Afghanistan war/ist k/ein Irrtum?
Zum zehnten Jahrestag des 11. September 2001, am kommenden Sonntag, häufen sich die Interviews mit deutschen Politikern in allen Medien zu den Konsenzen der Anschläge von nine/eleven. Auffällig finde ich: Afghanistan und der internationale wie deutsche Militäreinsatz dort steht eigentlich immer im Mittelpunkt – weil es für Deutschland die scheinbar offensichtlichste Konsequenz ist. Vielleicht auch, weil die Kollegen danach am intensivsten fragen und/oder diesen Aspekt herausstellen… (Obwohl es im Bereich der Innenpolitik, der Sicherheitsgesetze zum Beispiel, weit mehr Dinge gab in diesen zehn Jahren, die auch viel langfristigere Auswirkungen auf Deutschland haben als der Einsatz am Hindukusch.)
Wie auch immer – vielleicht sollte man diese Interviews einfach mal sammeln, um da einen Überblick zu bekommen (werden bestimmt noch mehr):
ZEIT – Verteidigungsminister Thomas de Maiziere: „Afghanistan war kein Irrtum“ (Wortlaut)
Ruhr-Nachrichten – Alt-Kanzler Schröder verteidigt Afghanistan-Einsatz (Meldung, noch kein Wortlaut)
Struck hat vor einiger Zeit doch schon alles gesagt: Man wollte dabei sein um die eigene außenpolitische Bedeutung zu unterstreichen und ging davon aus, dass dafür kein ernsthaftes militärisches Engagement erforderlich sei, sondern nur ein vorübergehendes Zeigen von Präsenz.
Der Einsatz hatte von Anfang an nichts mit deutschen Interessen in Afghanistan zu tun. Ob die beabsichtigte Symbolpolitik bzw. deren Wirkung den gezahlten Preis rechtfertigt, wäre zu diskutieren. Würde der Einsatz aber heute beendet, hätte dies keine negativen Folgen für die Sicherheit Deutschlands. Alle Verantwortlichen wissen dies, und wenn sie Gegenteiliges behaupten, sagen sie (erneut) die Unwahrheit.
Was Schröders Beschwörung der Situation afghanischer Schulmädchen angeht, so unterstreicht diese Aussage m.E. nur, wie defizitär das strategische Denken der damaligen Regierung war. Ausgerechnet Fischer bedauerte jüngst passenderweise, dass Deutschland nicht auch in Libyen dabei sei. Reichen ihm die zwei Beteiligungen an für Deutschland sinnlosen Kriegen nicht, die er und andere amerikahörige Kräfte zu verantworten haben?
Im Kontext des Interwies und insbesondere mit Blick auf die Antworten zur „moralischen Legitimation“ und den „überzogenen Erwartungen “ muss ich über den Satz von Hemut Schmidt anlässich seiner Rede zum Feierlichen Gelöbnis (2008) „Aber Ihr könnt Euch darauf verlassen: Dieser Staat wird Euch nicht missbrauchen.“ doch noch einmal nachdenken.
Sofern also , die mit Beginn des ISAF Einsatzes vorgenommene öffentliche Begründung nun mit dem vorgenommenen Stragtiewechsel eine andere geworden ist, dann sehe ich da Widersprüchlichkeiten.
Vielleicht täusche ich mich aber auch.
Genau so sieht es aus. Dazu sehr aufschlussreich im aktuellen Spiegel (36) geschildert.
Dieser gigantische Irrglaube der damaligen Deutschen Führung wird noch heute mit toten Deutschen Soldaten bezahlt. Und ein Ende ist entgegen dem Geschrei unserer Politiker nicht in Sicht.
@ J. König
@ Orontes hat mit Zitat von BM a.D. Struck schon die Antwort gegeben. Man wollte aus aussenpolitischen Ansehensgründen in AFG dabei sein mit geringen Risiko ( Sitz im Weltsicherheitsrat usw.).
Ist Staatsräson mit gefallenen Soldaten Missbrauch der BW ?
