Zur falschen Zeit am falschen Ort?
Als Aufständische am 28. Juli Regierungsgebäude und den benachbarten Rundfunksender in Tarin Kowt, der Provinzhautpstadt der afghanischen Provinz Uruzgan, angriffen, reagierten die ISAF-Truppen. Es kam zu Gefechten mit Taliban-Selbstmordattentätern – und in den Wirren der Auseinandersetzung wurde auch der afghanische Journalist Omaid Khapalwak erschossen, der für die BBC und die afghanische Nachrichtenagentur Pahjwok arbeitete.
Sechs Wochen später liegt der ISAF-Bericht zu diesem Todesfall vor (hier die veröffentliche executive summary). Kernaussage: Dem US-Soldaten, der den Journalisten erschoss, ist kein Vorwurf zu machen – er habe den jungen Afghanen für einen Taliban, möglicherweise mit Sprengstoffweste, gehalten. (Die Meldung der BBC dazu hier.)
Das Afghanistan Analysts Network hat sich diesen Bericht genauer angeschaut. Und verweist auf einige Dinge, die verstörend wirken müssen. Zum Beispiel, dass die Soldaten ein Rundfunkgebäude stürmen – aber offensichtlich nicht auf die Idee kommen, dass dort Journalisten, d.h. unbeteiligte Zivilisten, anwesend sein könnten. Oder der Hinweis auf den Bart des afghanischen Mannes – der allerdings, so sagen seine Bekannten, eher ein Dreitagebart nach westlichem Muster denn ein wirklicher Bart nach afghanischen oder gar nach Taliban-Maßstäben gewesen sei.
Damit kein Missverständnis aufkommt: Es geht mir hier nicht in erster Linie um Journalisten und die Gefahr, in die sie sich begeben. Sondern dieser Fall, der – offensichtlich nicht zuletzt auf Druck seines Arbeitgebers BBC! – genauer untersucht wurde, zeigt exemplarisch eines der vielen Probleme des Afghanistan-Einsatzes: Wenn es für die Soldaten schon schwer genug ist, den Aufständischen vom harmlosen Zivilisten zu unterscheiden – haben sie keine Ausbildung, Einweisung etc. bekommen, die ihnen zumindest Hilfestellung bei der Zuordnung geben könnte? Was in diesem Fall einen afghanischen Reporter passiert ist, könnte ebenso Mitarbeitern afghanischer Behörden oder afghanischen NGO-Mitarbeitern passieren. Weil, um es zuzuspitzen, jeder Afghane verdächtig aussieht.
Achtung OT; sollte aber auch nicht unter den Tisch fallen …
„Nato-Soldat erschießt versehentlich BBC-Reporter“ http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,785314,00.html
[Habe ich mal in den neuen Thread verschoben. TW]
Anmerkung bei Spiegel online Artikel: „Anmerkung der Redaktion: In einer vorherigen Version dieses Artikel stand in der Überschrift, Nato-Soldaten hätten einen „BBC-Soldaten“ erschossen. Es handelte sich um einen Reporter. Wir haben den Fehler korrigiert und bitten um Entschuldigung.“
Die BBC als Kombattant?
Die gehen aber weit, um Rundfunkgebühren einzutreiben ;)
Dieser Vorfall zeigt uns dass der alte Satz, Shit happens, immer wieder zutrifft. Denn letztlich, scheint wohl wirklich eine Verkettung von Missverständnissen zu dem tragischen Tod des Journalisten geführt zu haben. Dass er kurz nach der Explosion an eben diesem Ort auftaucht und sich den nähernden Soldaten nicht sofort durch erhobene Händen zu erkennen gibt, ist genauso ein Glied in der Kette, als auch die vermeintlich amerikanische Vorgehensweise im Zweifel erst zu schießen, dann zu fragen.
Der in den Blogs genannten Vorwurf, sich nicht um das Opfer gekümmert zu haben, ist durch die begründete Gefahr weiterer Sprengsätze haltlos. Die Soldaten hatten so eben einen Verdächtigen erschossen, der einen verdächtigen Gegenstand in der Hand gehalten hatte, welcher ebenso ein Zünder sein könnte. Dann erst mal von UXO auszugehen, ist wohl gängige Praxis und wird auch bei uns so gelehrt.
Ebenso wird in den Blogs einmal von einem Presseausweis in der Hand des Reporters geschrieben, das andere Mal von einem Mobile. Jedenfalls hatte er etwas in der Hand und die Hände trotz den einschlagenden Kugeln nicht erhoben.
