Und nun Afghanistans echte Probleme
Während hier zu Lande Afghanistan als ein Problem von Krieg und Frieden wahrgenommen wird, ist es aus afghanischer Sicht noch ein wenig existentieller: 54 Prozent der afghanischen Kinder unter fünf Jahren leiden unter chronischer Mangel- oder Unterernährung, 34 Prozent haben Untergewicht. Mehr als ein Viertel der Gesamtbevölkerung hat weniger als die nötigen Kalorien pro Tag.
Das sind Zahlen, die die afghanische Regierung und die Weltbank heute veröffentlichten. Jenseits von Gewalt und kriegsähnlichen Zuständen sind das Probleme, die die internationale Gemeinschaft mehr beschäftigen und beschämen müssten als die mangelnden Fortschritte in der Sicherheit. Doch das Gegenteil scheint der Fall:
Josephine Bassinette, World Bank’s acting country director, was quoted as saying: “Because of the ongoing conflict, foreign assistance has disproportionally gone to the provinces where concentration of troops and fighting has been heaviest such as Kandahar and Helmand.”
Gibt es verlässliche Zahlen, wie sich die Geburtenrate in Afghanistan entwickelt hat? Selbst wenn es zynisch klingt: was, wenn deshalb so viele leiden, weil es einfach deutlich mehr sind als vor 10 oder 20 Jahren? Eine Schande ist es so oder so.
Das ist traurig für die Kinder und traurig für das Land.
Aber wo ist die Aufstellung, wieviel Millarden die Drogenbarone seit Jahren aus dem Land ziehen.?
Es wird Zeiit, dass das Land selber auf die Beine kommt,- die Leute sind ja seit Jahren fremdgesteuert, oder sollen noch mehr Euro-Millionen unnütz (oder in dunkle Kanäle) versenkt werden, damit sog, Gutmenschen ein ruhiges Gewissen haben?
Wenn man bedenkt, dass laut BMZ nur die Hälfte der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche tatsächlich genutzt werden sollte man im Bereich der Versorgung mit Nahrungsmitteln doch relativ zügig Fortschritte erreichen können. Da frage ich mich doch, was die NGOs und staatliche Organisationen in all den Jahren gemacht haben. Schöne Prestigeprojekte, nette Fotos mit lächelnden Mädchen vor Schulen und in den Dörfer haben die Leute nichts zu essen? Super. Wenn man bedenkt, dass solche Umstände den idealen Nährboden für Extremismus schaffen kann man nur applaudieren.
Im Übrigen werden nur 1.900 km² für Opiumanbau verwendet gegenüber 32.500 km² Ackerfläche. Den Opiumanbau als Grund für den Nahrungsmittelmangel herbeizuziehen funktioniert hier nicht.
Die Konzentration auf die Sicherheit erscheint mir logisch: Gibt es nicht einen starken Zusammenhang zwischen Sicherheit und wirtschaftlicher Entwicklung? Ohne ersteres gibt es kein letzteres? Warum sollte man in Gegenden investieren, in denen man jeden Moment umgebracht wird und die Intestitionen sowieso keinen Tag überdauern?
Und auch das mag zynisch klingen: Die gleichen Daten gelten auch für diverse andere Staaten und in denen interessiert man sich für keines der beiden Themen. Im Übrigen ist es auch ein Verdienst der Sicherheitsfixierung, dass die Daten überhaupt erhoben werden konnten.
Naja, ob „Foreign Assistance“ selbst unter günstigen Bedingungen Armut überhaupt reduzieren kann, ist ja nun heftig umstritten – Dambisa Moyo, William Easterly und Linda Polman, um mal hier nur ein paar ernstzunehmende Namen aus der Fachliteratur zu nennen. Der simple Automatismus „Wir geben Geld und dann passiert was Gutes“ sollte ja durch mehr als sechzig Jahre Entwicklungshilfe im Freiluftversuch eh widerlegt sein. Aber selbst wenn man grundsätzlich an Entwicklungshilfe – tschuldigung, Entwicklungszusammenarbeit – glaubt und davon ausgeht, dass diese auch unter äußerst erschwerten Bedingungen wie im afghanischen Kriegsgebiet Sinn machen kann, müsste man sich klar werden, WAS genau man will: kurzfristig Menschen vor dem Verhungern helfen (Nothilfe) oder doch was längerfristigeres (Reformen etwa einer ineffizienten staatlichen Verwaltung oder eines am Bedarf vorbeiführenden Bildungswesens gehen halt nicht per Powerpoint-Vortrag sondern ziehen sich über Jahrzehnte hin)? Nothilfe hat den Nachteil, dass man die Menschen zwar in einer Umgebung, die sie sonst nicht ernähren könnte, „durchfüttern“ kann (so lange man ihnen was gibt), man macht sie aber auch von sich abhängig – und dann tendieren Menschen (wie Sascha schreibt) dazu, von Generation zu Generation immer mehr zu werden (und benötigen entsprechend mehr). Entwicklungsprojekte wiederum sind so langfristig angelegt, dass sie natürlich in den ersten zehn Jahren noch keine spürbaren Ergebnisse abwerfen. Das hat – nur mal am Rande – für Beschäftigte in der Entwicklungsindustrie auch den Vorteil, dass man (weil man ja gerade in Afghanistan selten länger als zwei oder drei Jahre an einem Standort mit dem selben Projekt beschäftigt ist) praktisch nicht am tatsächlichen output (Wirkung), sondern nur an den aufgewendeten Mitteln (input) gemessen wird. Fast so wie bei der Bundeswehr in Afghanistan, übrigens… Naja, summa summarum werden auch bei echten Entwicklungsprojekten die heißen Steine („Wir reformieren die Verwaltung“) sowieso nur tröpfchenweise angegangen – das geht gar nicht anders (und hat wie gesagt in Afrika in sechzig Jahren verdammt wenig vorzeigbare Ergebnisse gebracht). Und das halt über Generationen, währenddessen Nothilfeprojekte das Überleben und weitere Anwachsen der Bevölkerung sicherstellen.
