Nach der ILÜ ist vor der ILÜ: Wo geht’s lang?
Nach den ersten kurzen Anmerkungen zur und Videosequenzen von der Informationslehrübung (ILÜ) 2011 des Deutschen Heeres in dieser Woche ist die Diskussion über die Leistungsschau aus dem Einsatz für den Einsatz ja schon ein bisschen in Gang gekommen. Seit dem Medientag am vergangenen Mittwoch habe ich auch noch ein wenig drüber nachgedacht. Die Truppe hat, so weit ich das als Außenstehender beurteilen kann, bei dieser Lehrübung super geliefert in dem Rahmen, der ihr gesetzt war. Bei dem Rahmen allerdings frage ich mich – wiederum als Außenstehender – ein bisschen: Wo geht’s lang?
Fangen wir mal mit dem Gerät an – das die übende Truppe ja (vor)gegeben bekommt. Wie schon erwähnt: Gerade mal ein GTK Boxer, in der Führungsvariante, kein Eagle IV, immerhin ein paar Dingos. Dafür etliche Transportpanzer Fuchs, Schützenpanzer Marder, Kampfpanzer Leopard. Kein Schützenpanzer Puma – nun ist der zwar noch nicht in die Truppe eingeführt, aber den Kampfhubschrauber Tiger liess die Truppe in den Vorjahren ja auch mit Industriezulassung auf der ILÜ fliegen, um mal was zu zeigen.
Es flogen Hubschrauber, die entweder vor der Ausmusterung stehen (Bo105) oder demnächst nicht mehr dem Heer gehören (CH53). Die Transport-Lkw gerne ungepanzert. Nun ist das natürlich der Tatsache geschuldet, dass das moderne, geschützte Material in erster Linie im Einsatz gebraucht wird, zur Ausbildung ohnehin meist zu wenig davon zur Verfügung steht (wenn auch, wie ich höre, mit positiver Tendenz) und für eine solche Lehrübung die Fahrzeuge nicht abgezogen werden – ob das das realistische Bild für den Führungsnachwuchs ist, mag ich nicht entscheiden.
Der Hubschrauber NH90 fliegt und stellt einen Forward MedEvac-Helikopter dar, allerdings ohne eingerüsteten medizinischen Kit. Da gibt es wohl Gewichtsprobleme (und das treibt sowohl das Heer als auch die Sanität um – denn allen steht drohend vor Augen, was passiert, wenn die Amerikaner tatsächlich im kommenden Jahr auch nur einen Teil ihrer 15 Dustoff-Blackhawk, die Forward-MedEvac-Hubschrauber, aus dem Norden Afghanistans abziehen sollten).
Doch jenseits des Geräts irritiert mich etwas anderes weit mehr: Afghanistan ist keine Blaupause für künftige Einsätze, ist ein Standardsatz, den ich gerade auf dieser ILÜ immer wieder gehört habe. Gleichzeitig hatte der Text des übungsbegleitenden Sprechers (wie in den Vorjahren) bei fast jedem vorbeifahrenden und -fliegenden Großgerät den Verweis auf den Einsatz am Hindukusch im Programm: Der Pionierpanzer Dachs wird in Afghanistan eingesetzt, um Lehmmauern einzureißen. Der Leopard, auf deutscher Seite bislang nicht in Afghanistan im Einsatz, könnte dort Lehmmauern, hinter denen sich Aufständische verschanzen, durchschießen. Die Panzerhaubitze 2000 hat sich in Afghanistan bewährt. Der Tiger war schon mit den Franzosen am Hindukusch im Einsatz und soll dort auch bald für die Deutschen fliegen. Der Fuchs gehört zur Standardausrüstung in Afghanistan, der Boxer ist mit ersten Fahrzeugen am Hindukusch, der Dingo ist das Arbeitspferd der deutschen Soldaten in Afghanistan. Ein Konvoi gerät in einen Hinterhalt und führt ein 360-Grad-Gefecht, wie in Afghanistan.
Keine Blaupause – aber dennoch der ständige Referenzpunkt.
