Ständig wechselnde Seekriegslage
Nichts ist so beständig, wird mir bei der Marine immer als Spruch erzählt, wie der der Wechsel in der Seekriegslage. Das scheint auch für die aktuelle Diskussion um Vorfälle in der Bundeswehr zu gelten. Hatte es in einer Meldung auf der Bundeswehr-Seite über Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg vor zwei Tagen noch geheißen: Angesichts der Berichterstattung in den Medien warnte der Minister vor vorschnellen Urteilen, sieht heute alles schon ganz anders aus: Nach einem „Bild“-Bericht über die Zustände an Bord wurde Kapitän Norbert Schatz noch gestern Abend seines Amtes enthoben, die „Gorch Fock“ zurück nach Deutschland beordert.
Nun ist es kein Wunder, dass die Gorch-Fock-Vorfälle das meiste Interesse bekommen – der Großsegler gilt sozusagen als Teil des Nationalstolzes (und so zynisch es klingt: ein tödlicher Unfall auf einem Minensuchboot würde weit weniger intensiv berichtet und wahrgenommen.) Was natürlich auch die Gefahr von Symbolpolitik erhöht.
Warten wir mal ab; ich hab‘ diesen Thread vor allem aufgemacht, um die ganzen neuen, na ja, aktualisierten Meldungen zur Gorch Fock zu sammeln.
Schieflage: Die Gorch Fock vor Kap Hoorn (Foto: (Foto: Yvonne Knoll/PIZ Marine)
Nachtrag: Derzeit – Stand 221700A jan2011 – gibt es offiziell vom BMVg nur
Sprechererklärung zur Klärung der Vorfälle auf dem Segelschulschiff Gorch Fock
Der Bundesminister der Verteidigung hat den Inspekteur der Marine gemeinsam mit dem Leiter der Rechtsabteilung mit der Auklärung der Vorfälle auf dem Segelschulschiff Gorch Fock betraut.
Zum Bericht des Kölner Stadt-Anzeigers vom 22.01.2010 „“Stuhl des Marineinspekteurs wackelt ebenfalls““
Dazu erklärt ein Sprecher des Bundesministeriums der Verteidigung:
Diese Spekulation entbehrt jeglicher Grundlage.
Der Inspekteur der Marine ist mit der Aufklärung der Vorfälle betraut.
Allerdings hat die Bundeswehr schon ein Video zu den Entscheidungen des Ministers zur Gorch Fock veröffentlicht: http://www.youtube.com/watch?v=m_mpPymiXZk
@Polybos
Mir fällt nichts bei einem typischen Reinschiff ein, was so klein und empfindlich wäre, dass man es mit einer Zahnbürste putzen müsste. Also ist es einfach eine unnötige und überflüssige Erschwernis. Bei der sexuellen Belästigung dachte ich eher an den Artikel aus der Welt über den „schwimmenden Puff“. Im Übrigen steht es jedem Soldaten frei, sich direkt an den Wehrbeauftragten zu wenden – dafür ist er nämlich da.
@Georg
Die Presseartikel und das tatsächliche Geschehen bei UNIFIL sind zwei sehr unterschiedliche Dinge. Der „Tiefstflug“ fand in 5000ft statt, und bei den zwei Schüssen handelte es sich vermutlich um den Überschallknall der Flugzeuge. Zu der Hubschraubergeschichte: besser als die Luftwaffe bei Good Hope III, als einer der JaBoG-Kdre meinte, mal einfach so im wirklichen Tiefflug durch einen Verband durchzubrettern, der 5 (!) Hubschrauber in der Luft hatte. 20m tiefer, und es hätte einen Zusammenstoss mit einem südafrikanischen Puma gegeben.
@ MFG
Volle Zustimmung – 5000 ft kann man nun wirklich nicht mehr als Tiefflug bezeichnen, vorausgesetzt dies ist nicht eine verharmlosende Meldung des BMVg !
@MFG:
Natürlich steht es jedem Soldaten frei, sich an den Wehrbeauftragten zu wenden. Keine Frage. Ich sehe die Problematik allerdings darin, dass die Funktion dieser Person dahingehend pervertiert wird, dass plötzlich jeder OA aus einer Mücke einen Elefanten macht.
Der Bericht in der Welt über den „schwimmenden Puff“ zeigt mir einmal mehr die einseitige Berichterstattung der Medien. Man möchte meinen, die Kadetten seien Erwachsen genug, auf entsprechende Angebote mit einer Meldung auf dem Dienstweg zu reagieren. Stattdessen kommt es sehr häufig vor, dass entsprechende Verbindungen eingegangen werden. Davon zeugen einige Ritzereien in den Toiletten. Sofern es also weibliche Kameradinnen gibt, die sich darauf einlassen, kann das Problem doch nicht so groß sein. Solche Beziehungen bestehen übrigens nicht nur zwischen Kadetten und Stammbesatzung, sondern auch unter den OAs.