Für mich klingt auch im Blogpost so ein bisschen der Glauben mit, dass wir irgendwie mit dem Zauberstab die angesprochenen Probleme hätten beseitigen können, wenn wir nur gewollt hätten (oder uns klüger angestellt hätten). Oder weswegen müssten sie uns sonst beschämen? Diesen Irrglauben halte ich für das eigentliche Problem – ich stelle mal die These auf, das westliche Hilfe jenseits von kleineren Einzelfallverschönerungen strukturell unfähig ist, tiefgreifend in das Geschehen in fremden Ländern einzugreifen. Sie erfüllt durch das Beschwichtigen schlechten Gewissens der Öffentlichkeit aber eine wichtige psychologische Funktion. Oder was hätten wir in einem Land mit begrenzter Aufnahmefähigkeit wie Afghanistan anders machen sollen? Die finanzielle Aufnahmekapazität einer Gesellschaft wie der afghanischen ist nun mal begrenzt, investiert man mehr geht der Grossteil davon nicht in die gewünschte Richtung (wahlweise Nothilfe oder Entwicklungsprojekte) sondern in Rahmenstrukturen, die unvermeidliche Korruption und in potemkinsche Dörfer. Das, wie gesagt, ist aber meiner Meinung nach nicht nur wegen individuellem Fehlverhalten so, sondern strukturell von vornherein so angelegt.
Und das würde ich gerne als Überleitung zu einer allgemeineren These missbrauchen – „wir“ (Deutschland, aber auch allgemein „der Westen“) haben ungeachtet unserer direkten wirtschaftlichen und militärischen Kapazitäten nur periphären Einfluss auf die meisten Entwicklungen dieser Welt. Und sollten uns daher auch nicht jeden Schuh anziehen (…Syrien…), sondern auf das konzentrieren, was uns nach eingehender strategischer Betrachtung als „Wesentlich“ vorkommt.
Kosten eines U.S. Soldaten in Afghanistan laut einer aktuellen Kongressanhörung $850,000/Jahr. Statt dem unsinnigen „Surge“ hätte man wieviele Kinder retten und ausbilden können?
Die gesamte Strategie in Afghanistan ist seit spätestens 2009 gescheitert. Im Süden ein Haufen Bauerdörfer platt zu machen statt echten Aufbau zu betreiben rächt sich (siehe Anthony Cordesman: Afghanistan: The Death of a Strategy)
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Gerade rausgekommen im GQ-Magazin (engl.) die Geschichte der 20+ Stunden Belagerung in Kabul im September letzten Jahrens: The Siege of September 13
@turan saheb:
Einmal mehr vielen Dank für diesen sehr hilfreichen Beitrag.
Es scheint auch mir im Kern darum zu gehen, dass „wir“ (westliche Staaten) endlich die Begrenztheit der eigenen wirtschaftlichen, politischen, kuturellen und militärischen Fähigkeiten erkennen.
Stattdessen folgen wir – mit immer mehr Enthusiasmus (gerade in der NATO) – dem social engeneering (comprehensive approach).
Die Bw-Reform mit dem LoA (10.000 Soldaten im Einsatz) ist hier nur ein kleines Mosaik – auf dem Weg in die Sackgasse.
AFG sollte eigentlich genug Lehrbeispiele geben…
@turan saheb – ack!
@ turan saheb
Überaus stimmiger Beitrag! Erspart mir eine Menge Schreibarbeit ;-)
Vielleicht sei – anschließend an Ihren letzten Absatz – folgender Hinweis auf eine ganz aktuelle Meldung gestattet:
02:51 PM ET
McCain calls for airstrikes in Syria
Sen. John McCain has called for the United States to lead an international effort to protect the Syrian population by carrying out airstrikes on Syrian government forces.
[…]
http://news.blogs.cnn.com/2012/03/05/mccain-calls-for-airstrikes-in-syria/
McCain ist der neocon Zündelbeauftragte und Brunnenvergifter seit 30 Jahren….eternal war for eternal profit..
@turan saheb – volle Zustimmung
Vielleicht sollten wirs mal mit Unterstützung der chinesischen Initiative versuchen…
@T. Wiegold
„…sind das Probleme, die die internationale Gemeinschaft mehr beschäftigen und beschämen müssten…“
Warum eigentlich? Ich schäme mich dieser Situation persönlich z.B. nicht, weil ich sie so wie 100% aller Deutschen nicht zu verantworten habe. Nach einigen Jahren Tätigkeit in solchen und ähnlichen Situationen glaube ich auch nicht mehr, dass es etwas ändert, wenn „die internationale Gemeinschaft“ sich damit noch stärker beschäftigt. Turan Saheb hat ja schon einiges dazu gesagt.
Für eine Lösung dieser Probleme relevanter wäre es m.E., wenn sich die afghanische Gesellschaft darüber stärker „beschämen“ würde. Dass man bei anderen Problemen z.B. kleineren Fällen von Sachbeschädigung durchaus bereit ist sich kollektiv aufzuregen, haben die letzten Wochen ja gezeigt. Vielleicht haben aber jene EZ-Skeptiker recht, die einen Zusammenhang zwischen dem Verhalten von Menschen und deren Situation nicht ausschließen?
Und manch Afghane wünscht sich vielleicht sogar weniger „Hilfe“ aus dem Ausland, die Korruption noch weiter befördert, die dauerhafte Abhängigkeit des Landes zementiert, den höher qualifizierten Arbeitsmarkt für unproduktive NGO-Verwaltungstätigkeiten leerkauft, die Lebenshaltungskosten in den Städten hochtreibt und weltfremde Ideologie predigt: http://www.gtz.de/de/praxis/17060.htm (ist nicht persönlich gemeint ;-) )
@turan saheb : Wer mal in einer Kabuler Bank gesehen hat, wie dort $-Bündel in Sporttaschen einfach ungezählt über den Schalter wechseln, der muss für Ihre klare Analyse und Stellungnahme Beifall zollen. Es wäre gut, wenn noch mehr die Augen öffneten und sich von ihren Träumen zumindest hier verabschiedeten. Danke für den Beitrag und die sachliche Diskussion hier!
Es gäbe einen Ansatz, der für nachhaltigere Entwicklung in Afghanistan (und andernorts) sorgen würde: Wir müssten selbst Partei werden. Aber das will keiner, deutsche Wehrbauern in Afg. und andernorts ansiedeln und mit der Bw schützen. Stattdessen betreiben wir unter dem Logo der GIZ Kolonialisierung light. Das ist beschämend. Und dass es zur Selbstverantwortung der Afghanen gehört, fùr sich selbst zu sorgen, sollte unstrittig sein.
@T.W.
Haben sie etwas von neuen Rückzugsplänen der USA aus AFG gehört? Wäre die letzten Tage angeblich i.d. NY Times gestanden. Falls ja, wäre ich für einen Hinweis dankbar.