Dass er zudem nicht wie ein ISAF-Soldat aussieht, sondern eher einem Selbstmord-Attentäter gleicht, ist leider Strategie der anderen Seite.
Das eigentlich Interessante ist doch das über den Tod eines Reporters berichtet wird, Stellungnahmen abgegeben werden müssen und man gegebenenfalls Schuld bei betroffenen Soldaten sucht.
Der Reporter ist aber auch nur ein Mensch wie jeder andere da unten. Und ob er ein Handy oder einen Presseausweis hochhält ist doch eigentlich irrelevant.
Soldaten kämpfen unter akuter Bedrohung gegen einen Feind der sich zur Not auch verkleidet, oftmals noch nicht mal Afghane ist. Mitten in der Gefahr, einer hochbrisanten Lage, sich eben nicht auf den Boden zu legen oder sich zu ergeben, also passiv zu sein, zieht Aufmerksamkeit und somit Feuer auf sich.
Achtung Phrase: Das weiß da eigentlich jeder…
Der „Hinweis“, ob die Soldaten keine Einweisung oder Ausbildung hätten um eine Zuordnung zu gewährleisten, geht in die falsche Richtung. Hatte der Reporter den keine Ausbildung wie er sich in einem Gefecht zu verhalten hatte?
Ein Reporter hat keinen Freibrief (auch nicht wenn er für BBC arbeitet), ER muss sich in dieser Situation richtig verhalten! Alles andere ist Selbstverschulden.
Bitte mich nicht falsch verstehen, ich mag Reporter und schätze Ihre wichtige Arbeit, mir tut es um jeden Menschen leid der sein Leben dort oder anderswo geben muss. Mein Mitgefühl gilt seinen Hinterbliebenen, aber eben nur genauso viel Mitgefühl wie für alle anderen auch. Der Beruf macht seinen Tod nicht besser oder wichtiger oder „untersuchungswerter“…
Ich hoffe ich bin keinem (Reporter) auf die Füsse getreten…
@mwk
„Jedenfalls hatte er etwas in der Hand und die Hände trotz den einschlagenden Kugeln nicht erhoben.“
Also ich bin mir nicht sicher, ob ich bei „einschlagenden Kugeln (Geschossen)“ die Hände heben würde. Automatisch würde man wohl versuchen sich zu schützen …
„Dass er zudem nicht wie ein ISAF-Soldat aussieht, sondern eher einem Selbstmord-Attentäter “
Die Täter von 9/11, die die Flugzeuge steuerten, sahen eher aus wie ISAF-Soldaten … jedenfalls nicht wie Taliban-Kämpfer!
Warum man bei jedem Mitarbeiter einer Rundfunkanstalt grundsätzlich Sprengstoff vermutet, will sich mir auch nicht so recht als logisch erachten …
Ehrlich gesagt: Die Informationen reichen nicht aus, um mehr als allgemeine, theoretische und überflüssige Betrachtungen zu erstellen.
In Libyen war es interessant zu sehen, daß die meisten Reporter bessere Schutzausrüstung hatten als die meisten Kämpfer.
Früher waren die Leute mit Splitterschutzweste und Kevlarhelm die Soldaten und die ohne die Reporter. Da war es umgekehrt.
@Heiko Kamann
„Die Täter von 9/11, die die Flugzeuge steuerten, sahen eher aus wie ISAF-Soldaten … jedenfalls nicht wie Taliban-Kämpfer!“
– Eben. Und deshalb werden nun alle vom DHS wie Taliban behandelt.
„Also ich bin mir nicht sicher, ob ich bei “einschlagenden Kugeln (Geschossen)” die Hände heben würde. Automatisch würde man wohl versuchen sich zu schützen …“
-Nein, natürlich legen Sie sich nicht auf den Boden, brüllen nicht „Stop Shooting“, sondern gehen aufrecht(?) durch einen noch warmen (?) Anschlagsort und halten schützend „wasauchimmer“ in der Hand ?
„Warum man bei jedem Mitarbeiter einer Rundfunkanstalt grundsätzlich Sprengstoff vermutet, will sich mir auch nicht so recht als logisch erachten …“
-Wen meinen Sie mit „man“ ?
@ mwk
Na, dann nehmen Sie das „man“ an der Stelle raus und fügen ein „wird“ hinter „vermutet“ ein.