Im Duktus von der Rede Helmut Schmidts sicherlich ja.
Sammeln ist immer schön … also: für mich ist das Zeit-Interview der vom Zeitmangement her trefflich gesetzte – Startschuss für die CDU/CSU-Fraktion, einen neuen Anlauf für die Debatte: Nationale/r Sicherheitsstrategie + Sicherheitsrat zu nehmen … das ist aus ihrer Sicht auch dringend notwendig, droht ihr doch der Anspruch, sicherheitspolitische Lordsiegelbewahrerin zu sein, beim frustrierten (Fach-)Wählerpotential verloren zu gehen.
Hat sich das BMVg bei der Verkündung der VPR im Mai noch militärisch begrenzt und allein schon sprachlich alle sicherheitspolitisch, gesamtstrategischen Ambitionen zugedeckt, wird nun die sicherheitspolitische Debatte vom BMVg (am AA vorbei ) eingefordert. Die BM-Rede an der FüAkBw und BM-Stellungnahme an der BAKS haben die Scientific+Strategic Community dazu schon im Vorfeld sensibilisiert und in die Pflicht genommen.
Respekt erstklassig eingetütet … da merkt man Können und Wollen.
„… Wer sich einbringen und mitgestalten kann, wird schnell seinen Platz finden und seinen Auftrag leben. Wer dies nicht kann, der hat keinen Platz …“ BM de Maizière, 18.05. 2011
Und wenn das AA den Startschuss nicht hört und die Debatte nicht aufgreift? Na ja … dann wird die Hard-Security zukünftig eben zwischen Kanzleramt + BMVg abgemacht und das AA macht weiter Abrüstung und teilt sich die Soft-Security mit dem BMZ und anderen Ressorts.
Spannend!
Je nachdem wo die eigene Überzeugungsbasis liegt, gibt es ja mehrere Begründungsmöglichkeiten für den Einsatz.
Ich persönlich hielt und halte einen Einsatz aufgrund der Begebenheiten erstmal für grundsätzlich gerechtfertigt. Wie dieser Einsatz dann durchgeführt wurde kann ich so nicht gutheißen.
Egal was ich denke: Ich finde es schon merkwürdig von einem „Verteidigung Deutschlands am Hindukusch“ zu einem „wir sind nur aus lächerlichem politischen Kalkül dabei“ zu wenden.
So oder so halte ich die jüngste Grundsatzdiskussion mit ihren Negierungen der durchaus erbrachten Leistungen unter plötzlicher Ablehnung des Einsatzes für ein moralisch äußerst niederträchtiges Neupositionierungsmanöver (welches bereits mit dem Luftschlag von Kundus sichtbar war) im Hinblick auf die nächste Bundestagswahl.
Dann wird genau die Riege an Leuten (ich meine jetzt die Entscheider) schändlich aus dem Land herauskriechen, welche damals genauso planlos hineingestolpert sind, wobei man der jetzigen Regierungspartei nicht nur die längste Zeit des Einsatzes überlassen konnte, es dann aber auch gewagt hat, eigentlich eigene Fehler als Kritik anzubringen.
@ Orontes
Wie gesagt: Dass man in Afghanistan einen Einsatz begonnen hat um Terroristen zu jagen, welche damals zweifellos vor Ort konzentriert waren, ist ja nicht verkehrt. Und gerade Deutschland, der naive Hort einer riesigen Menge an Terrorbrüdern und der Haupttäter von vor zehn Jahren, darf sich ruhigen Gewissens einen sicherheitspolitischen Versager schimpfen lassen und tut nur gut daran im Rahmen des Bündnisses die Bedrohung zu bekämpfen… Auf eine Amerikahörigkeit zu schließen halte ich für etwas zu einfach. Die haben sich für uns auch schonmal krumm gemacht.