@Alles wird gut
„Haben sie etwas von neuen Rückzugsplänen der USA aus AFG gehört? Wäre die letzten Tage angeblich i.d. NY Times gestanden.“
Vermutlich ist dieser Artikel gemeint?
http://www.nytimes.com/2012/03/05/world/asia/us-afghan-talks-falter-on-detainee-transfer.html?scp=3&sq=afghanistan&st=cse
@turan saheb
Ich widerspreche Ihnen doch gar nicht. Angesichts der Summen, die die internationale – sprich: vor allem westliche – Staatengemeinschaft dort reingepumpt hat, auf den verschiedensten Wegen, finde ich es aber beschämend, was dabei rauskommt. Und angesichts des Anspruchs, mit dem nicht zuletzt die Deutschen angetreten sind, finde ich solche Ergebnisse wie die genannten Zahlen erst recht beschämend. (Und das heißt nun nicht, dass das für das Individuum hier zu Lande gilt, aber für den Ansatz.)
@b:
„Kosten eines U.S. Soldaten in Afghanistan laut einer aktuellen Kongressanhörung $850,000/Jahr. Statt dem unsinnigen “Surge” hätte man wieviele Kinder retten und ausbilden können? “
Wahrscheinlich nicht sehr viele. Denn die Mädchen hätte man wohl garnicht zugelassen und die Ausbildung der Jungen wäre potenziell auch nicht unbedingt auf ein in Sinne eines Entwicklunsgfortschrittes ausgelegtes Bildungsprogrammes veraufe – insofern ist the Frage eher rhetorisch.
Von diesen $850000 Kosten des einzelnen Soldaten [sic!] werden aber auch die lokalen Arbeitskräfte bezahlt, was wiederum dem Land hilft.
Spannender ist eher die Frage wie Geld angelegt wird. Ich habe einmal ein Papier gesehen in dem $300.000 in den Bau einer Schule gepumpt wurden. Diese hat effektiv $30.000 gekostet, $270.000 sind im Verwaltungsapparat und in Subunternehmen versandet, welche man mit der Hilfe beauftragt hatte. Und da der Bau durch Ortfremde durchgeführt wurde, hat man im Drf auch nichts unternommen, als die Taliban die Schule anzündete. Ich sehe da also weniger eine Frage der Menge des Geldes, als der Umstände unter denen es eingebracht wird.
Die Korruption geht dabei nicht unbedingt von den westlichen Helfern aus, sondern ist auch sehr tief im Lande verwurzelt.
@ T. Wiegold
Die Verbindung von „Summen reinpumpen“ und „was dabei rauskommt“ würde ich ähnlich wie im Beispiel von Kerveros sehen: irgendwann werden halt nur die Projekte teurer, aber nicht besser (geschweige denn mehr Wirkung) – mehr gemacht werden kann nicht. Und das ist eben ein strukturelles Problem. Wenn man das Budget für Kerveros Schule verdoppelt hätte, wären weiterhin nur 30.000$ für die eigentliche Schule ausgegeben worden, aber es ist klar, dass man das zusätzliche Geld schon losgeworden wäre…
Geht man jedoch davon aus, dass man durch investiertes Geld ohnehin nicht viel verändern kann, sondern sie im Wesentlichen das Gewissen der Öffentlichkeit beschwichtigen sollen, bleibt auch nichts beschämendes mehr übrig. Am Ende des Krieges werden wir unsere Bilanzen vorzeigen und uns angesichts des vielen investierten Geldes auf die Schultern klopfen und behaupten, uns können man ja nun keinen Vorwurf machen – wir hätten schließlich so und so viele Milliarden für den zivilen Wiederaufbau ausgegeben.
Man könnte natürlich auch das Geld von vornherein wo anders anlegen (Ehrensold für Ex-Bundespräsidenten erhöhen, abzureißende Kasernen noch schnell renovieren, Unterstützung für die Machtübernahme der syrischen Muslimbruderschaft usw.). Aber das Bedürfnis in Afghanistan „den Menschen zu helfen“ ist da und die Entwicklungsindustrie befriedigt dieses Bedürfnis. Da wird nunmal das Scheckbuch gezückt – anstelle das von vornherein die Wirkungsketten kritisch hinterfragt und überprüft werden und anschließend eine trennscharfe Überprüfung der Relation von Kosten und zu erwartender Wirkung vorgenommen wird.
Aber selbst beim noch teureren Bundeswehreinsatz ist es ja nicht anders – die Politik beschließt, wir müssten da hin und uns mit Militär beteiligen. Und Sicherheit würde ja irgendwie in das Portfolio der Bundeswehr fallen. Also fliegt – anstelle einer sorgfältigen Prüfung, wie „Präsenz der BW“ zu „Sicherheit für Afghanistan“ führen würde – die Bundeswehr nach Afghanistan und tut, was sie vom Balkan gelernt hat. Lager bauen, Lager verwalten, Lager in Betrieb halten. Logistische, seelsorgerische und sanitätdienstliche Versorgung der eingesetzten Soldaten. Hin und wieder mal ein paar nette Patrouillen nach draußen. Aber die Wirkungskette bleibt jahrelang auf „Smile & Wave“ beschränkt – und das, wo jeder der es sehen wollte sogar in Deutschland oder gar im Camp Marmal mitkriegen konnte, dass sich um die Lager herum eine Aufstandsbewegung etabliert hat. So ab 2010 haben wir dann endlich ein bisschen nachgebessert und zum ersten mal überhaupt nachgedacht, wie wir denn gedenken Wirkung zu erzielen. Aber mittlerweile sind wir längst wieder bei „Erfolgreiche Auftragdurchführung = fortgesetzte Präsenz bei maximalem Eigenschutz“. Eine Verbindung der Wirkungskette zu der merkwürdigen Welt außerhalb der Lagermauern fehlt faktisch. Das wäre aber nur dann zum Haare ausraufen, wenn man vergisst, dass der Einsatz dazu dient das politische Gewissen der Politik gegenüber dem eigenen Entschluss reinzugehen sowie den NATO-Kollegen, die auch alle erst nächstes Jahr rausgehen wollen zu befriedigen – und nicht dem, wirklich noch etwas in Afghanistan zu bewirken.
Wo soll das bitte schön beschämend sein?
@ turan saheb:
Brilliante Analyse.
Taschakor!
@ Turan Saheb
Zwischen Nothilfe und Finanzspritzen „von oben“ gibt es aber noch einiges mehr.
Gerade auf komunaler, ländlicher Ebene ließe sich mit wenig Geld viel bewegen, und das nachhaltig. Nur setzt auch das eine „Präsenz in der Fläche“ voraus, die auch in der Entwicklungshilfe eher die Ausnahme ist. (Auch dort fließt das meiste Geld in die Städte und Ministerien, oder landet gleich wieder bei deutschen Firmen.)
