Nach dem Anti-Islam-Film: Abwarten in Afghanistan
Die Unruhen in der islamischen Welt nach Bekanntwerden des in den USA produzierten Anti-Islam-Films gehen weiter – wobei oft genug schwer zu sagen ist, ob dieses schlecht gemachte Video der tatsächliche Auslöser oder nur ein Vorwand ist. Die Ereignisse in allen möglichen Ländern (bis hin zu einem angeblichen, vermuteten Giftangriff im US-Konsulat in Berlin) will ich bewusst nicht aufgreifen, das würde den Rahmen dieses Blogs sprengen – aber das Augenmerk hier auf Afghanistan richten.
Dort hat heute, nach Meldungen von Reuters-Kollegen, der afghanische Sicherheitsrat entschieden, den Zugang zu YouTube weiterhin sperren zu lassen – um den Zugang zu dem Video zu verhindern.
In Kandahar kamen nach offiziellen Angaben Mullahs zusammen, die den Film zwar verurteilten, aber zur Ruhe aufriefen:
Hundreds of Mullahs and leaders gathered together and denounced the movie by Sam Bacile Production over the life of Mohammad Peace Be Upon Him.
This crowd asked the people to stay calm and shouldn’t come out on the roads as this will cause serious problems for the residents of the city.
Insgesamt scheint die Lage noch ruhig, aber von Abwarten und gespannter Erwartung des morgigen Freitags gekennzeichnet (wie es auch Leser Turan Saheb hier in den Kommentaren geschildert hat).
Der ganze Vorgang zeigt viele unterschiedliche Aspekte:
In Benghazi ist der vorgebliche Protest gegen den Film von AQ genutzt worden um das Konsulat anzugreifen und Rache für Abu Yahya al-Libi zu nehmen. Hier haben sich die bewachenden Regierungstruppen gegen den Mob gewehrt bis sie überrannt wurden.
Hier wird die USA, mit Einverständnis der ihrer Proxyregierung dort, versuchen die Angreifer mit Hilfe von Drohnen platt zu machen. Das wird die Situation aber nur weiter anheizen und kann durchaus zum Auseinanderbrechen des Staates führen.
In Cairo hat die Polizei die Protestler gewähren lassen. Sie drangen in die Botschaft ein und hissten ihre schwarze, islamische Flagge anstelle der Stars & Strips. Eine Verurteilung durch die Regierung blieb zunächst aus. Erst 24h Stunden später griff die Polizei ein.
Die regierende Muslimbrüderschaft hat das Ganze wohl genutzt um ihre politische rechte Flanke gegen die Salafisten zu schützen.
Die USA haben daraufhin einen radikale Änderung ihrer Position zu Egypten vorgenommen. Obama sagt gestern.das Egypten kein Alliierter (mehr) sei aber auch kein Feind. Viel weiter kann Obama aber nicht gehen. Schließlich braucht die Navy den Suezkanal und Israel Ruhe im Sinai.
In Yemen haben die bewachenden Truppen den Mob auf das Botschaftsgelände gelassen wo der sich für die anhaltenden Drohenbeschuss mit Plünderungen bedankte. Auch hier wurde die US Flagge gegen eine diesesmal weisse islamistische Flagge ausgetauscht.
Die Ordnungskräfte in Yemen sind nicht unbedingt regierungshörig sondern unterstehen verschiedenen Clans und Sippen. Einen Mob kann man dort für wenige Dollar schnell zusammenkaufen. Die Regierung hat den Angriff schnell verurteilt und weitere Maßnahmen der USA sind wohl nicht zu erwarten.
Am Freitag könnte es in mehreren Ländern zu ähnlichen Angriffen kommen. Afghanistan halte ich dabei für weniger gefährlich. Amman könnte kritisch werden sowie weitere Länder in Nordafrika.
Es gibt bislang Anzeichen für die Planung und Vorbereitung größerer Demonstrationen in Algerien, Ägypten, Iran, Irak, Jordanien, Marokko, den Palästinensergebieten, Sudan, Tunesien und Jemen. Für Pakistan und Afghanistan ist meines Wissens nach noch nichts gemeldet worden.
Zwei Videos von der Botschaftsstürmung in Sanaa. Anscheinend wurden zwei der vier(?) Schutzringe überwunden.
