Somalias Piraten setzen neuen Rekord

Die Piraten aus Somalia erregen mit neuen, rekordverdächtigen Angriffen Aufmerksamkeit. Nein, nicht weil sie innerhalb kurzer Zeit ein deutsches Schiff freiließen und ein anderes kaperten (dazu unten mehr). Sondern weil sie jetzt auch nach Süden mit ihren Angriffen so weit vorstoßen wie nie zuvor.

Nach der Übersicht des Piracy Reporting Centre griffen die Seeräuber am Heiligabend und am ersten Weihnachtstag vor der Küste Mosambiks einen Tanker und einen Massengutfrachter an. Zwar erfolglos, aber sie agierten bei 19 Grad südlicher Breite und damit, wie auch die EU-Anti-Piraten-Operation Atalanta bestätigt, so weit im Süden wie nie zuvor. Auf der Karte:

Der bislang südlichste Angriff somalischer Piraten am 25. Dezember 2010 bei 19 Grad 04.8 Süd, 38 Grad 42.0 Ost (Größere Karte: OpenStreetMap)

Um einen Eindruck zu bekommen, wie groß das Aktionsgebiet der Seeräuber inzwischen ist, dazu die Karte mit dem östlichsten Angriff:

Kaperung der Jahan Moni am 5. Dezember 2010 bei 08 Grad 12 Minuten Nord, 071 Grad 55 Minuten Ost (größere Karte: OpenStreetMap)

… und weit oben im Nordosten:

Der Ort der Kaperung der Yuan Xiang am 13. November 2010 in der Arabischen See – Die Ecke unten links ist das Horn von Afrika (Karte: OpenStreetmap)

Das schon zuvor riesige, jetzt noch größere Aktionsgebiet drückt sich auch in den Erfolgszahlen der Piraten aus. Am 28. Dezember, nach der Kaperung des deutschen Frachters Ems River, schnellte die Zahl der festgehaltenen Seeleute kurzfristig auf über 600 (und sank am gleichen Tag auf knapp unter 600, weil der ebenfalls deutsche Chemietanker Marida Marguerite am gleichen Tag aus Piratenhand freikam, angeblich nach der Zahlung von 5,5 Millionen US-Dollar Lösegeld). Und das sind nur die offiziellen Zahlen der internationalen Seestreitkräfte – immer wieder gibt es Hinweise, dass kleinere Fischerboote im großen Piraten-Lagebild gar nicht erst erfasst werden.

(Nachtrag 30. Dezember: Mit der Kaperung des taiwanesischen Fischereibootes FV Shiuh Fu No 1, die am 25. Dezember passierte und heute bestätigt wurde, liegt die EU-Statistik wieder bei 26 gekaperten Schiffen mit 613 Seeleuten.)

Dass die deutschen Reeder immer wieder von solchen Angriffen und Kaperungen betroffen sind (wenn auch meist nicht deutsche Seeleute, weil auf deutschen Schiffen unter fremder Flagge meist keine Deutschen fahren), ist nur logisch: Deutsche Unternehmen betreiben die drittgrößte Handelsflotte der Welt, bei den Containerschiffen stehen sie sogar an erster Stelle. Da ist es fast erstaunlich, dass nicht mehr ihrer Schiffe in die Hand von Piraten fallen und derzeit – so weit ich das überblicken kann – nur ein deutscher Staatsbürger als Geisel auf einem gekaperten Schiff festgehalten wird, nämlich der Kapitän des am 24. Oktober gekaperten Flüssiggastankers York.

Folgerichtig wird auch immer wieder darüber gestritten, ob deutsche Reeder Anspruch auf den Schutz ihrer Schiffe durch deutsche Soldaten (oder Polizisten) haben. Die Forderung danach der der Verband Deutscher Reeder immer wieder erhoben, zuletzt auf seiner Jahrespressekonferenz am 3. Dezember:

Es braucht weitere Anstrengungen der internationalen Gemeinschaft, um die Piraterie einzudämmen. Es ist wichtig, dass die Handelswege für alle Schiffe der friedlichen Handelsschifffahrt befahrbar bleiben. Die bisher eingeleiteten militärischen Maßnahmen zum Schutz der Schiffe sind aus Sicht des VDR nicht ausreichend. Noch besseren Schutz würden bewaffnete hoheitliche Kräfte an Bord für die besonders gefährdeten Schiffe geben.

Aus Sicht der Bundesregierung ist das allerdings rechtlich nicht möglich. Natürlich macht der Reederverband das weiter zum Thema, und so auch zum Titel der Januar-Ausgabe seines Verbandsmagazins (dazu ein Hinweis in eigener Sache: für die Januar-Ausgabe von loyal habe ich auch was zur Piraterie geschrieben) – wohl deshalb wurde es heute auch Gegenstand der Bundespressekonferenz. Die derzeitige Position der Regierung machte der stellvertretende Sprecher des Verteidigungsministeriums, Kapitän zur See Christian Dienst, deutlich:

Es sind sogenannte „Vessel Protection Teams“ im ATALANTA-Einsatz. Diese können im Rahmen der Operation ATALANTA auf den Schiffen als sogenannter Begleitschutz eingesetzt werden, die in der Regel für das „World Food Programme“ laufen. Außerhalb der Operation ATALANTA ist das nach jetzigem Rechtsverständnis nicht möglich.

Darüber wird allerdings zwischen Politik und Reedern weiter verhandelt. Zum Beispiel bei einem geplanten Treffen am 24. Januar. Erste Gespräche unter Leitung des Parlamentarischen Staatssekretärs Thomas Kossendey aus dem Verteidigungsministerium hatte es schon Mitte Dezember gegeben, da wurde dann ein Arbeitskreis gegründet.

Übrigens, das ist eine weitgehend unbemerkt gebliebene Ironie der Geschichte: An dem Tag, als in Berlin die Reeder mit den Beamten und Politikern zusammensaßen, ließen die Piraten den Seemann eines entführten Frachters frei: Er war an einer akuten Blinddarmentzündung erkankt – und kam zur Behandlung auf die deutsche Fregatte Hamburg.

(Übrigens scheint es auch neue Informationen zu der geplanten somalischen (!) Anti-Piraten-Einheit zu geben, wie die Washington Times, bitte nicht verwechseln mit der Washington Post, berichtet. Die internationale Sicherheitsfirma Saracen International wurde damit beauftragt, wie auch die somalische Übergangsregierung bestätigte – leider ist der Text wegen drübergelegter Werbung nur teilweise lesbar. Interessant in dem Zusammenhang der – sehr lange – Text eines somalischen Journalisten: Saracen International in Somalia – What is next?)

Nachtrag: Der Kontrakt mit Saracen International scheint ausgesetzt.