Insbesondere bei den landwirtschaftlichen Probleme könnte Deutschland viel tun. Die Probleme sind überschaubar – da würde Hilfe schon nach zwei Jahren Früchte tragen. Das Know-How ist vorhanden, die Kosten für Anschubfinanzierungen wären gering. Aber was da in 10 Jahren seitens der GTZ umgesetzt wurde ist mager (sowohl angesichts der Stärke Deutschlands, als auch hinsichtlich einer Bevölkerungszahl von fast 7 Mio. Nord-Afghanen).
Anders sieht es mit dem National Solidarity Program aus, das anscheinend seit etwa 2007 langsam ins Rollen kommt, und wohl tatsächlich bis in die Dörfer reicht. Selbst da hab ich aber nichts dazu gefunden, wieviel Prozent der Dörfer mittlerweile Teil des Programms sind. (Kosten: 0,6 Mrd $ für Gesamt-Afghanistan)
Das Problem ist nicht, dass man nichts erreichen kann. Das könnte man. Man will aber nicht die Schritte unternehmen, die für einen Erfolg nötig wären. Etwa wirklich mit den Afghanen auf dem Land zusammenarbeiten, und auch über Jahre Ansprechpartner sein.
Um mal polemisch zu werden: Da fließt das Geld lieber in ein Großprojekt, das sich bequem von Kabul oder Mazar aus verwalten läßt, und an dem am besten noch eine deutsche Firma mitverdient; das kostet dann auch gleich ein paar Millionen, und ist damit nicht so friemelig wie eine Vielzahl kleinerer Projekte.
Und das ist es was fehlt: Der Wille langfristig in die Fläche zu gehen.
@ Memoria
Jetzt pinsel ihm nicht noch Honig auf den Bauch, selbst wenn er Recht hat. Es ist im übrigen sehr schwer diese Meinung in der Öffentlichkeit zu vertreten und auch gehört zuwerden. Sehr schnell werden Bilder von hungernden und frierenden Kindern gezeigt, auf die hilflose Zivilbevölkerung hingewiesen. Aus meiner Erfahrung heraus haben eigentlich nur wenige, zumeist Hazara, die Chance wirklich genutzt, die die Welt ihnen geboten hat. Ok, die Warlords natürlich auch.
„Und angesichts des Anspruchs, mit dem nicht zuletzt die Deutschen angetreten sind, finde ich solche Ergebnisse wie die genannten Zahlen erst recht beschämend.“
Welchen Anspruch? Den den man der deutschen Bevölkerung verkaufte oder den, den man den USA gegenüber Äußerte?
.“..dass der Einsatz dazu dient das politische Gewissen der Politik gegenüber dem eigenen Entschluss reinzugehen sowie den NATO-Kollegen, die auch alle erst nächstes Jahr rausgehen wollen zu befriedigen – und nicht dem, wirklich noch etwas in Afghanistan zu bewirken.“
Ja, das ist beschämend und wie sch die Politik der Regierung in Deutschland über den Willen der Bevölkerung hinweg setzt. Beschämend welche Opfer die Deutschen in AFG erbringen und man in der Regierung von einem Scheitern weiß! Beschämend ist wie man mit der Bw umgeht und die Truppe im Heimatland zusammenhaut während sie im Einsatz ist! Beschämend ist, dass ein Teil des Einsatzes von der Substanz der Bw zährt und das seit fast 11 Jahren! Beschämend ist, dass die militärische Führung im Moment bei der Reform den Überblick verloren hat und weiß, dass die Realisierung unter den gesetzten Bedingungen nicht möglich ist. Beschämend ist, dass die Bw auf einen Konflikt wie er in AFG zugeschnitten wird und wir schon jetzt überfordert sind.
@ JR
Da kann man nur Zustimmen. Zudem bedeuten ja viele kleine Projekte auch Gefahren, man muss viel fahren, sich auf viele Leute einlassen.
Ich glaube, was wirklich fehlt, ist der Wille, eine richtige Besatzungsmacht zu sein. Die sich selbst als staatstragendes Gebilde versteht, Strukturen schafft, Sicherheit generiert und sich eben für alles verantwortlich fühlt. Die versucht, ein Stück Deutschland nach afghanischen Maßstäben zu implementieren. Und dann nach und nach die Zügel wieder aus der Hand gibt. Da braucht es auch nicht irgendwelche Pseudowahlen, sondern anpackende und vertrauliche Partner. Und wenn die nicht spuren, gibts eben neue.
@Roman
„Am deutschen Wesen mag die Welt genesen“
Als Kolonie (von lateinisch colere, d. h. ursprünglich ‚bebauen‘ im Sinn von ‚Land bestellen‘) bezeichnet man in der Neuzeit ein auswärtiges abhängiges Gebiet eines Staates ohne eigene politische und wirtschaftliche Macht. (Wiki)
Ob das klappt? In Russland hat es funktioniert, im „Römischen Reich“, in den USA, in China uvm! Aber Deutschland/Europa? Vielleicht wäre es besser wenn wir erst unsere eigenen Probleme lösen und u.a. für einen glaubhaften Schutz des NATO-Gebietes sorgen! Im Moment scheint Europa nur durch Atomwaffen gesichert zu sein, alle anderen Fähigkeiten werden ja unkoordiniert zertrümmert!
@turan saheb:
„Aber selbst beim noch teureren Bundeswehreinsatz ist es ja nicht anders – die Politik beschließt, wir müssten da hin und uns mit Militär beteiligen. Und Sicherheit würde ja irgendwie in das Portfolio der Bundeswehr fallen. Also fliegt – anstelle einer sorgfältigen Prüfung, wie “Präsenz der BW” zu “Sicherheit für Afghanistan” führen würde – die Bundeswehr nach Afghanistan und tut, was sie vom Balkan gelernt hat. “
Die Bundeswehr ist in Afghanistan teil des vernetzten Ansatzes, soll heißen nur ein Puzzleteil im Einklang von BMI, BMZ, BMF und Bundeswehr. Letzten endes können erstere in einer solchen Umgebung nur wirklich arbeiten, wenn ein Grundmaß an Sicherheit gewährleistet wird. Sie wollen beispielsweise nicht wissen, welchen Bedrohungsszenarien die Koonnen des World Food Programme 2009 ausgesetzt waren. Soll heissen das Militär ist prinzipiell nur da um ein sicherers Umfeld zu schaffen – die eigentliche Aufbauarbeit ist sogesehen auch nicht unbedingt Aufgabe der Bundeswehr. Daher kann ich ihre diesbezügliche Kritik auch nicht ganz nachvollziehen. Warum macht man die Kritik am Deutschen Engagement in AFG denn imemr an der Bundeswehr fest, wenn doch mindestens drei andere Ressorts da eine durchaus tragende Rolle haben?
Ich denke dieses Problem laesst sich nicht auf den deutschen Stabilisierung/Entwicklungsunterstuetzungsansatz verkuerzen.