1
2
Zu Benghazi: Demonstrationen finden gewöhnlicherweise nicht bei Dunkelheit statt, Handstreiche wie der Angriff auf das Konsulat dagegen schon. Die bisher vorliegenden Videos zeigen auch keine größeren Menschenmassen wie in Tunis, Sana’a oder Cairo, sondern kleine Gruppen, teilweise bewaffnet. Die Lage in Benghazi ist somit eine grundsätzlich andere.
Meine Sicht: Nachdem am 6. Juni diesen Jahres ein erster Bombenanschlag als Vergeltung für den Tod al-Libis scheiterte, bereitete der örtliche al-Qaida-Ableger seinen nächsten Angriff (im Schutz der Nacht) gründlicher vor, diese Vorbereitungen wurden in vergangenen Tagen und Wochen abgeschlossen. Als Anlass bot sich der Mohammed-Film an und der US-Botschafter stellte ein weiteres lukratives Ziel da. Örtliche (bewaffnete und unbewaffnete) Anwohner schlossen sich dem al-Qaida-Kommando an.
Den jemenitischen Mob mit den Drohnenangriffen in Verbindung zu bringen, halte ich für gewagt. Darüber hinaus würde mich interessieren, warum Sie die Lage für Amman kritisch einschätzen.
Das die Bevölkerung in den muslimischen Ländern derart heftig auf den Film reagiert,
kann man hier im Westen nicht unbedingt nachvollziehen.
Aber wenn es dann um Rache geht und Menschen getötet werden, dafür kann man
kein Verständnis aufbringen.
Es ist nur ein Film, sicher hätte sich der Regisseur vorher überlegen sollen, ob er
das veröffentlicht, zumal man Reaktionen auf derartige Sachen ja mittlerweile kennt.
@Boots on the Ground
Die Jemeniten haben Dutzende von Gründen die USA nicht zu mögen. Das fängt bei der deren jahrelangen Unterstützung von Saleh an geht über die die Installation seines Nachfolgers Hadi als U.S. Proxy und hin zu den andauernden Drohnen und Bomberangriffen im Südjemen denen immer auch Zivilisten zum Opfer fallen.
Amman halte ich für kritisch weil es dort in den vergangenen Monaten mehrfach Unruhen gegeben hat. Das Land steht wirtschaftlich am Abgrund, sozial vor einer Explosion und der König ist allgemein unfähig eine konsistente Politik umzusetzen (drei Premierminister in den letzten 1 1/2 Jahren). Der Krieg in Syrien und die Flüchtlinge haben jetzt das Fass vollgemacht. Noch ein Tropfen und es fließt über.
In Pakistan hat eine der großen islamischen Bewegungen jetzt ebenfalls zu Protesten am Freitag aufgerufen.
Eine mögliche große Gefahr besteht auch in Ägypten. Dort hat die Muslim Brüderschaft zu einer großen Demonstartion am Freitag auf dem Tahrirplatz aufgerufen. (Die U.S. Botschaft ist nur drei-vierhundert Meter von Tahrir entfernt.)
Die Salafisten die die Demo vor/in der U.S. Botschaft am Dienstag veranstaltet haben wollen da allerdings nicht offiziell mitmachen.
Es könnte dennoch, mit oder ohne Einverständnis der MB, am Freitag zu einem erneuten Sturm auf die U.S. Botschaft kommen. Wenn die Menge gross genug ist gibt es dann kein Halten mehr.
Khamenei hatte die „Revolution“ in Ägypten ja mit der in Tehran 1979 verglichen. Wenn die U.S. Botschaft in Kairo gestürmt wird dann wird der Vergleich noch stimmiger.
@ boots.
die drone-strikes in yemen sind ein großes thema in der dortigen bevölkerung. die geräte mögen zwar recht präzise sein, aber die geheimdienstliche vorarbeit ist oft mies .. aeh fehlerbehaftet ;) und die ganzen collateralschäden führen natürlich zu allgemeinem unmut.
@ anton.
meistens ists nicht „die bevölkerung“ sondenr islamistische gruppen, die solche medialen ereignisse nutzen um ihr Mobilisierungspotential zu verdeutlichen. „die bevölkerung“ hat idr gar keinen zugang zu westlichen medien und ist erst empört wenn die gerüchteküche bis ins dorf hineinbrodelt. aber selbst die sind dnan nur schwer zu mobilisieren und die demonstrationen scheinen sich weitgehend aus der bewohnerschaft der urbanen zentren zu rekrutieren.
das die amis dort im allgemeinen nicht sonderlich beliebt sind dürfte ja bekannt sein …
Morgen ist Freitag nach der Moschee
wird sich viles oder Kaum , dann wissen wir ob das Volk oder nur Radikale sind
so hieß es mal im ZDF bei heute
Das stimmt. Und das wird derzeit in den USA gerade auch in Kreisen, die Obama nicht wohl gesonnen sind, genauso gesehen. Dort macht bereits das Wort von Obama als dem neuen Jimmy Carter die Runde.
