Wir basteln uns 1 Fakenews: Luftwaffe übt Tiefflug an der russischen Grenze! (m. Nachtrag)

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Das klingt doch wie eine wichtige Nachricht, gerade in diesen politisch heiklen Zeiten, in denen USA und NATO ihre Präsenz an der Ostflanke des Bündnisses massiv verstärken: Die deutsche Luftwaffe, derzeit zur Luftraumüberwachung des Baltikums an der Nahtstelle zwischen der NATO und Russland mit Jagdflugzeugen präsent, wird jetzt mit Tiefflugübungen an der russischen Grenze beginnen. Von der einen Seite dürfte das begrüßt werden, von der anderen als Säbelrasseln und weitere Aggression verurteilt. Und die Quelle dafür ist auch nicht in Zweifel zu ziehen, es sind nämlich offizielle Stellen aus Estland.

Oder? Tatsächlich stimmt es ganz offensichtlich nicht.

Der Reihe nach. Am (gestrigen) Sonntag veröffentliche die estnische NATO-Vertretung via Twitter diese Information:

Und um dem noch ein bisschen mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen: Dieser Tweet wurde rund 50 mal retweeted, nicht nur von mir, sondern, viel wichtiger: Auch von der deutschen NATO-Vertretung, ebenso von der NATO-Sprecherin. Damit ist so was ja quasi offiziell.

(Nachtrag: Damit das nicht falsch verstanden wird: Ein Re-Tweet heißt nun nicht, dass sich die/derjenige die ursprüngliche Aussage zu eigen macht – insofern bitte ich das nicht als Vorwurf an die zahlreichen Retweeter zu verstehen. Auch ich habe diese Info ja auf diesem Wege zunächst einfach weitergegeben. Das zeigt aber, wie schnell sich so etwas verbreiten kann, wenn die erste Aussage aus einer Quelle kommt, die man in der Regel für vertrauenswürdig hält.)

Ich fand das allerdings einer weiteren Recherche wert – nicht etwa, weil ich die Information in  Zweifel gezogen hätte. Sondern weil ich gerne wissen wollte: Wann und wo wird die deutsche Luftwaffe damit beginnen, ihre derzeit fünf Eurofighter im Einsatz im Baltic Air Policing auf Tiefflugübungen zu schicken? Und was steckt dahinter, soll die russische Grenze besser überwacht werden? Reagiert die Luftwaffe auf ein verändertes Verhalten Russlands? Oder wurden einfach in der NATO neue Regeln vereinbart?

Meine Nachfrage beim Kommando Luftwaffe am (heutigen) Montag ergab dann aber: Das stimmt ja gar nicht.

Die offizielle Auskunft (von denen, die die Flugzeuge durch die Gegend schicken): Es gibt derzeit Überlegungen der Luftwaffe, einen Luft-Boden-Schießplatz im (dünn besiedelten) Estland für Übungen deutscher Kampfjets zu nutzen. Das wären dann allerdings Eurofighter in der entsprechenden Konfiguration, die von Deutschland aus zu diesen Übungen anfliegen würden. Entschieden darüber, sagt die Luftwaffe, ist bislang noch nichts: Die Möglichkeit wird geprüft.

Die Eurofighter in der Air Policing-Rolle, die in Estland stationiert sind, kämen dafür ohnehin nicht infrage – die sind nämlich gar nicht für die Luft-Boden-Rolle ausgerüstet.

Mit anderen Worten: Es gibt keinen Tiefflug, sondern eventuell die üblichen, zur Ausbildung gehörenden Luft-Boden-Angriffsübungen. (Nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass so was in Deutschland angesichts der Bevölkerungsdichte kaum möglich ist – und entsprechende Übungsmöglichkeiten in de USA aufgegeben wurden.) Aber nicht mit den Maschinen, die derzeit in Estland sind. Und entschieden ist es noch nicht.

Das Schlimme daran: Für solche, ganz vorsichtig formuliert, nicht zutreffenden Nachrichten mit potenziell übler politischer Auswirkung bedarf es gar nicht der gesteuerten Einflussnahme durch gelenkte Medien anderer Länder oder interessengeleiteter Fakenews-Produzenten aus einem großen NATO-Mitgliedsland. Das besorgt die NATO in Europa schon ganz alleine.  Keine guten Aussichten für das gerade begonnene Jahr.

(Foto: Eurofighter-Start auf der estnischen Airbase Ämari – Luftwaffe/Christian Timmig)