Kurzer Blick zurück: Standortschließungen und anderes
Nach zwei Wochen, in denen ich mich aus dem aktuellen Geschehen – weitgehend – ausgeklinkt habe, ein kurzer Blick zurück: So schrecklich viel ist in der Verteidigungspolitik aus deutscher Sicht anscheinend nicht passiert. Die kurzfristige Annahme, Verteidigungsminister Thomas de Maizière könne doch als Bundespräsident Nachfolger des zurückgetretenen Christian Wulff werden, wurde vom Minister selbst sehr schnell beendet. Es gab den Anstoß de Maizières zu einer interessanten neuen Debatte um den Begriff Veteranen und ihre Würdigung (darüber wird in den nächsten Monaten bestimmt noch zu reden sein); es gab eine merkwürdige und beunruhigende Entwicklung bei der Bekämpfung der Piraterie am Horn von Afrika (dazu ein gesonderter Eintrag), und es gab zwei symbolträchtige Standortschließlungen (bzw. Ankündigungen) – in Deutschland und in Afghanistan.
Zunächst zur Standortschließung Afghanistan: Das der deutsche Standort in Taloqan in der Provinz Takhar, zunächst ein safe house und später ein Provincial Advisory Team, als erste Bundeswehr-Liegenschaft am Hindukusch dichtgemacht würde, war schon länger klar. Interessant ist aber, wie es der Kollege Uli Gack vom ZDF heute sehr schön zeigte, was der Grund für die Schließung von Taloqan war: weniger die Sicherheitslage in Afghanistan. Mehr die Zusage, Truppen zu reduzieren und abzuziehen. Mit anderen Worten: Die deutsche Innenpolitik. Die vermutlich auch die weiteren Entscheidungen über das deutsche Engagement bestimmen wird.
(Danke für den Videoclip an die Bloggerkollegen von Soldatenglück)
Und das im Gegensatz zu einer, sagen wir, nicht so ganz erfolgreichen Entwicklung im Land. Die Details werden in nächster Zeit wieder an Bedeutung gewinnen, hier nur der Hinweis auf eine trübe Einschätzung der US-Geheimdienste: U.S. intelligence officials offer grim words on Afghanistan
In Deutschland gab das Verteidigungsministerium die Standorte bekannt, die noch in diesem und im kommenden Jahr geschlossen werden – nur ein geringer Teil der ingesamt geplanten Standortschließungen. Auffällig dabei ist der Verzicht auf die Ermekeil-Kaserne in Bonn: Die gilt immerhin als die Geburtsstätte der Bundeswehr. Nach der angekündigten Schließung der Stauffenberg-Kaserne in Sigmaringen macht de Maizière damit einen weiteren traditionsbeladenen Standort zu. Es wird interessant sein, zu beobachten, wie die öffentliche Stimmung (auch in der Truppe) in den nächsten Monaten auf den Minister reagiert – natürlich auch bei der weiteren Umsetzung des – auf Druck des Finanzministeriums – abgespeckten Reformbegleitgesetzes.
Und an anderen Brennpunkten? Im Norden des Kosovo haben die Serben erwartungsgemäß in einem Referendum die albanisch dominierte Regierung in Pristina abgelehnt; die internationale KFOR-Truppe räumt weiterhin Straßenblockaden. Nichts von einer Bedeutung, die in Deutschland groß wahrgenommen würde. (Nachtrag: Der Bendler-Blog hat dazu was über einen Vortrag des ehemaligen ComKFOR Erhard Bühler.)
Auch die anderen Konflikte schwelen (wenn das der richtige Ausdruck ist…) weiter: der an Gewalt zunehmende Bürgerkrieg in Syrien, bei dem westliche Aktionen nicht absehbar sind, ebenso wie das Säbelrasseln Irans und des Westens. Genug, um einen die nächste Zeit zu beschäftigen.
Hab‘ ich was vergessen? Bestimmt. Zum Beispiel diverse Randereignisse der Reise de Maizières nach Nordamerika, wie das Bundesverdienstkreuz für Ex-ISAF-Kommandeur David Petraeus oder die (dann offensichtlich umstrittene) Vereinbarung mit den Kanadiern, den Flughafen Köln/Bonn als logistische Drehscheibe zu nutzen. Und auch noch anderes. Aber in nächster Zeit muss ich ja auch noch Themen haben.