Das andere Extrem ist das Gefechtsbild, das vor allem die Panzertruppe (ohne Afghanistan-Bezug) vorführte. Im Bataillonsgefechtsstand ging es um die Schlacht Rotland gegen Blauland, wie in alten Zeiten. Laut Lagemeldung wurden sogar BMP vernichtet, also russische (oder NVA-) Schützenpanzer. Fehlte nur noch, dass die roten Truppen auf der gegnerischen Seite als MotSchützen-Battaillone gemeldet worden wären.
Natürlich hatten die gestellten Bilder auch einige Elemente erwartbarer heutiger Einsätze. Den CIMIC-Trupp, den Konvoi mit Lebensmitteln für die Bevölkerung, die irregluären Kräfte (um nicht Aufständische zu sagen).
Aber schon das Joint-Element war irgendwie nicht richtig da – die Luftwaffe beteiligte sich dieses Mal nicht, wie in den Vorjahren, mit Tornados zur Aufklärung. Nur eine – auch noch für UN-Einsätze weiß lackierte – Transall versuchte, Güter per Fallschirm abzusetzen, war damit aber nicht so richtig erfolgreich. Wo der Joint-Ansatz sparsam blieb, fehlte der multionationale Ansatz ganz – dabei ist doch eine der ständig wiederholten Grundaussagen, dass die Truppe (jenseits von Landes- und Bündnisverteidigung) immer nur multinational in den Einsatz geht, im Rahmen der Systeme kollektiver Sicherheitsvorsorge, von UN über NATO bis EU. Den Gedanken hab ich in Munster und Bergen nicht gesehen.
Auf einen Satz gebracht: Das alte Gefechtsbild Rot gegen Blau auf der einen, der Einsatz am Hindukusch als Referenz auf der anderen Seite. Aber die erwartbaren Einsätze Joint, Combined, multinational, Comprehensive Approach? Vielleicht habe ich nur falsch hingeguckt.
Zur Ausrüstung übrigens noch eine Anmerkung, die ich vorher schon mal in einem Kommentar gemacht habe: Der Soldat im Einsatz trägt, wenn man sich die Lehrübung anschaut, weder eine moderne Schutzweste noch eine Splitterschutzbrille, von modernen Tragesystemen wie Chest Rigs ganz zu schweigen. Ja, das sind alles Engpassartikel – und dennoch habe ich nicht kapiert, warum so ein Schutzbrillenset, Wert um die 100 Euro, nicht wie der Helm zur Grundausstattung gehört, sondern nur im Einsatz ausgehändigt und hinterher wieder eingesammelt wird. Verglichen mit manch anderem Ausrüstungsgegenstand reden wir hier über Kleingeld.
So. Jetzt lasse ich mich für diese Kritik hauen – obwohl ich aus der Diskussion in den Kommentaren den Eindruck habe, dass ich so falsch nicht liege.
Was ich schon immer wissen wollte: haben diese Zeigestöcke eigentlich eine Versorgungsnummer oder TL?
@ T.W.
Die Kritk ist doch recht moderat.. gemessen an dem Bild welches DEU unseren Alliierten bietet: haben wir nicht, können wir nicht, dürfen wir nicht- trauen wir uns nicht.
Ich meine hier nicht die operative und taktische Ebene sondern die politische
und jene in den Elefantenfriedhöfen.
Wo es lang geht sehen wir wohl Ende Oktober.
Aber es geht in die ähnliche Richtung wie es derzeit in Afg ist. Das Gefecht Rot gegen Blau wird es auch immer geben und wahrscheinlich auch mit einem BMP der von irgendwelchen irregluären Kräfte genutz werden. Das ist nicht nur in Afg der Fall. Schade ist natürlich, dass nicht so viel von dem „neuen“ Material, wie es im Einsatz genutzt wird, gezeigt wurde. Vieleicht wird bei der nächsten ILÜ mal ein neuer, der Struktur entsprechender, Ansatz gewählt. In der Einsatzvorbereitenden Ausbildung, sei es Im GefÜbZ H, werden die neuen Materialien die im Einsatz genutzt werden eingesetzt. Die Bundeswehr ist schon sehr modern, aber wir werden noch besser werden.