„-Nein, natürlich legen Sie sich nicht auf den Boden, brüllen nicht “Stop Shooting”, sondern gehen aufrecht(?) durch einen noch warmen (?) Anschlagsort und halten schützend “wasauchimmer” in der Hand ? “
Keine Ahnung was ich machen würde, wenn mich ISAF-Soldaten bekämpfen …!
„Eben. Und deshalb werden nun alle vom DHS wie Taliban behandelt.“
Wo ist denn da bitte die Logik? Wenn ich in einem fremden Land bin, muss ich mich nicht wundern, das alles fremd aussieht …!
Man vermutet nicht nur bei jedem mitarbeiter einer rundfunkanstalt sprengstoff, sondern vielmehr bei alles und jedem was nicht ISAF-soldat ist! Und das aus bitterst gemachten erfahrungen und der daraus abgeleiteten ausbildung.
Ich sehe allgemein das problem, dass sich nicht-kombatanten oftmals aus dem gedanken raus nur gutes zu wollen, vollkommen falsch verhalten und felsenfest davon ausgehen, das ihnen nichts passieren wird weil sie ja eben die “guten “ sind und das ja jeder wissen muss. Egal ob journalist,entwicklungshelfer, rot-kreuz mitarbeiter oder sonstwas.
Soldaten bringt man bei, wie man in der regel feind von freund von zivilist unterscheidet.aber diese unterscheidung kann ich nur treffen, wenn typische verhaltensmuster und das aussehen von journalisten z.b.auch eingehalten werden.mit einem gegenstand in der hand auf schießende soldaten zulaufen gehört im gefecht ganz klar in die kategorie feind, und wird folglich bekämpft.
Es tut mir leid um das verlorene leben, versteht mich nicht falsch.aber aus den verlinkten artikeln kann ich nichts ableiten, was diesen fall besonders macht.
@ Tim292
Tja, wenn das so ist unterstütze ich mal wieder die Forderung eines sofortigen Abzugs aus AFG. Oder es sollte den Soldaten noch mal klar erklärt werden, warum sie in AFG sind. Wenn jeder Afghane grundsätzlich als Feind angesehen wird, kann ISAF wohl den eigenen Auftrag kaum erfüllen.
@ Heiko Kamann
Oder wir brauchen mehr Lager und Bekleidung. Jeder der ein guter AFG bekommt ein grünes Tuch, einen Personalausweis und eine elektronische Fußfessel, die ihn bspw. über IFF als Freund ausweist. Wir sind bislang davon ausgegangen, dass die Mehrheit der AFG unschuldig ist. Dies ist aber anscheinend nicht der Fall. Sie wollen keine Demokratie, also brauchen demokratische Regeln auch nicht für sie zu gelten.
„Sie wollen keine Demokratie, also brauchen demokratische Regeln auch nicht für sie zu gelten“
Naja, ein Grund für ISAF ist doch wohl, dem AFG Volk die Freiheit zu geben, ihre Staats- und Regierungsform selbst zu wählen. Pauschal zu sagen „Die wollen keine Demokratie“ halte ich für übertrieben … es gibt so viele demokratische Varianten … es muss ja nicht unsere parlamentarische Demokratie sein.
@Roman
Sorry, aber das ist die Sprache der Besatzer: Wir sind bislang davon ausgegangen, dass die Mehrheit der Afghanen unschuldig ist. Dies ist aber anscheinend nicht der Fall…
Wir sind bislang davon ausgegangen, dass die internationalen Truppen zur Unterstützung einer afghanischen Regierung dort sind. Das ist übrigens auch die zu Grunde liegende Rechtskonstruktion. Dies ist aber anscheinend nicht der Fall?
Der NATO-Bericht ist nach meinem Dafürhalten durchaus schlüssig und erklärt das Verhalten des Soldaten vollkommen ausreichend. Letztenendes starb der AFG Journalist aufgrunddessen, dass er sich zur falschen Zeit, falsch verhalten hat.
Der NATO-Bericht beschreibt das folgende:
– Eine AFG Radiostation wird durch INS angegriffen, die dabei VBIED und SBIED einsetzen und sich ein Feuergefecht mit AFG Sicherheitskräften leisten.
– US Kräfte treffen am Ort des Geschehens ein und werden von AFG Sicherheitskräften eingewiesen, dass sich ihrer Wahrnehmung nach keine Zivilpersonen mehr vor Ort befinden.
– Nachdem sie beschossen wurden, werden zwei SBIED gezündet.
– Ein Soldat erkennt einen military aged male AFG in einem Raum unmittelbar neben den Räumen, in denen die SBIED gezündet worden waren.