Obama sagte übrigens gestern etwas bemerkenswertes: Ägypten sei weder Feind, noch Verbündeter der USA.
@markus | 13. September 2012 – 19:06
Zitat: „meistens ists nicht “die bevölkerung” sondenr islamistische gruppen, die solche medialen ereignisse nutzen um ihr Mobilisierungspotential zu verdeutlichen.“
Gehören islamistische Gruppen nicht zur Bevölkerung eines islamischen Landes? Wer ist nach Ihrer Meinung denn die Bevölkerung?
Aus „NightWatch“ von heute morgen zur Demonstrationslage:
„Pakistan: Press TV reported that Pakistan’s largest religious party, Jamaat-e-Islami, plans to hold peaceful demonstrations against the US over the anti-Islam movie. Jamaat-e-Islami chief Syed Munawar Hassan expressed support for peaceful protests against the blasphemous film. Demonstrations are expected in Peshawar and Lahore.
Afghanistan: President Karzai postponed a trip to Norway today. The Norwegian Foreign Ministry said, „The reason is that the president, in light of the serious events in some Arab countries in the past day, sees a need to be in Afghanistan.“
The Taliban issued a statement encouraging anti-US demonstrations on Friday.“
Spiegel Online berichtet gerade in einer Eilmeldung:
Demonstranten greifen deutsche Botschaft im Sudan an
Die einzige Botschaft die es bis heute erwischt hat scheint die deutsche Botschaft im Sudan zu sein. Näheres weiss man noch nicht.
Laut BBC gibt es Angriffe auf die deutsche und die britische Botschaft im Sudan, aber auch die haben noch keine Details.
Dankbarkeit für die westlichen Befreier in Wort und Bild:
http://www.dailymail.co.uk/news/article-2202979/Benghazi-attack-U-S-consulate-pictured-Libyan-attack-revealed-officials-knew-attack-plans-48-HOURS-before.html
Der arabische Winter…
BBC-Update auf Twitter: Demonstranten in deutsche Botschaft in Karthoum/Sudan eingedrungen, weiter keine Details bisher.
Unprovozierte Angriffe auf deutsche Einrichtungen werden sich auf das Islambild in Deutschland zwangsläufig negativ auswirken. Jetzt könnten die Islamverbände in Deutschland die durch ihre ablehnende Haltung gegenüber Maßnahmen der Islamismusbekämpfung erzeugte Zweifel an ihrer Rolle dadurch beseitigen, dass sie den Tätern klar mitteilen, dass solches Verhalten absolut unakzeptabel ist. Auch die sudanesische Regierung, die offensichtlich die deutsche Botschaft nicht angemessen vor solchen Vorfällen geschützt hat, wird Fragen beantworten müssen, die von unserem Außenminister hoffentlich mit der nötigen Schärfe vorgebracht werden.
Das hat zwischenzeitlich lt. Spiegel Online ein Sprecher der deutschen Botschaft dementiert: Die Demonstranten seien bisher nicht in das Gebäude eingedrungen.
@chickenhawk
US Marines haben die Tötung ihres Botschafters in Libyen nicht verhindern können.
Und was bieten wir auf?
Claudia Roth?
@Prediger
Kippling nannte das die ägyptische Nacht, nicht den ‚arabischen Winter‘:
„Schultert die Bürde des Weißen Mannes – / Erntet seinen alten Lohn: / Den Vorwurf derer, denen ihr helft, / Den Hass derer, die ihr beschützt – / Das Geschrei derer, die ihr zum Licht / (Ach, langsam!) verführen wollt: / „Warum habt ihr uns aus der Knechtschaft geholt, / Aus unserer geliebten, ägyptischen Nacht?“
@klabautermann
Was wußte Kipling schon über den „Arabischen Frühling“?
„When you’re wounded and left on Afghanistan’s plains, and the women come out to cut up what remains, jest roll to your rifle and blow out your brains and go to your gawd like a soldier.“
P.S.:
Kipling: „Yes, makin‘ mock o‘ uniforms that guard you while you sleep.“