Schöne Zusammenfassung! Und willkommen zurück!
Die Kanadier nutzen jetzt den US Flughafen Spangdahlem. Nach der nächsten Welle der US Standortschließungen ziehen die Amis dort sicher die Transporteinheiten ab. Allein was bis Oktober angekündigt wurde, ist schon einiges. Den Amis ist das Stationieren mit Familien zu teuer, daher schicken die wohl kaum neue Soldaten. Die anderen US Kasernen werden auch ordentlich Züge abbauen.
@TW: BLÖD meldet, dass das größte in D gebaute U-Boot seit heute in Kiel zu sehen ist. Die Möglichkeit, damit Atomraketen (richtigerweise jegliche Art von FK) verschießen zu können, ist kaum eine neue Information.
http://bit.ly/yBaSxk
Im Übrigen finde ich die geplante massive Aufrüstung der Russen zumindest erwähnenswert. 580 Milliarden Euro nur aufgrund des geplanten Raketenschirms? Oder doch eher als Wahlkampfmanöver? Aufrüstung für oder gegen Iran? Syrien? China?
http://www.tagesschau.de/ausland/russland584.html
Die Frage könnte auch lauten: Wo wollen die Russen das Geld ausgeben. Nicht nur einmal wurde die Leistungsfähigkeit der heimischen Wehrindustrie bemängelt. Derzeit wird die Flotte im Kaspischen Meer verstärkt, also direkt zum Iran hin. Zumal ja nicht wenige SiPo befürchten, das es in Aserbaischan ein Trittbrettfahrerkrieg geben könnte. Und da haben die Russen ja auch wieder ihre Truppen direkt vor Ort. Dennoch, bei den Ausrüstungs und insbesondere Standortdefiziten müssen schon gewaltige Summen investiert werden, zumal man ja die Form der Wehrorganisation nochmal überdacht werden sollte.
@ TomTom | 20. Februar 2012 – 20:00 […]Im Übrigen finde ich die geplante massive Aufrüstung der Russen zumindest erwähnenswert.[…]
Das ist er ganz sicher. Damit gedenkt die Russische Föderation natürlich ihre Streitkräfte zu modernisieren. Und hier versucht man z.B. Anschluss an das Drohnenzeitalter zu bekommen, mehr Technologie in die Breite zu bekommen und weiterhin den einzig bzgl. Exportfähigkeit nennenswerten Fertigungszweig der russischen Industrie -die Rüstungsindustrie- state of the art zu halten.
Dazu muss man nun dem demographischen Faktor mehr denn je Rechnung tragen (Stichwort: Attraktivität, auch in Russland ein Rekrutierungs-Problem mittlerweile), dazu muss man erkennen, dass die Frauen/ Männer im wehrfähigen Alter umfangreichere Ausbildungen (Stichwort: Modernisierungen) benötigen als bisher, ist es ja mit der Einführung eines moderneren Waffensystems nicht getan.
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Etwas Trivia am Rande: Die „Planung“ die belarussischen und russischen SK weiter zusammen zu verzahnen, ja gar zu fusionieren, stößt in Russland auf geteiltes Echo:
Contraargument-man möchte Lukaschenko nicht im Bereich der russischen Militär-, geschweige denn im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik mitspielen lassen.
Pro-Argument: die belarussischen Soldaten hatten in den ehemaligen sowjetischen Streitkräften einen sehr guten Ruf, galten als gut ausgebildet und leistungsstark-dazu nähme es etwas den demographischen Druck, der es immer schwieriger macht (neben den Problemen AIDS, Drogen-Alkoholmißbrauch ist da dabei-, Krebserkrankungen als Folge von Umweltverschmutzung) geeigneten Nachwuchs für die gestiegenen technologischen und intellektuellen Herausforderungen in den russischen Streitkräften zu gewinnen.
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Der ein oder andere Euro wird auch in die Verstärkung und Modernisierung von Auslandsbasen gesteckt, derzeitige erklärte Schwerpunkte:
Prio 1: Stärkung der zentralasiatischen Post-Sowjetstaaten für die Zeit nach dem Abzug der derzeitigen Streitkräfte aus Afghanistan-generell liegt hier derzeit der Schwerpunkt
Prio 2: Syrien
Prio 3: Belarus
Prio 4: Sonstiges (Ich fasse da diverse asiatische, afrikanische und venezulanische Flottenstützpunkte, deren Implementierung etwas ins Stocken gerieten, zusammen.)