Genau wie bei der Stabilisierungsoperation, genannt ISAF, der comrehensive approach on the ground nur Makulatur ist, so ist das auch im Bereich nation building. Jeder macht, was er will, alle machen mit und so steht man sich ab und zu selber im Wege oder gegenseitig auf den Fuessen.
Deswegen sagt sich wohl der einfache Afghane so langsam “ with friends like ISAF we don’t need the Taliban“
@ Kerveros
mir gings auch eigentlich nicht um Kritik an der Bundeswehr – ich wollte nur die Kritik an der EZ in den Kontext des Gesamtengagements stellen. Und da hat die Bundeswehr (angesichts des Aufwands an Geld, Männern und Material) nunmal die prominenteste Rolle. Aufbauarbeit erwarte ich ja gar nicht von der BW, aber mir ist nach mehreren ISAF-Einsätzen (außerhalb des Zauns) und jetzt mehreren Jahren als Zivilist in Afghanistan immernoch nicht klar, wie die Bundeswehr denn das von ihnen angesprochene „sichere Umfeld“ schaffen will. Klar, die Feldlager sind innendrin sicher. Aber ich wohne in Mazar in der Stadt, da schafft nicht die Bundeswehr die Sicherheit, die ich brauche. Und ich fahre viel in der Gegen rum, auch da schafft nicht die Bundeswehr die Sicherheit die ich dafür brauche. Für meine Arbeit ist die Präsenz oder Nicht-Präsenz der BW eigentlich egal – positiv an ISAF sind die Essensgelegenheit im Camp Marmal, die Feldpost sowie die Sportgelegenheiten bei den Norwegern. Negativ ist, dass ISAF gelegentlich mal die Stimmung im Land negativ anheizt und man gelegentlich im Stau steht, weil ein (meist amerikanischer) Konvoi nicht überholen lässt. Ansonsten ist ISAF außerhalb der Feldlager eigentlich ziemlich irrelevant. Und dass die Kolonnen des WFP wieder etwas sicherer fahren können (ich will das nicht nur wissen, wie sie schreiben, sondern meine mich damit ein bisschen auszukennen, wie gesagt, ich lebe hier), haben sie Leuten wie Atta, Sayedkheil und Daoud zu verdanken, und nicht ISAF. Deshalb sagen ja auch die meisten zivilen Organisationen zurecht, wir waren vor ISAF da und werden noch da sein wenn ISAF wieder weg ist. Wir fahren sogar in Gegenden (in Balkh etwa die Alborz-Berge) wo ISAF sich nicht hintraut. Das ist auch kein Vorwurf, sondern eine Feststellung: es gibt eben gerade bei der BW keine übergeordnete Strategie, wie man angesichts der Problematik (Aufstandsbewegung) für Sicherheit sorgen sollte. Man ist halt da. Die EZ macht im Grunde genommen dasselbe – man ist halt da und gibt Geld aus und produziert Erfolgsmeldungen.
@ J.R.
ich bin spannenderweise mittlerweile ein großer Verfechter der von ihnen abgelehnten Großprojekte. Die sind meiner Meinung nach noch das einzige was überhaupt Sinn macht. Mir ist dagegen nicht klar, wie man im ländlichen Bereich „mit wenig Geld viel bewegen“ können soll. Vielleicht können sie das ein bisschen detaillierter ausführen?
@turan saheb:
Da liegt doch bereits der Grundfehler im Verständnis der Aufgabe der Bundeswehr. Die Rolle der Bundeswehr und ihre Mittel wird durch die Politik vorgegeben. Die Bundeswehr macht doch nicht einen Lösungsvorschlag, den die Politik dann annimmt, eher läuft das anders herum.
Insofern die die Bundeswehr schlichtweg für diese Kritik die falsche Adresse – richtiger ist das Parlament/die Bundesregierung.
Der definierte Auftrag von ISAF ist nunmal, die afghanischen Sicherheitskräfte zu unterstützen (Security Assistance Force).
Was das WFP angeht: können sie schlicht und ergreifend nicht wissen. Ich kann das mit Ihnen gerne einmal ausdiskutieren, es gehört aber nicht hierher.
Was die entlegenden Gegenden angeht: wieder ein völlig anderer Punkt. Sie haben Rrecht, dass NGOs oft dorthin gelangen, wo ISAF nicht hinfährt… dann aber auch wieder die falsche Baustelle: (a) nicht die BW, sondern ISAF, (b) Priorisierung der Kräfte gem. Com ISAF – gerade der Norden, gerade die von Ihnen beschriebenen Gegenden haben keine sehr hohe Priorität und damit auch ein entsprechendes Defizit an Kräften. Das man nur mit dem arbeiten kann, was man hat, ist kein Mangel an Planung sondern eben der übergeordneten Strategie – und die kommt – eben nicht von der Bundeswehr.
Es geht mir also nicht darum ihre Kritikpunkte wegzudiskutieren, sondern sie auf die richtige Adresse auszurichten.
@ Kerveros
kein grundlegender Widerspruch. Ich will ja eigentlich gar nicht die Bundeswehr kritisieren sondern habe den Militäreinsatz als Beispiel für die allgemeine Strategielosigkeit genommen. Man macht etwas um es zu machen, nicht weil man ein Ziel erreichen will und sich wirklich Gedanken gemacht hat, wie das, was man macht, dazu beiträgt. Dennoch kann man natürlich genau da auch ansetzen um durchaus auch die Bundeswehr zu kritisieren: Rolle – ich würde eher sagen „Ziele“ – und Mittel werden von der Politik vorgegeben, richtig, aber dann wäre es schon nicht schlecht, wenn die Bundeswehr mit einer Idee aus der Kurve kommt, wie (Strategie) man jetzt die Mittel einsetzt um diese Ziele unter Einhaltung der politischen Vorgaben zu erreichen. Das hätte in Afghanistan gehießen: wie verhalte ich mich als ausländische Armee gegenüber einer anwachsenden Aufstandsbewegung rund um meine Lager? Die unausgesprochene Grundidee von 2001/02, dass man durch die bloße Präsenz die bösen, bösen „Warlords“ in Schach hält hätte sich ja spätestens erledigt haben müssen, als die Aufständischen immer stärker wurden und die „Warlords“ für alle ersichtlich als Bedrohung Nr. 1 abgelöst hatten. Natürlich hätte da was aus der Politik kommen können, das wäre schon schön gewesen – aber es ist auch nicht unüblich, das militärischer Sachverstand die Politik auf bestimmte strategische Probleme aufmerksam macht und dann Lösungsvorschläge unterbreitet. Aus verschiedenen Gründen ist das in Afghanistan nicht geschehen – und, klar, das hätte in der deutschen Politik auch niemand akzeptiert und im besten Fall hätten sich die, deren Stimme aufgrund der gehobenen Position in Berlin überhaupt gehört worden wäre, böse die Karriere ruinieren können. Ich will auch gar nicht in diesem thread das bodenlose Fass aufmachen und das ausdiskutieren. Sollten sie mal irgendwo in Nordafghanistan sein, sagen sie Bescheid – dann können wir das gerne nachholen. Ich bin räumlich flexibel.
