Ausgeflogen.

Heute bin ich evakuiert worden. Aus einem, wenn auch fiktiven, Krisengebiet, aber von echten Soldaten. (Ehe die Sprachpuristen kommen: ich weiß, eigentlich werden nur Gebiete und Gebäude evakuiert, aber der andere Gebrauch hat sich so eingebürgert, dass ich ihn hier benutze.) Und wurde ausgeflogen, in Sicherheit.

Das Ganze war Teil der Evakuierungsübung Schneller Adler der Division Spezielle Operationen (DSO), die ich mir heute angeschaut habe und mich, erstmals, in die Reihe der zu Evakuierenden eingefügt habe. Vor meinen Beobachtungen und Impressionen kurz die Lage, wie die DSO sie schildert:

Ein Bürgerkrieg droht im fiktiven Land Atrea. Der Flugverkehr wurde eingestellt. Die Grenzen zum Nachbarland Sware wurden aufgrund der hohen Zahl an Flüchtlingen geschlossen. Mittendrin rund 450 deutsche Staatsbürger die aus eigener Kraft das Land nicht mehr verlassen können.

Ohne eine Möglichkeit den Unruhen zu entkommen, beabsichtigt die Bundesregierung in Deutschland, gegebenenfalls auch unter Einsatz militärischer Mittel, die Evakuierung der deutschen Staatsbürger in Atrea. Das Bundesministerium der Verteidigung wurde deshalb beauftragt, sich auf eine mögliche Militärische Evakuierungsoperation (MilEvakOp) vorzubereiten.

Darunter werden Operationen verstanden, bei denen deutsche Staatsbürger im Ausland, gegebenenfalls auch Bürger anderer Nationen, aus einer drohenden Lebensgefahr, zum Beispiel aus Krisen- und Bürgerkriegsgebieten, gerettet werden. Um die schnelle Durchführung einer Militärischen Evakuierungsoperation gewährleisten zu können, hat die Division Spezielle Operationen den Auftrag, hierfür ständig Kräfte mit einer Reaktionszeit zwischen 24 und 96 Stunden bereitzuhalten.

Also stand ich heute mittag, zusammen mit zwei Reporterkollegen aus dem Hessischen und einer Reihe von Rollenspielern, brav zur Evakuierung im Sammelpunkt Freizeitressort Havel an. Zwei Angehörige des Auswärtigen Amtes (auch sie Soldaten als Rollenspieler) organisierten das, und dann rollte ein Konvoi von Fallschirmjägern und Feldjägern auf den Hof, baute die Sicherung auf und machte sich an Registrierung, vorläufigen Sicherheitscheck zu Abtransport der deutschen Staatsbürger (und, als Bonustrack, einiger fiktiver Einheimischer), die das Land so schnell wie möglich unter dem Schutz der Bundeswehr verlassen wollten.

Beobachtet habe ich solche Übungen schon mehrfach, als zu Evakuierender ist mir einiges anders aufgefallen.

Die Anwesenheit von uns drei echten Zivilisten – nämlich den Reportern – veränderte die Spielsituation. Wir stehen nämlich nicht auf Anordnung so brav, in der linken Hand den Ausweis, die Rechte zur Sicherheit ausgestreckt und mit der Handfläche nach oben gedreht da wie die rollenspielenden Soldaten. Wir treten nicht so flugs und jawoll-mäßig einen Schritt zur Seite, wenn uns ein Oberfeldwebel der Feldjäger dazu auffordert. Mit anderen Worten: Wir sind ja kooperativ – aber wir sind nicht auf dieses Befehl-und-Gehorsam-Schema gedrillt wie die Soldaten.

Und das, behaupte ich, hat die Evakuierungseinheit ein bisschen verunsichert. Etwas war anders als sonst (und das haben mir hinterher auch profesionelle Beobachter in Uniform bestätigt). Dann allerdings müssen dringend mehr echte Zivilisten unter die Rollenspieler – das bringt die Friktion rein, die auch in einem realen Einsatz immer dabei ist. Denn da stehen dann wirklich Zivilisten, deren Nerven in dieser Krisensituation angespannt sind, die nicht so rasch auf Anweisungen reagieren, die mal nach links statt nach rechts treten. Und die unter Umständen dann anders reagieren, als es ein Feldwebel gewohnt ist.

(Übrigens, das mit den echten Zivilisten macht auch der kommandierende General der Evakuierungstruppe: der traf sich, erzählte er mir später, zum Key Leader Engagement – ein Begriff, der zum Beispiel in Afghanistan für Treffen mit Stammesältesten und Dorfvorstehern gebraucht wird – mit… echten Bürgermeistern und Gemeindevertretern aus der Altmark.)

Wir drei Journalisten wurden dann ziemlich schnell abtransportiert, auch wieder mit einer kleinen Friktion: Zum Hubschrauberlandeplatz ging’s im Mungo. Nun gilt für Soldaten: Im Mungo nur mit Helm. Aber der Zivilist, der ausgeflogen werden soll, hat natürlich keinen Helm dabei. Klare Sache, so ist das – aber es gab einen Moment des Zögerns: Dürfen diese Zivilisten denn dann da mitfahren? Gab ja keine andere Wahl.


Die andere Beobachtung: Ich würde die Teilnahme an einer solchen fiktiven Evakuierungsoperation mal dringend den Politikern in Berlin empfehlen, die meinen, eine solche Operation sei deshalb kein Einsatz militärischer Kräfte, weil kein Schuss fällt. Natürlich ist das Ziel des massiv auftretenden militärischen Verbandes ja genau das – dass kein Schuss fällt. Es geht ja darum, Zivilisten herauszuholen und nicht darum, ein Gefecht zu führen. Wer sich mal hat ausfliegen lassen, kommt dann vielleicht zu einer etwas anderen Einschätzung. Aber vielleicht wird das ja Teil der Sachverhaltsklärung – das wäre mal was Neues.