Ich will jetzt nicht weiter auf der „Zahnbürste“ herumreiten. Fakt ist doch, dass es zahlreiche Bereiche an Bord gibt, die beim Reinschiff als eher lästig und sinnlos zum reinigen erachtet werden. Ich kann mich daran erinnern, dass wir jeglichen Rost hinten den Bänken an Mitteldeck abklopfen mussten. Da fragte man sich natürlich auch, wozu das dienen sollte – schließlich sieht man es nicht. Wenn man aber danach gehen würde, müsste man alles vernachlässigen, was auf den ersten Blick nicht auffällt.
Der besagte Spiegelartikel vom Hasnain Kazim ist insofern interessant, dass er selbst mal Marineoffizier war und damit zu den Meinungen der anonym Augenzeugen durchaus seine eigenen Erlebnisse auf dem Schiff hätte beisteuern können (ich gehe davon aus, dass er auch die Ausbildung auf der GF genossen hat)…
@ mietsch:
Richtig und vor 2 1/2 Jahren fand er es auch noch ganz toll:
http://einestages.spiegel.de/static/authoralbumbackground/2591/segeln_buegeln_kotzen.html
Paßt jetzt aber wohl nicht ins Bild.
Das einzig dumme scheint zu sein, das aus dem gebuchten Abenteuerurlaub und Wohlfühlsegeltörn für die angehenden Offiziere harte Arbeit und Aubildung auf dem Kutter wurde, was für ein Skandal !
Zumindest vor zweieinhalb Jahren wohl nicht !
Guckst Du :
http://einestages.spiegel.de/static/authoralbumbackground/2591/segeln_buegeln_kotzen.html
@polybos
Die Gorch Fock ist in einer Hinsicht für die Marine unverzichtbar: Durch das Erzeugen von „Reinschiff-Traumata“ werden die OAs darauf vorbereitet, irgendwann einmal IO zu werden ;-) Ach, war das schön, drei Tage auf Reede vor Kiel Großreinschiff…
1. Ohne dass ich jetzt hier spezielle Mandate ansprechen will, so zeigte der USS Liberty-Angriff ja sehr wohl, auf was man als Marineoffizier vorbereitet sein muss.
2. Wo ist denn der Artikel zum „schwimmenden Puff“? Im SPON-Forum bringen viele die Bezeichnung „Gorch Fick“ als Beweis, was meiner Meinung eher was mit dem allseits beliebten „Dummfick“ zu tun hat.
3. Verfehlungen in der Ausbildung müssen untersucht werden. Wie schon woanders geschrieben, sind die Beschwerden meist wirklich ein Zeichen für Probleme, die ich auch gar nicht negieren will.
4. Nichtsdestotrotz, und vielleicht bin ich mit Mitte 20 da schon anachronistisch, wer ein guter Offizier werden möchte, muss auch die Fähigkeit besitzen, unfaires Verhalten in Maßen zu ertragen. Damit ist nicht der vielzitierte „Kadavergehorsam“ gemeint, sondern die Einsicht, dass man einfach mal schlucken muss. Ist im Berufsleben übrigens nicht anders. Zudem ist die Aufgabe einer Armee einzigartig, was wiederum strenge Hierarchien verlangt. In meinen 2 Jahren ROA-Ausbildung habe ich öfter eingesteckt in der Ausbildung, aber als Vorgesetzter habe ich dann auch vor meinen Soldaten gestanden und sie nach oben hin abgeschirmt. Das ist mein Selbstverständnis als militärischer Vorgesetzter. Wer es da nicht einmal hinbekommt, mal ein paar Wochen „Dummfick“ zu ertragen, vor dem graust es mir jetzt schon im Einsatz, wenn die wirklich wichtigen Entscheidungen getroffen werden müssen(als Offz auch mal: Menschenleben gegeneinander abwägen und einen Befehl geben, der den Tod von Kameraden bedeuten wird, um den Auftrag zu erfüllen oder um eine weitaus größere Anzahl von Kameraden zu retten)
5. Danke für die Textübertragung des Tatorts, den brauch ich ja jetzt nicht mehr zu sehen.
Zunächst einmal möchte ich mich für für die äußerst gute Diskussion hier bedanken. Inhaltlich wurden alle Aspekte kompetent dargelegt. Da blieb überhaupt keine Chance sich einzubringen…;-)
Mir stösst aber ein anderer Aspekt bei all dem Theater um die Gorch Fock und das „Kommandantenschiessen“ doch etwas auf.