@ Turan Saheb
ich bin spannenderweise mittlerweile ein großer Verfechter der von ihnen abgelehnten Großprojekte. Die sind meiner Meinung nach noch das einzige was überhaupt Sinn macht. Mir ist dagegen nicht klar, wie man im ländlichen Bereich “mit wenig Geld viel bewegen” können soll. Vielleicht können sie das ein bisschen detaillierter ausführen?
Ich habe den Eindruck, dass gerade die Ineffizienz der afghanischen Landwirtschaft auch gerade auf fehlende Mittel zurückzuführen ist.
Nach 30 Jahren Krieg scheinen etwa viele Bewässerungssysteme stark ausbesserungsbedürftig, und in Nord-Afghanistan dürften die Dürre von 2008 und die Überschwemmungen von 2009 weitere Ersparnisse aufgebraucht haben. Dazu kommt, dass die Preise in den Städten steigen, ohne dass die Einkommen auf dem Land damit Schritt halten.
Das alles erschwert es den Menschen auf dem Land, in bessere/wirtschaftlichere Anbaumethoden zu investieren. Tatsächlich scheint es mancherorts Probleme zu geben, überhaupt genug Mittel aufzubringen, um die bestehenden Felder weiter bewirtschaften zu können.
In diesem Bereich ließe sich mit Mikro-Krediten oder Darlehen einiges erreichen, und auch mit Projekten auf Dorf-Ebene (gerade hinsichtlich der Wasserversorgung).
Das setzt halt eine gewisse Präsenz vor Ort voraus – nicht zuletzt weil es meist um die Menschen ohne Lobby und Einfluss geht.
Gerade was erfolgreiche Gemeinschaftsprojekte angeht wird immer wieder auf das National Solidarity Program verwiesen (etwa im Christian Science Monitor). Das wäre auch imho das einzige Beispiel, das versucht die auf dieser lokalen Ebene nachweislich möglichen Erfolge flächendeckend umzusetzen.
Auch eine Ebene drüber ließe sich mit wenig Geld viel erreichen, etwa mit landwirtschaftlichen Genossenschaften oder Schulen für Landwirtschaft. In dreißig Jahren Krieg ist da einiges an Know-How, aber auch Zusammenarbeit, flöten gegangen. Probleme wie Versalzung sind nicht naturgegeben, sondern meist Folge falschen bewirtschaftens.
Nur sowas läßt sich eine solche gesellschaftliche Infrastruktur halt „nicht mal eben“ einrichten, erst recht wenn sie anfängliche Kinderkrankheiten überstehen soll. Es ist ja auch nicht so, als ob die GTZ da nichts getan hätte (diesmal mit funktionierendem Link) – aber halt im Vergleich zur Landesgröße sehr wenig und nicht flächendeckend.
Das waren jetzt nur die naheliegendsten Beispiele.
Ein anderes großes Problem in Afghanistan scheint das Katasterwesen. Landstreitgkeiten sind eine häufige Ursache von Konflikten, der Zustand der Katasterämter ist schlecht, und bei unklaren Besitverhältnissen kommt es immer wieder vor dass sich Leute in der Regierung Land unter den Nagel reißen (siehe etwa den Bericht hier). Gerade im Raum Kunduz wird die Situation durch Ansprüche von Heimkehrern und Flüchtlingen zusätzlich verkompliziert.
Hier könnte Deutschland wirklich was tun. Das deutsche Katasterwesen ist eins der besten weltweit, und dank Datenbanken, Luftbildern und GPS ist die Arbeit in den letzten 20 Jahren deutlich einfacher geworden. (Nicht unähnlich den Auswirkungen von Handys für die Telekommunikation.)
Das wäre eine Arbeit, die langfristig enorm viel zu Stabilität im Land beitragen würde. Aber es wäre ein langjähriges Projekt, das eine enge deutsch-afghanische Zusammenarbeit in den Behörden voraussetzen würde. Und das macht es unsexy.
Und um diese Wunschvorstellung nochmal mit der Realität abzugleichen: Der ganze teure Tornado-Einsatz hat meines Wissens nicht eine einzige zivile Karte hervorgebracht. Aber schöne BW-Pressefotos. Soviel dazu.
@ J.R.
Danke auf jeden Fall für den Input. Ich sehe es wie gesagt etwas anders. Um mit den Katasterämtern anzufangen, liegt das Problem für mich ganz wo anders – es gibt einfach keine entsprechende Tradition, wie in Deutschland, alles einzutragen und dann dem einmal Registrierten großen Wert zuzusprechen. Und jetzt ist es schon eine hochpolitische Sache geworden. Faktisch gibt es z.T. Besitzurkunden über dasselbe Stück Land aus der Königszeit, von Daoud, dann wurde es durch die kommunistische Landreform (die später teilweise rückgängig gemacht wurde, was allerdings nicht ordentlich dokumentiert wurde) mehrfach umverteilt, ggf. unter den Mujahidin wieder jemandem anderen zugesprochen, dann mit großer Wahrscheinlichkeit unter den Taliban und später – ggf. wieder mehrfach – unter Karzai nochmal umgeschrieben. Und die Wurzel der Konflikte reicht dann noch mehrere Generationen zurück, in die Zeit als unter Abdurrahman Khan die nordafghanischen Usbeken enteignet und das Land Paschtunen aus dem Süden zugesprochen wurde (die jetzt aber auch schon seit mehreren Generationen dort leben). Dann kommen noch die Streitigkeiten zwischen Nomaden und Sesshaften dazu, die wieder eine eigene Regeleung benötigen. Da braucht man nicht nur das formale Wissen, wie man ein Katasterbuch führt, sonst könnten wir dort gerne helfen. Die Streitigkeiten jedoch (zum X-ten Mal) „endgültig“ beenden zu wollen, würde meiner Meinung nach nicht im Ansatz gelingen und im Zweifelsfall würde man nur zum Feigenblatt derjenigen, die gerade die Macht haben diesmal das Land umzuverteilen. Zusammenarbeit mit Behörden findet ja durchaus statt und ist gar nicht so unsexy – man hat geregelte Arbeitszeiten und ist nicht in gefährlichen Gebieten unterwegs und kann zur abendlichen Party beim IKRK oder im L’Atmo (in Kabul) oder dem Oak (in Mazar sein). Aber die Wurzel der Landkonflikte anzugehen halte ich gerade für einen auswärtigen Akteur für unmöglich.