Der Beitrag stellt zielgenau die wesentlichen Fragen. Nun könnte man denken, dass sich auch die Heeresführung diese Fragen hätte stellen können. Vorher. Weitere Schlussfolgerungen liegen dann auf der Hand.
@Olaf : Klar. Ist ja von der Führung gesagt worden. Wir werden besser. Und 2013 bekommen wir die Definition von „besser“.
„Afghanistan ist keine Blaupause für künftige Einsätze“
Das ist – so wie ich das sehe – eine mehr oder weniger dumme Ausrede. Falls die Landesverteidigung darunter leiden würde, wenn man sich bei Beschaffungen am Afganistan-Einsatz orientieren würde sähe das anders aus. Aber das ist ja nicht so.
Das Optimum wäre ja, wenn die BW Material hätte, dass sich (halbwegs) Problemlos überall einsetzten lassen würde. Aber die ganzen Goldrand-Lösungen haben eben leider nur einen Blechkern.
Mein Eindruck: Im Konzert mitspielen wollen aber den Musikern keine Geigen geben (können oder wolen?)
Solche Vorführungen hatten wir schon Ende der 80er. Im Vergleich mit damals hat sich nicht viel geändert.
Traurig ist das alles. Wenn man nichts zu zeigen hat, dann sollte man keine Vorführung machen.
Es wird was halbherziges durchgezogen, ohne die richtigen Systeme und Mittel und was herauskommt ist größtenteils peinlich. Und was jetzt passiert ist, dass sich das Fachpublikum das Maul zerreißt und sich darüber amüsiert.
Und das vermutlich zu recht.
@ Franz:
Bei der Vorführung LÜSA (Lehrübung im System Artillerie) hatten die Zeigestöcke tatsächlich eine Versorgungsnummer:
UvD und GvD bekamen eine Hand voll Antennenoberteile und durften dann mit Pappkarton, rotem und grünem Klebeband den Rest anbauen. Das war auch der Grund, warum die Zeigestöcke selbstverständlich nur gegen Mat-Ausgabeliste ausgegeben wurden und jeden Tag wieder eingesammelt wurden.
Da finde ich die Besenstielmethode doch wesentlich unbürokratischer, sieht aber halt nicht so gut aus wie unsere damals.
Dass nur begrenzt Material gezeigt wird, dürfte daran liegen, dass das wirklich interessante Material nur in homöopathischen Dosen existiert und entweder im Einsatz ist oder in der Vorbereitung derselben. Und da die ILÜ wochenlang minutiös eingeübt wird müsste man das Material für diese Zeit aus der Ausbildung abziehen. In meinen Augen liegt das Problem nicht darin, dass das Material nicht gezeigt wird, sondern dass es wirklich einfach nicht ausreichend verfügbar ist.
(Sorry, Herr Wiegold, habe die letzte Nachricht zu früh abgeschickt. Verfluchter Touchscreen vom verfluchten Smartphone. ;) Diese Zeilen hier bitte löschen, bevor sie folgendes – zumindest formal – gutheißen und einstellen mögen.)
Nicht nur der Medevac-Rüstsatz ist aufgrund diverser Gründe noch nicht verfügbar (die Italiener haben übrigens einen unompliziert pragmatisch und funktionierend erscheinenden). Wie ich schon im ersten ILÜ-Thread vermutete, auch der Doorgun-Rüstsatz glänzt durch Abwesenheit. Das Ganze ist vor dem Hintergrund folgender Punkte bemerkenswert:
– Absicht der politischen und militärischen Führung war: 24/7-Medevac-Bereitschaft mit einer NH90-Rotte (1x Medevac + 1x Doorgun) in Afghanistan ab Mitte 2011!