Irgendwie hab ich bei all dem ein wenig den Eindruck, dass sich Grossteile der Marineführung wie die Kuh durchs Dorf treiben lassen. Kein eigenes Handeln, keine Entscheidungen, nichts.
Und bei aller Befehls- und Weisungsbefugnis des Ministers. Wo ist hier das Handeln des Befehlshabers der Flotte zu erkennen? Vom Inspekteur Marine zunächst einmal ganz abgesehen. Ich erinnere mich noch recht gut daran (wenn ich mal in meiner Mottenkiste „Eignung und Befähigung zum Führen eines Deutschen Kriegsschiffes und seiner Besatzung“ grabe..) das der Befehlshaber Flotte derjenige ist, der seine Kommandanten vom Kommando enthebt. Zugegeben ein kleines Detail, aber bei der ganzen Sache sehe ich nur wenig vom Flottenkommando oder aus dem Hause FüM. Still ruht der See….
In diesem Zusammenhang zwei lesenwerte Diskussionen innerhalb des Blogs US Naval Institute zum Thema Ablösung Capt Honors und Capt Graf von ihrem jeweiligen Kommando:
http://blog.usni.org/2011/01/03/if-he-is-a-problem-then-we-have-a-problem/
http://blog.usni.org/2011/01/14/good-for-the-goose-not-good-for-the-gander/
Als Bekräftigung für die m.E. nicht vorhandene Sichtbarkeit der Deutschen Marineführung: US Navy ermittelt, US Navy stellt fest, verantwortliche Admirale Fleet Command entlassen die Kommandanten. Kein SecNav oder Defence Secretary. Komisch nicht?(ohne dieses Handeln der US Navy werten zu wollen. Ich empfehle wirklich die Einträge im Blog zu lesen. Sehr informativ.)
Bei uns heißt indes es nur: KTzG tut dies, KTzG macht jenes…Ein Schelm wer Böses dabei denkt…
@NMWC:
Da die Gorch Fock organisatorisch nicht dem FlottenKdo und damit nicht dem BdF untersteht, dürfte dieser wenig damit zutun haben. Die Fock ist quasi die schwimmende Lehrgruppe der Marineschule Mürwik und untersteht damit dem Kdr MSM. Dieser wiederum ist fachlich dem „Admiral Weiterentwicklung und Ausbildung“ (AWA) im Marineamt unterstellt (MarA) und truppendienstlich dem Amtschef (AC).
Das „Umhertreiben“ der Marineführung ließe sich meiner Meinung nach daher erklären, dass man den Tod der Kameradin als Betriebsunfall qualitativ abwertete. Stattdessen hätte man von oberster Stelle her Rückgrat beweisen und eine Pressekonferenz einberufen müssen.
Auch wenn FlottenKdo und MSM lediglich fünf Kilometer auseinander liegen, heißt das nicht, dass man auch miteinander spricht. Ich kann mir deshalb nicht vorstellen, dass der Vorwurf der Meuterei unmittelbar an die entsprechenden Abteilungen des FlottenKdo gegangen sind (Zentralbüro CdS und PIZ Marine).
Wo junge Menschen ausgebildet werden, da gibt es schließlich ähnliche Fälle irrational getroffener Entscheidungen. Das schadet dem Ruf der Marine und damit der MSM, so dass man diese Vorfälle gerne unter sich behalten möchte. Mir fallen dazu spontan zwei Fälle ein.
@Polybos
Danke für die Richtigstellung meiner organisatorischen Einordnung. Die hatte ich doch glatt verdrängt bzw für vernachlässigbar gehalten. Mea Culpa. Habe wohl einfach zu lange dem OrgBereich Flotte mit seinen grau angepönten Schiffen und dessen Eigenheiten angehört…;-) Streiche für diesen speziellen Fall BdF, setze Amtschef Marineamt. Da es auch aus diesem Büro keine Äußerungen gegeben hat, bleibt der Rest der Ausführungen gleich.
Das man innerhalb der Marine nicht unbedingt immer in ausreichender Weise miteinander spricht, sehe ich wie Sie. Der Hinweis auf PIZ Marine wurde von mir mit einem Lächeln aufgenommen…
@NMWC:
Die mangelnde Kommunikation zwischen den verschiedenen Dienststellen zeigt einmal mehr, dass es einer Reform Bedarf, die bestehenden Parallelstrukturen abzubauen.
btw:
Wieso PIZ Marine und Lächeln?