Die Dorfebene wird wie sie geschrieben haben durchaus, aber in sehr unterschiedlicher Abdeckung von vielen NGOs, zT im Rahmen des NSP angegangen. Leider sind die Probleme, die dadurch gerade erst entstehen, enorm. Es fängt an, dass die gewählten NSP-Räte in der Praxis von wenigen Eliten dominiert werden, die dafür sorgen, dass idR ihre Partikularinteressen vorangetrieben werden. Mikrokredite, wie sie jetzt schon viele Hilfsorganisationen (AKF oder BRAC, zB) werden jetzt schon selten für langfristige Projekte eingesetzt, sondern mehr für kurzfristige Aufwendungen. Wenn man den Markt mit noch mehr Geld fluten würde, würde man wohl mehr Chaos als Gutes anrichten. Und selbst die Aushängeschilder jeder Hilfsorganisation – Work for Cash bzw. Work for Food (zB an Bewässerungskanälen) – haben gleich zwei negative, fast ständig zu beobachtende Reperkussionen: zum einen wird die Gemeinschaftsinfrastruktur ja normalerweise durch Gemeinschaftsarbeit in Schuss gehalten, was die letzten Jahrhunderte über mal besser und mal schlechter funktioniert hat. Das bricht gerade zusammen, weil diejenigen, die das noch machen nichts dafür bekommen, während diejenigen, die warten bis sie eine Hilfsorganisation finden, die sie dafür bezahlt, zusätzliche leichtverdiente Ressourcen bekommen. Zum anderen hat nunmal jeder externe Eingriff ungewollte Folgen – etwa, wenn wir einen Bewässerungskanal ausweiten zieht er mehr Wasser; die Gesamtmenge an verfügbarem Wasser wird aber nicht erhöht. Ergo bekommen die Anrainer der anderen Kanäle jetzt weniger Wasser. Dazu kommt das Grundproblem des internationalen Engagements – wir lassen uns regelmäßig über den Tisch ziehen, weil wir die gesamten Hintergründe (Wasserrecht, welche Familie liegt mit welcher im Konflikt, welches Dorf mit welchem anderen usw.) erst nach ein paar Jahren ununterbrochener Präsenz vor Ort verstehen würden (und dann auch nur für wenige Dörfer). Und so lange ist ja selten jemand da, geschweige denn, dass er dann erst anfängt zu arbeiten. Und da nach über dreißig Jahren Krieg und Zerstörung die meisten Afghanen gelernt haben, zu nehmen was sie kriegen können (inklusive der englischsprachigen Eliten, die für uns arbeiten bzw. uns lenken und steuern, wo sie können) werden wir ständig manipuliert, für die eine oder andere Konfliktpartei eingespannt und das meiste Geld landet doch auf dem Konto, mit dem die ohnehin schon Wohlhabenden den Umzug nach Dubai vorbereiten.
Sprich, würde man flächendeckend in den Dörfern arbeiten wollen, bräuchte man ein Heer von sprachkundigen (weil ausnahmslos jeder Sprachmittler einen manipuliert bzw. alleine durch seinen Hintergrund ausstrahlt, welche Seite man bevorzugt), mit dem Afghanistankonflikt in allen seinen Facetten intim vertrauten und fachlich erfahrenen Helfern. Davon gibt es, wenn überhaupt, aber maximal ein paar Dutzend und die machen es selten länger als ein paar Jahre. Somit kann man dann aber wieder nur kosmetisch in dem einen oder andren Distrikt überhaupt was machen.
Zusammenfassend, es gibt mMn strukturelle Gründe, warum ausländische EZ das, was sie sich wünschen, gar nicht leisten kann. Das wäre ein bisschen so, als würde man erwarten dass die luxemburgische Armee Afghanistan befriedet. Meistens wird meiner Erfahrung nach durch die unbeabsichtigten Nebenwirkungen mindestens genauso viel Schlechtes wie Gutes angerichtet. Die Grundprobleme des ländlichen Afghanistans sind ohnehin fix: zuviele Menschen leben auf zuwenig Raum mit (in den meisten Jahren) zuwenig Wasser. Das ganze gepaart mit einer Gesellschaft, die kriegsbedingt (und völlig zurecht) äußerst kurzfristig denkt und plant und in Myriaden von internen, zT generationenalten Konflikten verstrickt ist. Und dann noch eine ziemlich effektive Aufstandsbewegung gegen eine von vielen als auswärtige Besatzung durch „Ungläubige“ empfundene Militärpräsenz, die den ausländischen „Helfern“ mindestens misstrauisch gegenüber steht.
Da gibt es wenig, was „wir“ dagegen tun können. Und die Leuchtturmprojekte, die dann wenigstens sorgfältig geplant und überwacht werden können, gehören für mich noch zu dem Wenigen.
Bei allem Respekt vor den Kennern der Verhältnisse vor Ort: Für den wirtschaftlichen Aufbau vor Ort braucht man gar nicht soviele große oder kleine Projekte und deren Finanzierung. Es würde völlig reichen, wenn man den asiatischen (und afrikanischen!!!) Bauern endlich die europäischen (und nordamerikanischen) Märkte öffnet. Was da von „uns“ an Entwicklungshilfe gezahlt wird, ist in meinen Augen kaum mehr als ein Lösegeld, mit dem sich EU-Europa davor drückt, endlich seinen Agrarsektor gründlich zu reformieren.
Bewässerungssysteme reparieren, effzientere Methoden . . . dazu braucht es nicht soviel. (Die afrikanischen oder asiatischen Bauern sind nicht dümmer als unsere, sie leben und arbeiten nur in anderen Verhältnissen. Und die kennen sie besser als wir). Da fehlt höchstens das Know-How für ein paar Genossenschaften, die die Vermarktung jenseits des traditionellen Rahmens ausrichten und die Finanzierung und Betrieb komplexerer Anlagen sicherstellen. Der Rest wächst dann in paar Jahren von allein. Wer das nicht glaubt, muss sich nur ansehen, wie schnell sich die Blumenproduktion im Rift Valley für den europäischen Markt professionalisiert hat. Die stehen heute den europäischen Produzenten in nichts nach (natürlich auch nicht im Negativen). Und das alles nur, weil Europa halt nicht genug Rosen für den Valentinstag zusammen bekommt. Dafür hat man dann in diesen Eisernen Vorhang der EU einen kleinen Spalt für die Afrikaner gemacht . . . und schon läuft der Laden. Wenn man aus diesem Spalt ein Scheunentor macht, könnten wir uns viele Diskussionen sparen.
