schon allein der Koordinierungs- und Abstimmungsbedarf nicht leistbar ist…“ ist ernst gemeint, dann sollte man die NATO schleunigst auflösen.
Denn komplex ist derlei nur, weil man es sich im zentralistischen Mikromanagementwahn komplex macht. Die Kompaniebene muss auf der strategischen Ebene gar nicht betrachtet werden. Ich verstehe auch nicht warum Gen Allen all das planen muss. Wofür gibtr es SHAPE und JFC Brunssum?? Wieviele Planer sitzen dort? Dazu kommen erhebliche nationale Planungskapazitäten.
Zudem ist rein praktisch die Aufgabe von ISAF im Dezember 2014 nicht sehr weit davon entfernt was ITAAM im Januar 2015 leisten muss. Denn die Übergabe der Sicherheitsverantwortung fand ja schon im Sommer 2013 landesweit statt.
Alles total komplex und interdependent.
Just do it.
@JR:
Accidental Guerrilla ist nach meinem Wissen an der FüAk weiterhin keine Pflichtlektüre – wie auch vergleichbare Bücher. Aber die letzten Absätze des NATO-Planungsprozesses können von den Absolventen heruntergebetet werden. Schuld der Politik? Wohl kaum.
Panetta bemängelte – lt. WELT – das Fehlen von 58 Advisory Teams. Eine Klärung soll bis November 2012 erfolgen.
Wie schon seit Jahren: Alle reden vom – ach so wichtigen – Aufbau der ANSF, nur gemacht wird es nichtmal quantitativ richtig.
Zudem behauptet Rasmussein, dass der Ausbildungseinsatz kein Kampfeinsatz sei (!?!) und de Maiziere betont die Bedeutung der Schutzkomponente.
Im Frühjahr 2013 sollen Umfang und Kosten der Folgemission festgelegt werden.
@Memoria
Wobei man die Anzahl der Advisory Teams auch mal hinterfragen darf, da sie sich m.W. einfach multiplikativ mit der Anzahl der ANA/ANP-Einheiten ergibt, die noch nicht den Status „independent“ haben. Übrigens gab es auch schon afghanische Offiziere die erkannt haben, dass mit dem Status „independent“ die Unterstützung wegfällt, was so gar nicht in ihrem Sinne war. Eine afghanische Einheit die nach 4 Jahren Mentoring (8 Kontingenten) immer noch nicht weiter ist wird m.E. einen asymptotisch gegen null gehenden Nutzenwert aus dem 9. Kontingent Mentoren ziehen (außerhalb der Kampfunterstützung in Operationen), obwohl die Mentoren ein 100% identisches Risiko mit ihren Vorgängerkontingenten teilen.
Möglicherweise muss man da zu einer Differenzierung kommen, welche Einheiten – während Operationen – Unterstützung in Kompensation (noch) fehlender Fähigkeiten der ANA/ANP benötigen (aber dann nicht auf permanenter Zuteilungsbasis) und andere (jüngere) Einheiten, bei denen man mit Mentoring zu einer qualitativen Verbesserung kommen kann. Bei – Kompensation fehlender Fähigkeiten – muss man dann aber in Betracht ziehen, ob diese Fähigkeiten überhaupt aufgebaut werden/sollen. Nicht jeder Staat der Erde braucht jede Fähigkeiten und es gibt eben auch Armeen dieser Erde bei denen die Infanterie auf Satelitten-/Luft- oder UAV-Bilder oder Road-Clearence-Packages verzichten müssen. Sonst zementiert man die eigene Anwesenheit bis in alle Ewigkeit und Mentoring/OMLT stellt eigentlich die EXIT-Strategie dar…
Ergänzend: Meiner Einschätzung nach ist es nicht notwendig weiterhin ganz vorne als Infanterist Schulter an Schulter zusammen mit der ANA zu kämpfen – das können die Afghanen „Landesüblich“ ganz gut selbst. Nachschub, Versorgung, Unterbringung, Finanzen und Instandsetzung sind dagegen ein einziges Drama. Wenn der afghanische Soldat aber kein Gehalt bekommt, ist er einen Monat später weg – egal wie viele Kontingente Mentoren ihn ausgebildet haben. Vielleicht ist hier ein Schwerpunktwechsel angesagt – und mit verlaub: Ohne eine permanente Einkommensquelle wird Afghanistan nie seinen Sicherheitsapperat alimentieren können. Das liegt aber deutlich außerhalb unseres Ressorts…
@ Stefan H.
Zutreffende Bewertung, die völlig richtige Fragen aufwirft.