Wie solche Einsätze a) begründet und b) durchgeführt werden, ist für mich der Hauptkritikpunkt. Die ganze Mitleidsmasche erinnert auch an solch abstruse Vergleiche wie vom Kosovo mit Auschwitz und solcher Sachen. Als ob es immer einer Lüge bedarf um den Jugos oder Talib ein paar Raketen um die Ohren zu hämmern…
@Niklas
„Und gerade Deutschland, der naive Hort einer riesigen Menge an Terrorbrüdern und der Haupttäter von vor zehn Jahren, darf sich ruhigen Gewissens einen sicherheitspolitischen Versager schimpfen lassen und tut nur gut daran im Rahmen des Bündnisses die Bedrohung zu bekämpfen… “
Eine sinnvolle Konsequenz aus 9/11 wäre es m.E. tatsächlich gewesen, die Moscheen/Vereine etc. zu schließen und die Personen zu festzunehmen oder wenigstens zu deportieren, die solche Aktivitäten unterstützt oder ermöglicht haben. Das wollte(jemand hätte sich ja über „Diskriminierung“ etc. beschweren können) oder konnte (wesentliche Aspekte solchen Verhaltens sind bis heute noch nicht einmal eine Ordnungswidrigkeit) man aber nicht, weshalb sich mittlerweile eine vierstellige Zahl von solchen Personen in Deutschland aufhält und mit Unterstützung u.a. der Ausländerbehörden, „Menschenrechts“-Vereinen, deutscher Sozialämter und auch der saudischen Botschaft und diversen islamischen „karitativen“ Stiftungen ihren Aktivitäten weitgehend ungestört nachgeht. Notfalls verleiht der deutsche Staat z.B. türkischen Staatsbürgern, die sich zeitweise in Deutschland aufhielten und irgendwo im Ausland festgenommen wurden, sogar noch die deutsche Staatsbürgerschaft, damit er sich besser für sie einsetzen kann und keine Rechtsgrundlage für eine Abschiebung mehr besteht. Hätte dieser Staat es mit einem wirklich gefährlichen Feind zu tun, wäre er schon längst erledigt.
Naja. Wir beide wissen ja, wo solche Ausführungen für gewöhnlich landen… :)))
Wie auch immer. Islamistischen Terrorismus gab es auch schon vor 9/11.
Man darf sich also zu Recht fragen, womit sich die „Sicherheitsbehörden“ damals eigentlich beschäftigt haben. Vielleicht ja mit sich selbst.
Damit meine ich natürlich nicht nur die Deutschen. Nur hat man manchmal das Gefühl, hier würden (aber vor allem wurden) mögliche Gefahren bewusst ausgeblendet. Ich will ja auch gar keiner Totalüberwachung das Wort reden. Aber der Staat sollte schon halbwegs im Bilde darüber sein, wer hier was veranstaltet. Und bei der betroffenen Gruppierung hätte sich schon vorher eine seriöse Arbeit angeboten. Ist ja nicht so, dass in den Neunzigern nicht ein paar große Gebäude in die Luft geflogen wären.
Aber ich drifte ab.
OT: http://www.longwarjournal.org/archives/2011/09/report_anp_general_d.php
Ein Künstler will in Berlin ein Denkmal für getötete Taliban errichten:
http://extrawaytoexpress.blogspot.com/2011/09/interview-on-taliban-monument-in.html
So langsam habe ich den Eindruck, dass dieses Deutschland ein Irrtum ist.
Tja… Unser gutes altes -land. Das ist generell so ein tragisches Thema.
Aber wohl weniger für hier. :)
Ein Denkmal für die Taliban in Berlin (wahrscheinlich auch noch gegenüber der US-Botschaft ^^) ist eine von diesen Ideen, die so absurd sind, dass man
schon fast nichts vernünftiges mehr dazu sagen kann. Aber nur weil ein „Künstler“ so etwas ankündigt um auch endlich mal in der Zeitung zu stehen, heißt es ja nicht, dass es so kommt. Wobei da natürlich steht, dass er es „schwarz“ machen will. Naja.
http://www.ftd.de/politik/international/:top-oekonomen-joseph-e-stiglitz-der-preis-von-9-11/60100752.html