[…]Oder doch eher als Wahlkampfmanöver? […]
Auch.
[…]Aufrüstung für oder gegen Iran? Syrien? China?[…]
Vom langjährigen sowjetischen AM Gromyko ist die Anekdote überliefert, dass er auf die Frage, warum die Sowjetunion als selbst erklärt friedensliebender Staat soviele Atomsprengköpfe habe, antwortete: Schauen Sie sich unsere Grenzen an: Im Osten die USA, dann China, der mittlere und nahe Osten, die Türkei und im Westen die NATO!
Ich möchte es einmal so ausdrücken: Spätestens seit dem 22. Juni 1941 um 4:15 Uhr ist man in Russland der Meinung auf alle Eventualitäten ausreichend vorbereitet sein zu müssen. Das bekommt man auch nicht so schnell aus den Köpfen.
Zu den Ländern: Es dürfte heuer klar geworden sein, was Syrien für Russland bedeutet.
Iran: Als Kunde nicht unbeliebt, sonst eher nachrangig in der Belibtheitsskala-auch aufgrund der persischen Einmischung in den seinerzeitigen tadschikischen Bürgerkrieg und dem bestätigten Verdacht der staatlichen Entsendung von Unruhestiftern in diverse russische Kriegsgebiete.
China: Natürlich hat man China auf dem Schirm. Wir werden auch an der weiteren Entwicklung der Shanghaier Organisation für Zusammmenarbeit sehen (Stichwort: Pakistan rein? Indien rein?-ja/ nein?) als was man China derzeit betrachtet…
Man sollte sich mal die Zukunftsaussichten der Deutschen Wehrindustrie ansehen. Beispiel des größten Etatempfängers EADS. Im Oktober wurde die Streckung der Beschaffung der EF oder Hellis bekanntgegeben. Viele alte Fliege, die auch bei EADS gewartet wurden, sollen still gelegt werden. Irgendwann dieses Jahres dürfte das umgesetzt werden. Deren Testdrohne Barracuda ist zum letzten mal 2010 geflogen. Da keine 2 Euro Hawk fest bestellt ist, gibt es dort auch bald nicht mehr viel zu tun. Schon Ende 2011 waren 1.000 Beschäftigte überflüssig. In 2012 muss EADS richtig Leute entlassen. Mit neuen tollen Produkten sieht es auch mau aus.
Der Bund steckt auch nicht mehr viel Geld in Entwicklung. Das meiste Geld fressen die aus der Kontrolle geratenen Europäischen Rüstungsvorhaben auf. Die hohen Exportzahlen kommen nur aus dem Verkauf von Militärschiffen zustande. Da laufen auch etliche Aufträge aus. Wenn es einige Zeit keine Folgeaufträge mehr gibt, brechen die Exportzahlen auch mächtig ein.
Noch ein Zusatz zum Blick zurück.
In der Leitung des BMVg scheint es immer mehr Verwirrung über die grundlegende Aurichtung der sog. Neuausrichtung der Bundeswehr zu geben.
Während der Minister und der GI das Prinzip Breite vor Tiefe propagieren (zu Lasten der Durchhaltefähigkeit), der PSts Schmidt gleichzeitig eine größere europäische Arbeitsteilung fordert (was Tiefe, statt Breite erfordern würde), stellt der Haushaltsstaatssekretär Wolf nun für die Beschaffungsplanung fest, „dass sich die Priorisierung an der Durchhaltefähigkeit (Tiefe) und nicht an der Breite der Fähigkeiten ausrichte.“
http://www.fueakbw.de/index.php?ShowParent=3934&show_lang=de
Fazit:
GI konzipiert eine Bw nach Breite vor Tiefe, Haushaltsstaatssekretär reallisiert aber eine Bw nach Tiefe vor Breite.
Da scheint es wohl Klärungsbedarf zu geben.
Wir.machen.das.mit.den.Fähnchen.
@T.W.:
Wann gibt es denn die Version des Blogs, bei der man Kommentare anderer Nutzer bewerten kann?
Ich würde gern Memoria +1 (o.ä.) geben. ;-)