Ihre letzte Andeutung berührt einen besonders heiklen Punkt. Verkürzt gesagt: Wir investieren auch weiterhin kräftig in ein System (ANSP), das sich weder heute noch zukünftig selbst zu tragen imstande ist. Vieles spricht vielmehr dafür, dass die ANSP, wenn unsere finanzielle und andere Unterstützung irgendwann eingestellt werden muss (und auch dieser Zeitpunkt wird irgendwann kommen), recht schnell zusammenbricht und dann auch noch unseren eigenen Zielen zuwiderlaufen könnte. Gerade Afghanistan bietet da eine Fülle historischer Erfahrungen.
So ein wenig erinnert das an einen Aktionär, dessen Wertpapiere bedauerlicherweise arg gesunken sind, der aber aus psychologischen Gründen gerade deshalb nicht verkaufen will. Der Laie sagt sich in so einem Fall: Augen zu und die Papiere halten, bis die Misere sich irgendwann einmal erledigt hat. Der Fachmann hingegen rät: Nicht auf die Einstandskurse und bisherige Investitionen, sondern ausschließlich nach vorn auf die künftige Renditewahrscheinlichkeit schauen. Und niemals sinkenden Kursen hinterherlaufen und in ein „fallendes Messer“ greifen.
Nun ist Sicherheitspolitik zweifellos keine finanzpolitische Spielwiese. Jeder Vergleich hinkt. Aber trotzdem: Unsere Entscheidungsträger müssen sich mit Blick auf Afghanistan schon verdammt sicher sein und dies der Öffentlichkeit gegenüber auch belegen können, dass sich weitere enorme Investitionen in ein offenbar marodes System lohnen. Zumindest sollte man darüber intensiv debattieren, um die Gefahr einer never-ending-story zu reduzieren.
Hier laufen einfach zu viele Programme kreuz und quer durcheinander: OMLT, Village Stability Operations Programme, Security Force Assistance Programme, ALP Training Programme und noch einige vermutlich noch einige mehr…..und das alles unter der Überschrift Comprehensive Approach….HaHa
Die Zahl 58 von SecDef Panetta ist das Delta zu dem gegewärtigen hochgerechneten Bedarf von 458, die aus Sicht ISAF Hqs für die Transition benötigt werden….@Stefan H hat völlig Recht mit seinem Kommentar.
Fernerhin ist gegenwärtig unklar welche der o.a. Programme die USA nach 2014 weiter laufen lassen und welche nicht. Fernerhin ist völlig unklar, wie denn die TAA-Teams aussehen sollen, usw, usw…..
Der top down Transition Management/Internal Defence and Gouvernance Building Ansatz der USA erscheint mir gescheitert, also muß man es wohl bei ITAAM mit einem bottoms up Ansatz versuchen aufbauend auf einer Analyse des lokalen, bzw. regionalen TAA-Bedarfs der afghanischen Sicherheitskräfte, bzw. -strukturen…..und damit bin ich wieder bei menem Komplexitäts-Kommentar @Memoria ;-)
Um mal das Mentoren Ausbildungsproblem kurz anzusprechen, die USArmy kürzt zZt rapide u.a. die Special Ops Campaign Planer Training Courses an der School for Advanced Military Studies, non US Ausbildungsbedarf bekommt kaum noch Plätze…..Die Army muss strukturell 20% kürzen (auch bei Ausbildern), es tobt zZt der Konkurrenzkampf im US Army Offizierskorps, denn einen sicheren Job hat man nur im Einsatz ausserhalb CONUS, ausserdem zahlt man dann keine Steuern ,-)
Mit freundlicher Unterstützung des BMVg wird das Abzugsmärchen auch bald bei Anne Will verbreitet: „Abzug aus Afghanistan – war es die Opfer wert?“
http://www.kmba.militaerseelsorge.bundeswehr.de/portal/a/kmba/!ut/p/c4/JYzLCsIwEEX_aCa1COrO0o0uRah1I2k6lMG8SKZ148eb4D1wNgcuPrHg9caLFg5eW3zgaPg0fcCxzUQ2v95u0pApbWwI3GqFHc2soZq8cIwZh_ozE5jgSaqlluIlaQkJYkhia1lTKgV4xlE1faeOqlX_Nd_DOFyH-77d9ZfuhtG58w9qIUGg/
Auch verlinkt auf bmvg.de.
@klabautermann + Stefan H.:
Ich glaube wir sind uns weitgehend einig:
Eine „new model army“ wird in AFG nicht gebraucht.