– Der Grundsatz “Train as you fight“ gilt unverändert. Wobei die LTH-Besatzungen (Leichter TransportHubschrauber, bislang UH-1D, zukünftig NH90) weder Erfahrungen mit dem neuen Hubschrauber, noch mit den beiden o.g. Rüstsätzen, geschweigen denn im Feuerkampf mit Doorgun aufweisen können. Hier haben die CH53-Crews vieles an Übung und Einsatzerfahrung vorraus.
– Die NH90-Ausbildung läuft wie allgmein bekannt extrem schleppend. Nicht zu vergessen, dass die Maschine noch abschließend erprobt werden muss. (Sie wurde ohne eingehende Truppenerprobung gekauft! In den Medien wurde die Beschaffung des NH90 verglichen mit der skandalumwitterten Beschaffung des Schützenpanzer lang HS-30 (Bw) ohne vorangehende Prototypen-Erprobung und ohne Truppenversuch.).
Dazu sei angemerkt, dass ich hier beim Thema Medevac in keinster Weise die Leistung unserer CH53-Crews schmälern möchte. Wer wäre ich?! Zumal ich die Einsatzgrundsätze zwar kenne, aber nicht ansatzweise in der Lage bin, zu beurteilen, was einzelne Kommandanten und ihre Crews vor Ort entschieden und letztlich getan haben, um doch helfen zu können.
Aber ich denke, fest steht, dass die Bundeswehr keine 24/7-AirMedevac-Fähigkeit für die eigene Truppe besitzt und deren Realisierung nicht konsequent genug vorantreibt. Und das ist ganz allgemein und nicht nur vor dem Hintergrund eines drohenden Abzugs US-amerikanischer Medevac-Hubschrauber beängstigend.
Aber wir schmücken uns schon mal mit dieser Fähigkeit…
Was man im Hinterkopf behalten sollte ist das seit Jahren bei Simulationsübungen (SIRA, KORA) stets mit dem „neuen“ Gerät geübt wird. Umso größes ist dann immer die Ernüchterung, wenn man frisch gestählt durch Erfolge auf dem digitalen Schlachtfeld an sein defektes, 40 Jahre altes Großgerät, wegtritt um es mal wieder in Schuss bringen zu lassen durch die HIL.
@Medienpädagoge: eine 24/7 Air Medevac Fähigkeit besteht. Sie besteht jedoch nicht neben! den anderen Aufträgen und sie besteht nicht in dem Umfang wie sie mit 15 UH 60 der US Streitkräfte geleistet werden kann. Mir ist auch kein einziger Fall bekannt, bei dem eine CH 53 Besatzung in Afghanistan sich geweigert hätte, einen Verwundetentransport durchzuführen!
Es ist richtig, dass die UH-1D Besatzungen über keine Afghanistan Erfahrung verfügen. Weiterhin ist es richtig, dass die NH 90 Besatzungen noch Zeit für die Ausbildung brauchen. Deswegen wird nach meiner Einschätzung vor 2013 kein NH 90 in Afghanistan eingesetzt werden können. Das ist ein Sachstand, den auch die militärische Führung haben müsste. Die Frage ist auch hier, wie man mit Informationen umgeht, und wie die Interessenlagen sind.
@Schleppi
Keinerlei Widerspruch. Zumal ich weiß und wertschätze, woher es kommt.
Nur eine Anmerkung: Sollten meine Äußerungen irgendwie missverständlich gewesen sein, sodass ein Zungenschlag bzgl. einer Weigerung irgendeiner Besatzung auch nur im Ansatz hier hinein kommen konnte, täte es mit leid. Das Gegenteil ist der Fall und weithin bekannt. Ich hatte gehofft, das deutlich gemacht haben zu können… Ich denke, letztlich herrscht Einigkeit darüber, dass es nicht um die Besatzungen, sondern eben um das andere Ende der Entscheidungskette geht.
Allein die erwähnten Interessenlagen lassen mich den Kopf schütteln, wenn es darum geht, unserer Truppe “einfach nur“ (pragmatisch, zielführend, fürsorglich schnellst möglich) eine zuverlässige 24/7 Air Medevac Fähigkeit (ohne Nebenaufträge!) zur Verfügung zu stellen.