– Ein Soldat nähert sich dem Raum und trifft auf diesen military aged male AFG, der etwas, vermutlich ein Mobiltelefon, in der einen Hand trägt und mit der anderen etwas in seiner Jacke sucht.
– Der Soldat erschießt den AFG und verlässt den Raum, da unklar ist, ob der AFG Sprengstoff am Körper trägt. Die Szene ist gesichert und wird AFG sicherheitskräften übergeben.
Hätten die US-Kräfte davon ausgehen müssen, dass sich noch AFG CIV in dem Gebäude befinden? NAch der Einweisung durch die AFG Sicherheitskräfte möglicherweise. In unmittelbarer Nähe, 3m, von zwei umgesetzten SBIED, höchst unwahrscheinlich.
Hätten die US-Kräfte größere Vorsicht beim Betreten des Gebäudes walten lassen sollen?
Sie wurden beschossen, gingen nicht von AFG CIV im Gebäude aus und sollten in der Tat das Gebäude stürmen und klären. Der eingesetzte US-Soldat ging bereits ein hohes Risiko ein, selbst den Raum zu betreten, anstatt ein Handgranate zu werfen.
Hätten die US-Kräfte mildere Mittel, rausrufen, des Journalisten nutzen können? Wenn es sich um einen INS gehandelt hätte, hätte der Soldat damit seine Position verraten und sich einer unnötigen Gefährdung durch eine vermutete weitere SBIED ausgesetzt.
Hätte der US-Soldat den Journalisten kampfunfähig machen können? Der Soldat hatte allen Grund zu glauben, dass der military aged male in unmittelbarer Nähe zu zwei SBIED mit einem Mobiltelefon in der Hand und einer Hand in der Jacke verdeckt selbst ein SBIED trug. Ihn anzuschießen hätte dessen Zündung nicht verhindert. Hierzu wird ausgebildet unmittelbar zu schießen, um zu töten, bis vom Gegner keine Gefahr mehr ausgeht, in diesem Fall er nicht mehr in der Lage ist, sein Mobiltelefon zu bedienen.
Gibt es klar erkennbare Anzeichen zur Zugehörigkeit zu INS, die ausgebildet werden? Nein, INS kommen aufgrund ihrer Taktik in allen Erscheinungsformen vor. Es ist ein Gerücht, dass jeder INS ein Taliban ist oder jeder Taliban einen wallenden Bart trägt. Insbesondere in ANA oder ANP Uniformen auftretende INS sind nahezu immer rasiert. Man könnte sogar erwarten, dass INS sich für den Angriff auf eine Rundfunkstation wie Reporter kleiden, um die Sicherheitskräfte, AFG und US, zu täuschen.
Hätte der für solche Lagen ausgebildete und kriegserfahrene Reporter sich anders verhalten können? Nachdem er wusste, dass Sicherheitskräfte im Gebäude waren, da er Gefechtslärm hören musste und US-Soldaten akustische Befehle austauschten, hätte er sich ruhig hinstellen und seine Hände offen zeigen können, wie ausgebildet. Er hätte sich auf den Boden legen und tot stellen können, womit er durch INS nicht mehr beachtet und durch US-Soldaten auf Lebenszeichen überprüft worden wäre. Er hätte auch selbst seine Anwesenheit durch Rufe kenntlich machen können.
Dabei ist festzustellen, dass der Reporter mit Sicherheit Angst hatte, eventuell unter Schock stand und nicht von ihm erwartet werden konnte, alles richtig zu machen. Andererseits verhielt sich der eingesetzte Soldat vollkommen richtig darin, die Person auf die er traf, in diesem Kontext und bei diesem Verhalten, als Gefahr zu betrachten und zu bekämpfen. Jeder Soldat weiß, dass die Aufnahme durch eigene Truppe oder eine Personal Recovery mission extrem gefährlich für die aufzunehmenden sind – egal ob man AFG ist und einen Bart hat. Hier endete die recovery leider tödlich, ein Fehlverhalten des Soldaten ist aber nicht festzustellen.
Hm, beim schreiben meines vorherigen Posts erschien mir die Ironie doch deutlich erkennbar, jetzt einen Tag später nicht mehr so. Ich wollte eigentlich auf den hektischen Aktionismus und den üblichen Versuch alles zu erklären und alles in Zukunft besser und anders machen zu wollen verweisen. Denn anstatt dieses durchaus traurige Ereignis als harten Schicksalsschlag für beide Beteiligte zu akzeptieren würde in der deutschen Administration wilde Panik ausbrechen.