Jahresbericht des Wehrbeauftragten: Und wieder eine Mängelliste

Der Wehrbeauftragte des Bundestages, Hans-Peter Bartels, hat am (heutigen) Dienstag seinen Jahresbericht 2017 an Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble übergeben. Wenig überraschend ist, dass Bartels erneut einen Mängelbericht vorgelegt hat – in dem es nicht zuletzt um die derzeit auch öffentlich debattierten Engpässe beim Material geht.

Aus der Pressekonferenz des Wehrbeauftragten zur Vorstellung des Berichts später mehr; der gesamte Bericht steht zum Nachlesen schon hier online.

Hier zunächst zur Dokumentation das Eingangsstatement von Bartels vor der Bundespressekonferenz:

Schwerpunkt des Berichts bleiben die großen Lücken bei Personal und Material in allen Bereichen der Bundeswehr.

Oberhalb der Mannschaftsebene sind 21.000 Dienstposten von Offizieren und Unteroffizieren nicht besetzt. Weil so viel Personal fehlt – Führungspersonal, Ausbilder, Spezialisten –, bleibt der Dienst, der zu tun ist, an den Soldatinnen und Soldaten hängen, die da sind. Das führt nicht selten zu Überlast und Frustration.

Die immer noch kleinste Bundeswehr aller Zeiten hat heute nicht nur eine Hauptaufgabe, wie dies in der Epoche vor 1990 die kollektive Verteidigung war oder in der Ära nach 1990 die Auslandseinsätze außerhalb des Bündnisgebietes. Die Bundeswehr muss heute vielmehr beiden Aufgaben als gleichwertigen Hauptaufgaben gerecht werden, das heißt: weiterhin 13 mandatierte Auslandseinsätze von Mali bis Afghanistan und gleichzeitig die Beteiligung an der kollektiven Verteidigung in Europa mit der VJTF, der NRF, den ständigen Nato-Flottenverbänden, dem Air Policing im Baltikum und dem Nato-Bataillon in Litauen.

Weil das sehr viel ist, rede ich von Überlast, beispielsweise in Teilen der Marine oder bei den Hubschrauberverbänden von Heer und Luftwaffe.

Gleichzeitig ist die materielle Einsatzbereitschaft der Truppe in den vergangenen Jahren nicht besser, sondern tendenziell noch schlechter geworden. Die proklamierten „Trendwenden“ für Personal, Material und Finanzen sind unbedingt zu begrüßen. Nur macht die Proklamation allein noch nichts besser.

Zum Jahresende waren 6 von 6 deutschen U-Booten außer Betrieb. Zeitweise flog von mittlerweile 14 in Dienst gestellten Airbus A-400M-Maschinen keine einzige.
Eurofighter, Tornado, Transall, CH-53, Tiger, NH-90 – die fliegenden Verbände beklagen zu recht, dass ihnen massiv Flugstunden für die Ausbildung der Besatzungen fehlen, weil zu viele Maschinen an zu vielen Tagen im Jahr nicht einsatzklar sind.

Bei der Marine das gleiche Bild: Das Ausmustern alter Schiffe klappt reibungslos, termingerecht. Aber die Indienststellung neuer Schiffe klappert um Jahre hinterher. Statt der planmäßig vorgesehenen 15 Fregatten existieren heute nur noch neun. Und bei diesen neun werden die Werftliegezeiten immer länger, weil die Schiffe immer älter werden, weil Ersatzteile fehlen und weil das Projektmanagement auf Seiten der Bundeswehr wie auf Seiten der Industrie manchmal zu wünschen übrig lässt.

Für Regierung und Parlament wird es wichtig sein, künftig darauf zu achten, dass neue Waffensysteme (wie es technisch heißt:) „versorgungsreif“ bestellt werden, also einschließlich Ersatzteilen, Prüfgeräten, Simulatoren und Ausbildungsperipherie. In ausreichender Stückzahl. Das wäre dann teurer, aber funktioniert besser.

Zur „Trendwende Finanzen“ kann ich heute nur sagen: Der Trend heißt Hoffnung. All das, was für eine volle Ausstattung zusätzlich gebraucht wird, kostet zusätzliches Geld, das in den Haushalt kommen muss. Dort aber steht bisher noch nichts substanziell Zusätzliches.

Die Aufgaben, für die es in Zukunft zusätzliches Personal und Material geben soll, diese Aufgaben sind heute schon da. Und die heute aktiven Soldatinnen und Soldaten müssen sie heute schon jeden Tag meistern – mit dem, was da ist. So gut es geht.
Und das geht nur mit großem Engagement, mit Improvisationstalent, Pflichtgefühl, Solidarität, Kameradschaft und manchmal auch Humor. Viele tun mehr als ihre Pflicht.

Auch deshalb hat die Diskussion um „Führung und Haltung“ im Berichtsjahr erhebliche Unruhe verursacht. Viele Soldatinnen und Soldaten sahen sich einem Generalverdacht gegen alle Bundeswehrangehörigen ausgesetzt. Sie spürten Misstrauen. Dabei setzt das Konzept der „Inneren Führung“, damit es wirksam sein kann, ausdrücklich gegenseitiges Vertrauen von Führung und Geführten voraus. Dieses Vertrauensverhältnis folgt gegenwärtig dem Trend der Zeit, könnte man sagen: Es ist in Reparatur.

Der Jahresbericht beschäftigt sich aus gegebenem Anlass noch einmal mit Grundfragen der Inneren Führung und auch mit den einzelnen Fällen, die im vergangenen Jahr besondere Beachtung gefunden hatten: Pfullendorf, Illkirch, Sondershausen und Munster. Der Bericht beschäftigt sich auch mit erkannten Mängeln in der – manchmal vorschnellen – Konsequenzenziehung. Dabei muss klar sein: Aus Fehlern oder Fehlverhalten zu lernen, ist so oder so existenziell für die Bundeswehr.

Ohne konkreten Anlass, aber weil dieser schleichende Trend sonst immer untergeht, thematisiert der Jahresbericht 2017 das Übermaß an Zentralisierung und Bürokratisierung, unter dem Vorgesetzte aller Ebenen leiden, von den Teileinheitsführern, Chefs und Spießen bis zum Divisionskommandeur: Die Verregelung von allem und jedem durch tausende von selbstgemachten Bundeswehr-Vorschriften erstickt das Prinzip des Führens mit Auftrag. Persönlich wahrnehmbare, ganzheitliche Verantwortung verschwindet. Verantwortungsdiffusion, Absicherungsmentalität und Ohnmachtsgefühle treten an deren Stelle. Dem entgegenzuwirken, wäre am Ende nicht nur eine Frage der Effektivität, sondern auch eine Frage der Attraktivität des Dienstes in der Bundeswehr. Wie dies auch gilt für Dauerthemen wie Pendlerwohnungen, Familienfreundlichkeit, planbare Überstundenregelungen, bessere Infrastruktur, W-LAN und attraktive Sport- und Betreuungseinrichtungen.

(Foto: Bartels bei der Übergabe des Berichts an Schäuble mit den Obleuten der Bundestagsfraktionen – Deutscher Bundestag/Achim Melde)