Warum sollten wir deren Bauern unsere Märkte öffnen? Es kann nicht mal ansatzweise nachhaltig sein, Lebensmitteln quer um die halbe Welt zu karren und für ein paar Cent mehr zu verkaufen. Zumal die lokalen Bestimmungen und Auflagen für Umweltschutz und gegen Bodendegration eh nicht eingehalten werden und dann die Leute vor Ort wieder Hungern werden. Man kann dies schön am Anbau von Kaffee und Zuckerrohr für die Ethanolproduktion beobachten.
@ turan saheb | 05. März 2012 – 19:25 – –
Danke für die höchst nachdenkenswerten Worte und die Geschliffenheit Ihrer Ausführungen. Es hat mir großen Spaß bereitet Sie in Ihren Ausführungen zu lesen. Ich möchte etwas Wasser in Ihren Wein der intellektuellen Ausführung gießen, ohne dass es bitte persönlich zu nehmen ist, und zwar lediglich in einem kleinen Themenbereich.
Der folgende Post steht unter dem Gedanken, dass Einmischung von AUßen legitim sei-bitte als reine Abstraktion nehmen, nicht bzgl. AFG direkt, diese Diskussion ist eine andere, die ich hier nicht führen möchte.
1. Nicht nur die „alte Entwicklungspolitik“ an sich ist gescheitert, sondern mit ihr die Protagonisten. Nun ist ein „Militärübergangsrat“ zur zeitnahen Organisation der Staatsgeschäfte in DEU/ JP/ ITA nach 45 erfolgreich gewesen, im IRAK nach dem GK III und anderswo eher nicht.
Das heißt, ich will es weniger auf das Militär fixieren, wohl aber auf „Straffheit“ der Organisation.
Ich meine, man hat es 2001 schlichtweg unterschätzt, dass viel zu wenig Zeit für einen viel zu massiven Umbau zur Verfügung steht, die finanziellen/ materiellen und personellen Ressourcen zwar da waren, aber allen voran die UNO mit ihren Unterorganisationen auf ganzer Linie gescheitert ist.
Lessons learned für mich: Wie nach Somalia, als man auf U.S.-Druck dazu überging UN-Mandate (auch) auf Bündnisse zu verteilen (siehe Post-Jugoslawien Konflikte) so ist auch im Bereich der Entwicklungshilfe EIN Player zu modellieren und diesem die ganze Chose zu unterstellen-flache Hierachien, ineffektive Dienstaufsicht, die man auch Kontrolle nennen kann, solle man umbauen hin zu straffen Organisationen, die den „missing link“ zu Sicherheit herstellen können.
Zur Illustration dient Haiti genauso wie Dadaab http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2011-07/Duerre-Somalia-Kenia
BTW: Schon der KFOR-Einsatz wurde seitens des seinerzeitigen SPD-IBuK mit Verhindern von destabilisierenden Migrationsströmen. Und ich kann nur mahnend schreiben: große afghanische Migrationsströme in die Richtung ZAR und entweder wir erleben eine humanitäre Katastrophe bei den Migranten oder in 20 Jahren in den ZAR Staaten nebst Russland.
2. Mir kommt folglich bei Ihnen die Kritik an den Hilfsorganisationen und Entwicklungshilfeorganisationen etwas zu kurz. Mag sein, dass man den Tornado „spazieren flog“, was ich bezweifle aber diesen Zweifel nicht belegen kann und auch gar nicht will an dieser Stelle, aber so gilt festzuhalten, dass viele der zivilen afghanischen Partner im mindestens genau so „spazieren fuhren“ legt man Ressourceninput und Effekt als Maßstab an.
3. Ich bin der Meinung, dass man Entwicklungshilfe und Militär, wie andere Instrumente auch, verknüpfen muss. Unterm Strich haben Montesquieu, Kant, Ahrendt, Weber, usw. eben doch Recht: ein Staat bzw. hier besser: Staatlichkeit muss effektiv, kontrollierbar, transparent sein und Bedürfnisbvefriedigung sicherstellen. Auch wenn wir in AFG noch weit von einer Demokratiedebatte sind, so bedingt die Hobbes`sche Grundfunktionalität-der Staat solle seine Bürger schützen-zwar entweder Machiavellis Fürsten oder Demokratie (m den Bogen einmal zu spannen, verkürzt ganz klar), so darf aber doch diese Grundfunktionalität als eben eine Grundvoraussetzung angesehen werden, um alles weitere zu ermöglichen.
4. Um diese Grundvoraussetzung zu ermöglichen muss man bereit sein in einer Phase die Gründe zu beseitigen, die der Durchsetzung entgegenstehen. Anschließend kann man konstatieren, dass sich auf einem freien Feld in politischer Hinsicht ein stabileres Haus bauen lässt, als auf den Ruinen. Ich meine dies empirisch so äußern zu können-weise aber darauf hin, dass ein Hinwegfegen der politischen Strukturen nicht gleichgesetzt wird mit Hinwegfegen der Kultur, usw.
Dennoch bleibt zu konstatieren für mich: Ein klares Ziel gab es nicht vor dem AFG-Einsatz. Also hat man keines verfehlt, diesbezüglich. Die Romantisierungen a la „Demokratie, Frauenrechte, Brunnen bohren, usw.“ sind erst in den Jahren 02-05 dazu gekommen. Diese Ziele wurden verfehlt: ja. Doch das mussten sie, denn die, die sie formulierten, waren nicht bereit und/ oder fähig ihre Ressourcen adäquat einzubringen und zu verwenden.
Für mich steht unterm Strich: Das Militär ist nicht gescheitert. Die Bundeswehr also ebenfalls nicht, und sie sollte sich dies auch von niemanden einreden lassen-schon gar nicht von denen, die die Ziele „Demokratie, Frauenrechte, Brunnen bohren, usw.“ formulierten und sie dann eiskalt politisch und steuerungstechnisch im Stich ließen.
Die Bw wird eines Tages evtl. auf den Gedanken verweisen, den ich bereits einmal äußerte-nicht weil der Gedanke oder ich so toll wären- 10+x Jahre ISAF haben den ZAR die Möglichkeit gegeben ihr Grenzregime zu AFG zu stabislieren und einen Einfall in die Südflanke Russlands zu minimieren. Und das werte Kritiker, war evtl. nicht das Primärziel und auch nicht das Sekundärziel, werden wir aber trotz dem unseren Enkeln einmal genauso dankbar und stolz erzählen wie Schröders Verzicht auf die Tln am GK III.